Wes Lied du singst
Nicht alle in Israel sind gegen den Frieden.
von Nirit Sommerfeld / RUBIKON
In Israel rufen faschistoide Nationalreligiöse offen zum finalen Sieg über die Palästinenser auf. Nicht alle in Israel sind gegen den Frieden. Reaktionäre Kräfte können sich diesen jedoch nur als einen triumphalen Siegfrieden vorstellen. Die Unterwerfung, Vertreibung oder Vernichtung des Feindes sei alleine der Garant für die ersehnte Kirchhofsruhe. Eine Plakataktion in Tel Aviv und Presse-Artikel versuchen diese Ideologie in den Köpfen der Menschen zu verankern.
Und die deutsche Regierung? Pflegt die „besondere Freundschaft“ zu Israel, die für Deutschland nach verheerenden deutschen Verbrechen an den Juden Staatsräson ist — indem sie sich besonders kritiklos gegenüber der verfehlten Politik der israelischen Regierung verhält. Dabei tun Deutsche auch jüdischen Israelis keinen Gefallen, wenn sie nicht auf einen wirklich fairen Frieden zwischen beiden Seiten des Palästina-Konflikts dringen. Nur dieser würde weitere Gewaltopfer auf beiden Seiten vermeiden helfen.
Die Plakate zeigen den Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas und den Hamas-Führer Ismail Haniyeh, beide knien auf kriegszerstörtem Schutt, die Augen verbunden, die Körperhaltungen zeugen von Aufgabe; über ihnen fliegen israelische Kampfhubschrauber. In großen Lettern steht darüber:
FRIEDEN MACHT MAN AUSSCHLIESSLICH MIT BESIEGTEN FEINDEN
Als Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai vergangenen Freitag, den 14. Februar 2020, anordnete, die Plakate zu entfernen, drohte die Organisation Israel Victory Project [1], die zwar nicht auf den Plakaten firmiert, sich aber für deren Existenz verantwortlich zeigt, sie würde vor Gericht ziehen, wenn dies geschehe.
In Tel Aviv gab es keinen Aufschrei in der Bevölkerung. Im israelischen englischsprachigen Online-Magazin i24news.tv, in dem die Meldung zuerst erschien [2], gab es lediglich zwei Kommentare, beide mit demselben Tenor:
„(...) Ich mag den Satz: ‚Frieden kommt mit der Niederlage des Feindes’. Warum gehen wir also nicht einfach hinaus und besiegen ihn?“
„Anstatt weitere Werbetafeln zu entfernen, hört auf, den Feind durchzufüttern".
Am 19. Februar 2020, erschien in Haaretz der Kommentar von Neve Dromi, einer jungen Israelin, die das Israel Victory Project leitet. Dieses Projekt ist der israelische Ableger des Middle East Forums [3], eines US-amerikanischen Thinktanks, der US-Interessen im Nahen Osten vertritt. Dieser Kommentar ist mehr als lesenswert [4].
Zum einen zeigt er, wie liberal die Tageszeitung Haaretz ist, indem sie so einer militanten rechtsradikalen Denkerin ein Forum bietet, einer Frau, die keinen Hehl aus ihrer faschistoiden Haltung macht, die ihre Überzeugung nicht durch heuchlerisches Wir-wollen-doch-alle-Frieden-Geheule zu vertuschen sucht. Zum anderen zeigt der Artikel, dass dieser Orwell-Sprech längst im israelischen Mainstream angekommen ist; man kann sorglos vom „Besiegen“ der Palästinenser sprechen, zuweilen auch von „Vertreiben“ oder „Vernichten“, oder — wie im Kommentar Nummer 6 — eine Meinung lesen, die in Israel weit verbreitet ist und die ganz sachlich, fast wissenschaftlich formuliert ist:
„Tatsächlich gibt es fast keine Beispiele aus der Geschichte, in denen der Frieden zwischen zwei gleichberechtigten Seiten durch Verhandlungen erreicht wurde. Frieden wurde fast immer erreicht, nachdem die eine Seite die andere besiegt hatte, oder wenn beide Seiten zu erschöpft waren, um den Kampf fortzusetzen, und dann bereit waren für einen Fortschritt. Leider haben die Araber nicht die Absicht, aufzugeben und sich weiterzubewegen — ihre rückständige, primitive Kultur konzentriert sich auf Rache und Ehre, und deshalb sind sie in ihrem Hass gefangen. Die Schlussfolgerung ist, dass sie besiegt werden müssen.“
Oft werde ich in Deutschland gefragt, wie es um die israelische Friedensbewegung bestellt ist, und in guter jüdischer Manier antworte ich mit einer Gegenfrage: Welche Friedensbewegung? Weder ist Frieden in Sicht, noch bewegt sich irgendwer in irgendeiner Weise in diese Richtung.
Leute wie Neve Dromi sind keine Ausnahme. Mag sein, dass die Mehrheit der Israelis so oder ähnlich denkt, meist noch mit einem Schulterzucken und der Entschuldigung „Uns gefällt das auch nicht, aber die Palästinenser kennen leider keine andere Sprache, also haben wir keine Wahl“. Mag sein, dass diese Leute noch eine Weile das Sagen haben in Israel; mag sogar sein, dass sie noch weiter kommen mit der grandiosen Unterstützung des blondbemützten Großmauls aus Washington.
Einen Frieden im wahrsten Wortsinn werden sie nicht erzielen. Und bestimmt nicht, weil die Palästinenser angeblich eine „rückständige, primitive Kultur“ haben, sondern weil kein Volk es sich gefallen lässt, jahrzehntelang vertrieben, gedemütigt und seiner Rechte beraubt zu werden. Es sei denn...
► Bedingungslose Freundschaft
Tja, es sei denn, dieses Volk findet nirgendwo Verbündete, Unterstützer. Es sei denn, die Entrechtung wird von vielen Staaten nicht nur hingenommen, sondern unterstützt. Und genau das tun die allermeisten Staaten der sogenannten Westlichen Wertegemeinschaft, allen voran die USA, dicht gefolgt von der EU, vor allem aber von Deutschland.
Wissen die Deutschen, was genau sie da unterstützen? Ist es dieses Israel, an dessen Seite Deutschland mit seiner unverbrüchlichen Freundschaft stehen, das es mit seiner vermaledeiten Staatsräson verteidigen will? Die deutsch-israelische Freundschaft ist wichtig, bemerkenswert und geboten nach der deutsch-jüdischen Geschichte, die noch so jung ist, dass sie die wenigen Überlebenden und selbst ihre Nachfahren immer noch in schlaflosen Albtraumnächten wach hält.
• Aber muss Freundschaft so unverbrüchlich sein, dass selbst der Bruch von Völkerrecht, die Verletzung von Menschenrecht, die dauerhafte Zuwiderhandlung gegen internationale Vereinbarungen noch nicht einmal zu einem Streit führen dürfen?
• Dass noch nicht einmal Bedingungen gestellt werden dürfen?
• Ihr Deutsche wollt Israel Waffen oder U-Boote verkaufen oder sogar schenken?
Na gut, allein dagegen könnte man Bedenken äußern, aber gesetzt den Fall, Israel braucht das Zeug ganz ganz dringend, um sich zu verteidigen: Kann Deutschland da nicht sagen: Bitte sehr, hier bekommt Ihr Militärgut in Milliardenhöhe, . . . .
• wärt Ihr aber bitte so nett und würdet im Gegenzug die völkerrechtswidrige Besatzung beenden?!
• Zumindest mal keine weiteren Siedlungen bauen?
• Das Jordantal nicht annektieren?
• Palästinensische Kinder aus den Gefängnissen entlassen, zumindest keine mehr verhaften?
• Den Mauerbau stoppen?
• Checkpoints reduzieren?
• Gestohlenes Land zurückgeben?
Die Liste wäre noch lang.
Ich höre schon das empörte Schnaufen der vermeintlichen ‚Israel-Freunde', die die historische Verantwortung bemühen und sich schon überlegen, wie solche Sätze wie die obigen in die Schablone des „sekundären Antisemitismus“, des „als Israel-Kritik verschleierten Judenhasses“ zu stopfen ist.
Sorry, Freunde, weder hasse ich Juden noch Israel, im Gegenteil: Ich wünsche mir nichts sehnlicher als ein friedliches Israel, das in Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit mit all seinen Nachbarn lebt. Meine Vorstellung davon weicht aber von der der anderen ab, die in Israel das Sagen haben. Ich träume, nein, ich wünsche mir und kämpfe für ein Israel UND Palästina, das in welcher Form auch immer so zusammen lebt, dass alle Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan in Frieden und gleichberechtigt neben- und miteinander existieren können. Eine Utopie? Vielleicht, ja. Aber auch eine Notwendigkeit. Alles andere lässt mich erschaudern.
Immerhin, Tel Avivs mutiger Bürgermeister Ron Huldai hat sich durchgesetzt: die Faschisten-Plakate wurden abgehängt.
Soeben erschien auf Haaretz ein Kommentar von Gideon Levy [5] zu der Plakat-Affäre, er sieht das ähnlich wie ich. Er endet mit dem Satz, frei übersetzt: „Lesen Sie Dromi und sehen Sie Israel — ohne die Filter der ‚political correctness', ohne die Liberalen mit ihren blutenden Herzen.“
Nirit Sommerfeld
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Nirit Sommerfeld, geb. im Sept. 1961 in dem israelischen Wüstenstädtchen Eilat am Roten Meer, ist Schauspielerin, Sängerin und Autorin, wuchs seit ihrem 9. Lebensjahr in Deutschland auf. 2007 kehrte sie mit ihrer Familie in ihr Geburtsland zurück. Trotz aller Vorkenntnisse überraschte und schockierte sie die politische und menschliche Realität ihrer Heimat, zwei Jahre später entschied sie sich aus politischen und persönlichen Gründen für die Rückkehr nach Deutschland.
Seither arbeitet sie künstlerisch und politisch daran, ein Bewusstsein über die Besatzung zu schaffen und gleiche Rechte für Palästinenser und Israelis zu fordern. Mit ihrer Band schuf sie Bühnenprogramme, in denen sie Brücken schlägt zwischen Kulturen und Religionen, Israelis und Palästinensern, Juden und Deutschen. Seit 2010 organisiert und begleitet sie politische Reisen nach Israel und in die Besetzten Palästinensischen Gebiete.
Frau Sommerfeld ist Mitgründerin von Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern (https://bip-jetzt.de/) und Mitglied des Vereins Jüdische Stimme für Gerechtigkeit in Nahost (JS), die Sektion der Föderation “EUROPEAN JEWS FOR A JUST PEACE” (“Europäische Juden für einen gerechten Frieden”). Weitere Informationen unter www.nirit.de.
[1] Website des Israel Victory Project >> weiter.
[2] Die Meldung über die Plakate in i24news.tv >> weiter.
[3] Website des Middle East Forum >> weiter.
[4] "We Were Right to Hang Billboards Showing Abbas and Haniyeh as Defeated Terrorists", Kommentar von Nave Dromi, Haaretz, Feb. 19, 2020 >> weiter. (Deutsche Übersetzung).
[5] "In Endorsement of Fascist Billboards, Nave Dromi Showed Her True Face. And That of Israel" by Gideon Levy, Haaretz, Feb 20, 2020 >> weiter.
Ich bin optimistisch im Sinne, dass ich darauf gefasst bin, dass sehr schlimme Sachen passieren werden. Warum bin ich optimistisch? Wenn das Allerschlimmste passiert . . was dann? Wird sich irgendwas an der Lage, an den Grundelementen der Lage ändern? Am nächsten Tag werden wir wieder vor dem selben Problem stehen, dass wir zwei Völker in diesem Lande haben, und zwei Völker in Jerusalem haben. Und dass es überhaupt keine andere Alternative gibt, als zwischen diesen beiden Völkern Frieden zu machen. Uri Avnery (*10 September 1923 in Beckum; †20. August 2018 in Tel Aviv)
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► Quelle: Dieser Text erschien als Erstveröffentlichung am 27. Februar 2020 bei RUBIKON >> rubikon.news/ >> Artikel. RUBIKON versteht sich als Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung, vertreten durch den Geschäftsführer Jens Wernicke. RUBIKON unterstützen >> HIER.
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1. Blockademauer einer Strassensperre in Hebron, Westjordanland. Zionismus = Rassismus. Foto: Michael Rose. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).
2. Plakat in Tel Aviv: "Frieden wird nur mit besiegten Feinden gemacht" - engl.: Billboard in Tel Aviv reading "Peace is made only with defeated enemies". Foto/credit: Tomer Appelbaum. Quelle/source: Screenshot aus haaretz.com und aus i24news.tv
3. US-President Trump meets zionist Bibi Netanyahu at the Israel Museum. Jerusalem May 23, 2017. Foto / photo credit: U.S. Embassy Tel Aviv. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).
4. Graffito: 'Love Palestine, Hate Racism, 1 People 1 World' in Nablus, West Bank. Bildautor: Guillaume Paumier > Webseite. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“ (CC BY 3.0) lizenziert.
5. Texttafel "ISRAEL BRICHT VÖLKERRECHT" Grafik: Wolfgang Blaschka (WOB), München.
6. Texttafel "ANTIZIONISMUS ist nicht ANTISEMITISMUS". Grafik: Wolfgang Blaschka (WOB), München.
7. Flaggen: Israel und Palästina in Frieden vereint. Urheber der Grafik: unbekannt.
8. Zitategrafik: »Ich bin optimistisch im Sinne, dass ich darauf gefasst bin, dass sehr schlimme Sachen passieren werden. Warum bin ich optimistisch? Wenn das Allerschlimmste passiert [..] was dann? Wird sich irgendwas an der Lage, an den Grundelementen der Lage ändern? Am nächsten Tag werden wir wieder vor dem selben Problem stehen, dass wir zwei Völker in diesem Lande haben, und zwei Völker in Jerusalem haben. Und dass es überhaupt keine andere Alternative gibt, als zwischen diesen beiden Völkern Frieden zu machen«. Zitat von Uri Avnery (*10 September 1923 in Beckum; †20. August 2018 in Tel Aviv).