Ein Staat gibt seine Tarnung auf: Der äußere Feind wird immer wichtiger

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Ulrich Gellermann
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Verbunden: 22.03.2013 - 15:43
Ein Staat gibt seine Tarnung auf: Der äußere Feind wird immer wichtiger
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Ein Staat gibt seine Tarnung auf

Der äußere Feind wird immer wichtiger

Anders als die Getöse-Debatten der politischen Rechten vermuten lassen, findet die Auflösung des deutschen Staates weniger an seinen Grenzen statt. Auch wenn die Grenzen des Nationalstaates Teil seiner Legitimation und seines Handelns sind. Doch wer zur Zeit die Auseinandersetzung der EU-Staaten und ihres Führungslandes Deutschland mit den Trump-USA um die Zollgrenzen erlebt, der weiß, dass die von den Libertären gepredigte grenzenlose Freiheit in der Pornoindustrie ganz gut läuft, aber ansonsten zur Zeit drastisch ihre Grenzen findet.

jens_hanefeld_cheflobbyist_lobbyist_lobbyjob_lobbytaetigkeit_vw_volkswagen_abgasaffaere_abgasskandal_auswaertiges_amt_kritisches_netzwerk_internationale_europaeische_politik.jpg"Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet." Nach diesem Kernsatz aus dem kommunistischen Manifest scheint sich der deutsche Staat weitgehend zu richten. Gemütlich sitzt der Leiter der VW-Abteilung "Internationale und Europäische Politik", Jens Hanefeld (Foto von 2012), im Auswärtigen Amt. Draussen zittern die betrogenen Käufer von Dieselautos vor Fahrverboten, vor Wertverlusten und Notverkäufen. Drinnen sitzt ein VW-Konzernvertreter, wie die Made im Staats-Speck. Vielleicht hat genau er der Kanzlerin diesen schönen Satz zum Plappern aufgeschrieben: "Es ist unsere Aufgabe, der Industrie zu sagen: Ihr müsst verloren gegangenes Vertrauen selber wieder gut machen. Das ist nicht die Aufgabe der Politik."

Für Vertrauen in den Staat ist natürlich Frau Merkel zuständig. Denn die Wirklichkeit karikierend hält sich in der Bevölkerung hartnäckig die sozialdemokratische Hoffnung auf einen "fürsorglichen Staat". Natürlich ist der Wohlfahrtsstaat eine Schimäre. Aber diese Mischung aus Täuschung und Selbsttäuschung wird dringend gebraucht: So gilt Hartz IV als soziale Hilfe und nicht als das was es ist: ein Zwangssystem zur Zähmung der Ausgegrenzten.

Aber Herr Hanefeld von VW schreibt keine Kanzler-Reden. Er sitzt im Vorstand des Forum Ebenhausen. Das Forum ist der Freundeskreis der "Stiftung Wissenschaft und Politik e.V." (SVP). Ein Verein, der sich den strategischen Austausch zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zum Ziel gesetzt hat. Wie zufällig heißt der Vorstandsvorsitzende Eckart von Klaeden (Cheflobbyist des Daimler-Konzerns, ehemals enger Vertrauter von Angela Merkel, Staatsminister und CDU-Abgeordneter). So verwaltet der Staat an dieser Stelle die "gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse." An der Dieselfront hat der Staat frech die Tarnung der Wohlfahrt aufgegeben: Scheiß auf die Gesundheit der Bevölkerung, Scheiß auf Verantwortung gegenüber den Verbrauchern.

An anderer Stelle ist diese Preisgabe des sozialen Tarnanstrichs noch brutaler: Im Pflegebereich, in dem es längst nicht mehr um die Pflege alter Menschen geht, wie mancher immer noch glaubt, sondern um den Profit einer Industrie, die mit der Verwahrung welken Fleisches dealt. Gerade erst kursiert ein offener Brief von Angehörigen und Betreuern an die Führung der Vitanas-Pflegekette: "Schmutzige Flure und Zimmer, verdreckte Balkone, Reparaturen, die nicht mehr erledigt werden", darüber hinaus "immer weniger Betreuungspersonal, unwissendes, täglich wechselndes Leasingpersonal".

Im August 2017 wurde der kleine Vitanas-Pflegekonzern (zu der Zeit 4.400 Mitarbeiter) an die "Oaktree Capital Management" (OCM) verkauft. Was so romantisch nach Eichenlaub klingt, ist eine knallharte Profitmaschine von 82 Milliarden US-Dollar Anlagekapital. Patienten werden als Renditeobjekte begriffen. Die Angestellten der Heime, die der "Oaktree" gehören, gelten als Akkord-Arbeiter zur Produktion von Profit. Der schönste Merkel-Satz zum Pflegenotstand: "Es wird mehr Standard da reinkommen.“ Aus dem Merkelschen ins Deutsche übersetzt: Scheiß auf die Verantwortung gegenüber den Alten und Kranken. – Das ist der wahre Standard.

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Wer seine Tarnung als fürsorglicher Staat aufgibt, der muss mit dem Aufmucken der Nicht-Versorgten rechnen. Die erste und bewährte Methode zur Prophylaxe gegen Aufmucken ist der "Äußere Feind". Wer einen äußeren Feind hat, der darf im Inneren Ruhe verlangen: Ein bedrohtes Land soll die Reihen schließen. Spätestens seit der "Krim-Krise" ist es die bewährte, imaginäre russische Bedrohung, die schon den Nazis, später auch der jungen Bundesrepublik zur Formierung nach innen gedient hat. Zwar gibt es keine russischen Truppen an den deutschen Grenzen, es gibt auch keinen Wirtschaftskrieg mit Russland, selbst der alte ideologische Krieg zwischen einer sozialistischen Sowjetunion und dem kapitalistischen Lager sollte sich eigentlich nach deren Ende erledigt haben. Aber so ein über Jahrzehnte aufgebautes Feindbild wirft man nicht einfach weg: DER RUSSE ist immer noch als Schreckgespenst zu gebrauchen.

nato_fck_fuck_north_atlantic_treaty_terror_organization_war_alliance_crime_crimes_criminals_kriegsverbrecher_kritisches_netzwerk_sipri_kriegstreiber_rheinmetall_ruestungswahn.jpg Erst jüngst musste das alte Gespenst erneut zur Propaganda herhalten: "Die Bundeswehr baut in Ulm ein neues Kommandozentrum für die Nato auf. Mit der Aufrüstung reagiert das Bündnis auf die expansive russische Außenpolitik der vergangenen Jahre.". So tutet der Sender "ntv" in das alte Horn um neuen Schrecken zu verbreiten. In einem Moment, in dem die von Trump geführte USA total expansiv die Welthandels-Bedingungen zu ihren Gunsten ändern will, kann nur die verstärkte Anbetung der NATO von den transatlantischen Wirren ablenken.

Und es klappt: Keines der gängigen Medien fragt wo und wann denn die russische Außenpolitik die Grenzen der üblichen Diplomatie überschritten hat. Denn die ehrliche Antwort wäre, dass die Russen uns „unsere“ Krim und „unser“ Syrien abgenommen haben. So viel Ehrlichkeit vertrügen nicht mal die Opfer von "TAGESSCHAU" und "BILD" ohne innere Verwerfungen.

Und um die Bedrohungslüge weiter zu illustrieren, will die NATO mal wieder eine neue Eingreiftruppe schaffen: 30.000 Soldaten soll sie umfassen, die bei einer Krisensituation innerhalb von 30 Tagen verlegt werden können. Die mehrfache magische DREI kommt auch in bösen Märchen vor. Selbstverständlich soll Deutschland eine führende Rolle in dem neuen Bereitschaftskontingent spielen. So greift die Eingreiftruppe mit Vorliebe in die Steuertaschen der Deutschen und soll ihnen zugleich das Gefühl von Wichtigkeit verleihen.

Natürlich verlangt der böse äußere Feind auch mehr innere Sicherheit. Die Justiz, so macht die Propaganda weis, ist total unabhängig. Deshalb hat das unabhängige Bundesverwaltungsgericht jüngst die Staatssicherheit entscheidend verschärft: Der Auslandsgeheimdienst BND darf weiter in Deutschland an einem privaten Internetknoten, am "Deutschen Commercial Internet Exchange" (DE-CIX), Daten ohne Ende abgreifen. Wer seinen Blick vom Begriff "Auslandsgeheimdienst" tatsächlich ins Ausland lenken lässt, der guckt in die falsche Richtung.

sozialstaat_tarnung_wohlfahrtsstaat_fuersorge_altenpflege_pflegenotstand_kritisches_netzwerk_aufmucken_widerstand_ausserer_feind_feindbild_nutzmenschhaltung_konditionierung_daemonisierung.pngNicht nur weil mit dem Begriff "Putin-Versteher" längst der innere Feind zum Agent des äußeren mutiert ist, sondern auch, weil dieser vom Bundesverwaltungsgericht gefällte Spruch eigentlich in das Fach des Bundesverfassungsgerichtes fiele. Wenn es einer anriefe. Doch schweigen Regierung und Parlament. Zu schön ist die Datenmenge, über den der dubiose Dienst demnächst grenzenlos verfügen darf.

Durch den Datenknotenpunkt fließen jeden Tag mehr als fünf Terabyte pro Sekunde, in Form von E-Mails, WhatsApp-Nachrichten, Chats, Social Media Posts – von über 700 Internetdiensteanbietern aus mehr als 60 Ländern. Aus Russland genauso wie aus dem Nahen Osten, aus Asien wie auch aus Deutschland. Das muss man Massenüberwachung nennen, also eine Überwachung ohne konkreten Verdacht. Damit wird Artikel 10 des Grundgesetzes mal eben in die Tonne getreten.

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Der im Manifest markierte Ausschuss für die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse funktioniert fast reibungslos. Der soziale Tarnanstrich blättert zwar ab, aber die Kapitalverwertungs- und Schutzmaschine namens Deutschland bekommt ein neues, schimmerndes Blechkleid: Eine prima Rüstung zum Schutz vor dem äußeren Feind.

Ulrich Gellermann, Berlin


 

Quelle: erstveröffentlicht bei RATIONALGALERIE >> Artikel vom 04. Juni 2018. Die Fotos und Grafiken im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..

Bild- und Grafikquellen:

1. Jens Hanefeld kennt das Auswärtige Amt seit Jahrzehnten von innen. 1991 trat er als Attaché in den Auswärtigen Dienst. Zwischen 2005 und 2009 leitete der das Büro der Staatssekretäre und wurde schließlich als Gesandter und Ständiger Vertreter des deutschen Botschafters in Washington berufen. 2014 erfolgte der Wechsel als Leiter der Abteilung "Internationale und Europäische Politik" zum Volkswagen-Konzern, das Ministerium hat ihn für einen unbekannten Zeitraum beurlaubt. Inzwischen hat Hanefeld kommissarisch auch die Aufgabe des VW-Cheflobbyisten übernommen.

Ein grundsätzliches Problem mit dem Lobbyjob seines Spitzenbeamten vermag das Auswärtige Amt nicht erkennen, im Gegenteil. Hanefelds Tätigkeit bei Volkswagen sei „im besonderen Interesse des Auswärtigen Amtes“, erklärte ein Sprecher gegenüber abgeordnetenwatch.de. „Es handelt sich um eine herausgehobene Position im Bereich der Außenbeziehungen eines global tätigen deutschen Unternehmens.“ Zum Austausch von Beamten in die Wirtschaft gebe es klare Regelungen, die eingehalten würden.

Anfang Mai hatte abgeordnetenwatch.de erstmals über die Lobbytätigkeit berichtet. Neue Recherchen zeigen nun, dass über Hanefeld auch ein Teil der Kommunikation zwischen Auswärtigem Amt und dem Wolfsburger Autobauer während der VW-Affäre lief. (Text: abgeordnetenwatch.de >> Artikel).

Bildbeschreibung: Jens Hanefeld, Embassy of the Federal Republic of Germany in Washington, D.C., minister deputy chief of mission, Oct. 17, 2012. (U.S. Air Force photo/ Staff Sgt. Nichelle Anderson). This photograph is considered public domain and has been cleared for release. If you would like to republish please give the photographer appropriate credit. Quelle/source: JBA >> jba.af.mil/News/Photos/igphoto/2000104457/

2. Plakat: Dr. ANGELA MERKEL - Erfolgreich für Deutschland. Foto: Tim Jokl, nr. Manchester. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

3. FCK NATO. Die NATO ist ein christliches, offensives und menschenrechtsverachtendes Militär- und Angriffsbündnis. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Destabilisierung, Osterweiterung u.v.m. gehören zum Repertoire. Grafik: Kilez More. Das Motiv "FCK NATO" gibt es als Shirt >> hier. Kilez More (bürgerlich Kevin Mohr; * 19. März 1988 in Wien) im Interview. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

4. "Wer seine Tarnung als fürsorglicher Staat aufgibt, der muss mit dem Aufmucken der Nicht-Versorgten rechnen. Die erste und bewährte Methode zur Prophylaxe gegen Aufmucken ist der "Äußere Feind". Wer einen äußeren Feind hat, der darf im Inneren Ruhe verlangen: Ein bedrohtes Land soll die Reihen schließen." (-Uli Gellermann, Berlin). Grafik: Wilfried Kahrs, QPRESS.