Wolf Biermann und der Boxer: Wie Deutschland in der Ukraine Demokratie herstellt

2 Beiträge / 0 neu
Letzter Beitrag
Bild des Benutzers Ulrich Gellermann
Ulrich Gellermann
Offline
Verbunden: 22.03.2013 - 15:43
Wolf Biermann und der Boxer: Wie Deutschland in der Ukraine Demokratie herstellt
DruckversionPDF version

Wolf Biermann und der Boxer


Wie Deutschland in der Ukraine Demokratie herstellt


In ein paar Tagen ist der Sänger in Kiew: Wolf Biermann, der gern auf CSU-Parteitagen auftritt und heftig den Irak-Krieg begrüsste, hatte dem Boxer und Präsidentschaftskandidaten Klitschko einen Sympathisantenbrief geschrieben. Den verliest er nun an der Velyka-Zhytomyrska-Straße in Kiew bei einer Veranstaltung europäischer Intellektueller. Das ist schön, wenn ein CSU-Anhänger einem Zögling der Konrad-Adenauer-Stiftung seine Unterstützung versichert. Vor allem aber ist es symbolisch für die deutsche Ukraine-Politk: Man redet mit sich selbst. Die Merkel mit ihrer alten Freundin Julia Tymoschenko, Aussenminister Steinmeier mit seinem neuen Freund, dem Präsident Alexander Turtschynow, der im Bündnis mit der Swoboda-Nazipartei übergänglich das Land regiert und die Swoboda wiederum redet mit Vorliebe mit der NPD. So geht deutsche Demokratie in der Ukraine.

Jetzt dreht Demokratie-Deutschland total auf: Nachdem Wladimir Putin, der neue Feind deutscher Polit-Bürokratie und der ihr angeschlossenen Medien vor Tagen vorgeschlagen hat einen "Runden Tisch" mit allen Beteiligten einzurichten, findet der Aussen-Steinmeier das auch nicht schlecht. Sagt er. Was er immer noch nicht ausspricht, obwohl er es wissen könnte, ist die Notwendigkeit einer Föderalisierung der Ukraine. Spätestens nach den Volksabstimmungen ist deutlich, dass die Menschen im Osten der Ukraine keine Lust mehr auf einen zentralisierten Staat haben. Und weil die Mehrheitsdeutschen offenkundig nur Freunde im Westen der Ukraine haben, wissen sie alle ganz genau, dass die Volksabstimmung nicht rechtens war. Natürlich war das keine Volksabstimmung nach allen Regeln juristischer Kunst. Aber wer die Bilder gesehen hat, wie Alte und Junge, Kind und Kegel, Väter und Mütter sich an die Wahlurnen gedrängelt haben, der weiß genau: Das war ein Stimmungsbild.

Die Süd-Ost-Ukrainer haben die Schnauze voll von einer Regierung, die US-Söldner der berüchtigten Blackwater-Academi-Mörder zur Bekämpfung von Demonstranten und Besetzern ins Land geholt hat. Von einem Übergangsregime, das Nazis und die zum Verwechseln ähnliche Nationalgarde denen auf den Hals hetzt, die sich ohnehin schon stranguliert fühlen. Von einem Regime, dass den erklärten Volkswillen mit "Anti-Terror-Truppen" bekämpft. Von der korrupten Timoschenko-Gruppe, die den Kern der vorgeblichen Regierung bildet und sich in der Vergangenheit die Taschen gefüllt hat und erneut gern die Lizenz zum Klauen hätte, um nach einer wie auch immer zusammengebastelten Präsidentschaftswahl der NATO beizutreten. Wer also in der Ukraine Frieden wollte, wer den Bürgerkrieg vermeiden und den Grenzkrieg stoppen wollte, der müsste mit den Leuten in der Süd-Ost-Ukraine reden. Vor den Präsidenten-Wahlen und über eine Föderalisierung, wie sie zum Beispiel die Katalanen in Spanien und die Schotten in Großbritannien durchgesetzt haben. Da sei das "Duo Infernale", die gewaltige Merkel und ihr Steinmeier-Dackel vor: Gemeinsam mit der Kiewer Sonder-Regierung schließen sie die Leute aus dem Osten aus.

"Gewalt zur Lösung der eigenen Probleme darf nicht angewendet werden", plappert die Kanzlerin in eine bleiverseuchte Luft und fordert einen Gewaltverzicht als Voraussetzung zur Teilnahme am Runden Tisch. Dass dann die Vertreter der Euro-Maidan-Regierung keinesfalls teilnehmen dürften, will ihr nicht auffallen. Wenn also die deutsche Regierung am Kiewer runden Tisch präsent ist, legitimiert sie ein Treffen, das den weiteren Krieg gegen die eigene Bevölkerung als Voraussetzung für eine Präsidentschaftswahl begreift. Deshalb ist es auch höchst interessant, wen die Deutschen an den Tisch schicken: Wolfgang Ischinger, den Chef der "Münchner Sicherheits-Konferenz", eine Konferenz, die alljährlich der NATO ein prima Propaganda-Forum gibt und unter anderem von der Rüstungsschmiede "Krauss- Maffei" finanziert wird. Ob Ischinger ein paar Panzer zur Aufstandsbekämpfung im Gepäck hat, weiß man nicht. Unbekannt ist auch, ob der "Aussenminister des Allianzkonzerns" (dort erhält der Ex-Diplomat ein nettes Zubrot als Lobbyist) der Kiewer Übergangserscheinung eine Lebensversicherung aufschwätzen will oder eine kleine Spende mitbringt. Immerhin gehört die Allianz SE zu den großen Parteispendern in Deutschland und hat seit 2000 bereits mehr als 2,7 Millionen Euro an die Bundestagsparteien, mit Ausnahme der Partei Die Linke, gespendet.

Während Merkel und Steinmeier ihre Kiewer Friedens-Inszenierung dirigieren, machen die deutschen Medien das, was sie im Ukraine-Konflikt am liebsten tun: Tatsachen verschweigen wenn sie nicht in ihre ideologischen Raster passen. So gilt das Massaker in Odessa immer noch als eine Art ungeklärter Unfall. So wurden die jüngsten blutigen Kämpfe in Mariupol in den Heute-Nachrichten als "Szenario, das Putin will" umgelogen. Um vom gewalttätigen Marsch des "Rechten Sektors" von Mariupol nach Lugansk zu erfahren, musste man die Kiewer (!) Onlinezeitung "Politnavigator" lesen. Und wenn 2.000 Vertreter der Zivilgesellschaft am 9. Mai in Kiew (!) gegen das Timoschenko-Klitschko-Swoboda-Provisorium demonstrieren, dann ist das so schrecklich, dass die deutschen Mehrheitsmedien einer schweren Stimmband-Lähmung verfallen. Denn so ein Fall ist in der Sprachreglung einfach nicht vorgesehen.

In einer von Biermanns besseren Balladen - im "Lied von den bleibenden Werten" - ist die Rede von den "großen Lügnern" und der Frage was von denen bleiben wird: "Von denen wird bleiben, dass wir sie endlich durchschaut haben". Das ist den Deutschen, bei Betrachtung ihrer Medien, dringend zu wünschen. Biermann allerdings beschränkt sich eher auf ein `Ring frei zur nächsten Runde´: "In diesen Tagen", schreibt er an Klitschko, "tobt der Freiheitskrieg in der Ukraine. - Wir Deutschen erleben diesen Kampf nur am Fernsehapparat, so wie sonst Ihre Boxkämpfe." Die Frage nach der Freiheit für wen und für was stellt er dem CDU-Freund lieber nicht. Denn der könnte - wenn er ehrlich wäre - wahrheitsgemäß antworten.

Ulrich Gellermann, Berlin

 



► Quelle:  RATIONALGALERIE > Artikel


► Bild- und Grafikquellen:

 

1. Liedermacher Wolf Biermann. Foto: Harald Krichel Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert. Dieses Foto wurde im Rahmen des CPB-Projektes „Festivalsommer“ mit Unterstützung durch Spenden an Wikimedia Deutschland erstellt.


2.  Tymoschenko & Vitali Klitschko at European People's Party (EPP) Dublin Congress, 3/2014. Foto: European People's Party. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert. (Foto-Ausschnitt)
 

Bild des Benutzers Helmut S. - ADMIN
Helmut S. - ADMIN
Online
Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Föderalisierung - Devolution


Lieber Uli

es bereitet mir immer ein Vergnügen, Deine politisch- und gesellschaftskritischen Texte zu lesen. Interessant im Zusammenhang mit der Ukraine fand ich den Hinweis auf Schottlands Föderalisierung. Schottland ist seit den frühen 80ern meine gefühlte (Seelen-)Heimat, die ich nicht nur wegen der reizvollen Landschaft, den 36 von mir bisher ein- oder mehrmals besuchten Inseln, der kulturellen Vielfalt und der Förderung gelebter Traditionen schätze.

Auch das gesellschaftliche Leben und politische Streben nach weitgehender Beibehaltung der Authentität, ihrer bisher erreichten Eigenständigkeit und vielleicht demnächst sogar der Unabhängigkeit vom Vereinten Königreich habe ich während dutzender Besuche im Rahmen meiner Möglichkeit aktiv unterstützt - zahlreiche politische Versammlungen und Mahnwachen z.B. auf Edinburgh Castle und anderen Locations inklusive.     

[quote=Ulrich Gellermann]Vor den Präsidenten-Wahlen und über eine Föderalisierung, wie sie zum Beispiel die Katalanen in Spanien und die Schotten in Großbritannien durchgesetzt haben.

[/quote]

Im Falle Schottlands kann man nicht von einer Föderalisierung sprechen. In den letzten Jahrzehnten ist in Schottland eine starke Bewegung (Scottish National Party u. a.) für eine Auflösung dieser Union und damit die Abspaltung vom Vereinigten Königreich entstanden. Das Land hat bereits durch den Prozess der innerbritischen Devolution weitgehend Autonomiestatus innerhalb des Vereinigten Königreichs inne (und seit 1999 ein eigenes Parlament in Edinburgh).

Der Begriff Devolution (von lateinisch devolvere ‚hinabrollen‘ oder sinngemäß ‚abwälzen‘) bezeichnet in der Staatsrechtslehre die Übertragung administrativer Funktionen in einem Einheitsstaat an regionale Körperschaften. Dabei beziehen die regionalen Körperschaften ihre politische Legitimität durch diese Übertragung. Die politische Souveränität verbleibt bei der übertragenden Stelle, die die regionalen Körperschaften auch wieder auflösen oder ihre Kompetenzen verändern kann. Im Gegensatz dazu steht der Begriff des Föderalismus, bei dem die Gliedstaaten eigenständige Legitimität besitzen und diese erst durch ihren Zusammenschluss an eine größere Einheit übertragen. (⇒ Quelle: Devolution (Vereinigtes Königreich) b. Wikipedia)

Wales, Schottland und Nordirland besitzen seit den erfolgreichen Referenden im Jahr 1997 eigene Landesteilparlamente und -regierungen mit einem Ersten Minister als Vorsitzenden, vergleichbar einem Ministerpräsidenten in Deutschland oder einem Landeshauptmann in Österreich. Bei den Wahlen dieser Landesparlamente kommt teilweise das Verhältniswahlrecht zur Anwendung. Die Räte sind bei weitem nicht so mächtig wie das britische Parlament. Während das schottische Parlament bis zu einem gewissen Grad selbst Gesetze erlässt, kann die National Assembly for Wales nur über die Verwendung des von der Zentralregierung bereitgestellten Etats entscheiden. Das britische Parlament kann die Befugnisse der regionalen Parlamente jederzeit erweitern, beschränken oder ändern. Das nordirische Parlament war in seiner Geschichte mehrfach suspendiert worden, zuletzt bis zum 7. Mai 2007.

Somit kann das Vereinigte Königreich heute als Einheitsstaat mit einer teilweise dezentralisierten Regierung betrachtet werden. Dies kontrastiert mit föderalen Staaten, in denen die Rechte der untergeordneten Parlamente und Versammlungen per Verfassung genau definiert sind und nicht durch einen Gesetzesbeschluss des übergeordneten Parlaments geändert werden können. Andererseits besteht durchaus die Möglichkeit, dass die föderalen Elemente in Großbritannien künftig gestärkt werden. Die Devolutionspolitik Tony Blairs kann sich aber letzten Endes als selbst auferlegte Machtbeschränkung Labours entwickeln, da die Devolutionsgesetze eine Reduzierung der Anzahl der schottischen Abgeordneten im Unterhaus vorsehen und Schottland traditionell eine Hochburg der Labour Party ist.

weitere Quellen:


Politisches System des Vereinigten Königreichsweiter

Referendum über die Unabhängigkeit Schottlandsweiter

Scotland’s Future – Your Guide to an Independent Scotlandweiter
 

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden.