Wenn das Westjordanland und Gaza weiter nördlich lägen

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Wenn das Westjordanland und Gaza weiter nördlich lägen
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Süd-Donauland und der Ostfriesenstreifen

Wenn das Westjordanland und Gaza weiter nördlich lägen

Schon seltsam, wie wir hier in Deutschland den Nahen Osten sehen: Weit weg und meist in der Tagesschau. Eine unruhige Gegend mit hin und wieder Krieg. Nicht sehr schön, aber leider eine traurige Tatsache. Klar hat unsere Geschichte damit irgendwie was zu tun, aber dass "die da unten" sich nicht einigen können, dafür können wir doch nichts, oder?

Das ist der Blick sozusagen von oben herab. Auf der Landkarte liegt das Gebiet, um das so erbittert gestritten wird, allemal unten. Die einen nennen es Palästina, die anderen Israel, jeder mit dem Anspruch es zu bewohnen. Die Israelis nennen die paar übrig gebliebenen Reste, wo die Palästinenser wohnen, einfach nur "die Gebiete", und meinen damit die besetzten und blockierten Reservate, die sie der ursprünglichen Bevölkerung mit Mauern und Grenzsicherungsanlagen noch zusätzlich dezimieren.
 

Was wäre denn, wenn in Deutschland eine Mandatsmacht verfügte, dass alle Einheimischen nach Bayern südlich der Donau und in einen schmalen Küstenstreifen an den Nordseegestaden zu vertreiben wären, um Platz zu schaffen für eine neue Bewohnerschaft, die weltweit verfolgt eine sichere Heimstatt suchte? Begründet mit einer dubiosen Verheißungsgarantie einer über- oder außerirdischen Gottheit. Untermauert mit dem Hinweis, man habe vor zweitausend Jahren hier schon mal das Land erobert, und es sei nun einmal ausweislich der Schrift versprochen. Die Deutschen würden den Vogel zeigen. Sie würden sich anfangs wehren, aber angesichts der brutalen Gewalt und beeindruckt vom Terror der Besatzer obrigkeitshörig grollend fügen. Nicht auszumalen, wie eng es südlich der Donau und am Nordseestrand würde. Die daraus resultierende nationalistische Aufwallung wollte wohl niemand wirklich erleben. Auch die nicht, die sie heute den Palästinensern ankreiden.

Inzwischen sind die Palästinensergebiete auf 22 Prozent des ursprünglichen Palästina geschrumpft. Die noch auf dem Staatsgebiet Israels verbliebenen Palästinenser werden von den Israelis nicht gern gesehen und diskriminiert, außer vielleicht die persönlich bekannten, gegen die man selbstverständlich gar nichts hat, sogar mit ihnen redet und sie generös beschäftigt.

So wie auch selbst Nazi-Deutsche früher ihren persönlich bekannten Juden von nebenan grüßten oder in der Firma hielten. Ansonsten herrscht strenge Abgeschiedenheit und gegenseitiger Argwohn. Besonders hartleibige Zionisten wünschen "die Araber" wer-weiß-wohin und die Linken neuerdings sogar "in die Gaskammern", wie Ultra-Nationalreligiöse kürzlich forderten.

Solche verbrannten auch aus Rache für drei entführte und ermordete Talmud-Schüler einen Jungen bei lebendigem Leib. Sie hatten anscheinend das mit dem Holocaust irgendwie vergessen, und das mit den Pogromen und das mit den Ghettos. Sie führten sich als Juden auf wie deutsche Herrenmenschen zu übelsten Zeiten. Nur eben in Ostjerusalem, und heutzutage.

Ihr Kriegsgeschrei drang bis hoch in die Regierung, die den Mord bewusst verschwieg, um angeblich nach den Siedlerkindern zu fahnden, derweil sie eine umfassende Verhaftungswelle im gesamten Westjordanland gegen die ohne jeglichen Beweis beschuldigte Hamas exekutierte, bis die irgendwann ihre neuen, weitreichenderen Raketen zum Einsatz brachte. Aus dem Gaza-Streifen heraus, dem weltgrößten Freiluft-Gefängnis, abgeschnürt und abgeriegelt wie eine exterritoriale Todeszone.

Der ideale Vorwand für die israelische Armee, dort mal wieder ordentlich "aufzuräumen" und einzumarschieren. Man müsste schon sehr geschichtsvergessen sein, angesichts des Gemetzels nicht an die Strafaktionen und Razzien der deutschen Wehrmacht im Judenghetto von Warschau oder anderswo im Osten zu denken. Auch damals gab es Tunnels und geheime Waffenlager, Schmuggel zuhauf. Der Ghetto-Aufstand gab sozusagen das Startsignal fürs Umdenken: Nie wieder Opfer sein! Ein ehemaliger Kampfpilot der israelischen Luftwaffe brachte es auf den Punkt: "Hätten die Juden im Warschauer Ghetto Raketen gehabt, hätten sie sie auch abgeschossen" (Yonathan Schapira am 25. Juli 2014 in der taz). Freilich hätten sie das.

Und sie hätten es auch nach den Normen des Völkerrechts tun können. Jeder Mensch darf sich verteidigen und muss nicht warten, bis er abgeschlachtet wird. Kein Volk muss sich wehrlos aushungern lassen. Die Israelis erwarten aber genau das: Erst komplette Demilitarisierung des Gazastreifens, dann eventuell Lockerung ihrer völkerrechtswidrigen Blockade. Die Bundesregierung nickt dazu, von anderen westlichen Regierungen nicht zu reden. Nur ein paar mutige lateinamerikanische Staaten berufen ihre Botschafter zu Konsultationen zurück, wie man den wildgewordenen Goliath in die Schranken weisen könnte und ihn daran hindern, vor aller Öffentlichkeit weiterhin ungestraft Völkermord zu begehen. Denn nichts anderes ist das, wenn einer ganzen Bevölkerung die Lebensgrundlagen entzogen werden: Ohne Kraftwerk kein Strom, ohne Strom keine Brunnen-Pumpen, ohne Wasser kein Leben.

Eigentlich wäre es die Aufgabe der "Freunde Israels", darauf hinzuweisen und "Stop" zu sagen, bevor es passiert. Aber sie reden vom "Existenzrecht" Israels und dessen "Verteidigung" als Staatsraison. Dabei wird gerade das Existenzrecht der Palästinenser in Frage gestellt. Ebenso wie deren Selbstverteidigungsrecht.

Die Ab- und Ausgrenzerei kennen wir auch von hierzulande, und das Wort "Mauerbau" klingt in deutschen Ohren meist wie Hohn auf die Menschlichkeit, bei den meisten jedenfalls. Die Teilung in Besatzungszonen nach dem Krieg war zur Trennung in zwei Staaten zementiert worden, und sie hatte eine geschichtliche Logik. Tatsächlich war ein großes Deutschland eine Gefahr für den Weltfrieden geworden, erwiesenermaßen zweimal schon. Es wurde den Juden Europas zum Verhängnis.

Die Palästinenser dagegen hatten einfach nur das Pech, am falschen Fleck zu wohnen oder als Beduinen umherzuziehen. Dass nun die Folgen des Zweiten Weltkriegs auf ihrem Rücken abgeladen wurden, ist schreiendes Unrecht. Der iranische Regierungschef Ahmadinedschad wurde für seine krude Überlegung (die Juden hätten doch auch in Deutschland angesiedelt werden können, wieso auf arabischem Territorium?) des wüstesten Antisemitismus geziehen. Ihm wurde unterstellt, er wolle Israel "von der Landkarte tilgen". Dabei handelte es sich um absichtsvolle Übersetzungsfehler, wie sich bald herausstellte.

Er sprach davon, dass das "zionistische Regime" verschwinden müsse. Und das ist allemal notwendig. Dass er nicht gerade israelfreundlich eingestellt war, würde er wohl selbst niemals bestritten haben. Wir sollten es auch nicht sein, jedenfalls nicht kritiklos und nibelungentreu. Denn wer den Menschen in Israel tatsächlich nahesteht oder ihnen gut will, sollte sie nicht mit dieser Netanjahu-Regierung ins Verderben rennen lassen. Die Weitergabe der Shoah an die Palästinenser als deren Nakba (Katastrophe) führt nicht nur in Apartheid, sondern konsequent zu Ende gedacht in den Faschismus. Der tut niemandem gut, weder Deutschen noch israelischen Juden noch sonstwem. Schon gar nicht anderen Opfern dieser menschenverachtenden Diktatur des alltäglichen Grauens. Die Phrase von der "einzigen Demokratie im Nahen Osten" klingt heute schon wie Hohn.

Israel wird ein anderes werden müssen, und gewiss nicht als exklusiver Judenstaat. Es wird nur als ein Land aller seiner Bewohner dauerhaft Bestand haben, als säkularer, demokratischer, sozialer und friedfertiger Staat, der allen Bewohnern gleiche Rechte garantiert. Ansonsten werden Anschläge und Massaker im Wechsel das Leben in Israel-Palästina zur Hölle machen. Eine Zweistaaten-Lösung dürfte durch die gemauerten Fakten des Siedlungsbaus schon heute keine realisierbare Möglichkeit mehr bieten können, um den Zermürbungskrieg zu beenden. Was wäre gewonnen, würden sich zwei feindliche Staaten belauern und bekämpfen?! Das Problem bestünde weiterhin fort. Denn ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. [Anm.: nachfolgende Grafik bitte anklicken!]
 

Israel-Palästina oder Palästina-Israel: Dies wäre keine Perspektive "von oben herab", wie sie die politisch Mächtigen mit ihren Grenzziehungen so gerne in ihren klugen Teilungsplänen zur Verhandlung empfehlen und notfalls verordnen, sondern eine "von unten herauf", die Perspektive all jener Menschen, die weder auf Trümmern (wie in Gaza) noch auf der Straße (in Tel Aviv) sitzen wollen, weil sie überteuerten Wohnraum und horrende Lebensmittelpreise nicht mehr bezahlen können, da viel zuviel Geld in den kolonisierenden Siedlungsbau, in hermetische Abriegelung und ins Militär gesteckt wird. Im Prinzip ist es nämlich eine soziale Frage und keine militärpolitische, wie eben die meisten gesellschaftlichen Fragen.

Israels Jugend und ebenso die palästinensische werden sich über den Gräbern der Scharfmacher, Völkerverhetzer und Kriegstreiber eines Tages die Hände reichen ... müssen.

Wolfgang Blaschka, München



Bild- und Grafikquellen:

1. Tafel "Macht die Ghetto-Tore auf." Grafik: Wolfgang Blaschka, München (WOB)

2. Das zerstörte Rafah nach einem mitternächtlichen Raketenangriff seitens der israelischen Luftwaffe. Foto: RafahKid Kid from Rafah, Palestine, Quelle: Wikipedia Commons, diese Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert. 

3. Tafel "Israel bricht Völkerrecht." Grafik: Wolfgang Blaschka, München (WOB)

4. Grafik "Land of Loss" 1917-2012. Informationsquellen: Foreign Ministry of Israel, IHR.org, unhcr.org, Reuters, jewishvirtuallibrary.org, unispal.un.org - Quelle der Karte: Occupied Palestine > Karte