CETA: Wie weiter nach dem Einknicken der SPD?

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CETA: Wie weiter nach dem Einknicken der SPD?
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CETA: Wie weiter nach dem Einknicken der SPD?

von Leo Mayer / isw München

SPD-FCKSPD-Sozialdemokratie-Arbeiterpartei-Jusos-Hartz-Agenda-2010-Kriegspartei-Sigmar-Gabriel-Sozialabbau-Kritisches-Netzwerk Ist es die Lust an der Inszenierung des eigenen Untergangs? Oder was treibt die SPD? Da demonstrieren 320.000 Menschen gegen CETA, da unterschreiben in Bayern 50.000 Menschen an einem Tag das Volksbegehren ‚CETA im Bundesrat ablehnen‘ und Sigmar Gabriel sagt nach der Zustimmung des SPD-Konvents zu CETA, das sei „ein guter Tag“ für die SPD gewesen.

Im Vorfeld des Konvents wurde das politische Schicksal von Sigmar Gabriel als SPD-Chef und Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2017 vom Abstimmungsverhalten der Delegierten abhängig gemacht. Aber nicht in dem Sinne, dass er eine Mehrheit seiner Partei für das Anliegen der Mehrheit der Bevölkerung gewinnen müsse, sondern im Gegenteil. Kanzlerkandidat könne er nur werden, wenn er die SPD dazu bewegt, sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung und große Teile seiner eigenen Partei zu positionieren.

Das ist ihm gelungen. Sigmar Gabriel hat sich durchgesetzt. Zwar mit Tricks und Täuschungen. Aber mit Zweidrittelmehrheit hat sich der SPD-Parteikonvent für das Freihandelsabkommen mit Kanada ausgesprochen. Auch Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion und vorher einer der einflussreichsten Kritiker des CETA-Abkommens, warb in Wolfsburg für ein Ja des Konvents.

Dass die Wirtschaftsverbände begeistert sind, das überrascht nicht. Irritierend vielleicht, dass SPD-Vizevorsitzender Ralf Stegner, der häufig dem linken Parteiflügel zugeordnet wird, meint: „Das stärkt die Partei und ihren Vorsitzenden.“ Wie das? Wo doch nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid zwei Drittel der SPD-Wähler eine vorläufige Anwendung von CETA ablehnen und nur ein Drittel CETA positiv sieht.

► Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen:

1. Der Protest gegen TTIP und CETA hat gesellschaftliche Mehrheiten hinter sich. Aber selbst wenn Hunderttausende demonstrieren, reicht das immer noch nicht aus, um gesellschaftliche und politische Kräfteverhältnisse zu verschieben. Das politische System erscheint immunisiert gegen gesellschaftlichen Druck.

2. Das darf kein Grund sein zu resignieren. Der Kampf gegen CETA geht weiter. In NRW, Schleswig-Holstein und Bayern laufen Volksinitiativen bzw. Volksbegehren gegen CETA, um das Abkommen im Bundesrat zu stoppen. Campact hat einen Plan für die nächsten Wochen und Monate vorgelegt.

indirekte_demokratie_demokratieversagen_staatsterror_meinungsfreiheit_pressefreiheit_kritisches_netzwerk_vasallenstaat_herrschaft_macht_souveraenitawt_democracy_ttip_ceta_volkeswille.png3. Immer mehr Menschen, insbesondere die in prekären Verhältnissen lebenden, erfahren „Politik“ als etwas feindliches oder fremdes, was nichts mit ihrem Leben zu tun hat. Die Abschottung des politischen Systems gegen demokratischen Druck verstärkt diese wachsende Politikverdrossenheit. Politische Aktivitäten erscheinen als wenig erfolgversprechend. Um diese Menschen für die Politik zurückzugewinnen, müssen ihnen Möglichkeiten eröffnet werden, selbst mitzuentscheiden. Alternative Politik muss im Alltagsleben der Menschen ansetzen, dort stattfinden und Beispiele organisieren, dass „Politik“ ihr Leben positiv beeinflussen kann.

4. Der Protest gegen TTIP und CETA kommt aus (bisherigen) Anhängern aller Parteien und liegt quer zu diesen. Das gleiche gilt für die Hunderttausende Menschen, die in Helferkreisen organisiert den Geflüchteten zur Seite stehen und so die solidarische Seite dieser Gesellschaft zeigen. Es existieren Potentiale eines ‚dritten Pols‘ oder ‚Lagers der Solidarität‘, allerdings zerstreut, unverbunden und ohne politische Repräsentation.

5. Die Zustimmung des SPD-Konvents zu CETA zeigt, dass diese Partei sehr weit von einer Linksorientierung entfernt ist. Die für einen Richtungswechsel eintretenden linken Kräfte in der SPD und den Grünen sind schwach und in ihren Parteien marginalisiert. Die gesellschaftlichen Kräfte für einen Wechsel in Richtung einer solidarischen Gesellschaft sind zu wenig organisiert. Somit sind die Voraussetzungen für einen Richtungswechsel zu einer sozial-ökologischen, demokratischen Transformation gegenwärtig nicht gegeben.

6. Damit gibt es auch keine Grundlage für eine rot-rot-grüne Regierungskoalition nach der Bundestagswahl 2017. DIE LINKE würde sich desavouieren und als Teil des neoliberalen Parteienkartells erscheinen. Aber auch wenn rot-rot-grün als Parteienprojekt keine Perspektive hat, so geht es trotzdem um das Zusammenführen von rot-rot-grün als gesellschaftliche Strömungen und Bewegungen, um perspektivisch die gesellschaftliche Basis für eine Linksregierung zu schaffen.[1]

7. Die Herausforderung ist, den „dritten Pol“ zwischen dem autoritär regierenden Machtblock und einem sich radikalisierenden Rechtspopulismus sichtbar zu machen. (s. Artikel) Dieser ‚dritte Pol‘ oder ‚Lager der Solidarität‘ geht weit über diejenigen hinaus, die sich explizit als ‚Linke‘ verstehen. Diese können nur gewonnen werden, wenn die Anerkennung von Unterschiedlichkeit, Pluralität und Horizontalität zum Wesen des Projekts zählen.

ceta_comprehensive_economic_and_trade_agreement_kritisches_netzwerk_freihandelsabkommen_handeslsabkommen_ttip_canada_kanada_european_union_entdemokratisierung.pngGemeinsamkeiten gibt es genug, Gemeinsamkeiten die sogar gesellschaftlich mehrheitsfähig sind. Das heißt auch, die Linke darf sich nicht einigeln, sondern wir müssen lernen, zu verbinden und die Mehrheitsfrage zu stellen.

8. Dazu braucht es eine organisierte Arbeit an einem gemeinsamen Programm und Projekt. Um diese Chance zu ergreifen, hat das Institut Solidarische Moderne vorgeschlagen, einen Prozess einzuleiten in dem die vielerorts bereits geführten Diskurse über die nächsten und ferneren Schritte eines sozialökologischen Gesellschaftsumbaus in lokalen und regionalen Foren zusammengebracht werden. Dabei geht es um die Schaffung von Orten des demokratischen Ratschlags und schließlich der solidarischen Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen. (s. Artikel)

9. Die marxistische Linke sollte sich aktiv an diesem Prozess beteiligen, denn sie hat sich in ihrer Satzung das Ziel gesetzt „gesellschaftliche Kräfte weit über die Linke hinaus im Widerstand gegen die neoliberale Politik zu bündeln und den Aufbau eines festen gesellschaftlichen und politischen Blockes gegen den Neoliberalismus zu befördern“.

10. Wir wissen aber auch, dass ein Richtungswechsel nur ein europäischer sein kann. Mit der von „Democracy in Europe Movement 25“ (DiEM 25) ergriffenen Initiative soll „eine paneuropäische Bewegung des zivilen und staatlichen Ungehorsams“ entstehen, „die zu einer breiten demokratischen Opposition gegen das Agieren der europäischen Eliten auf lokaler, nationaler und auf EU-Ebene heranwächst“ (Yanis Varoufakis) - siehe Artikel bei "neues Deutschland"

Wir schlagen vor, im Wahlkampf mit einem Prozess der Politisierung zu beginnen, in dem es nicht zuerst um Parteien und ihre Kandidat*innen, nicht um das Sammeln von Stimmen für andere, sondern um das gemeinsame Programm und, mehr noch, um das gemeinsame Projekt eines linken gesellschaftlichen Aufbruchs, eines linken gesellschaftlichen Pols geht. Wir schlagen vor, aus der Gesellschaft heraus, in dieser Gesellschaft und für diese Gesellschaft solidarisch um dieses Programm und Projekt zu ringen. Und: Wir schlagen vor, damit in lokalen politischen Foren zu beginnen, von unten nach oben und quer zu den politischen Bindungen, in denen wir stehen und in denen die meisten von uns auch weiterhin politisch aktiv sein werden.“ ~ Institut Solidarische Moderne, „Mit der Demokratie neu beginnen. Gegen die Politik der Angst, für eine Politik der Hoffnung“

Leo Mayer

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"Das Hohelied der SPD (Lied der Sozialdemokraten)" - von Christoph Holzhöfer.


Quelle: Erstveröffentlich am 26.09.2016 bei isw-München > weiter.

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► Bild- u. Grafikquellen:

1. FCK-SPD: Wer hat uns verraten? – Die Sozialdemokraten“: Dieser Spruch reicht über 100 Jahre zurück, bis in das Jahr 1914, dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Jener Weltkrieg, den auch die SPD mit ihrer Zustimmung zu den Kriegsanleihen ermöglichte. Es beginnt die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung. Die SPD begann als revolutionäre Arbeiterpartei, wandelte sich zu einer bürgerlichen Arbeiterpartei und endete als staatstragende Monopolpartei. Diese Problematik zieht sich bis in die heutige Zeit und lässt die ehemalige "Volks"-Partei weiter schrumpfen. Ob Agenda 2010, Hartz IV, mehr Kinder- und Altersarmut, mehr Tafeln, Desolidarisierung, Sozialdarwnismus, Kriegspartei (Kosovo) und zumindest logistische Unterstützung für NATO-USA-geführte völkerrechtswidige Kriege . .

Nun sagt der SPD-Konvent mehrheitlich "Ja, aber" zu CETA. "Das ist ein richtig guter Tag für die SPD, denn wir geben der Globalisierung Regeln“, schwafelt Wirtschaftsminister und Vorzeigelobbyist Sigmar Gabriel, der den Volkeswille mit Füßen tritt. Und weiter: „Ich glaube, dass sich Angela Merkel freuen wird“. Wer dieser asozialen Partei auch noch seine Stimme gibt, bekommt was er/sie verdient.

Bildgrafik: Aufdruck von T-Shirts bei Protesten gegen die SPD Politik. Urheber: Francis McLloyd. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

2. INDIREKTE DEMOKRATIE. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa).

3. NEIN zu CETA, dem geplanten Freihandelsabkommen mit Kanada. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa).