Verwaister Horst: Bayern lebt ohne Regierung

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Verwaister Horst: Bayern lebt ohne Regierung
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Verwaister Horst


Bayern lebt ohne Regierung

 

Der See liegt still, der Hof ist rein, Er muss wohl wieder auswärts sein. Momentan ist die kühle Luft über München sehr klar. Der Hofgarten zu Füßen des Ministerpräsidenten liegt unbewacht. Der Hausherr des überdimensionierten Gewächshauses der Staatskanzlei weilt in Berlin zum Koalitionsverhandeln. Bayern regiert sich im Moment quasi von allein. Er selbst bräuchte für sich und seine bayerische Staatsregierung mit niemandem mehr verhandeln, denn Er hat die absolute Mehrheit, aber der Bund hat's nötig, genauer die Union im Bund. Der Angela Merkel fehlen neun Stimmen. Da denkt sich Er, den sie nach der Bayernwahl zum "König Horst" ausgerufen haben, dass es vielleicht hilfreich wäre, umso lautstärker mitzureden, wo doch Stimmen fehlen. Seine hat Gewicht und sollte unüberhörbar sein.


Dabei musste Er sein Organ noch für die hauseigen fällige Regierungserklärung schonen. Die haben seine ebenso flüggen Minister, Ministerialen und Hof-Ministranten liebevoll zusammengeschrieben, im Flugzeug vermutlich, in dem sie jeden Tag hin- und herpendeln zwischen eigener Selbstzufriedenheit und dem Elend in Berlin, mehrmals die Woche, fast jeden Tag. Ein mühsames Geschäft, da noch eigenständige Politik zu machen. Schließlich muss sich die Regierung irgendwann erklären, sonst denken die Wähler daheim, sie hätten gar keine. Sie wurden nicht enttäuscht.

Seehofer gab zwischen zwei Sitzungen in Berlin eine eigene Regierungserklärung in München ab. Kein Wunder, dass sie etwas durcheinander war. Er redete von einer Koalition, die in Bayern gänzlich überflüssig wäre. Er sprach im Koalitionsfieber. Sein früherer Koalitionspartner war abhanden gekommen, der fehlte Ihm anscheinend. Also schmiedete Er an der Verfassung vorbei eine neue Koalition, eine "Koalition mit dem Bürger". Der Verfassungsschutz horchte kurz auf, ließ es aber dabei bewenden mitzuschreiben. Die Irritation währte nur Minuten. Dann war klar, dass das nur so eine Redewendung ist, um zu signalisieren: Ein König Horst kann sagen, was Er will, es ist Gesetz. Wenn schon keine Parteien mehr zur Verfügung zum Koalieren stehen, dann ist eben der Bürger dran. Der Bürger bürgt dafür, dass Horsti nicht allein in der Staatskanzlei regieren muss. Weil das ist auch nicht schön, so einsam.

Volksverbundenheit war seit jeher das Markenzeichen bayerischer Potentaten, zuletzt der "Millibauer", der König Ludwig III., der letzte in der Reihe der bayerischen Könige, bevor ihn die Revolution nach Salzburg verscheuchte. Der betrieb lieber seine Milchwirtschaft am Tegernsee als allein in der Residenz dem Ende seiner Regentschaft entgegen zu dämmern. Der König davor, der II., ließ sich ja selten blicken. Hatte nur Augen und Ohren für seine Schlösser, seine knackigen Bauernburschen in schmucker Livree und seinen Richard Wagner, und wurde irgendwann weggeschlossen. Dessen Beliebtheit im Volke stellte sich erst postum ein, als klar wurde, dass die vielen Baustellen der nie bezugsfertigen Schlösser, abseitigen Jagdhütten und schwanenseeträchtigen Grotten, eine Menge Schotter durch neugierige Besucher einbrachte. Die kamen vor allem aus dem Norden, aus Berlin. So will Seehofer nicht enden, daher jettet Er lieber selber dorthin. Am Abend ist Er wieder daheim.  

Zuhause gibt es keine SPD, die mit irgend etwas drohen könnte, auch mit keiner Annäherung an die LINKE. Die bayerischen Sozialdemokraten würden sich Sünden fürchten. Aber es ist etwas einsam geworden, nur noch umgeben von Parteifeinden, und daher der Befreiungsschlag mit der Bürgerverbundenheit. Zwar gingen die letzten größeren Bürgerbefragungen und Volksentscheide (Olympia-Bewerbung, Studiengebühren, dritte Startbahn) nicht nach dem Gusto der Mächtigen aus, aber in der bayerischen Verfassung steht so etwas drin. Nichts direkt von Koalition mit dem Bürger und der Bürgerin, das wäre ja sittenwidrig, aber doch etwas von Partizipation. Das hatte Wilhelm Högner, zurückkehrend aus dem Schweizer Asyl, da hineingeschmuggelt. Ein sozialdemokratisches Plagiat eidgenössischer Bräuche, geschickt von den Erfindern der Schokolade durch die Erfinder des "Volksstaates" abgekupfert. Um den Regierenden das Regieren zartbitter zu versüßen.

Der Spagat zwischen Berlin und München trieb wahre Stilblüten. Da war in der bayerischen Regierungserklärung was zu hören von "Mut und Ausdauer", während es sich in Berlin als "Maut und Aussteuer" (Betreuungsgeld zum Buy-out aus dem gesetzlich garantierten Kinderkrippen-Anspruch) vernehmen ließ. Der Söder gab mit seinem  neuerlichen Versprechen den fränkischen Hofnarren, das bereits 2008 gegeben worden war, nämlich dass bald jeder Einödhof einen schnellen Internet-Anschluss bekommen würde, was bis dato uneingelöst blieb. Nun hat der frisch gekürte Heimatminister dasselbe nochmal stillschweigend, aber lautstark einfach um sieben Jahre verschoben in Aussicht gestellt. Der ist allemal für einen Lacher gut.

Was sind schon Jahre und vielleicht Jahrzehnte bei dieser endlosen CSU-Tradition! Müssen die Bayern sie halt nochmal wählen, und wieder und abermals, bis die Breitbandkabel dereinst verlegt sein werden. Wahrscheinlich ist die Telekom schuld. Höhere Gewalt, oder tiefere, wenn die Bagger nicht vorankommen. Zuviele römische Ruinen unter der Erde! Erst kürzlich wurden an der Fossa Carolina, dem ersten Main-Donaukanal des Altertums, morsche Eichenbohlen entdeckt, die auf antike Lagerhäuser hinweisen. Die bayerische Politik ist eben nicht kurzfristig angelegt, sondern auf Dauer tiefgründig.

Damit es nicht langweilig wird, werden hin und wieder Skandale eingestreut, um die Bewohner des "Vorhofs zum Paradies" daran zu ermahnen, sich noch nicht jenseits von Gut und Böse im Himmel zu wähnen, sondern hienieden auf knallhartem Boden der Baulandspekulation, der Mietpreisexplosionen und der Gentrifizierung der letzten Gartenhäuschen-Laubenpieper-Kolonien. Das war wohl mit Angleichung der Lebensbedingungen von Stadt und Land gemeint, die kürzlich so en passant in die Verfassung von den bayerischen Wählern hineingestimmt wurde, damit der Söder auch   wirklich was zu tun hat, nicht nur als informationeller Breitbandminister, sondern auch mit der Aufhübschung der Provinz. Nicht dass es im Proporz zwischen Franken und Oberbayern allzusehr knirsche! In Nürnberg lebt fast jeder fünfte Bewohner unterhalb der Armutsgrenze. Da müsste in der ehemals Freien Reichsstadt dringend luxussaniert werden, damit die Habenichtse ins Umland wegziehen.

Vielleicht könnten sich einige Superreiche aus München, Grünwald und Starnberg wegen der Ausgewogenheit in der Statistik im Bayerischen Wald ansiedeln. Es soll dort schöne  Flecken geben. In Tschechien kann man günstig einkaufen, man ist auch näher am Rest von Deutschland. Ganz hinten an der Grenze liegt ein verwaistes Flüchtlingsheim, das den senegalesischen Asylbewerbern dann doch zu nah an der Natur war. "Nur Wald und Tiere ringsum", monierten sie, und flohen nach München, um vor dem Sozialministerium zu campieren. Nur weg von diesem "Heim" ohne Fernsehempfang, ohne Internetanschluss, zwei Kilometer vom nächsten Dorf entfernt! Die Sozialministerin nannte es "eine unserer schönsten Einrichtungen".

Das ideale Refugium für gestresste Manager fern abseits des Trubels, zum Ausspannen zwischen den stressigen Sitzungen des werktäglichen Geschäftskrieges. Vielleicht sogar was für Horsti allein zuhaus. Wo es doch so schön ist. Die Abwesenheit des Ministerpräsidenten würde in München auch gar nicht weiter auffallen. Es lebte sich durchaus kommod ohne Regierung. Vielleicht ginge das mit einer Minderheitsregierung in Berlin genauso. Angela Merkel in der Uckermark oder wo auch immer. Hauptsache fort. Das brächte den geringsten Schaden für Europa. Bayern könnte beispielgebend voranschreiten - wie so oft!


Wolfgang Blaschka, München
 



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