Ukraine: Der Westen will alles

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Ukraine: Der Westen will alles
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Ukraine: Der Westen will alles

von Martin Suchanek, Neue Internationale 191, Juli/August 2014


Seit Juli sind die Verbände der Kiewer Regierung auf dem Vormarsch. Die sog. „Separatisten“ mussten Städte wie Slawjansk und Kramatorsk räumen und versuchen sich zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels um Donezk und Lugansk neu zu formieren.

Von einer Waffenruhe oder einer Verhandlungslösung will die Regierung in Kiew nichts wissen. Sie hofft auf einen endgültige Wende im Bürgerkrieg zu ihren Gunsten. Die Eroberung mehrerer Städte nach tagelangem Artilleriebeschuss, der Zerstörung der Infrastruktur und der Vertreibung großer Teile der Bevölkerung - allein in Slawjansk ist ein großer Teil der 100.000 EinwohnerInnen geflohen - wird zur nationalen Heldentat stilisiert.

Mit der Einkreisung und drohenden Abriegelung der Städte Donezk und Lugansk droht eine militärische Niederlage der „Separatisten“. Die Kiewer Regierung wittert nach Monaten des Misserfolgs und der Desertion von Soldaten der ukrainischen Armee nun Morgenluft. Ein Erfolg im Osten würde jedenfalls kurzfristig die Autorität der Regierungskoalition aus Oligarchen, Monarchisten und Faschisten stärken. Sie hätten damit bewiesen, dass sie das ganze Land unter Kontrolle bringen können.

Es droht eine Niederlage der Selbstverteidigungskräfte der „Volksrepubliken“ von Donezk und Lugansk. Ob, wie schnell und in welcher Form sie vonstatten gehen wird, ist aktuell schwer vorhersehbar. Klar ist jedoch, dass die rein militärischen Kräfte der „Volksrepubliken“ mit großer Sicherheit nicht ausreichen werden, der Nationalgarde, den Verbänden der Oligarchen, den zuverlässigen Teilen der ukrainischen Armee und deren absoluter Lufthoheit standzuhalten.

Bei aller notwendigen Kritik der nationalistischen Führung der „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk und deren falscher politischer und militärischer Strategie zeigen die Ereignisse auch, dass diese entgegen der westlichen und Kiewer Propaganda keine „Sondereinheiten“ der russischen Armee oder nur Marionetten Putins sind. Wären sie das, würden sie zweifellos militärisch schlagfertiger sein. Selbst die bürgerliche Presse stellt die angeblichen „Agenten“ des Kremls eher als „Chaotenhaufen“ dar, denn als schlagfertige, politisch einheitliche Truppe.

Die Ereignisse der letzten Wochen zeigen vielmehr, dass die Widerstandseinheiten überhaupt nur erfolgreich sein konnten aufgrund des zumindest teilweisen Zerfalls des ukrainischen Staatsapparats im Osten des Landes und der, wenn auch in der Regel passiven, Massenunterstützung aus der Bevölkerung.

Bevor wir daher auf die weiteren Perspektiven der Bewegung und des Kampfes eingehen, ist es daher notwendig, die Entwicklung seit der putschistischen Machtübernahme durch die pro-westliche Oligarchenregierung in Kiew nachzuzeichnen, die sich auf die neoliberalen und faschistischen Parteien und Kräfte stützt.

Der reaktionäre Charakter der Kiewer Regierung

In Gegensatz zu den Grünen u.a. haben wir die Bewegung des Maidan zu keinem Zeitpunkt als Bewegung begriffen, die es zu unterstützen galt. Sie stand vielmehr von Beginn an unter Führung einer Koalition aus bürgerlichen, pro-westlichen Parteien, die sich auf Sektoren der ukrainischen Oligarchen (Monopolkapitalisten) stützen (Vaterlandspartei und UDAR) sowie der faschistischen Swoboda. Soziale Forderungen waren marginal und wurden allenfalls in einer populistisch-rechten Form verbreitet. Ansonsten dominierten Hoffnungen in die EU als freier Markt, der individuellen Aufstieg ermöglicht.

Der Maidan war nie eine landesweite Bewegung und das Gros der Arbeiterklasse verhielt sich ihr gegenüber reserviert - aus verständlichen Gründen. Der ukrainische Nationalismus war von Beginn an der ideologische Kitt des Maidan, was notwendigerweise die russischsprachige Bevölkerung v.a. im Osten und Süden des Landes abstoßen musste.

Nach der Machtergreifung versuchte die neue Regierung, ihr Programm aggressiv durchzusetzen. Um den Staatshaushalt und den Krieg gegen den Osten zu sichern, brauchte sie Kredite vom IWF und Hilfsgelder von EU und USA. Mit der EU wurde das Assoziierungsabkommen in zwei Schritten geschlossen. Die sozialen Kosten für diese Maßnahmen müssen die lohnabhängigen und bäuerlichen Massen tragen - und zwar nicht nur im Osten.

Zugleich verfolgte die Kiewer Regierung einen aggressiven Kurs, um ihre Machtansprüche im Osten des Landes durchzusetzen: Nationalistische Sprachpolitik, Ersetzen von Gouverneuren, Legitimierung der neuen Regierung durch Putsch der „neuen“ Parlamentsmehrheit und über die Straße.

Zugleich konnte der US-Imperialismus seinen Einfluss in der neuen Regierung auf Kosten der EU und Deutschlands stärken. Zusammen mit den rechten und den aggressiven Teilen des ukrainischen Monopolkapitals, ging es ihnen um einen möglichst vollständigen Bruch des Einflusses Russlands in der Ukraine (auch um den Preis des Verlustes der Krim). Diese Politik war und ist zugleich auch darauf aus, den Einfluss der EU und Deutschlands in der Ukraine zu begrenzen und v.a. eine „Partnerschaft“ von EU und Russland in nächster Zeit zu erschweren, wenn nicht zu verunmöglichen.

Kurz, es geht auch darum, die Ukraine zu einem vom US- und EU-Kapital halb-kolonialen Ausbeutungsgebiet, möglichst unter Ausschluss Russlands zu machen. Dazu waren und sind alle Mittel recht. Das faschistische Massaker von Odessa Anfang Mai 2014 zeigte, was droht, wenn die Regierung in Kiew und ihre imperialistischen Verbündeten siegen.

Seit der Machtergreifung des „Maidan“ werden alle jene Linke, die sich gegen die Regierung und Faschisten wehren, brutal angegriffen. Die Kommunistische Partei der Ukraine und sozialistische Organisationen wie Borotba befinden sich allenfalls in einer Situation der Halb-Legalität. Am 26. Juni griff der „Rechte Sektor“ z.B. eine Gewerkschaftsversammlung brutal an - die Polizei schaute zu.

Die Präsidentschaftswahlen vom 25. Mai dienten nur dazu, den Putsch nachträglich demokratisch zu legitimieren. Die Wahl belässt weiter die Regierung Jazenjuk, die großen Teil der Macht konzentriert, im Amt. Die Faschisten schnitten nur vordergründig schwach ab, weil die westlichen Medien gern unterschlagen, dass nicht nur Swoboda und der „Rechte Sektor“ faschistische Kandidaten ins Rennen schickten, sondern auch der Dritte der Parlamentswahlen, Ljaschko aus diesem Spektrum kommt und eng mit Hardcore-Faschisten zusammenarbeitet.

Noch wichtiger ist freilich, dass das ganze „offizielle“ politische Spektrum hochgradig nationalistisch ist und mit pogromistischer und menschenverachtender Rhetorik nicht hinter dem Berg hält. Wenn die „Demokratin“ Tymoschenko davon spricht, alle Russen eigenhändig auszurotten, dann lässt sich das jedenfalls rhetorisch auch von Ultra-Faschisten nicht mehr überbieten.

Noch wichtiger ist freilich die Tatsache, dass der faschistische Einfluss im Land massiv gestiegen ist. Schon vor dem „Maidan“ kontrollierte Swoboda drei westliche Provinzen. Die Kiewer Regierung hat den Bürgerkrieg selbst bewusst entfacht und angeheizt, als sie - natürlich auch unter Druck der USA - jede „Vermittlung“ mit den russischsprachigen Regionen, jede Forderung nach mehr Autonomie und Verfassungsreform kategorisch abgelehnt und als „separatistisch“ diffamiert hat.
 

 

Doch um einen solchen Krieg zu gewinnen, entpuppte sich die ukrainische Armee als ungeeignet. Formal ist zwar sehr groß, weil sie auf allgemeiner Wehrpflicht beruht. Doch genau das machte sie für den Bürgerkrieg so untauglich. Die Rekruten dienten traditionellen in den Regionen, wo sie wohnten. Das heißt aber, dass die Wehrpflichtigen in Donezk, Lugansk usw. selbst überwiegend russischsprachig waren und keinesfalls für die Kiewer Regierung kämpfen wollten, die sie selbst und ihre Angehörigen als Menschen zweiter Klasse betrachtet. Aber selbst die Zwangsrekrutierungen in den westlichen Teilen der Ukraine liefen schlecht und provozierten den Widerstand der Bevölkerung. Schließlich wollten nur wenige, die sich für die ukrainische Nation begeistern ließen, ihr Leben dafür opfern.

Daher musste die Regierung im Bürgerkrieg auf ideologisch verlässliche, „motivierte“ Kämpfer zurückgreifen - diese waren aber fast ausschließlich beim „Rechten Sektor“, Swoboda oder bei von diesen angeheuerten lumpenproletarischen Elementen zu finden. Heute machen sie das Gros der „Nationalgrade“ aus, die mittlerweile an die 50.000 zählt. Da auch die Faschisten vom Patriotismus allein nicht leben wollen, wird ihr mörderischer Dienst mit bis zu 1.700 Euro im Monat (mehr als 10fache des Mindestlohns in der Ukraine) versüßt.

Bewegung im Osten

Die Bewegung im Osten war von Beginn an eine Reaktion auf die reaktionäre Machtergreifung in Kiew. Von Beginn hatte sie wichtige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede, die sich in Entwicklung zeigen.

In der gesamten Ukraine hatten die meisten politischen Parteien kaum „normale“ Parteistrukturen, wie wir sie aus dem Westen kennen. Sowohl die Partei der Regionen von Janukowitsch wie auch die Vaterlandspartei und UDAR waren und sind Parteien ohne ein regelmäßiges Parteileben, vielmehr Lobby- und Wahlvereinigungen für rivalisierende Fraktionen der herrschenden Klasse. Swoboda und die KP der Ukraine hatten noch eher „normale“ Parteistrukturen, die auch zwischen den Wahlen existierten.

Daher waren neben den politischen Führungen auch viele „zufällige“ Elemente“, Menschen, die sich „neu“ in die Politik mischten, dabei.

Nun aber zu den Unterschieden.

a) Die verschiedenen Parteien waren im Osten praktisch in Auflösung; daher  fragmentierte die politische Landschaft noch mehr. Hinzu kam, dass im Westen der Ukraine, v.a. in Kiew, NGOs und alle möglichen, vom US- und EU-Imperialismus finanzierte Vereinigungen die Rolle politischer Parteien oder Formationen übernahmen - und so den politisch-ideologischen, aber auch personellen Unterbau für eine pro-westliche Bewegung stellten, die auch extrem gut finanziell ausgestattet war.

Allein die USA „investierten“ laut der Regierungsbeauftragen Nuland in zwei Jahrzehnten rund 5 Mrd. US-Dollar in die „Demokratie“, also praktisch in den Kauf großer Teil der Intelligenz. Diese politisch-ideologische Arbeit zeigte ihren Einfluss bis hin zu „linksradikalen“, Libertären, Anarchisten oder der „Linken Opposition“ in der Ukraine, die politisch als Wurmfortsatz der pro-westlichen liberalen Intelligenz fungieren.

b) Die Bewegung im Osten war von Beginn an weitaus proletarischer geprägt als der „Maidan“. Das war erstens eine einfache Reflexion der sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung im Osten der Ukraine. Dort lebt die Mehrheit der Arbeiterklasse, dort ist die Bevölkerungsstruktur im Unterschied zum Westen und zum Zentrum des Landes industriell und städtisch geprägt.

Zweitens reflektierte das den fortschrittlichen Charakter des Kampfes im Osten. Es ging und geht darum, die Kontrolle durch die Kiewer Regierung und die Durchsetzung ihres  Programms zu verhindern, um eine drohende nationale Unterdrückung und die weitgehende Deindustrialisierung des Ostens (und damit auch dessen Entproletarisierung) zu verhindern.

c) Aber dieses Kampfziel war nur negativ bestimmt und unter den einzelnen politischen Strömungen und Fraktionen im Widerstand gegen Kiew waren die positiven Kampfziele heftig umstritten.

- Ein Teil wurde ursprünglich von den Ost-Oligarchen dominiert, die um Einfluss in der neuen Ukraine fürchteten. Mit den Veränderungen der Taktik der Kiewer Regierung, die einen Kompromiss mit den Superreichen wie Achmetow, dem größten Unternehmer und Reichsten des Landes suchten, verließen diese praktisch den Widerstand und versuchten auch, „ihre“ ArbeiterInnen mitzunehmen - wenn auch ohne großen Erfolg.

  • Ein anderer Teil wurde von regionalistischen Kräften gestellt, die v.a. am Beginn der Bewegung an alte Traditionen wie jene der „Donbas-Sowjetrepublik“ von 1917 anknüpfen wollten.
  • Teile von pro-russischen Kräften (oder solchen, die auf Russland hoffen). Diese russisch-nationalistischen, pan-slawistischen Kräfte wurden im Laufe des Kampfes stärker, nicht zuletzt, weil sie über mehr militärische Erfahrung und Spezialisten verfügten und damit besser in der Lage waren, bewaffnete Einheiten im Bürgerkrieg zu führen.
  • Viele „zufällige“ Menschen, oftmals Menschen mit „leitenden“ oder anleitenden Funktionen in Betrieben, Verwaltung, Bildungswesen.
  • Linke Gruppierungen wie Borotba, die v.a. in Charkow zeitweilig einen relativ großen Einfluss hatten und auch sozialistische Forderungen durchsetzen konnten, oder regionale Teile der KP, die als landesweite Organisation kaum noch existiert.

d) Die Anti-Terror-Kampagnen der Regierung, der Beschuss von Zivilisten, das Loslassen von paramilitärischen Verbänden örtlicher Oligarchen oder von faschistischen Marodeuren, die die Bevölkerung terrorisierten, machten die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk, die ursprünglich einen stark abenteuerlichen Zug trugen, zu Veranstaltungen mit Massenunterstützung. Das zeigte sich beim Referendum am 11. Mai, das Millionen als Ausdruck ihres Protests gegen die Junta in Kiew nutzten. Am 25. Mai boykottierte eine Großteil der Bevölkerung diese illegitimen Wahlen. In vielen Städten,  z.B. in Charkow, fanden Demonstrationen mit bis zu 50.000 Menschen statt.

e) Nach Deal von Achmetow u.a. Ost-Oligarchen mit Regierung versuchen diese, „ihre“ Bergarbeiter gegen die „Volksrepubliken“ zu mobilisieren. Das scheiterte jedoch kläglich. Statt dessen gingen die ArbeiterInnen auf die Seite der Volksrepubliken über. Bergarbeiter-Demos forderten eine effektive Bewaffnung gegen Anti-Terror-Operationen.

Die Bergarbeiter aus staatlichen Minen standen schon relativ früh auf Seiten des Widerstands. Im Mai und Juni erfolgte aber auch ein Umschwung bei den privaten Unternehmen nach Übergang der Oligarchen auf die Seite Kiews. So demonstrierten BergarbeiterInnen aus verschiedenen Minen am 18. Juni gegen die „Anti-Terroroperation“.

Die drohende Niederlage

Der grundsätzlich berechtigte Charakter des Widerstands offenbarte aber in den letzten Wochen auch, welches Hindernis die reaktionäre Führung der Bewegung darstellt.

V.a. in Donezk ist der Einfluss der pro-russischen Kräfte stärker geworden. Nach dem Referendum vom 11. Mai, das eigentlich nur die Ablehnung der Kiewer Regierung zum Ausdruck brachte, preschten etliche Vertreter dieser Richtung vor und erklärten die „Lostrennung“, die Gründung von „Neurussland“ und hofften, dass Russland Truppen oder jedenfalls militärische Verstärkung schicken würde.

Diese Politik half der Regierung in Kiew. Diese konnte nun leichter ihren Feldzug gegen die Bevölkerung des Ostens propagandistisch als „nationalen Befreiungskampf gegen Russland“ ausschlachten. Zugleich erschwerte das jede Politik, die Masse der Arbeiterklasse und der Bauern im Westen und im Zentrum des Landes von der Kiewer Regierung zu brechen. Und es gründete die Perspektive des Widerstandes auf das Wohl des russischen Imperialismus.

Doch die von den russisch-nationalistischen Kräften erhoffte Hilfe kam nicht. Zwar ließ Russland die Grenzen offen und ermöglichte damit weiter den Zustrom von Freiwilligen und Nachschub aus Russland. Die russische Regierung und Putin waren ihrerseits jedoch nie an einer Eingliederung von Donezk und Lugansk oder anderer Teile außerhalb der Krim in das russische Staatsgebiet ernsthaft interessiert. Schon die Eingemeindung der Krim ist für den russischen Staatshaushalt äußerst kostspielig (und selbst hier ist es zweifelhaft, wie sehr Putin die treibende Kraft oder selbst Getriebener war).

In jedem Fall würde eine „Übernahme“ von Donezk oder Lugansk riesige Investitionen für Russland bedeuten, die ein wirtschaftlich eher schwacher Imperialismus kaum stemmen könnte. Es würde auch bedeuten, dass Russland ein politisch überaus instabiles Gebiet übernimmt mit schwachen bis fehlenden staatlichen Strukturen sich „Unruheprovinzen“ angliedern würde.

Selbst der Großteil der russischen Nationalisten in Lugansk und Donezk steht nicht unter direkter Kontrolle des Kreml. Schon im Mai lehnten sie „Ratschläge“ Putins ab, wie z.B. die Verschiebung des Referendums. Heute sehen sie wie auch viele andere Putin als „Verräter“. Dies ist ein Aspekt der reaktionären Politik all jener, die ihre falschen Hoffnungen auf den russischen Imperialismus richteten. Der andere liegt in der reaktionären gesellschaftspolitischen Ausrichtung, ihrer Wendung zur orthodoxen Kirche (die im Donbas eigentlich historisch wenig bis keine Basis hat).

Auch wenn z.B. die Regierung der „Volksrepublik“ in Donezk nach dem Bruch mit Achmetow die Verstaatlichung seiner Bergwerke und Unternehmen beschloss - so sind das eher reaktive Maßnahmen. Sie sind allerdings im Osten populär, wo eine klare Mehrheit der Bevölkerung für die entschädigungslose Enteignung der Oligarchen oder jedenfalls ihres „illegitim“ erworbenen Eigentums ist.

Die Führungen der „Volksrepubliken“ haben jedoch keine Strategie, die Arbeiterklasse in der gesamten Ukraine für sich zu gewinnen. Ein solches Programm fehlt auch den linken Strömungen wie Borotba. So ist es kaum möglich, den Einfluss der Nationalisten im Osten zu brechen, geschweige denn im Westen Fuß zu fassen.

Gegenüber den nicht-proletarischen und reaktionären Kräften im Osten ist jedoch eine Politik der Einheitsfront gegen die Kiewer Regierung notwendig, sind taktische Abkommen zur militärischen Verteidigung unerlässlich.

Zugleich geht es aber auch darum, eine politische Alternative im Kampf aufzubauen und dessen Basis organisiert zu verbreitern. Dabei wäre es illusorisch, den aktuellen Selbstverteidigungseinheiten abstrakt „lupenreine“ Arbeitermilizen entgegenzustellen. Auch bewaffnete Bergarbeitereinheiten bräuchten Militärexperten zur Ausbildung.

Entscheidend ist jedoch, unter wessen politischer Kontrolle und Leitung solche Einheiten stehen. Dazu braucht es Organe der Selbstorganisation der Arbeiterklasse, Räte oder räte-ähnliche Strukturen, die nicht nur die bewaffneten Einheiten kontrollieren, sondern auch  sicherstellen, dass das Eigentum der Oligarchen konfisziert wird, dass in den Städten die Versorgung gesichert wird, die sicherstellen, dass die zahlreichen kriminellen Elemente bekämpft werden usw.

Perspektive

Zur Zeit droht eine Niederlage des Widerstands im Osten. Welche Folgen ein Sieg der Kiewer Regierung haben würde, hängt natürlich selbst von der Taktik der Regierung, der Imperialisten usw. ab.

Allein die Kampftaktik der letzten Monate, mit Artilleriebeschuss und Luftangriffen die Zivilbevölkerung zu demoralisieren und Hunderttausende zur Flucht zu zwingen, zeigt, wie menschenverachtend und barbarisch die Regierung vorzugehen bereit ist. Im Falle einer Eroberung von Lugansk oder Donezk sind den faschistischen Kräfte und der Nationalgarde Pogrome zuzutrauen.

Zugleich werden die Regierung und westlichen Imperialisten nicht wenige selbst fabrizierte „Beweise“ für „russische Verschwörungen“ finden oder gar „Gräueltaten“ an der Zivilbevölkerung. Und nicht wenige pro-westliche Grüne, Sozialdemokraten, Pseudo-Linke werden in den Chor einstimmen.

Vor allem aber würde ein Sieg der Regierung und ihrer Truppen, deren Machtanspruch stärken. Es würde die nationale Spaltung im Land weiter vorantreiben und der russischsprachigen Bevölkerung würde verschärfte Diskriminierung drohen. Ein Sieg der Kiewer Regierung würde die soziale Lage v.a. im Osten massiv verschlechtern, weil die dortige Industrie rasch der Konkurrenz US-amerikanischer und west-europäischer Konzerne ausgeliefert und vom russischen Markt abgeschottet würde (und zugleich zum westeuropäischen keinen Zugang hätte). Kurzum, wir hätten eine massive Deindustrialisierung vor uns, die zu einer Zerstörung eines großen Teils der Industrie und damit auch der Arbeiterklasse des Landes führen würde.
 

Der Widerstand müsste dann eine andere Form annehmen - nämlich jene von Betriebsbesetzungen und Massenstreiks. Diese wären aber keinesfalls leicht zu organisieren, weil viele ArbeiterInnen wissen, dass die Kiewer Regierung eher bereit ist, eine Zeche zu bombardieren, statt Zugeständnisse an die Bevölkerung des Ostens zu machen.

Gegen ein Bombardement sind eine Besetzung oder ein Streik auch keine ausreichenden Kampfformen - sie würden die Frage des bewaffneten Widerstands erneut aufwerfen.

Allein das zeigt, dass eine Niederlage der „Volksrepubliken“, eine Zerschlagung durch die Kiewer Regierung oder deren wie immer gearteter Kapitulation auch eine schwere Niederlage der Arbeiterklasse der Ukraine wäre.

Nur verantwortungslose Zyniker und Doktrinäre können daher der Frage, wer im Bürgerkrieg siegen soll, gleichgültig gegenüber stehen. Diese Haltung ist leider unter Teilen der Linken verbreitet und das ist nicht nur beschämend für die ukrainische Linke wie die „Linke Opposition“ oder Teile der Anarchisten, die letztlich an den Rockzipfeln der Regierung hängen; es ist umso beschämender für  Teile der Linken in Deutschland und anderen westlichen imperialistischen Ländern. Ein Sieg der ukrainischen Regierung wäre auch ein Sieg der Kräfte, deren halb-koloniale Büttel sie ist - ein Sieg also des US-amerikanischen und auch des deutschen Imperialismus.

Martin Suchanek


Quelle:  Gruppe Arbeitermacht - deutsche Sektion der Liga für die 5. Internationale > zum Artikel

Bild- u. Grafikquellen:

1. Die Regierung in Kiew hofft auf einen endgültige Wende im Bürgerkrieg zu ihren Gunsten - dafür ist jedes Mittel der Gewalt recht. Foto: Mstyslav Chernov. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ (CC BY-SA 3.0) lizenziert.

2. Die Orange Revolution (manchmal auch Kastanienrevolution wegen der Kastanienbäume in Kiew) war eine Serie von Protesten, Demonstrationen und einem geplanten Generalstreik in der Ukraine. Auslöser waren die ukrainischen Präsidentschaftswahlen 2004, bei welcher auf beiden Seiten Wahlfälschungen der jeweiligen Gegenseite gemeldet wurden. Die Proteste gingen von den Anhängern des während des Wahlkampfs durch eine Vergiftung angeschlagenen Präsidentenanwärters Wiktor Juschtschenko (dessen Wahlfarbe Orange war) aus.

Die Orange Revolution und die bei dem Umbruch erzielten Ergebnisse werden auch zu den sogenannten Farbrevolutionen gezählt. Bei der unblutigen Orangen Revolution von 2004 starben, im Gegensatz zu den späteren Protesten vom November 2013 bis 2014 am Euromaidan, keine Menschen. In den Wählerstärksten Gebieten Janukowytschs in der Süd- und Ostukraine wurde die Revolution als ein Umsturzversuch gesehen.

Foto: Marion Duimel, Nov. 2004. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ (CC BY-SA 3.0) lizenziert.

3. Pro-EU demonstrations at Maidan Nezalezhnosti, Kiev 2014. Foto: Nessa Gnatoush. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 2.0 generisch“ (US-amerikanisch) lizenziert.

4. Berkut (ukr. Беркут „Steinadler“) war eine Spezialeinheit der ukrainischen Milizija, die dem Innenministerium unterstellt war. Der Aufgabenbereich lag in polizeilichen Sonderlagen wie Crowd and Riot Control, SWAT und Terrorismusbekämpfung. Auf der Krim besteht seit März 2014 wieder eine Berkut- Einheit die dem russischen Innenministerium unterstellt ist. Auf dem Foto geht diese Spezialeinheit brutal gegen Demonstranten auf dem Maidan vor. Foto: Mstyslav Chernov. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ (CC BY-SA 3.0) lizenziert.

5. Opfer: Wer zählt noch all die Toten, Verwundeten oder geschändeten Opfer. Ein Land versinkt in Blut und Gewalt. Das ukrainische Rote Kreuz versucht sein bestes. Foto: Mstyslav Chernov. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ (CC BY-SA 3.0) lizenziert.

6. Map of protests by region, indicating severity of the unrest at its peak. Eastern Ukraine (with minor spillovers into Russia), Southern Ukraine and Crimea. Stand: 20.06.2014. Grafik: RGloucester. Quelle: Wikipedia / Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ (CC BY-SA 3.0) lizenziert.