Die Entführung von Abdullah Öcalan: Was für eine Rolle spielten die USA, D und GB?

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Die Entführung von Abdullah Öcalan: Was für eine Rolle spielten die USA, D und GB?
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Die Entführung von Abdullah Öcalan

Was für eine Rolle spielten die USA, Deutschland und Großbritannien?

Der Kolumnist Ferda Çetin erinnert an die Unterstützer des intern. Komplotts, das vor 19 Jahren seinen Anfang nahm

abdullah_oecalan_freiheit_freedom_arbeiterpartei_kurdistans_pkk_demokratischer_konfoederalismus_kurdistan_imrali_island_recep_tayyip_erdogan_tuerkei_turkey_kritisches_netzwerk.jpg Die kurdische Gesellschaft bezeichnet die Phase vom 9. Oktober 1998 bis zum 16. Februar 1999 als das „internationale Komplott”. Binnen dieser Zeitspanne wurde Abdullah Öcalan zunächst in Syrien zur persona non grata erklärt, durchlebte anschließend eine Odyssee durch verschiedene Länder Europas, um schließlich in der kenianischen Hauptstadt Nairobi entführt und an die Türkei ausgeliefert zu werden.

An dieser langatmigen Operation gegen einen der bedeutendsten Führungspersönlichkeiten der Kurden waren zahlreiche internationale Unterstützer beteiligt. Doch heute können wir sagen, dass das internationale Komplott ihr eigentliches Ziel nicht erreicht hat. Die kurdische Freiheitsbewegung ist weiter gewachsen, ihr Kampf hält weiterhin an. Die von der kurdischen Gesellschaft jedes Jahr organisierten Protestaktionen verhindern, dass das Komplott, an dem die USA und Europa mitschuldig sind, vergessen wird.

Abdullah Öcalan wurde direkt nach seiner Landung auf dem Flughafen von Rom am 12. Nov. 1998 festgenommen. Die italienischen Gerichte stützten ihre Festnahme auf die Entscheidung der Bundesstaatsanwaltschaft in Karlsruhe vom 12. Januar 1990 mit der Nummer 1 BSJ 195/ 88-3 BGS 9/90. Deutschland hatte im selben Jahr diese Entscheidung an Interpol und Interpol im Juni 1990 an alle Länder weitergeleitet.

Öcalan sollte nach dieser Entscheidung entweder in Italien verurteilt oder nach Deutschland ausgeliefert werden. Jede der Möglichkeiten hätte ein langes Gerichtsverfahren nach sich gezogen. Je nach dem, wo es zum Verfahren gekommen wäre, hätten Italien oder Deutschland für die Sicherheit des „Angeklagten” Öcalan sorgen und die Wahrung seiner nach der Europäischen Menschenrechts garantierten Rechte garantieren müssen.

Deutschland und Italien waren somit in dieses Problem in direkter Weise involviert. Am 16. November 1998 ist der damalige Kanzler Schröder mit seinem italienischen Amtskollegen Massimo D’Alema in Bonn zusammengekommen. Auf dem Treffen wurde über die Haltung Europas gegenüber der kurdischen Frage und Öcalan diskutiert. In der Erklärung nach dem Treffen wurde verkündet, dass Europa sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage in Bewegung setzen und die Außenministerien beider Länder in diesem Sinne arbeiten werden.

Der Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye erklärte am 20. November 1998, dass die von der Bundesstaatsanwaltschaft am 12. Januar 1990 erlassene und an Interpol weitergeleitete Entscheidung zur Festnahme Öcalans aufgehoben sei. Ohne Zweifel war dies keine juristische Entscheidung, sondern eine Entscheidung des deutschen politischen Willens. Somit wurde der  Weg für eine Ausreise Öcalans aus Italien geebnet. Deutschland und Italien waren von der Verantwortung befreit, Öcalan unter Beobachtung zu halten und ein Gerichtsverfahren gegen ihn einzuleiten.

Die USA war äußerst beunruhigt von der Friedensinitiative Europas gegenüber der kurdischen Frage. So forderte am 28. November 1998 der nationaler Sicherheitsberater der USA Samuel "Sandy" R. Berger, dass Öcalan der Türkei ausgeliefert und ihm dort der Prozess entsprechend türkischen Rechts gemacht werden solle. Italien gegenüber erhob er schwere Anschuldigungen.

Ein Tag nach dieser Erklärung der USA sind die Außenminister Italiens und Deutschlands, Lamberto Dini und Joschka Fischer, am 29. November 1998 in Rom zusammengekommen. Beide Minister erklärten, dass sie die Arbeiten zur „europäischen Lösungsinitiative der kurdischen Frage” begonnen hätten. Sie teilten beide die Meinung, dass für Öcalan ein internationales Gericht auf die Beine gestellt werden müsse. Kommissionen bestehend aus Experten aus beiden Ländern hätten Arbeiten begonnen, um innerhalb einer Woche das Gericht ins Leben zu rufen und die nachfolgenden Schritte festzulegen.

Am 3. Dezember 1998 ist der Ministerrat der "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE) zusammengekommen. Nach der Versammlung trat der deutsche Außenminister Fischer vor die Presse und erklärte nun plötzlich: „Italien und Deutschland können beim Thema Öcalan kein internationales Gericht einberufen.” Deutschland hatte also innerhalb einer Woche die Idee eines internationalen Gerichts verworfen.

Der italienische Ministerpräsident Massimo D’Alema ist nach dieser Positionsänderung Deutschlands auf Großbritannien zugegangen. Dazu hat er seinen britischen Berater Philip Robins am 7. Dezember 1998 nach London zu einem Treffen mit dem Ministerpräsidenten Tony Blair geschickt. Blair und andere britische Verantwortliche erklärten Robins mit einer klaren Sprache, dass Europa Öcalan nicht akzeptieren werde und sie für keine Initiative zu einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage bereit seien.

Mit diesen Gesprächen hatten Deutschland und Großbritannien offen verkündet, dass sie nicht unabhängig von den USA handeln und keine Rolle für einen politischen Lösungsweg der kurdischen Frage übernehmen werden. Die USA, Großbritannien und Deutschland haben anstelle einer Lösung der kurdischen Frage mit friedlichen und politischen Methoden, die militärischen Methoden des türkischen Staates, die sich auf Verleugnung und Vernichtung stützen, bevorzugt.

Zwei Monate nach dem Komplott hat das internationale strategische Forschungszentrum in Großbritannien einen Bericht veröffentlicht. In dem Bericht hieß es, dass nach der Auslieferung Öcalans an die Türkei die Organisationsleitung der PKK eine Spaltung erleben werde, die Organisation deshalb nicht mehr geführt könne und zusammenbrechen werde. Später werde die gesellschaftliche Organisierung in Kurdistan ohne Führung und Leitung zusammenbrechen. Zuletzt, so heißt es im Bericht, werden die in den letzten 20 Jahren von der kurdischen Gesellschaft mit viel Mühe und Arbeit aufgebauten legalen Institutionen, Vereine, Stiftungen und Büros geschlossen werden und das „System” der Kurden, als organisierteste Bevölkerung ohne eigenen Staat, werde sich auflösen.

Der Organisierungsgrad der PKK und der kurdischen Gesellschaft wächst bis in unsere Gegenwart mit jedem Tag allerdings weiter an. Am 19. Jahrestag des internationalen Komplotts dauert der Freiheitskampf der kurdischen Gesellschaft in den Bergen, Gefängnissen, Städten und Plätzen mit voller Begeisterung an. Das internationale Komplott hat also sein Ziel verfehlt.

Ferda Çetin

abdullah_oecalan_zivilisation_und_wahrheiten_maskierte_goetter_und_verhuellte_koenige_manifest_der_demokratischen_zivilisation_kritisches_netzwerk_rojava_david_graeber_reimar_heider.jpg         Anja_Flach_Ercan_Ayboga_Michael_Knapp_Revolution_in_Rojava_Frauenbewegung_TATORT_Kurdistan_Kobane_Kobani_PKK_Rosa_Luxemburg_Stiftung_Peschmerga_Abdullah_Oecalan_PYD_YPG.jpg         TATORT_Kurdistan_Demokratische_Autonomie_in_Nordkurdistan_Raaetebewegung_Geschlechterbefreiung_Oekologie_in_der_Praxis_Demokratischer_Konfoederalismus_Mesopotamien_Verlag_Oecalan.jpg



► Quelle: Die Kolumne erschien im Original am 09.10.2017 unter dem Titel “ABD, Almanya ve İngiltere 9 Ekim komplosunun neresindeydi?” in der Tageszeitung Yeni Özgür Politika. Die dt.-sprache Version erschien am 11.10.2017 bei Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. - weiter.

Über Civaka Azad:

Seit Jahrzehnten gibt es in Kurdistan einen Krieg gegen das kurdische Volk. Dabei ist die Forderung der Kurden ausschließlich die Anerkennung ihrer Identität und ihrer Rechte. Allerdings ist diese Forderung Grund genug für die Regierungen der Staaten Türkei, Iran, Irak und Syrien, in denen die Kurden leben, um sie aufs Bitterste bekämpft. Und es ist ein Krieg, der in der Weltöffentlichkeit mehrheitlich keine Beachtung findet.

Das ermutigt die Staaten bei Gelegenheit auch auf eine „schmutzige Kriegsführung“ zurückzugreifen. So werden sowohl zivile Opfer billigend in Kauf genommen, als auch Waffen eingesetzt, die nach Genfer Kriegskonvention geächtet sind. Die Schaffung von Öffentlichkeit und ihre Sensibilisierung für die Geschehnisse in Kurdistan können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, diesen Krieg einzudämmen und mittelfristig den Weg für eine friedliche Lösung zu ebnen. Hierzu möchten wir als Civaka Azad unseren Beitrag leisten.

„Only bad news, are good news“, so lautet die Maxime vieler Mainstream Medien hierzulande. Die Ereignisse aus Kurdistan werden, wenn überhaupt, nur einseitig mit dem Fokus auf den Krieg beleuchtet. Allerdings werden in Kurdistan seit Jahren trotz permanenten Kriegszustands auch Projekte für eine kommunale Selbstverwaltung und zivilgesellschaftliche Organisierung der Bevölkerung vorangetrieben. Die Menschen fangen an die Probleme ihrer Region basisdemokratisch selbst zu lösen. Es keimt ein freiheitliches, demokratisches, ökologisches und geschlechterbefreiendes Bewusstsein in der Bevölkerung auf.

Mit diesem Bewusstsein und den fortschrittlichen Projekten bauen die Menschen aus Kurdistan ihre Civaka Azad – ihre freie Gesellschaft – gegen die permanenten Repressalien durch die jeweiligen Staatsapparate auf. Auch diesbezüglich haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, diese Projekte in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen, um sowohl einen Schutz vor Repressalien zu bilden als auch Interessierten einen Einblick in das Projekt der Demokratischen Autonomie zu gewähren.

 - bitte hier weiterlesen

Bild- und Grafikquellen:

1. Wandgraffito: Freiheit für Abdullah Öcalan. Seit dem 15. Februar 1999 sitzt Öcalan Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft. In der Türkei gilt er als „Top-Terrorist“. Die rechtsextreme Partei der Grauen Wölfe, ( Milliyetçi Hareket Partisi  / MHP), wünscht sich nach wie vor, dass die Todesstrafe gegen ihn angewandt wird. Ein Grund, warum sie die "Adalet ve Kalkınma Partis" (AKP) bei der Umwandlung der Türkei in eine Präsidialdiktatur im vergangenen April tatkräftig unterstützte. Quelle: Webseite Art for Öclan >> http://art-for-ocalan.org/ .

2. Wandplakat: Kriegsverbrecher Georg W. Bush und Tony Blair. Foto: Fabio Venni, Firenze / Italia. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).

3. Buchcover: "Zivilisation und Wahrheiten. Maskierte Götter und verhüllte Könige. Manifest der demokratischen Zivilisation - Band 1." von Abdullah Öcalan. 1. Auflage März 2017. Taschenbuch-Ausgabe 320 Seiten, 978-3-945326-49-7. Als gebundene Ausgabe ISBN 978-3-945326-48-0. Erschienen in der "International Initiative Köln" www.ocalan-books.com in Zusammenarbeit mit Mezopotamien Verlags GmbH, Neuss. www.pirtuk.info . Vorwort von David Graeber. Übersetzer: Reimar Heider.

Öcalan kritisiert nicht nur den Kapitalismus, sondern weitet den Blick auf die zugrunde liegenden Strukturen der Zivilisation. Indem er die Methoden zum Verständnis von Gesellschaft, Wissen und Macht hinterfragt, bereitet er einer Soziologie der Freiheit den Boden. In diesem ersten Band des »Manifests der demokratischen Zivilisation« reflektiert Abdullah Öcalan seine Erkenntnisse aus 35 Jahren revolutionärer Theorie und Praxis und 10 Jahren Isolationshaft auf einer türkischen Gefängnisinsel. >> REZENSION VON HARRY Popow - weiter.

Abdullah Öcalan - Zivilisation und Wahrheiten. Manifest der demokratischen Zivilisation - komplettes Vorwort von David Graeber - weiter.

Abdullah Öcalan - Zivilisation und Wahrheiten. Manifest der demokratischen Zivilisation - längere Leseprobe von STÊRKA CIWAN - weiter.

4. Buchcover "Revolution in Rojava - Frauenbewegung und Kommunalismus zwischen Krieg und Embargo" von Anja Flach / Ercan Ayboğa / Michael Knapp. Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit der Kampagne TATORT Kurdistan. 352 Seiten | EUR 19.80 | VSA Verlag (Link zum Buch)| ISBN 978-3-89965-658-9 Bestellungen bitte direkt an: tatortkurdistanhh@googlemail.com.

5. Buchcover "Demokratische Autonomie in Nordkurdistan. Rätebewegung, Geschlechterbefreiung und Ökologie in der Praxis". Eine Erkundungsreise in den Südosten der Türkei, herausgegeben von TATORT Kurdistan. Als eigenen Beitrag zur friedlichen Lösung der kurdischen Frage hat die kurdische Freiheitsbewegung in der Türkei ein alternatives Gesellschaftsmodell entwickelt: die Demokratische Autonomie.

Unter schwierigsten Bedingungen gelingt es der Bewegung in Nordkurdistan seit 2005, Strukturen für den Aufbau einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft zu schaffen. Ihren Kern bildet ein Rätesystem, in dem sich die Bevölkerung in den Dörfern, Straßenzügen, Stadtvierteln und Stadträten basisdemokratisch organisiert. Diese Strukturen ermöglichen zwar noch keine autonome Lebensform jenseits der bestehenden staatlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, aber sie stellen bereits heute eine relevante zivilgesellschaftliche Gegenmacht dar.

Der radikal-demokratische Aufbruch der Kurdinnen und Kurden bietet so auch eine Inspiration für die Neugestaltung von Gesellschaften im Mittleren Osten und darüber hinaus. Die in dieser Broschüre dokumentierten Interviews bieten einen ersten Einblick in die konkrete Umsetzung einer linken Utopie. Weiter Infos unter: http://demokratischeautonomie.blogsport.eu/ . Zu bestellen bei ISKU unter: isku@nadir.org .

6. Mit der Erweiterung der Verbotsliste durch das Bundesinnenministerium übernimmt Deutschland die Standards der türkischen Regierung, die in ihrem Hass auf die kurdische Befreiungsbewegung die Demokratie abschafft. Die politische Identität von etwa 800.000 in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden wird direkt angegriffen und grundgesetzlich geschützte Rechte, wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, werden weitgehend ausgehebelt. Bildquellen: arab.blogsport.de/ und  Chivaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e. V.