Selbstbesinnung in der institutionalisierten Wissenschaft
Besinnung, Selbstreflexion und Aufklärung wären dringend geboten
von Prof. Dr. Jesper Larsson Träff | für tkp und NEUE DEBATTE
Es wäre mehr als begrüßenswert, ein „window of opportunity", wenn die institutionalisierte Wissenschaft die ruhige Auslaufphase – oder nur trügerische Ruhe – der akuten Corona-Maßnahmen zum Anlass nehmen würde, zu reflektieren, was in den vergangenen mehr als zwei Jahren passiert ist, wie es passieren konnte, welche aktive oder passive Rolle die wissenschaftlichen Institutionen gespielt haben, welche Rolle die „Wissenschaft“ gespielt hat, was es mit der Vorstellung von Wissenschaftlichkeit (und einfach Gedanken- und Meinungsfreiheit) auf sich hat.
Und vor allem: wie kann verhindert werden, dass ähnliches wieder passiert und dass sich diese oder auch andere noch dunklere Geschichten wiederholen.
Die wissenschaftlichen Institutionen – und auch „die Wissenschaft“ selbst – sind nicht gestärkt, sondern in unterschiedlichen Hinsichten nach innen und nach außen be- und geschädigt aus der Situation herausgegangen.
Weil „die Wissenschaft“ als nicht unwichtiges Argumentarium eingesetzt worden ist und wird (science-washing), und sich hat einsetzen lassen, gar aus einem eigenen, befremdlich anmutenden Drang heraus, scheint eine Selbstreflexion und Besinnung besonders wichtig. Das meiste von dem Folgenden sollte selbstverständlich sein.
Es wäre wohl erstens festzuhalten, und auch darauf zu bestehen, dass die wissenschaftlichen Institutionen und auch die institutionalisierte Wissenschaft in einem bürgerlichen Rechtsstaat nicht Teil der Exekutive sind.
Die Universitäten im Allgemeinen haben nicht die Aufgabe, als Exegeten, Apologeten oder Protagonisten für bestimmte politische Maßnahmen und Wunschvorstellungen zu dienen oder bestimmte politische Ausrichtungen zu unterstützen, insbesondere nicht, wenn diese aus einem medialen Miasma ohne wirklich definierte Urheber aufsteigen: Industrie 4.0, Digitalisierung, diverse industrielle Revolutionen, künstliche Intelligenz, grüne Agenden, Kryptowährungen, flächendeckende medizinische Anwendungen als einziger Ausweg aus einer vermeintlichen Krise, unausweichliche Sanktionen gegen fremde Länder, Sprachreformen, monothematische Maßnahmen gegen bevorstehende klimatische Umwälzungen und weiteres.
► Theorie und das Eigenbild
Wissenschaft und Forschung arbeiten vermeintlich oder behauptet unabhängig, in zeitlich viel größeren Rahmen und Tiefen; und von den Institutionen wäre zum Schutz so etwas wie eine „aktive Neutralität“ zu erwarten, eine Ablehnung der Vereinnahmung, eine Stärkung eigener und vielleicht sogar gesellschaftlicher Abwehrkräfte durch souveräne, intellektuell gehaltvolle Analysen von all solchen Phänomenen.
Ganz konkret ist es nicht die Aufgabe von Universitäten, ohne vollständige Transparenz und Klarheit in der Auftragslage, Regierungen zu beraten und schon eingeschlagene, als alternativlos propagierte Wege durch bestellte Simulationen und Studien „wissenschaftlich“ zu bestätigen. Es wäre somit institutionell legitim, sich kritisch bis ablehnend bestimmten Maßnahmen gegenüber zu stellen und nicht aktiv mitzutragen, insbesondere wenn solche für das (auch finanzielle) Innenleben einer Institution schädlich sind.
Die wissenschaftlichen Institutionen sind auch nicht Bindeglied und Schmiermittel zwischen Industrie, Gesellschaft und Politik, oder gar Werbeabteilung und dergleichen. Deswegen sind Universitäten und andere Einrichtungen stets ausreichend vom Staate finanziert und nicht auf Drittmittel von verschiedenen Seiten, Wirtschaften, Stiftungen und Organisationen angewiesen, womit per Definition erfolgreiche Projekte und Forschung betrieben und Durchbrüche errungen werden; es findet keine Anbiederung an das Gewünschte und keine subtile Korruption statt.
Die gewährleistete Unabhängigkeit garantiert Vielfalt in Auffassungen und Zugangsweisen, Spruch und Widerspruch, keine Diskreditierung fundierter Zugangsweisen und eine Diffamierung oder gar Aussonderung von Kritikern, Skeptikern und Andersdenkenden kann gar nicht erst stattfinden. Soweit die Theorie und das Eigenbild: Möge es zutreffen …
[Ja, soweit die Theorie. Man denke an nur an die 'Bill & Melinda Gates Foundation' (BMGF), Klaus Schwab (WEF), George Soros und andere Schergen. Helmut Schnug]
Wissenschaft ist zum Teil geschultes Misstrauen, die Fähigkeit einzuschätzen,
• welche Daten und Fakten eine Hypothese unterstützen,
• welche als Falsifikation gelten müssen,
• welche Argumente Gültigkeit haben und welche nicht,
• welche Modelle und Annahmen produktiv sein können,
• wo eine Simulation eventuell zutreffend sein könnte und wo nicht (welche Annahmen, Annäherungen, Vereinfachungen und Stellschrauben sind im Spiel?),
• wo wissenschaftliche Arbeit handwerklich gut gemacht ist.
Statt Projekte zur Stärkung des Vertrauens in der Wissenschaft zu fördern ('Der Wissenschaftsfonds', kurz FWF), die 'Österreichische Akademie der Wissenschaften', kurz ÖAW) und teure PR-Abteilungen zu unterhalten, wäre der gesellschaftliche Auftrag viel eher all dieses zu vermitteln.
Studien zu lesen ist nicht einfach, erfordert Kenntnisse, Sach- und Hintergrundwissen und Gespür; nicht jede Studie, unabhängig von wem und wo sie erschienen ist, „beweist“ auch das, was behauptet wird, und ob eine Studie begutachtet ist oder nicht, ist nicht ohne Weiteres dafür entscheidend, ob sie auch „wahr“ ist. Zahlen, die sowohl falsch wie sinnlos sein können, sind nicht gleich Fakten. Große Datenmengen, „Big Data“, die künstlich intelligent verarbeitet werden, ändern hier natürlich nichts.
Die Evidenz für die Wirksamkeit von den seit März 2020 getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie, die es nur gab, weil die seit 2009 geänderte Definition diese Beschreibung des Zustandes erlaubt, ist schwach [1], [2)].
Es gibt keine starke Evidenz dafür, dass Lockdowns, das allgemeine Tragen von Gesichtsmasken, G-Regeln, Kontaktverfolgung, Schulschließungen, „grüne Pässe“ oder flächendeckendes Testen zur Verhinderung der Ausbreitung einer Atemwegsinfektion beigetragen haben, insofern dies das Ziel all dieser Maßnahmen war. Umgekehrt sollte es nicht allzu unmöglich sein, aufzurechnen und wissenschaftlich zu belegen, was diese unterschiedlichen Maßnahmen gekostet haben, direkt, akut und indirekt und langfristig.
Die erhobenen (und nicht erhobenen) Zahlen und willkürlichen Definitionen („mit oder wegen“?) waren und sind – wenn überhaupt von gesellschaftlich-öffentlich-medialen Interesse – nicht geeignet, um wissenschaftlich fundierte Aussagen zu treffen. Es ist selbst anhand dieser offiziell preisgegebenen Zahlen mittlerweile völlig unkontroversiell, dass die Gefährlichkeit von der Viruserkrankung, worum alles sich angeblich dreht, auf oder unter der Ebene von gewöhnlichen Grippe- und anderen Virusinfektionen einzuordnen ist.
Dass die vorgeschlagene, alternativlose Behandlung im besten Fall nach kürzester Zeit wirkungslos ist, dafür aber erhebliche Nebenwirkungen mit sich ziehen kann, scheint empirisch belegbar (obwohl belastbare und sinnvolle Zahlen nicht vorzuliegen scheinen oder nicht vorgelegt werden sollen) und die Evidenz, dass sie bestimmte Verläufe verhindert, ist ebenso schwach wie schwammig.
Weitaus besorgniserregender aus wissenschaftlicher Sicht ist der Abbau von Prüfverfahren und die gesenkte Schwelle, womit neuartige medizinische Präparate zugelassen und auf den Markt geworfen werden können, und sogar Pflicht zur Einnahme eingeführt werden kann, wie es tatsächlich in Österreich, aber auch anderswo passierte [3].
Die rechtsstaatlichen Kriterien von Notwendigkeit, Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit sind somit alle im schwersten Umfang verletzt worden, aber dies ist eine politische und keine wissenschaftliche Angelegenheit, obwohl die entsprechende Wissenschaft eigentlich darauf hinweisen müsste.
Die Logik, dass die Gesamtbevölkerung Probleme, die von der Politik verursacht bzw. nicht angegangen worden sind (Überlastung und Zusammenbruch des Gesundheitswesens), lösen muss durch verordnete Verhaltensweisen (erst zu Hause bleiben, dann frieren), wird weiterhin unbeirrt aufrechterhalten. Das Tragische ist, dass all diese Sachverhalte schon unlängst von marginalisierten Teilen der Wissenschaft dargelegt und mit soliden Fakten und Argumenten belegt wurden.
Die vergangenen Jahre scheinen – zumindest in Teilen der Wissenschaftsinstitutionen – Grenzen der sogenannten „Digitalisierung“ aufgezeigt zu haben, und haben zum Beispiel eine zaghafte Rückkehr zur Präsenz in der Lehre eingeleitet. Die sich neu anbahnenden (schon permanenten) Krisen machen ebenfalls sichtbar, dass die digitale Infrastruktur nicht zum Nulltarif zu haben ist und dass also die allumfassende re-präsentierende „Digitalisierung“ einen sehr hohen Preis hat, auch in Form von Energiekosten, Anfälligkeit und gefährlichen Abhängigkeiten.
Jesper Larsson Träff, (* 1961 in Kopenhagen), Professor für Informatik (Paralleles Rechnen) in Wien. Seine Forschungsgebiete sind parallele Algorithmen, Scheduling, paralleles Computing, parallele Programmierung, parallele Programmiermodelle und Message Passing Interface (MPI). Die hier geäußerten Meinungen und Analysen sind rein privat und stehen in keinem Zusammenhang zu der TU Wien. Kontakt >> jesper.larsson.traeff@tuwien.ac.at .
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[1] Rubikon (1.9.2020): Pandemie ohne Pandemie. >> weiter.
[2] Telepolis (12.8.2020): WHO: Wer finanziert den Kampf gegen die Corona-Pandemie? >> weiter.
[3] ORF (30.7.2021): „Impfpflicht“ für bestimmte Berufe – Weitere Länder wollen bundesweite Regeln. >> https://orf.at/stories/3223026.
»Ich bin für fundierte Meinungsvielfalt, Mut zur Ehrlichkeit und Akzeptanz von
eigenen, begangenen Fehlern, gegen Alternativlosigkeit und Bevormundung,
und für transparente und nachvollziehbare Entscheidungen. Die konkreten Maßnahmen
in der aktuellen Situation verkrüppeln uns menschlich und gesellschaftlich.«
(Jesper Larsson Träff)
► Quelle: Der Meinungsbeitrag „Selbstbesinnung in der institutionalisierten Wissenschaft“ von Univ. Prof. Dr. Jesper Larsson Träff erschien erstmals am 12. November 2022 auf tkp – Der Blog für Science & Politik. Er wurde aktualisiert und 'Neue Debatte' - "Journalismus und Wissenschaft von unten" vom Autor zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Der Artikel erschien dort am 20. November 2022 unter dem selben Titel. >> weiter.
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► Bild- und Grafikquellen:
1. Wissenschaftsgläubiger: Wer von "Wissenschaftsleugnern" spricht, ebenso wie Corona- oder Klimaleugner, der hat Wissenschaft nicht verstanden. Wenn ich mich noch vor 5 Jahren als Wissenschaftsgläubiger geoutet hatte, wären die gleichen Leute über mich hergefallen, die mich heute als Wissenschaftsleugner bezeichnen. Grafik: Pommes Leibowitz. Quelle: Flickr. Die Datei ist mit der CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0) lizenziert.
2. Theorie & Praxis (theorie and practice): Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis weitaus höher als in der Theorie, oft sogar gegenläufig. (Kritisches-Netzwerk.de). Die Textgrafik besteht nur aus einfachen geometrischen Formen und Text. Sie erreichen keine Schöpfungshöhe, die für urheberrechtlichen Schutz nötig ist, und sind daher gemeinfrei. Dieses Bild einer einfachen Geometrie ist nicht urheberrechtsfähig und daher gemeinfrei, da es ausschließlich aus Informationen besteht, die Allgemeingut sind und keine originäre Urheberschaft enthalten. > This image of simple geometry is ineligible for copyright and therefore in the public domain, because it consists entirely of information that is common property and contains no original authorship.
3. Karl Lauterbach, der Herr mit dem irren Blick und der Seuchenphobie. "Wenn nicht sofort drastischste Maßnahmen ergriffen werden, wird der Anteil der Corona-Toten die Zahl aller überhaupt sterbenden Menschen bald voll dramatisch übersteigen tun." Grafik: Pommes Leibowitz. Quelle: Flickr. Die Datei ist mit der CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0) lizenziert.
4. Prof. Dr. Karl Lauterbach (*21. Februar 1963 in Birkesdorf), einer der übelsten Lobbyisten und seit 8. Dezember 2021 sogenannter Bundesminister für Gesundheit im Kabinett Scholz. "Die Wahrheit führt in sehr vielen Fällen zum politischen Tod, ich bitte Sie." Das sagte Karl Lauterbach in der WDR-Sendung „Könnes kämpft“. >> Kurzvideo. Urheber des Originalfotos (OHNE Textinlet!): © Raimond Spekking >> raimond.spekking@gmail.com. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“ (CC BY-SA 4.0). Der Zitattext wurde von Helmut Schnug digital eingearbeitet.
5. Kahlschlag von Staats wegen: Deutschlands Krankenhäuser werden auch weiterhin radikal reduziert, der Bettenbestand und Arbeitsplätze dem Rotstift geopfert. Bedankt Euch bei Abrissbirnen namens Jens Spahn, Karl Lauterbach, Josef Hecken und allen Vertretern einer perversen, neoliberalen Ideologie. Foto OHNE Text: bradleypjohnson. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0). Der Text wurde von Helmut Schnug eingesetzt.
Institutionalisierung des Innenlebens
Ein Artikel, der für meine Arbeit nutzt, den ich gut in Texten erwähnen kann; in dem nicht nur das Unvermeidliche steht. Der Artikel enthält im Keim so etwas wie den Begriff "Institutionalisierung des Innenlebens (Gemüts)".
Der mich interessierende zentrale Satz im Artikel lautet:
Mit anderen Worten: der heutige Wissenschaftler entwickelt zu wenig Distanz zu sich selbst, seinem Innenleben. Man kann sagen es ist fremdbestimmt vollkommen durchreguliert (institutionalisiert), entsprechend allgemeinverbindlicher Regeln, die er unverrückbar verinnerlicht (hat), die keinen Widerspruch dulden..
Der Autor weiß vielleicht gar nicht viel über die einschlägige Bedeutung des Begriffs (des eben zitierten Satzes), der meines Erachtens Arbeit und Theorie der Psychoanalyse weiterbringen könnte, also in eine Kritik der Psychoanalyse gehört.
Wie hieß es doch gleich im letzten längeren K14-Text T14? (Siehe https://film-und-politik.de/K14.pdf, S. 295):
So weiß der Autor vielleicht nicht, dass er mit und durch dieses Zitat hindurch zumindest ansatzweise Psychoanalyse betreibt. So wie es uns Menschen ganz generell nicht bewusst ist. Das konstituiert, so meine These, eine Psychoanalyse des alltäglichen Nahbereichs, für die sich Menschen - schichtübergreifend (Analytiker eingeschlossen) - zu wenig interessieren.
Fast wollte man meinen, da hat sich ein Begriff in die Arbeit des Autors geschlichen, der sich weiter entwickeln ließe, nur eben nicht weiter Beachtung findet, denn ansonsten versteht sich der Inhalt des Artikels beinahe von selbst.
Vgl. zum Thema "Institutionalisierung / (Ver-) Begrifflichung" auch die Besprechung zum Film: "Eine fantastische Frau" (https://film-und-politik.de/WIF-Akt.pdf, S. 14)
LG, Franz Witsch >> www.film-und-politik.de (Buchcover anklickbar)