Zündeln in Hongkong

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Zündeln in Hongkong
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Zündeln in Hongkong

Die doppelzüngige Einstellung westlicher Medien zur Gewalt.

von Rüdiger Rauls

Seit Wochen liefern die Proteste in Hongkong die Schlagzeilen für die westlichen Medien. Welche Teile der Bevölkerung sich an dem Protest beteiligen und welche Interessen außer denen der Hongkonger Geschäftswelt im Spiel sind, kann im Moment noch nicht klar gesagt werden [1]. Besondere Bedeutung scheinen westliche Kräfte dem Verhalten der Hongkonger Mittelschicht beizumessen. So schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass die Protestierenden „[..] die Sympathie von großen Teilen der Hongkonger Mittelschicht“ [2] genießen. Andererseits scheint das Wohlwollen der Bevölkerung nicht so eindeutig zu sein, wie die FAZ den Eindruck zu erwecken versucht.

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So hatte sie bereits Anfang Juli nach der Besetzung des Hongkonger Parlaments durch Vertreter der Protestbewegung von „Rissen in den Reihen der Demonstranten“ [3] gesprochen. Schon damals hatte man befürchtet, dass die Bilder von beschmierten Wänden, zerschmetterten Scheiben und zertrümmerten Sicherheitskameras „die Protestbewegung in der Bevölkerung einige Sympathien kosten und der Regierung in die Hänge spielen“ könnte [4].

Als dann Mitte August von „Demonstranten in der Nähe von Polizeistationen Brandbomben geworfen worden“ [5] und der Flugverkehr durch die Besetzung des Hongkonger Flughafens über Stunden stillgelegt worden war, hatte Peking die Hongkonger Bevölkerung aufgefordert, „sich von allen gewaltbereiten Elementen zu distanzieren“ [6]. Anscheinend passte diese Aufforderung Pekings zur Stimmungslage in der Stadt.

Denn am Tag danach sahen sich die Aktivisten gezwungen, sich für ihre Gewalt gegenüber chinesischen Polizisten während der Flughafenbesetzung öffentlich zu entschuldigen. Nachdem sich eine Flut von Kritik über jene Demonstranten in den Foren ergossen hatte, stand zu befürchten, „dass hässliche Szenen wie jene vom Dienstagabend sie die Unterstützung der Bevölkerung kosten können, ohne die die Bewegung schnell am Ende wäre“ [7]. Zudem scheinen Befürchtungen zuzunehmen, „eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage könnte der Bewegung die Unterstützung durch die Mittelschicht entziehen“ [8].

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Es scheint also nach Einschätzung der FAZ sehr viel von dieser Mittelschicht abzuhängen, der sich die Zeitung besonders verbunden zu fühlen scheint. Denn wie in den westlichen Medien selbst so sieht die Frankfurter in der an „freie Rede gewöhnte Hongkonger Mittelschicht“ [9] einen Verbündeten im Kampf gegen die Kommunistische Partei Chinas.

In ihr sehen die westlichen Medien mehr noch als das westliche Kapital selbst den Hauptfeind trotz aller wirtschaftlichen Verflechtungen und Vorteile für deutsche und westliche Unternehmen. Denn während den westlichen Industrien der chinesische Markt offen steht, ist er den westlichen Medienunternehmen weitgehend verschlossen und damit auch der Werbemarkt des Riesenreiches. Das erklärt die Feindseligkeit der westlichen Medien gegenüber China, aber auch gegenüber Russland, Iran und anderen, die nicht nur deren Vorstellung von Meinungsfreiheit unterdrücken, sondern ganz besonders auch deren Wunsch nach Werbefreiheit.

Hongkong-Hennessy-Road-Wan Chai-Hong-kong-Demonstration-extradition-bill-Kritisches-Netzwerk-Auslieferungsgesetz-Buergerbekaempfung-Buergerproteste-Massenproteste Von der Stimmung anderer gesellschaftlicher Gruppen außerhalb der Geschäftswelt, des Mittelstands und des intellektuell-akademischen Milieus berichtet die FAZ dagegen nicht. Nur einmal erwähnt sie den Stadtteil North Point, den sie als Hochburg von pro-Pekinger Kräfte bezeichnet, die in Loyalität zu Peking eine Flaggenparade abhalten. Es scheint also auch Kräfte zu geben in Hongkong, die nicht in das Bild zu passen scheinen, das die FAZ von der Lage vorort zeichnet. Vermutlich hat sie keine Kontakte zu Menschen dieser Kreise oder ihr ist an deren Interessen und Sichtweise nicht gelegen.

► Außerchinesische Kräfte

Bekannt wurde in der Zwischenzeit, dass „die amerikanische Stiftung National Endowment for Democracy (NED) prodemokratische Kräfte in Hongkong finanziell“ [10] unterstützt. Sehr aufschlussreich ist die Haltung der FAZ zu dieser Tatsache, die man über mehrere Zeile zuvor noch in die Nähe von Verschwörungstheorien und Propaganda zu bringen versucht hatte. Denn dann gibt die Zeitung unumwunden zu, dass die Unterstützung, die man wenig zuvor noch zu leugnen versucht hatte, „freilich für eine politische Stiftung, die sich der Förderung politischer Werte verschrieben hat, nicht ungewöhnlich ist“ [11].

Es wird also als das selbstverständliche Recht westlicher „pro-demokratischer“ Kräfte angesehen, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen und gewaltbereite Kräfte zu unterstützen. Es sei hier erinnert an die Empörung im Westen, als der Verdacht aufkam, dass Russland die US-Präsidenten-Wahlen beeinflusst haben könnte. Was bis heute nicht bewiesen werden konnte, ist im Falle der Einmischung vonseiten des Westens in Hongkong unzweifelhaft.

Da nun nicht mehr leugnen schien, was lange verheimlicht worden war, wird nun als Vorrecht des Westens dargestellt. Nicht wer mit zweierlei Maß misst, wird der Heuchelei bezichtigt, sondern wer es offenlegt. So wurde zudem wird auch noch gemeldet, dass die amerikanische Diplomatin Julie Eadeh, sich „vergangene Woche mit dem Demokratieaktivisten Joshua Wong getroffen hatte“ [12].

► Auch die Deutschen mischen mit.

Bei seiner Chinareise hielt sich Christian Lindner von der FDP zunächst in Hongkong auf, „wo er ein Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung eröffnete und Gespräche mit Oppositionspolitikern führte“ [13]. Aber es blieb nicht nur bei der Eröffnung, sondern er hielt darüber hinaus eine öffentliche Ansprache, bei der er klar stellte, dass aus seiner Sicht „wirtschaftliche Freiheit und gesellschaftliche Freiheit zusammengehören“ [14]. Das erinnert doch sehr stark an die Ereignisse auf dem Kiewer Maidan, als sich dort westliche Politiker die Klinke in die Hand gaben, um mit ihren Erklärungen politischen Einfluss auf die Ereignisse zu nehmen.

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Nun wäre es realitätsfremd, die Hongkonger Ereignisse alleine auf die Einflussnahme externer Kräfte zurückführen. Es scheint ernsthafte Konflikte in Teilen der Bevölkerung zu geben im Verhältnis zu Peking. Diese tieferen Ursachen und Hintergründe werden aber aus den Berichten der westlichen Medien nicht erkennbar. Dort beschränkt man sich auf das lieb gewonnene Erklärungsmuster des Kampfes einer Bevölkerung, die Demokratie fordert, gegen den übermächtigen Druck der kommunistischen Partei Chinas.

Dass der Westen diese Unruhen für die eigenen Interessen nutzt und versucht, Einfluss in Hongkong zu gewinnen oder auszubauen, dürfte nicht auszuschließen sein. Schon im Vorfeld hatten die westlichen Medien den dreißigsten Jahrestag der Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking umfassend in Erinnerung gerufen. Inwiefern die Vorgänge in Hongkong mit der Erinnerung an die Geschehnisse vor dreißig Jahren zusammenhängen, kann hier nicht festgestellt werden. Was aber erkannt werden kann, ist die doppelzüngige Einstellung westlicher Medien zur Gewalt.

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Wenn auch die Teilnehmer der Bewegung in Hongkongs Straßen und den Zugang zu Gebäuden blockieren, sogar das Hongkonger Parlamentsgebäude und den Flughafen besetzen, und den Flugverkehr über Stunden lahm legen, also Sachschäden anrichten und Gewalt anwenden, werden sie dennoch von der FAZ sehr wohlwollend als „prodemokratische Kräfte“ bezeichnet. In diesen Ruf kamen die Besetzer des Hambacher Forstes bei der FAZ und dem Rest der deutschen Medien nie. Auch die französischen Gelbwesten wurden in erster Linie als Gewalttäter dargestellt, ihre politischen und wirtschaftlichen Forderungen gingen in den Medien unter.

Aber es geht nicht um Demokratie oder sonstige westliche Werte. „Das Aufbäumen in Hongkong ist zugleich der sichtbarste Beleg für die mangelnde Strahlkraft des chinesischen Traums.“ [15]. Wenn schon der amerikanische Traum keine Strahlkraft mehr hat in der Welt, dann soll er nicht noch überstrahlt werden vom chinesischen.

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Wenn der wirtschaftliche Aufstieg Chinas schon nicht verhindert werden kann, dann soll doch wenigstens nicht auch noch das chinesische Gesellschaftsmodell sich dem westlichen überlegen zeigen. Darum geht’s.

Rüdiger Rauls
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► Quellen:

[1] Siehe dazu: Revolten auf ruedigerraulsblog >> weiter.

[2] Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.8.2019: Die Drohungen scheren die Demonstranten nicht.

[3]; [4] FAZ vom 2.7.2019: Risse in den Reihen der Demonstranten

[5] FAZ vom 13.8.2019: Drohung aus Peking: Hongkong hat kritischen Moment erreicht.

[6] FAZ vom 15.8.2019: Wenn der Hass die Kontrolle übernimmt.

[7] FAZ vom 16.8.2019: Im Gleichschritt durch das Stadion.

[8]; [10]; [11]; [12] FAZ vom 13.8.2019: Die Legende von den fremdgesteuerten Protesten

[9]; [15] FAZ-Kommentar vom 15.8.2019: Chinas Moment der Wahrheit

[13]; [14] FAZ vom 27.7.2019: Für Lindner war nicht einmal ein Handschlag drin


Rüdiger Rauls: geboren 1952 in Trier und auch hier wohnhaft. Gelernter Reprofotograf und jahrelang selbständig als Inhaber von Nachhilfe-Instituten in der Region Trier und Luxemburg. Jetzt Buchautor, Vortragsredner und Journalist mit den Schwerpunkten Politik, Soziales und Wirtschaft. >> ruedigerraulsblog.

ACHTUNG: Die Bilder und Grafiken im Artikel sind nicht Bestandteil des Artikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..

► Bild- und Grafikquellen:

1. Hong Kong anti-extradition bill protest - Protest gegen das Auslieferungsgesetz in Hongkong, Juni 2019. Foto: Studio Incendo (IMG_20190616_171444). Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

2. Hongkong: Massendemonstration vom 18. August 2019 mit 1,7 Millionen Teilnehmern (nach Angaben der Organisatoren). Foto: Studio Incendo (P1055595). Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

3. Proteste am 9. Juni 2019 in der Hennessy Road (Wan Chai), Hongkong. - Demonstration against extradition bill in Wan Chai Hennessy Road, Hong Kong. Foto: Wpcpey. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“ (CC BY-SA 4.0). This illustration has been released under a license which is incompatible with Facebook's licensing terms.

4. Regenschirmproteste der Regimegegner in Hongkong. Foto: Studio Incendo (IMG_20190818_163354). Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

5. Regimekritiker auf den Straßen Hongkongs. Foto: Studio Incendo (P1055656). Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

6. Massenproteste organisiert durch die regimekritische NGO "National Endowment for Democracy", eine US-amerikanische Stiftung und Denkfabrik mit dem erklärten Ziel der weltweiten Förderung der liberalen Demokratie. Foto: Studio Incendo (IMG_20190818_170757). Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).