Der globale Klamottenmarkt

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Helmut S. - ADMIN
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Der globale Klamottenmarkt
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Der globale Klamottenmarkt

von Laurenz Nurk

Wesensmerkmale des global ausgerichteten durch Neoliberalismus verseuchten Kapitalismus waren immer schon die Aneignung der Gewinne, Auslagerung der Kosten und Ausbeutung Dritter. Mussten die Auslagerungspraktiken früher noch mit direkter Gewalt organisiert werden, so wurden diese Praktiken seit Anfang der 1950 Jahre immer mehr verrechtlicht, was die Möglichkeit mitbrachte, Rechtsmittel zu nutzen, um z.B. Schadensersatz zu fordern. Doch je weiter die Auslagerungen von uns entfernt sind, desto weniger können wir die Folgen unserer Produktions- und Lebensweise wahrnehmen, denn die Folgekosten werden auch von niemandem direkt an uns herangetragen, wir werden nicht mit ihnen direkt konfrontiert und dem entsprechend sind wir auch nicht gezwungen, etwas bei uns zu ändern.

Doch langsam ändert sich dies, wir merken, dass wir uns es nicht mehr leisten können, die Verwerfungen, die von uns aus woanders produziert werden zu ignorieren. Sie kommen zu uns zurück. Wir versuchen nun immer gewalttätiger und machtvoller dieses Zurückkommen zu verhindern, zumindest es zu verringern. Dazu werden Grenzzäune gebaut, diejenigen fürstlich belohnt, die Schlupflöcher für die Konzerne offenhalten und Menschen an der Flucht hindern, damit sie weiterhin für uns die Drecksarbeit verrichten.

Ein Beispiel für diese Entwicklung ist der globale Klamottenmarkt.

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Der Klamottenmarkt war einer der Vorreiter der globalen arbeitsteiligen Produktion, schon recht früh wurden die Zuschneide-, Färbe- und Näharbeiten ins Ausland ausgelagert. Zeitgleich hat sich auch das Kaufverhalten bei uns geändert. Derzeit kauft hier jede Person monatlich fünf neue Bekleidungsstücke in Form von Schuhen, Kleidung und modischen Accessoires. Das sind durchschnittlich rund 60 Bekleidungsstücke im Jahr. Dabei werden nur 40 Prozent dieser Kleidung überhaupt je getragen, der riesige Rest bleibt im Schrank hängen oder landet direkt in der Mülltonne, eben, weil Kleidung so billig ist.

Den Preis dafür zahlen die Arbeiterinnen in den Textilfabriken weit weg im globalen Süden mit unbezahlten Überstunden, Gesundheits- und Sicherheitsgefährdungen, Hungerlöhnen und immer öfter mit ihrem Leben. Die Entrüstung war auch bei uns zwar groß, als das Rana Plaza, ein baufälliges Gebäude der Textilindustrie in Bangladesch, im April 2013 einstürzte. Über 1.130 Menschen, vor allem Arbeiterinnen, hatten ihr Leben dabei verloren und über 2.400 wurden verletzt.

Für die Textilarbeiterinnen hat sich bis heute kaum etwas verändert, ebenso hat sich auch bei den Konsumenten der Textilbranche nichts geändert. Außer, dass die Diskussion um Billigprodukte in eine recht schrille Richtung läuft und die finanzkräftigeren Konsumenten meinen, dass Billigklamotten gleich Billigproduktion und teure Klamotten aus Gute-Arbeit-Produktion kommen. So, wie sie es von den Bio-Lebensmittelprodukten her kennen.

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Sie lassen sich von der Vorstellung leiten, dass die teuren Markenklamotten wirklich unter besseren Produktionsbedingungen hergestellt werden und fallen auf die undurchsichtigen Gütesiegel herein, die das Gewissen ein wenig beruhigen. Allerdings liegt der Anteil der „umweltfreundlichen“ Artikel in Deutschland bei zwei Prozent.

Werden teure Markenwaren tatsächlich unter besseren Bedingungen hergestellt? Halten die großen Modelabels im Hochpreissegment die Arbeitsstandards ein und werden den Arbeiterinnen existenzsichernde Löhne gezahlt?

Leider nein!

Die Kollektionen teurer Modelabels werden oft unter denselben prekären Bedingungen gefertigt, wie die der Textildiscounter.

► Die Produzenten

Das Beispiel Hugo Boss in Bangladesch

Es sehr schwierig, unter den rund 5.000 Textilfabriken in Bangladesch mit insgesamt vier bis fünf Millionen Beschäftigten, darunter 80 Prozent Frauen, diejenigen zu finden, die für Hugo Boss produzieren.

Sind die Fabriken ausfindig gemacht, kommt zutage, dass

  • die Beschäftigten unter den gleichen schlechten Arbeitsbedingungen wie auch Kolleginnen und Kollegen in anderen Fabriken leiden.
  • bei einem Boss-Zulieferunternehmen in Chittagong es für viele keine Arbeitsverträge gibt. Zudem sind sie ständig den Beschimpfungen ihrer Aufseher ausgesetzt.
  • ohne Vorankündigung werden die Näherinnen gezwungen, Überstunden zu leisten, was eine Planung des täglichen Lebens und der Erholungszeit unmöglich macht.
  • viele Fabriken Mängel in der Statik, Elektrik und beim Feuerschutz aufweisen. Einige mussten deshalb geschlossen werden. In dem Bericht über die Fabrik in Chittagong wird festgestellt, dass einige tragende Betonpfeiler dieser Fabrik nicht stark genug sind. Deshalb gab es die Empfehlung, Teile der Fabrik zu schließen.

Nach der Katastrophe von Rana Plaza wurde ein Gebäude- und Brandschutzabkommen (Accord on Fire and Building Safety) ins Leben gerufen, dem mittlerweile fast 200 Unternehmen hauptsächlich aus Europa beigetreten sind. Die Firma Hugo Boss hat es bis heute nicht unterzeichnet.

Das Beispiel H&M in Bangladesch

H&M macht viel Werbung mit nachhaltiger Produktion und fairer Arbeit, aber vor Ort ist die Situation so, dass

  • die Arbeitsbedingungen in ihren Produktionsstätten immer noch katastrophal sind: Bei zwölf untersuchten Fabriken, von denen fünf für H&M produzieren, fehlen schriftliche Arbeitsverträge.
  • nirgendwo es einen frei gewählten Betriebsrat gibt und der Mutterschaftsurlaub nicht korrekt gewährt wird.
  • im Vergleich zu Hugo Boss hat H&M wenigstens die Lieferantenliste veröffentlicht und der Konzern behauptet, dass seine Produzenten einen „fairen Lohn” zahlen. Was darunter zu verstehen ist, wird aber nicht gesagt.
  • sie angeben, dass die Näherinnen ihren Lohn selber bestimmen, doch scheinbar individuell, ohne Gewerkschaften und Tarifverträge.
  • H&M in acht Zulieferfabriken produzieren lässt, in denen Beschäftigte oder Gewerkschaftsmitglieder der "National Garment Workers Federation" (NGWF) Anfang 2017 entlassen wurden. Die Fabriken sind geschlossen worden. Der Gesamtbetriebsrat von H&M hat das Unternehmen deswegen in einem offenen Brief dazu aufgefordert, endlich ernsthaften Druck auf die Zulieferer auszuüben.

In Deutschland geht H&M gezielt gegen Betriebsräte vor. Das ist nicht verwunderlich, schließlich beruht das Geschäftsmodell auf den vielen Stundenjobberinnen, die oft vor Gericht klagen, um ihre verbrieften Rechte durchzusetzen. Drei Viertel der H&M-Mitarbeiterinnen sind in Teilzeit beschäftigt: Es ist billiger, Studentinnen mit Zehn-Stunden-Verträgen jobben zu lassen, als erfahrene Mitarbeiterinnen zu bezahlen.

Das Beispiel Primark in Bangladesch

Primark arbeitet vorrangig mit Strategien, die auf die Kurzlebigkeit ausgerichtet sind und setzt auf Wegwerfmentalität statt auf Nachhaltigkeit. Für den Primark-Erfolg ist ein entscheidender Aspekt verantwortlich, nämlich unser Konsumverhalten. Inzwischen kostet ein T-Shirt bei der Billigkette Primark weniger als eine Tasse Kaffee oder eine Busfahrt. Dadurch ist die Achtung vor der Arbeit einer Näherin völlig verloren gegangen.

Primark investiert kaum in Werbung, sondern erreicht sein bevorzugt weibliches Zielpublikum über die neue Medienszene und deren zehntausende Followerinnen, die mit einer Handvoll Einkaufsgutscheinen gelockt werden.

Bei den Näherinnen handelt es sich meist um bangladeschische Mädchen und Frauen, die

  • von den Hungerlöhnen ihre Familien durchbringen müssen.
  • nach zwölfstündiger Schinderei in den Slum zurückkehren.
  • unter den Auswirkungen der Chemikalien, mit denen produziert wird, unter anderem Weichmacher und giftige Bleichmittel, leiden, ebenso wie an der Qualität von Luft, Boden und Flüssen.
  • weder Krankengeld, Mutterschutz noch eine Altersvorsorge erhalten

und deren katastrophalen Produktionsbedingungen nur für einige Augenblicke die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit erreichen, so, als 2013 eine mangelhaft gebaute Textilfabrik in Sabhar / Bangladesch einstürzte, wobei mindestens 1.127 Näherinnen getötet wurden.

Auch die Arbeitsbedingungen für Primark-Angestellte hierzulande stehen in der Kritik. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sowie die Betriebsräte, die es in einigen Filialen immerhin gibt, wehren sich gegen die arbeitsrechtlich anfechtbare Kontrolle und Überwachung der Verkäuferinnen und gegen befristete Teilzeitverträge und die damit verbundene Jobunsicherheit. Zu Recht skandalisiert wird unter anderem die enge Zusammenarbeit mit dem Jobcenter, wobei Primark Langzeitarbeitslose rekrutiert, um sie mit staatlicher Förderung für sich schuften zu lassen.

► Untersuchungen und Zertifikate

Viele Unternehmen bekennen sich mittlerweile öffentlich zwar zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und haben Zulieferer zu bestimmten Standards verpflichtet, die sie in sogenannten Audits überprüfen lassen. Doch was ursprünglich ein Qualitätssiegel für die Unternehmen sein sollte, ist vor allem ein Millionengeschäft für die Prüfgesellschaften geworden.

Eine Fabrik im Rana Plaza wurde vor dem Einsturz vom TÜV Süd und TÜV Rheinland geprüft. Mal abgesehen von der Gebäudesicherheit, für die er, wie der TÜV immer betont, nicht zuständig war, erscheint das Audit absurd. Die Fabrik bekam die Gesamtnote „Verbesserungen nötig“, was in der Praxis heißt, dass es ein paar Verbesserungen bedarf. Doch sind die Verstöße aus Sicht der Auditoren nicht so gravierend, dass die Fabrik keine Aufträge erhalten soll.

Auch die Tazreen-Fabrik, bei der auch deutsche Einkäufer wie KiK und Lidl und internationale Unternehmen wie Walmart und C&A Auftraggeber sind, die im November 2012 abbrannte, wurde angeblich vorher von Auditoren geprüft. Im Feuer, beim Sprung aus dem brennenden Gebäude und später an den Folgen starben bis August 2014 insgesamt 125 Arbeiterinnen und 150 verletzten sich teils schwer. In der Fabrik fehlten die Notausgänge und Feuerleitern. Es ist fraglich, ob die Fabrik überhaupt überprüft wurde. Die Tazreen-Fabrik gehört zur Tuba-Gruppe, die sich im Besitz von Delwar Hossain Sayeedi, befindet. Er konnte sich auf Kaution mehrfach aus der Haft freikaufen, in dem er die Justiz erpresste. Er hielt drei Monatslöhne für 1.600 Arbeiterinnen zurück und wollte sie nur auszahlen, wenn er auf freien Fuß käme.

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Angeblich hat es keine Kinderarbeit und keine Zwangsarbeit in Bangladesch gegeben, doch die Realität mit erzwungenen Überstunden sagt etwas Anderes. Genauso wie die geleugnete Diskriminierung in den Fabriken, sie ist einfach Alltag für die Mädchen und Frauen. Auch soll es eine Vereinigungsfreiheit geben, doch haben die meisten Fabriken ein sogenanntes Participation Committee, aber dieses Gremium wird in der Regel nicht frei gewählt, sondern es wird durch das Management bestimmt.

Es ist ein Skandal, dass die Untersuchungen, die durchgeführt wurden, nicht öffentlich gemacht werden und eine Geheimsache zwischen Fabrikbesitzer, Einkäufer und Tester bleiben, von denen die Betroffenen, die Arbeiterinnen und ihre Gewerkschaften, nichts erfahren. Selbst wenn das Untersuchungsergebnis lautet „Verbesserungen nötig“,  kann jeder Fabrikbesitzer also weiterwursteln wie bisher.

Seit Jahren stagnieren bei uns die Preise für Textilien und billige Kleidung ist Normalität geworden. Anstatt Wegwerfmode zu kaufen gibt es mittlerweile einige wenige Siegel wie Fairtrade für Baumwolle oder "Global Organic Textile Standard" (GOTS) für Umweltstandards, die das Gewissen beruhigen helfen oder beim Kauf  Unternehmen bevorzugen, die der "Fair Wear Foundation" (FWF) - www.fairwear.org/ - beigetreten sind und die versprochen haben, die Arbeitsbedingungen in der Konfektion zu verbessern.

► Die Regierungen

Zum Jahresende 2016 sind 1.500 Textil-Arbeiterinnen in Ashulia, einem der großen ostbengalischen Textilzentren nahe der Hauptstadt Dhaka, entlassen worden. Die Gewerkschafter dort sprechen von über 3.500 Menschen, die es gewagt haben zu streiken. Sie streikten für eine Erhöhung des Mindestlohns, der etwa bei 80 Euro im Monat liegt. Die Unternehmen reagierten mit Flächenaussperrung. Obwohl die Streiks sich „nur“ von einem auf etwa 25 Betriebe ausgedehnt hatten, reagiert man mit Flächenaussperrung, es wurden 55 Betriebe geschlossen, weitere 30 weitere kündigten das an.

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Seit Jahren wird heftig reagiert, um jeden Widerstand gegen die Ausbeutung sofort zu brechen. Trotz wachsender weltweiter Solidarität, weitete die Regierung in Dhaka die repressiven Maßnahmen gegen die Arbeiterinnen der Textilindustrie weiter aus, mehrere Aktivisten wurden verhaftet. Die Regierung in Bangladesch ist auch deshalb nervös, weil laut Weltbank in den vergangenen Jahren die Marktanteile gegenüber der Konkurrenz aus Südostasien stark gesunken sind. Für die ökonomische Entwicklung des Landes ist das von besonderer Bedeutung, weil der Export von Kleidung und Schuhen aus den ca. 7.000 Textilfabriken rund 80 Prozent des Exportvolumens des Landes ausmacht.

Neben den einkaufenden Unternehmen hat auch die Regierung von Bangladesch eine Verantwortung. Sie muss die Arbeits- und Menschenrechte der Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie sowohl gemäß dem Arbeitsgesetz des eigenen Landes, als auch gemäß den Konventionen der "Internationalen Arbeitsorganisation" (IAO) schützen.

Auch die deutsche Bundesregierung versäumt es immer wieder, sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für den Schutz der Menschenrechte in Bangladesch einzusetzen. Sie sollte sich einmal mehr fragen, warum einem Land, das dermaßen brutal gegen Textilarbeiterinnen vorgeht, die nichts weiter fordern als Löhne, die zum Leben reichen, immer noch im Rahmen der EU- Bestimmungen wirtschaftliche Präferenzen zugesprochen bekommt.

► Die Konsumenten

Konzerne, die im globalisierten Kapitalismus im heftigen Konkurrenzkampf stehen, müssen auch um die Kunden kämpfen. Da reicht bisweilen reine Werbung nicht aus, sondern es muss auch noch ein Leitbild bzw. Lifestyle mitgeliefert werden. Während z.B. Adidas eine Markenkleidung mit Niveau sein soll, spielt z.B. Primark den Underdog der Branche, der angeprangert wird und „Kampagnen für Saubere Kleidung“ gestartet werden, wenn ein neuer Laden eröffnet werden. Da werden auch schon mal mit blutroter Farbe verschmierte T-Shirts in die Demo eingebracht oder wie in Wuppertal ein Bürgerbegehren gegen den Bau eines Kaufhauses der Kette vorgebracht.

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Der moralische Druck, nicht bei Primark zu kaufen, erinnert an das heute längst folklorisierte McDonald’s-Besuchsverbot und macht die Primark-Tüte nicht nur im gentrifizierten alternativen Stadtviertel zum Zeichen von Schuld. Trotz alldem kommt der Klamottenkonzern fast ganz ohne Werbung aus und verdient prächtig.

Trotz wachsender Kritik greift das Glücksversprechen von Primark, sich vom Partyoutfit bis zur Familienfeier von Kopf bis Fuß für 35 Euro einzukleiden. Weil das Top nur vier Euro kostet, schadet es kaum, wenn es bei längerem Betrachten doch nicht ganz so gut sitzt oder wenn eine Naht die nächste 40-Grad-Wäsche nicht übersteht. Auch sind die Primark-Tragetaschen bodenlos tief, es gibt in den Läden nur unzureichende Umkleidekabinen und die Botschaft heißt „Erst einkaufen, umtauschen geht immer“.

Umfragen bei Primark haben ergeben, dass ein bedeutender Anteil der gekauften Sachen nur für kurze Zeit oder gar nicht getragen wird. So wird den Käufern von Primarkklamotten immer wieder unterstellt, einem gierigen Kaufrausch zu unterliegen, bei dem jeder mitfühlende Gedanken an Mensch und Umwelt fehlt und der Erfolg des Konzerns hauptsächlich von jungen, modebewussten Taschengeldempfängerinnen getragen wird.

Doch ist es für einen immer größer werdenden Anteil der Bevölkerung immer schwieriger sich angemessen und modisch zu kleiden. Laut Marktforschung ist der durchschnittliche Billigmodekunde zwischen 15 bis 25 Jahre alt, stammt aus sogenannten bildungsfernen Schichten und hat nur wenig Geld zur Verfügung. Doch mittlerweile füllen, neben Teenies auch Rentnerpärchen, Auszubildende, Hartz-IV-Familien und viele Migrantinnen die Läden. So kann bei Primark eine Illusion von kapitalistischer Menschenwürde, das heißt ganz normalen Konsummöglichkeiten, entstehen. Natürlich ist dies eben nur eine Illusion. Aber sich „gut“ zu kleiden, ist unverzichtbar, will man noch irgendwie dazugehören, irgendeine Chance des gesellschaftlichen Aufstiegs ergreifen und sei es fürs Vorstellungsgespräch beim 450- Euro-Job.

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Primark hat ja schon mit ihren Billigklamotten die gesellschaftliche Funktion übernommen, dafür Sorge zu tragen, diejenigen, die sich fast nichts leisten können, nicht wie das Lumpenproletariat aussehen zu lassen. Auch dass Kleidung im gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustand eine Möglichkeit bietet, eigenen Geschmack und damit Individualität auszudrücken, ist jedem bekannt.

Die Verteufelung von Primark scheint nicht nur mit dem Stigma der armen Kundinnen zu tun haben. Anders als z.B. H&M, vertreibt Primark keine Öko-Linie und hat sich nicht an Kampagnen gegen Kinderarbeit beteiligt. Primark scheint es gar nicht nötig zu haben, mit einer positiven Öffentlichkeitsarbeit zu glänzen, ihr sichtbarer Kapitalismus hat zur rasante Umsatzsteigerung in Deutschland, allein von 2012 auf 2013 um 22 Prozent, geführt.

Die Missstände bei Primark rechtfertigen die scharfe Kritik an der Klamottenkette ohne Frage. Doch inwieweit wird nur Primark mit so einer scharfen Kritik überzogen?

Eigentlich nimmt Primark nur eine Stellvertreterfunktion für die Klamottenindustrie ein, an dem man sich gut reiben und vieles festmachen kann. Auch sind kritischer Konsum und Boykotte immer geeignete politische Mittel, um den Konzernen gesellschaftliche Verantwortung aufzuzwingen. Ohne aber die menschenverachtenden Produktionsverhältnisse in der Klamottenbranche zu thematisieren, wird sich nichts ändern.

Laurenz Nurk, Dortmund (Quellen: Koschka Linkerhand, Gisela Burckhardt, konkret, lunapark 21, rise, femnet e.V)

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Bitte die 3 nachfolgenden Dokumentationen anschauen!

► Die billige Welt von H&M (Dauer 28:37 Min.)

H&M ist ein Gigant in der Textilindustrie. Das Erfolgsprinzip der Schweden: Modische Kleidung zu kleinen Preisen. Doch wie sozial kann H&M bei diesen Niedrigstpreisen tatsächlich produzieren? . . Seit dem Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes im April 2013 mit mehr als tausend Toten in Bangladesch haben viele der großen Ketten versprochen, auf mehr Sicherheit in den Fabriken zu achten. Unterstützt wurde dies auch von H&M. Der Film macht eine Reise von Europa über Asien bis nach Afrika und versucht zu zeigen, was sich hinter den Kulissen der Zulieferer verbirgt. Die Autoren stellen auch die Frage nach der Verantwortung des Auftraggebers H&M.

► Fast fashion - The shady world of cheap clothing | DW Documentary (Dauer 42:26 Min.)

Fast Fashion hat die Textilindustrie radikal verändert. Heutzutage werden jedes Jahr 56 Millionen Tonnen Kleidung verkauft. Doch billige Kleidung hat einen hohen Preis: Eine prekäre Existenz für die Arbeiter und katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt.

Die Bekleidungsindustrie überschwemmt derzeit den Planeten mit Kleidungsstücken. Mit 100 Milliarden produzierten Kleidungsstücken pro Jahr ist das mehr als je zuvor. Internationale Unternehmen befinden sich in einem ständigen Wettlauf um neue Stile und höhere Gewinne.  Und diese gigantische Expansion wird sich fortsetzen: Prognosen zufolge wird der Sektor bis 2030 um 60 Prozent wachsen.

Auf der einen Seite bedeutet Fast Fashion erschwingliche Kleidung für alle. Zara ist als die ursprüngliche Fast-Fashion-Marke bekannt. Der spanische Bekleidungsriese kreiert jedes Jahr 65.000 neue Modelle.

Das Einkaufen von Kleidung ist zu einer regelrechten Freizeitbeschäftigung geworden, die durch die sozialen Medien angeheizt wird: Die Hälfte aller Instagram-Posts hat mit Mode und Schönheit zu tun. Auf diese Weise beeinflussen die Marktführer der Fast Fashion das Kaufverhalten ihrer Kunden, unterstützt von einschlägigen Neuromarketing-Spezialisten.

Fast Fashion profitiert vom E-Commerce. Kein Anprobieren mehr im Laden, der Kunde bestellt online und lässt sich das Kleidungsstück liefern - und wenn es ihm nicht gefällt, schickt er es einfach zurück. Weggeworfene Kleidung und weggeworfene Arbeit: ausgeführt von einem Heer von Kurieren in der prekären Gig-Economy.

Die Textilindustrie ist der Sektor mit dem zweithöchsten ökologischen Preisschild der Welt. Das Lieblingsmaterial der Fast Fashion-Hersteller - Viskose aus Holzfasern - wird als klimafreundliche Alternative angepriesen. Bei der Herstellung dieses Stoffes wird jedoch eine ganze Reihe von Chemikalien eingesetzt. Dies führt zu ernsten gesundheitlichen Problemen, nicht nur für die Arbeiter in den Fabriken, sondern auch für die Anwohner, zum Beispiel im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh.

Jedes Jahr landen in Europa vier Millionen Tonnen Kleidung auf dem Müll. Weniger als ein Prozent davon wird recycelt. Die Modeindustrie brüstet sich gerne mit ihrer Nachhaltigkeit, doch die Realität sieht ganz anders aus.

► Counting the Cost - Bangladesh: The cost of fashion (Dauer 25:00 Min.)


► Quelle: Erstveröffentlicht am 24.02.2017 auf gewerkschaftsforum-do.de > Artikel. Die Texte (nicht aber Grafiken und Bilder) auf gewerkschaftsforum-do.de unterliegen der Creative Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 3.0 DE), soweit nicht anders vermerkt.

► Bild- und Grafikquellen:

1. A clothing textile garment factory / assembly line in Banglades. Foto: Tareq Salahuddin from Dhaka, Bangladesh. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 2.0 generisch“ (US-amerikanisch) lizenziert.

2. Beim Gebäudeeinsturz in Sabhar etwa 25 km nordwestlich der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch am 24. April 2013 wurden 1127 Menschen getötet und 2438 verletzt. Der Unfall ist der schwerste Fabrikunfall in der Geschichte des Landes.  Das Rana Plaza, ein achtgeschossiges Gebäude in Stahlbetonskelettbauweise, gehörte dem bangladeschischen Politiker Sohel Rana. Im Gebäude waren mehrere Textilfirmen, Geschäfte sowie eine Bank untergebracht. Foto: rijans. Quelle: Wikimedia Commons (Das Foto ist nicht mehr verfügbar). Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 generisch“ (US-amerikanisch) lizenziert.  

3. Armenviertel in Bangladesch, die Meschen leben z.T. neben den Eisenbahnschienen. Bangladesch in Südasien grenzt im Süden an den Golf von Bengalen, im Südosten an Myanmar und wird sonst von den indischen Bundesstaaten Meghalaya, Tripura, Westbengalen, Mizoram und Assam umschlossen. Derzeit leben in Bangladesch ca. 158.000 Menschen, viele davon in bitterster Armut. Foto: Abir Abdullah / Asian Development Bank (ADB). Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

4. Klamottenproduktion in einer der vielen Fabriken. Bei den Näherinnen handelt es sich meist um bangladeschische Mädchen und Frauen, die von den Hungerlöhnen ihre Familien durchbringen müssen, nach zwölfstündiger Schinderei in den Slum zurückkehren und unter den Auswirkungen der Chemikalien, mit denen produziert wird, unter anderem Weichmacher und giftige Bleichmittel, leiden, ebenso wie an der Qualität von Luft, Boden und Flüssen. Foto: NYU Stern BHR. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

5. Businesses in Bangladesh: Workers in the Wool Tex Sweaters Limited in Shewrapara, Dhaka. Foto: Asian Development Bank. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

6. Todesfabriken auch in Sri Lanka. Garment factory, Sri Lanka: Workers at their stations on the garment production line. Foto: © ILO / M.Crozet - ILO in Asia and the Pacific. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

7. Ausbeutung zur Befriedigung des Massenkonsums: Menschenunwürdige und nicht selten tödlich endende Arbeitsbedingungen in Ländern wie Bangladesch, Indien, Pakistan etc. Foto: Asian Development Bank. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).