Neoliberalism rules. Das globale Regime des Kapitals

2 Beiträge / 0 neu
Letzter Beitrag
Bild des Benutzers Helmut S. - ADMIN
Helmut S. - ADMIN
Online
Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Neoliberalism rules. Das globale Regime des Kapitals
DruckversionPDF version

Das globale Regime des Kapitals

von Conrad Schuhler / Vorsitzender des isw (Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.)

conrad_schuhler_isw_muenchen_institut_fuer_wirtschaftsforschung_kritisches_netzwerk_dkp_globalisierungsgegner_marx_kapitalismus_eigentumsfrage_sozial-oekologische.jpg Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten, notierte Kurt Tucholsky 1931. Tucholskys erhellende Satire hatte den Titel: "Kurzer Abriss der Nationalökonomie". Diese (Nationalökonomie)…

„[. . ]ist, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben“. Seit Marx „ist die Frage völlig gelöst: die Leute haben zwar immer noch kein Geld, wissen aber wenigstens, warum“.
(-Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke Band I, Hamburg 1960.)

Diese Verflechtung war seit Jahrhunderten vorhanden, auch schon vor dem Siegeszug des Kapitalismus. (Vgl. Ulrich Menzel, "Die Ordnung der Welt". Berlin 2015, S. 1015). Doch hat sich in den letzten Jahrzehnten ein qualitativ entscheidender Wandel vollzogen. Bis dahin hatten sich Produktion und Handel über Jahrhunderte im Gefolge „großer Mächte“ (Ranke, zitiert bei Menzel, a.a.O., S. 17) entwickelt. Es gab eine enge Beziehung zwischen nationalem politischem System und Dominanz der entsprechenden nationalen Wirtschaft. Menzel, der „die Ordnung der Welt“ stets hergestellt, sieht durch „Imperium oder Hegemonie in der Hierarchie der Staatenwelt“ (so Titel und Untertitel seines Mammutwerks), führt 15 solcher Imperien an, die von der Song-Dynastie in China vom 10. bis zum 13. Jahrhundert über die mediterrane Weltwirtschaft durch Genua und Venedig bis zum American Empire der jüngsten Zeit reicht.

Das Neue, das durch die neoliberale Globalisierung durchgesetzt wurde, ist die Lösung des Regimes des globalen Kapitalismus von der Wirkkraft einzelner nationaler politischer Apparate. Die globale Produktion wird bestimmt durch globale Wertschöpfungsketten. Ein Konzern wie Siemens produziert und verkauft in über 200 Ländern. Ähnliches gilt für alle großen Unternehmen. In den einzelnen nationalen Standorten werden in der Regel nicht komplette Waren für einheimische Märkte produziert oder komplette Produkte für den Export hergestellt. Es geht vielmehr um Zwischenprodukte in einer globalen Produktionskette. Auf diese „globalen Wertschöpfungsketten“ entfallen heute gut 80 % des Welthandels mit Gütern und Dienstleistungen. (Michael R. Krätke, "Globale Wertschöpfungsketten in und nach der Großen Krise". Zeitschrift spw 4, 2013, S. 17f).

Die hundert größten heute MNE genannten Multis (Multinational Enterprises) – nach Umsätzen führt Royal Dutch Shell vor Exxon, Toyota und Volkswagen – verfügen im Durchschnitt über 549 Filialen, das Maximum sind 2082 Filialen. Zwei Drittel der Filialen liegen im Ausland. (UNCTAD, WIR 2016, S. 135) Die gegenseitige globale Kapitaldurchdringung der einzelnen Nationen ist seit 1990 gewaltig gestiegen. Die foreign direct investment Inflows (FDI), die Auslandsinvestitionen in den Ländern, sind in dieser Periode um das Achtfache gestiegen, die FDI Outflows, die Investitionen ins Ausland, um das Siebenfache. Die jeweiligen Kapitalstöcke, In- wie Ausland, haben sich auf das Zwölffache vergrößert, der Kapitalwert der Auslandsfilialen auf das 22fache. (A.a.O., S. 29)

Das Volumen der Exporte und Importe wächst nur noch bescheiden. 2015 stiegen die Exporte weltweit um 1,4 %, die Importe um 1,6 %. (UNCTAD, Trade and Development Report 2016, S. 5)  Doch die Transnationalisierung der Unternehmen geht weiter voran. Sie betrifft gleichermaßen Umsatz, Beschäftigung und Eigentümerstruktur. Der Auslandsumsatz macht heute 65 % der Gesamtumsätze der großen MNEs aus; die Auslandsbeschäftigung 58 %; der Anteil des auswärtigen Geschäftseigentums 62 % des gesamten Geschäftswertes. (UNCTAD, WIR 2016, S. 142) Der Expansionskurs der MNE nähert sich aber nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds seinem Ende. (IMF, WEO 2016, S. 81, 86)

Es liegt auf der Hand, dass diese globalen Wirtschaftsunternehmen Einfluss nehmen auf die politischen Strukturen rund um den Globus. Und sie tun es höchst effektiv.

Der Methoden gibt es viele. Zum Beispiel Korruption der nationalen politischen Eliten und Geschäftspartner. Bei der Siemens-Korruptionsaffäre kam heraus, dass der Konzern sein globales Wachstum zu großen Teilen über illegale Zahlungen betrieb. „Die Fahnder kamen auf rund 4300 illegale Zahlungen. Sie protokollierten mehr als 330 dubiose Projekte – von Kraftwerken in Israel bis hin zu fälschungssicheren Ausweisen in Argentinien. Mit umgerechnet rund 1,3 Milliarden Euro war Landschaftspflege der besonderen Art betrieben worden.“ („Das ist wie bei der Mafia“. SZ, 14.1.2011)

korruption_corruption_monopoly_korruptionsaffaere_siemens_kritisches_netzwerk_geldwaesche_neoliberale_globalisierung_neoliberalism_neoliberalismus_bestechlichkeit_money_laundering.jpg

Wenn finanzielle Überweisungen nicht mehr hinreichen, werden militärische Weisungen erteilt. Um „die eigene Lebensweise“ zu schützen und dabei den Zugriff auf Ressourcen und Transportwege zu sichern, muss Deutschland „mit allen Mitteln…, einschließlich, wo und wenn nötig, mit militärischen“, eingreifen. Schon seit 2005 hat die neoliberal dominierte Weltgemeinschaft diese „Responsibility to Protect“, die „Schutzverantwortung“, als normatives Prinzip den UN verordnet. Danach kann, wie bei der sogenannten „humanitären Intervention“, in einem Land eine militärische Intervention mit dem erklärten Ziel durchgeführt werden, Menschenrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten. (Peter Rudolf, "Schutzverantwortung und humanitäre Intervention", ⇒ Artikel bei bpb) Nach diesem Konzept fand der Überfall auf Muammar al-Gaddafis Libyen statt.

Das Hauptverfahren jedoch besteht darin, die bisher bei den nationalen politischen Strukturen verankerten Entscheidungsverfahren aufzuheben und die Institutionen zu entmachten, die sich bisher demokratischen Wahlentscheidungen zu stellen haben. Wir erleben seit einigen Jahrzehnten den Übergang der entscheidenden politischen Prozesse aus demokratischen Strukturen in supranationale und von Experten dominierte Einrichtungen, die sich demokratischer Mitwirkung und Kontrolle weitgehend entziehen. Zu solchen Institutionen sind u.a. die Welthandelsorganisation (WTO) zu zählen, der Internationale Währungsfonds (IMF), die Weltbank, die EU und das einzig wirksame Institut über dem Euro-Währungsblock, die Europäische Zentralbank (EZB), die sich aus den Vertretern der nationalen Notenbanken zusammensetzt und „unabhängig“, also frei von jeder demokratischen Kontrolle zu entscheiden hat.

Die Experten, die von den wirtschaftlichen und politischen Eliten ausgewählt sind, legen nun die Entscheidungen fest, die, da ja als „Fach“-Urteile getroffen, nicht mehr demokratisch hinterfragbar seien. (Anmerkung: Ein Paradebeispiel der Herrschaftsarroganz ökonomischer Fachleute lieferte der damalige Chef des Münchner Ifo-Institutes, Hans-Werner Sinn. Zu jedweder prinzipieller Kapitalismuskritik erklärte er: „Die Entrüstung über die Gesetze des Kapitalismus ist müßig. Auch wenn diese Entrüstung die Fallgesetze beträfe, hätte Gott dafür nur ein müdes Lächeln übrig.“ Spiegel Online, 13.4.2005) Konflikte zwischen den „Partnern“ dieser Weltwirtschaft werden vor internationale Schiedsgerichte gebracht, die geheim tagen und hermetisch gegen jede demokratische Einflussnahme abgesichert sind. Es entscheiden von den Institutionen benannte „Schiedsrichter“ außerhalb der öffentlichen Rechtswege.

Solche Streitbeilegungsverfahren finden nicht nur im Rahmen internationaler Organisationen – vor allem der WTO – statt, sondern regeln auch das Procedere bei bilateralen Verträgen, die sich unterhalb der WTO-Ebene in den letzten Jahren mächtig herausgebildet haben. Ende 2013 wurden schon 3.200 bilaterale Handels- und Investitionsabkommen gezählt, 90% von ihnen enthielten sogenannte "Investor-State Dispute Settlements", dt. "Investor-Staat-Streitbeilegung" (ISDS), die es Konzernen ermöglichen, Unterzeichnerstaaten in geheimen Tribunalen auf Schadenersatz zu verklagen. Allein Deutschland hat mehr als 140 solcher Abkommen unterzeichnet, und alle enthalten ISDS-Vorschriften. (Conrad Schuhler, "TTIP muss verhindert werden – und wir können das auch". In: ISW-Report Nr. 97: Wirtschafts-NATO TTIP STOP!, S. 4)

free_trade_profit_over_people_freihandel_delusion_transatlantisches_freihandelsabkommen_kritisches_netzwerk_ttip_neoliberalismus_oekonomie_ceta_profit_armut_soziale_ungerechtigkeit.jpg Während bei der WTO nur Staaten gegen Staaten klagen können, wurden mit den bilateralen Abkommen die globalen Konzerne zu dominanten Subjekten des Völkerrechts gemacht. In 27 % aller 739 Streitfälle obsiegten die Konzerne mit ihren Klagen auf Schadenersatz für staatliche Maßnahmen u.a. zum Umweltschutz oder zur Besserstellung der Arbeitskräfte. (Dr. Peter Nunnenkamp, Institut für Weltwirtschaft, "Wie gefährlich sind internationale Schiedsgerichte wirklich?", Artikel bei Die Presse) Wie viele staatliche Maßnahmen aus Furcht vor Schadenersatzklagen unterbleiben, kann nicht gemessen werden. Aber ohne Zweifel ist die Schadenersatz-Drohung über der globalen Wirtschaft höchst wirksam im Sinn der neoliberalen globalen Elite.

Wir erleben einen globalen Kapitalismus, der gekennzeichnet ist durch 1) eine transnationale Verzahnung von Produktion und Märkten, und 2) durch eine weitgehende Entdemokratisierung zugunsten einer vom globalen Kapital benannten und bezahlten „kosmopolitischen“ Expertenkaste. Dabei macht es, Existenz und Funktionieren des globalen Kapitalismus betreffend, keinen prinzipiellen Unterschied, ob ein Staat privatkapitalistisch oder staatskapitalistisch geführt wird. Die chinesische KP nennt ihr System „sozialistische Marktwirtschaft“.

Deng Xiaoping sagte seinerzeit: Es spielt keine Rolle, ob eine Katze schwarz oder weiß ist, solange sie Mäuse fängt, ist sie bereits eine gute Katze. Mit Mäusefangen meinte Deng, einen möglichst optimalen Mehrwert zu erzielen, einen Überschuss des Outputs über die Inputs an Löhnen und Sachinvestitionen. Das Mäusefangen gelingt China seit vielen Jahren offenbar besser als dem Westen. Grundlage des Wachstums ist ein rapide wachsender privater Sektor – er soll mittlerweile gut 70 % des Inlandsprodukts herstellen. Unter „absoluter Kontrolle des Staates“ stehen die Sektoren der Energie, der Öl- und  Petrochemie, der Telekommunikation, der Luft- und Schifffahrt und der Rüstung. Wie auch immer im Inneren das Produkt erstellt und verteilt wird, als Teilnehmer am globalen System richtet sich China wie alle anderen an den Maximen des neoliberalen Weltsystems aus.     

Conrad Schuhler

Dieser Text ist eine Vorarbeit zum isw-Report Nr. 109 „Die Krise des globalen Kapitals – und jetzt wohin?“, der Anfang Juli 2017 erscheinen wird.


Quelle: Erstveröffentlicht am 07. Juni 2017 bei isw-München > Artikel.

Mehr Informationen und Fragen zur isw:

isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.

Johann-von-Werth-Straße 3, 80639 München

Fon 089 – 13 00 41, Fax 089 – 16 89 415

isw_muenchen@t-online.de

www.isw-muenchen.de


Infos über Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. :

Im Juni 1990 haben kritische Wirtschafts- und SozialwissenschaftlerInnen zusammen mit GewerkschafterInnen in München das isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. gegründet. Seitdem haben wir fast zweihundert Studien und Berichte veröffentlicht.

Das isw versteht sich als Wirtschaftsforschungs-Institut, das alternativ zum neoliberalen Mainstream Analysen, Argumente und Fakten für die wissenschaftliche und soziale Auseinandersetzung anbietet. Unsere Themen und Forschungen beziehen sich deshalb in besonderem Maß auf die "Bedürfnisse" von Gewerkschaften und von sozialen, ökologischen und Friedensbewegungen. Unser Anspruch ist, Wissenschaft in verständlicher Form darzustellen und anschaulich aufzubereiten. Deshalb sind isw-Ausarbeitungen auch besonders geeignet für Unterricht und Schulungsarbeit und als Grundlage für Referate und Diskussionen. Die Mehrheit unserer LeserInnen, AbonnentInnen und Förder-Mitglieder sind Menschen, die sich in Bewegungen und Gewerkschaften engagieren.

  • Im Zentrum unserer wissenschaftlichen Analysen und Forschungsarbeit stehen Fragen und Probleme der Globalisierung, der Bewegung des transnationalen Kapitals, der Rolle und Wirkungen der Multis und transnationalen Institutionen (IWF, WTO, OECD, G7, etc).
  • Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt bilden Verteilungsfragen: Einkommens- und Vermögensverteilung, Interdependenz von privatem/gesellschaftlichem Reichtum und Armut.
  • Im Rahmen der Friedensforschung befassen wir uns mit Aspekten der Rüstungsökonomie (z.B. Konzentration in der Rüstungsindustrie), der Militärstrategie und Auswirkungen von Rüstung und Krieg.
  • Im ökologischen Bereich konzentrieren wir uns auf Fragen der Energiewirtschaft und -konzerne.
  • Schließlich beschäftigen wir uns kontinuierlich mit Untersuchungen zur Entwicklung der Sozialsysteme, der Konjunktur- und zyklischen Entwicklung der Weltwirtschaft.

Auf Veranstaltungen und jährlich stattfindenden isw-Foren werden Erfahrungen ausgetauscht, Gegenstrategien diskutiert und Alternativen erarbeitet. Wir freuen uns über Vorschläge und Anregungen, aber auch über solidarische Kritik.

Ein alternatives Projekt wie das isw ist auf aktive Mitarbeit und auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Die materielle Grundlage unserer Arbeit schaffen unsere Leserinnen und Leser. Weder Parteien noch Verbände noch Stiftungen alimentieren uns. Unsere Publikationen finanzieren wir, neben der Selbstausbeutung der Autorinnen und Autoren und der zahlreichen Aktiven im Institut, aus den Beiträgen der rund 1.500 FörderInnen und AbonnentInnen. Wir schaffen derzeit eine plus/minus Null-Bilanz. Eine neue Steuerregelung kostet uns allerdings viel Substanz. Jeder Euro, jedes zusätzliche Fördermitglied, jedes zusätzliche Abonnement ist von Bedeutung. Spenden sind in voller Höhe steuerlich absetzbar.

Publikationen: Hier können Sie einzelne Printpublikationen des isw bestellen - weiter.


 

Bild- u. Grafikquellen:

1. Conrad Schuhler - Vorsitzender des isw (Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. - beim Gipfel der Alternativen, Dez. 2015. Foto: Harald Bischoff. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

2. MONOPOLY. "Corruption makes the world go round". Grafik: CHRISTOPHER DOMBRES. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz  CC0 1.0 Universell (CC0 1.0) Public Domain Dedication - Kein Urheberrechtsschutz.

3. International Monetary Fund, IMF UCKED. Foto/Grafik: Teacher Dude. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).

4. FREE TRADE & CO. - PROFIT OVER PEOPLE. Grafik: CHRISTOPHER DOMBRES. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz  CC0 1.0 Universell (CC0 1.0) Public Domain Dedication - Kein Urheberrechtsschutz.

Bild des Benutzers Logos
Logos
Offline
Verbunden: 10.09.2016 - 11:31
Korrekte Anwendung der Begriffe Kapitalismus und Neoliberalismus


Korrekte Anwendung der Begriffe Kapitalismus und Neoliberalismus

Man kann Herrn Conrad Schuhler nur beglückwünschen zu seiner weitestgehend korrekten und treffenden Ausführungen.

Nur bei paar „Kleinigkeiten“ bedürfen eines Einwandes:

Wenn in der Überschrift "Das globale Regime des Kapitals" der Begriff "Kapital" genannt wird, sollte dieser auch geklärt werden. Unter der Prämisse, dass unter Kapitalismus eine technikgetriebene Entwicklung verstanden wird, die 1760 in England mit der Maschinisierung von Webstühlen ihren Anfang nahm, Kapitalismus also ein Phänomen der Neuzeit ist, kann Kapital nicht Geld sein, weil es Letzteres schon seit Jahrtausenden gibt. Womit sich sie Frage stellt: was ist Kapital, wenn nicht Geld? Eine Kapitalismus-Theorie, die ohne überzeugende Definition von Kapital arbeitet, ist entweder nicht korrekt oder beschreibt ein anderes Phänomen (wie z.B. in Werner Sombarts Referenzwerk "Der moderne Kapitalismus").

In Übereinstimmung mit Karl Marx wird hier Kapital als Produktionsmittel, also Technik (Maschinen und Anlagen), verstanden. Was soll das Ganze? Wenn Kapital die Produktionstechnik ist, dann ist klar, dass Maschinen und Anlagen kein Regime führen oder innehaben können. Das können nur Menschen. Korrekterweise müsste es also entweder lauten: Das globale Regime der Kapitalisten. Oder noch treffender: Das globale Regime neoliberaler Kapitalisten. Neoliberale sind dogmatisch Indoktrinierte, welche aufgrund ihrer Ideologie und der damit einhergehenden Verblendung die tatsächlichen Wirkungprinzipien des kapitalistischen Wachstumsprozesses fundamental nicht verstanden haben. Siehe dazu bspw. die Ideen des britischen Ökonomen John Maynard Keynes.

Dann aber liegt das Problem nicht in einem System, welches Kapitalismus genannt wird, sondern bei Menschen, welche in Politik, Wirtschaft und Lehrbetreiben die absolute Deutungshoheit an sich gerissen haben: nämlich Neoliberale. Und den hinter diesen stehenden und vom Neoliberalismus direkt profitierenden Superreichen und Großkonzerne (MNE / multinational enterprises bzw. TNC / Transnational Corporation).

Global war der Kapitalismus von Beginn an: Schon in der ersten Phase seines Bestehens hat Siemens ein Transatlantikkabel zu den USA legen lassen, um mit diesen Geschäfte zu machen und Handel zu treiben. Auch Marx, der ja „nur“ die Frühphase des modernen Kapitalismus erlebt hat - schon die zweite industrielle Revolution durch Fließbandarbeit bekam Marx nicht mehr mit - schrieb in seinem Kommunistischen Manifest einen der wohl berühmtesten Aufrufe: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Was ebenfalls vom frühen globalen Wirken des Kapitalismus zeugt.

Völlig korrekt wird daher auch im vierten Absatz von „neoliberale[r] Globalisierung“ gesprochen. Während der Kapitalismus schon zu seiner Entstehungszeit seine globale Wirkmächtigkeit entfaltete, hat die neoliberale Globalisierung erst ungleich später mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher ihren Anfang genommen.

Freihandelsabkommen sind übrigens Ausfluss puren Neoliberalismus. Von Freihandelsabkommen profitieren nämlich, entgegen oft anzutreffender Fehlannahmen, nicht Länder wie Deutschland oder die USA, sondern ebenfalls nur Großkonzerne und die hinter ihnen stehenden Superreichen. Auf Kosten einer zunehmend verarmenden Gesellschaft. Wer drängt zu diesen Freihandelsabkommen und schließt diese ab?

Ist es der Kapitalismus?

Ist es die Produktionstechnik (also das Kapital) oder . .

... sind es neoliberal verblendete Politiker und Lobbyhuren?

Es sind weder der Kapitalismus, noch Maschinen und Anlagen (die Kapital sind), welche „Einfluss nehmen auf die politischen Strukturen rund um den Globus“, sondern neoliberal durchseuchte „Expertengremien“ und globale Wirtschaftsunternehmen. Genauer gesagt: deren menschliche Vertreter. Denn auch ein Unternehmen an sich ist ein handlungsunfähiges Abstraktum - es handeln stets Menschen. Immer!

Besonders deutlich wird das an dem Ausspruch einer Figur, die zu den neoliberal Verblendesten überhaupt zählt: Hans-Werner Sinn:

Die Entrüstung über die Gesetze des Kapitalismus ist müßig. Auch wenn diese Entrüstung die Fallgesetze beträfe, hätte Gott dafür nur ein müdes Lächeln übrig.

Der Wahnsinn dieses Zeugnisses intellektueller Schande ist ein doppelter:

1. Neoliberale haben - wie kaum jemand sonst - nicht begriffen, was die „Gesetze des Kapitalismus“ - sprich dessen Wirkprinzipien - sind!

2. Naturgesetze wirken von sich aus. Aber wie verhält es sich mit neoliberalen Forderungen wie die generell nach Privatisierung, Flexibilisierung und Deregulierung sowie konkreter Forderungen von Lohndumping, Austeriätspoltik und Steuersenkungen? Dies sind eben KEINE von selbst wirkenden Gesetzmäßigkeiten, sondern sie sind alternativlos darauf angewiesen, dass sie in von Menschen (Parlamentariern) beschlossen und in politische Gesetze gepresst werden.

Politische Gesetzgebung mit einem Naturgesetz wie dem Fallgesetz zu vergleichen, zeugt von Sinns himmelschreiender fachlicher Inkompetenz. Diese an kompletten Realitätsverlust grenzende Sichtweise zeugt symptomatisch von der ideologischen Verblendung Neoliberaler. Damit sind Selbige jedoch nicht irrelevant, sondern im Gegenteil höchst wichtig:

als Kontraindikatoren bzw. - wie im Falle eines H-W. Sinn -: „verlässliche Antireferenzen“.

D.h. man ist bestens beraten, die Wahrheit im glatten Gegenteil dessen zu vermuten, was diese Verblendeten ergießen bzw. fordern. Was sich aus dem Sachverhalt ergibt, dass Neoliberalismus das Extrem einer kapitalistischen Fehlsteuerung darstellt. Die Umsetzung des glatten Gegenteils neoliberaler Forderungen ist ein hervorragender Ausgangspunkt.

Ergo:

Mit dem Austausch von "Kapital" gegen "Neoliberale" aber ist die Stoßrichtung auf einmal eine völlig andere. Nun gilt es nicht mehr den Kapitalismus als wirtschaftlichen Prozess zu bekämpfen, sondern dessen [Fehl-]Steuerung durch eine menschengemachte Ideologie sowie dessen Steigbügelhaltern, Wasserträgern und Lobbyhuren!

Es ist also nicht das Regime des Kapitals, sondern jenes der Kapitalbesitzer. Und zwar der von Gier zerfressenen und neoliberal verblendeten Kapitalbesitzer.

Dass es - wenn auch sehr selten - andere Superreiche gibt, nämlich solche mit einem sozialen Gewissen und/oder Verständnis gesellschaftlicher / wirtschaftlicher Zusammenhänge, beweist einer der hyperreichsten Menschen der Welt mit folgender Aussage:

Meine Freunde und ich sind lange genug von einem milliardärfreundlichen Kongress verhätschelt worden. Es ist Zeit, dass unsere Regierung Ernst damit macht, allen gemeinsame Opfer abzuverlangen.
– Warren E. Buffett, Stop Coddling the Super-Rich, New York Times 14. August 2011

Dennoch sind die von Herrn Schuhler im Detail dargestellten Kritikpunkte völlig korrekt. Ein Ersatz von Kapital (bzw. Kapitalismus) gegen neoliberal verblendete Kapitalbesitzer (bzw. Neoliberalismus) und es wäre perfekt. Kapitalismus steht nicht im Widerspruch zu Demokratie - Neoliberalismus hingegen systemisch schon. Siehe KN-Artikel "Kapitalismus und Neoliberalismus - ein wesensmäßiger Vergleich"

Logos

Dipl.-Ing. Maschinenbau, Jhrg. 64

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden.