Polizeilich bewilligte Grundrechte am Beispiel Basel-Stadt

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Polizeilich bewilligte Grundrechte am Beispiel Basel-Stadt
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Polizeilich bewilligte Grundrechte

Am Beispiel Basel-Stadt: Ist das Demonstrationsrecht

eine bewilligungspflichtige Gnade oder ein Grundrecht?

von Felix Schneider für die Online-Zeitung INFOsperber.

Gib ein: «polizei.bs.ch». Klicke auf «Was tun, wenn?». Klicke auf «Polizeiliche Bewilligungen». Finde unter der Rubrik «Kundgebungen/Demos» den Kernsatz: «Die Kantonspolizei Basel-Stadt erteilt Bewilligungen für Demonstrationen und Kundgebungen.»

Schweiz-Neutralitaet-Neutralitaetspolitik-Natoabhaengigkeit-Natohure-Natovasallen-Kritisches-Netzwerk-Schweizer-Armee-Luftwaffe-Schweizerische-Eidgenossenschaft-Viola-Amherd Die Basler Regierungsrätin Stephanie Eymann (LDP), Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements, hat nach hundert Tagen im Amt Programmatisches zu ihrer Amtsführung bekannt gegeben. «Ordnung, Transparenz und Klarheit» seien, laut «bz Basel», ihr «Credo», die Wiedereinführung eines Bettelverbotes in Basel und die Handhabung von Demonstrationen momentan ihre Hauptanliegen.

Das von ihrem Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt neu herausgegebene Papier «Die Basler Demo-Praxis. Eine Erläuterung» beruft sich zur Begründung der «Erfordernis einer Bewilligung» auf die Straßenverkehrsordnung (952.200 StVO), in der es in der Tat in §14 heißt:

«Zur Durchführung von öffentlichen Umzügen sowie Versammlungen und zur Abhaltung von Demonstrationen und Kundgebungen auf öffentlichen Strassen und Plätzen bedarf es einer Bewilligung des Justiz- und Sicherheitsdepartements. Bewilligungen für Umzüge (Veranstaltungen) werden im Rahmen des Verfahrens auf Nutzung des öffentlichen Raumes, welches das Tiefbauamt koordiniert, erteilt.»

Wie das?

Meinungsäußerungs-, Versammlungs- und damit auch Demonstrationsrecht sind doch Grundrechte, oder? Sind Grundrechte nicht gerade dadurch definiert, dass niemand sie gewähren muss, weder Fürst noch Staat? Natürlich muss der Staat dafür sorgen, dass die Ausübung auch von Grundrechten so erfolgt, dass andere in ihren Rechten nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden. Aber das betrifft die konkrete Form der jeweiligen Demo, gegen die der Staat einschreiten können muss. Keine Einwände zu haben, ist doch nicht dasselbe wie bewilligen!

Juristisch ist (fast) alles klar

Die Rechtsprechung will sicherstellen, dass der öffentliche Raum von allen genutzt werden kann. Sie unterscheidet deswegen, wie Raphaela Cueni, Lehrbeauftragte am Fachbereich öffentliches Recht der Universität Basel, erklärt zwischen zwei Formen öffentlicher Aktivitäten:

Wenn ich z.B. in der Stadt einen Flyer verteile oder im Park mit ein paar Freunden grilliere, hindere ich niemanden (z.B. Autofahrer oder Spaziergänger) an der gleichzeitigen Nutzung desselben Raumes und brauche keine Bewilligung. Das nennt sich «schlichter Gemeingebrauch», der «gemeinverträglich» ist.

Schon eine Unterschriftensammlung mit Tisch, erst recht aber eine Demo gelten dagegen als «gesteigerter Gemeingebrauch», der die Nutzung des jeweiligen Ortes für andere beeinträchtigt. Er verunmöglicht, dass andere gleichzeitig am selben Ort ihre Rechte (z.B ebenfalls zu demonstrieren oder im Verkehr voranzukommen, oder einzukaufen) wahrnehmen können. Daher entsteht Regelungsbedarf, aus dem sich die Bewilligungspflicht ableitet.

aufstandsbekaempfung_unterdrueckung_polizeibrutalitaet_gewaltanwendung_polizeigewalt_aufstaende_streiks_autokratie_massenproteste_politische_soziale_widerstaende_kritisches_netzwerk.pngDas Bundesgericht sagt z.B. in einem Urteil vom 27.11.1974 einfach und klar: «Die Durchführung von Demonstrationen auf öffentlichem Grund darf als gesteigerter Gemeingebrauch bewilligungspflichtig erklärt werden».

Und doch, und doch

Dennoch bleibt ein sprachliches Problem bestehen, und der Sprachgebrauch hat Folgen für das Denken. Gespräche im Freundeskreis zeigen: Selbst bei kritischen Geistern ist nicht klar, dass das Demonstrieren-Können der Normalfall ist, und das Verhängen von Auflagen und Einschränkungen die begründungspflichtige Ausnahme.

Kommt hinzu, dass die Rechtsprechung von den zuständigen Polizeibehörden eine distanzierte Neutralität verlangt, die in der Wirklichkeit kaum zu haben ist. Sie sollen ja, so die Rechtstheorie, nur die Rechtsausübung aller sicherstellen und keine Meinung oder keine politische Tendenz bevorzugen oder benachteiligen. In der Wirklichkeit aber signalisieren Polizei und Justiz den Demonstrierenden, die ja in aller Regel nicht eben Mitglieder der Liberalen Partei von Frau Eymann sind, immer wieder, wie unerwünscht sie sind. Um bei Basler Beispielen zu bleiben:

Wenn dreißig Polizisten in Kampfmontur vierzehn sehr junge Frauen umzingeln und eine davon in Handschellen abführen, weil diese – so die Begründung der Polizei – nach der Frauen-Demo übermütig den Spalenberg runtergerannt sind –  

wenn eine Frau wegen bloßer Teilnahme an einer unbewilligten Demo gegen Nazis (ohne Gewaltanwendung von Seiten der Angeklagten) zu vier Monaten unbedingt verurteilt wird –

wenn es Frau Eymann, wie die «bz Basel» berichtet, Sorgen bereitet, dass die Anzahl der Demos in den letzten 5 Jahren zugenommen hat –

so ist es denn auch tatsächlich schwer, das Bewusstsein zu pflegen, dass Demonstrieren nicht nur ein Recht ist, sondern auch eine erfreuliche Erscheinung lebendigen politischen Lebens: gesteigertes gemeingebrauchtes Gemeinwesen, sozusagen.

Felix Schneider
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Felix Schneider, geboren 1948 in Basel. Studium (Deutsch, Französisch, Geschichte). Von Beruf Lehrer im Zweiten Bildungsweg und Journalist, zuletzt Redaktor bei SRF 2 Kultur. Hat die längste Zeit in Frankfurt am Main gelebt, ist ein halber «Schwob».

Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt: »Die Basler Demo-Praxis - Eine Erläuterung«. Basel, im Mai 2021

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► Quelle: Der Artikel von Urs Paul Gasche wurde am 09. Juni 2021 erstveröffentlicht auf INFOsperber >> Artikel.

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3. Das Spalentor ist ein ehemaliges Stadttor der Stadt Basel und als Nachfolgebau des 1838 abgerissenen Spalenschwibbogens ein früherer Bestandteil der Basler Stadtmauer. Es ist eines der drei Stadttore, welche heute noch existieren, und steht unter Denkmalschutz. Es gilt als eines der schönsten Stadttore in der Schweiz.

Der Spalenberg mit seinen historischen Gässchen und malerisch verzierten Altstadthäusern ist die Heimat kleiner Boutiquen und feiner Labels, spannender Galerien, unwiderstehlicher Delikatessenläden und Geschäften für das besondere Mitbringsel. Vor allem aber ist er eine zauberhafte Inspirationsquelle: Wer mit offenen Augen durchs Quartier bummelt, erlebt ein Stück Basler Geschichte.

Die besagte Vorstadt war nach ca 1220 im Bereich der heutigen Spalenvorstadt (wie der Name schon sagt) entstanden. Vorstadt deswegen weil damals die neu ausgebaute Stadtmauer noch am heutigen Petersgraben verlief. Was vor dieser Mauer lag war folglich vor der Stadt - also "Vorstadt". Diese wachsende Siedlung wollte jedoch auch geschützt sein, wenn nicht durch eine Mauer so eben durch die Palisade aus hölzernen Pfählen. Es ist somit anzunehmen, dass die Spalenvorstadt ihren Namen von einer Siedlung erhielt, die einst vor der Stadtmauer entstanden war, und die sich zu ihrem Schutz mit einem massiven Pfahlhag umschlossen hatte.

Foto: dankernmedia / Daniel Kern, Basel. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.