Deutsche Klassenjustiz: Milde Urteile im Cum-Ex-Prozess

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Deutsche Klassenjustiz: Milde Urteile im Cum-Ex-Prozess
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Deutsche Klassenjustiz:

Milde Urteile im Cum-Ex-Prozess

Von Gustav Kemper und Peter Schwarz

Das Bonner Landgericht hat am 18. März das erste Urteil im Cum-Ex-Skandal gefällt. Zwei britische Aktienhändler wurden wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 447,5 Millionen Euro zu milden Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Sie und die Hamburger Privatbank M.M. Warburg & Co., für die sie gearbeitet hatten, müssen außerdem einen Teil des erschwindelten Geldes zurückzahlen. Die Warburg-Bank hat dagegen bereits Revision eingelegt.

Justitia-Justiz-Gerechtigkeit-Gewaltenteilung-Justizapparat-Rechtsstaat-Rechtsstaatlichkeit-Rechtstreue-Rechtswesen-Richteraemter-Kritisches-Netzwerk-BundesverfassungsgerichtDer Cum-Ex-Skandal und das Bonner Urteil sind symptomatisch für die kriminelle Energie, mit der Banken und Spekulanten ihren Reichtum mehren, und für die Nachsicht und Unterstützung, die sie dabei von der Regierung, den Finanzbehörden und der Justiz erhalten.

Allein zwischen 1999 und 2012 haben Aktienhändler den deutschen Fiskus um schätzungsweise 32 Milliarden Euro betrogen, indem sie sich einmal bezahlte Steuern mehrmals zurückerstatten ließen. Die Praxis geht bis in die 1970er Jahr zurück. Dabei wechselten Aktien um den Tag der Gewinnausschüttung herum in kürzester Zeit mehrmals den Besitzer und wurden über Grenzen hin- und hergeschoben, so dass die Finanzämter hinterher nicht mehr feststellen konnten, wer gewinnberechtigt war (Cum), und wer nicht (Ex). Anschließend forderten mehrere Besitzer die nur einmal abgeführte Kapitalertragssteuer von den Finanzämtern zurück. Auch der französische Fiskus wurde auf diese Weise um 17, der italienische um 4,5 und der dänische um 1,7 Milliarden Euro betrogen.

Beteiligt war die Crême de la Crême der Finanzindustrie, d.h. alle bekannten Großbanken, auch Landesbanken oder Banken, die zum Teil in Staatseigentum sind, wie die Deka Bank, auf Finanzwirtschaft spezialisierte Anwaltsbüros, Steuerberater, Pensionsfonds und Privatanleger. Hunderte wussten Bescheid und wirkten mit. Nach dem ersten Urteil des Bonner Landgerichts werden jetzt weitere Gerichtsverfahren gegen mehr als 600 private oder institutionelle Investoren angestrengt.

Auch Politik und Behörden waren eingebunden. Die Finanzminister in Bund und Ländern drückten beide Augen zu, wenn Whistleblower vor den kriminellen Machenschaften warnten. Bezahlte Lobbyisten der Finanzindustrie arbeiteten die Gesetze aus, deren Schlupflöcher den Betrug ermöglichten. „Die Lobbyisten schrieben einen Gesetzentwurf, der anschließend eins zu eins in Kraft trat“, berichtete das TV-Magazin Panorama im Oktober 2018.

Erst als 2011 ein amerikanischer Ein-Mann-Pensionsfonds vom Finanzamt Köln eine Steuerrückzahlung in Höhe von 54 Millionen Euro forderte, ließ sich der Raubzug nicht mehr vertuschen. Die Zeitungen berichteten von so vielen dubiosen Cum/Ex-Geschäften, dass die Finanzämter neues Personal zur Bearbeitung einstellen mussten.

Nun konzentrierte sich die Politik darauf, den Banken möglichst billig aus der Patsche zu helfen. So berieten Olaf Scholz (SPD) – damals Hamburger Bürgermeister und inzwischen Bundesfinanzminister – und sein Nachfolger Peter Tschentscher die Warburg-Bank. 2016 versäumten sie es, zu Unrecht erstattete 46,8 Millionen Euro von der Bank zurückzufordern, was daraufhin verjährte. Noch im vergangenen Jahr schlossen sie mit der Bank einen Vergleich ab, der sie mit der Zahlung eines Bruchteils der geraubten Summe davonkommen lassen sollte.

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Auch die Deutsche Bank zahlte 2018 vorsorglich 4 Millionen Euro an das Frankfurter Finanzamt, um sich gegen Schadenersatzforderungen und Strafverfolgung abzusichern.

Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags kam zu keiner gemeinsamen Einschätzung. Man einigte sich zwar, dass die Steuerrückforderungen illegal waren, doch die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD bestritten ein Versagen der Finanzverwaltung, um Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nicht in Verlegenheit zu bringen.

Dabei belegt der 830 Seiten lange Bericht, den der Ausschuss im Sommer 2017 nach einjähriger Arbeit vorlegte, anschaulich die kriminelle Energie der Banken und die Komplizenschaft der Behörden. So schildert der Sachverständige Helmut Lotzgeselle (Vorsitzender Richter am Hessischen Finanzgericht), dass es eindeutig Absprachen zwischen den Beteiligten gegeben habe. Ein anderer Sachverständiger erklärt, dass ein solches Geschäft völlig unsinnig gewesen wäre, hätte man sich nicht die doppelt erstattete Steuerrückzahlung geteilt. Die Geschäfte wurden von den Akteuren über Jahrzehnte mit wachsendem Nachdruck ganz bewusst geplant.

Seit Ende der 1970er Jahre gab es Briefwechsel zwischen Vorständen der verschiedenen Verbände der Bankenbranche und den politisch Verantwortlichen in den Ministerien, doch niemand beendete die kriminellen Machenschaften. Im Untersuchungsbericht wird nachgewiesen, dass die Bundesfinanzminister zwischen den Jahren 1999 und 2017 – Hans Eichel (SPD), Peer Steinbrück (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) – über das Problem informiert waren.

In juristischen Kreisen wurde jahrzehntelang darüber gestritten, ob es sich bei diesem Steuerbetrug überhaupt um eine Straftat oder ein „steuerlich unzulässiges Dividendenstripping“ handele. Vom Auffliegen des Cum-Ex-Skandals bis zum ersten Gerichtsurteil vergingen volle acht Jahre. Viele Straftaten drohen inzwischen zu verjähren.

Das Bonner Urteil erging nur, weil das Gericht das Verfahren gegen vier weitere Finanzinstitute in letzter Minute ausgliederte, um noch vor der Schließung des Gerichts wegen der Corona-Epidemie ein Urteil verkünden zu können. Sonst hätte der Prozess möglicherweise neu aufgerollt werden müssen.

Betrachtet man das Ausmaß des angerichteten Schadens – 450 Millionen im verhandelten Fall und 32 Milliarden Euro insgesamt –, dann ist das Urteil lächerlich. Im vergangenen Jahr saßen 913 Menschen in Berliner Gefängnissen, weil sie eine Geldstrafe nicht zahlen konnten, die meisten wegen „Erschleichens von Leistungen“, d.h. wegen mehrmaligen Schwarzfahrens. Weil sie die BVG um 2,90 Euro geprellt und die 60 Euro Strafe nicht bezahlen konnten, mussten sie hinter Gitter.

Die Aktienhändler Martin S. und Nicholas D. wurden dagegen zu einem Jahr und 10 Monaten, bzw. zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Obwohl sie die Staatskasse um 450 Millionen Euro erleichtert haben, müssen sie nicht hinter Gitter. Das Gericht begründete seine Milde damit, dass die beiden ausführlich ausgesagt und sich gewissermaßen als Kronzeugen zur Verfügung gestellt hätten. Doch das macht die Sache nicht besser. Die Warburg Bank, die ausschließlich Privatvermögen von Reichen betreut, kommt mit der Rückzahlung von 176 Millionen Euro in die Staatskasse davon. Verantwortliche Manager der Bank wurden nicht belangt.

So sieht Klassenjustiz in Deutschland aus.

Gustav Kemper und Peter Schwarz


► Quelle: WSWS.org > WSWS.org/de >> Erstveröffentlicht am 26. März 2020 >> Artikel. Dank an Redakteur Ludwig Niethammer für die Freigabe zur Veröffentlichung. ACHTUNG: Die Bilder und Grafiken sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten folgende Kriterien oder Lizenzen, siehe weiter unten. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt.

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1. Justitia ist die Göttin der Gerechtigkeit. Die drei Attribute Augenbinde, Waage und Richtschwert sollen somit verdeutlichen, dass das Recht ohne Ansehen der Person (Augenbinde), nach sorgfältiger Abwägung der Sachlage (Waage) gesprochen und schließlich mit der nötigen Härte (Richtschwert) durchgesetzt wird.

Deutsche Klassenjustiz: Milde Urteile im Cum-Ex-Prozess. Das Bonner Landgericht hat am 18. März das erste Urteil im Cum-Ex-Skandal gefällt. Zwei britische Aktienhändler wurden wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 447,5 Millionen Euro zu milden Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Foto: OpenClipart-Vectors. Quelle: Pixabay. Freie kommerzielle Nutzung. Kein Bildnachweis nötig. Pixabay Lizenz. >> Grafik.

2. Olaf Scholz (*14. Juni 1958 in Osnabrück) ist seit 1975 Mitglied der SPD. Während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders (1998 bis 2005) setzte er sich für dessen Reformpolitik ein und wurde dem Kreis der „Schröderianer“ zugerechnet. Als Arbeitsminister in der großen Koalition 2005–2009 maßgeblich mit, die Rente mit 67 durchzusetzen.

Seit dem 14. März 2018 ist Olaf Scholz Bundesminister der Finanzen und Stellvertreter der Bundeskanzlerin. Wenige Tage nach seiner eigenen Ernennung zum Bundesfinanzminister hat Scholz den Deutschlandchef der US-Großbank Goldman Sachs, Jörg Kukies, zu einem seiner Staatssekretäre ernannt. Foto: fsHH / Franz, Hamburg. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

3. Wolfgang Schäuble (* 18. September 1942 in Freiburg im Breisgau) ist CDU-Politiker und seit 2017 Präsident des Deutschen Bundestages. Von 1984 bis 1991 und von 2005 bis 2017 gehörte er der Bundesregierung an, unter anderem als Innen- und Finanzminister. Foto: Metropolico.org. Quelle: Flickr.(Bild nicht mehr verfügbar). Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0). Violette Einfärbung des Bildes: Wilfried Kahrs (WiKa). Lizenz behält ihre Gültigkeit!