Religionszugehörigkeiten in Deutschland 2017
von Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid)
Bei der Feststellung der Religionszugehörigkeiten in Deutschland zum Jahresende 2017 besteht die gleiche Gemengelage wie bisher: Einerseits überexakte Zahlen, andererseits veraltete Schätzungen aus denen sich erhebliche ‚Restgrößen‘ ergeben, deren Anteile dann auf eine geschätzte Bevölkerungszahl umgerechnet werden. Damit muss man leben, denn Genaueres gibt es nicht. In Deutschland. Entsprechend werden die Prozentsätze in der grafischen Darstellung nur noch ohne Nachkommastellen genannt.
Die Deutsche Bischofskonferenz nennt zum Jahresende 2017 genau 23.311.321 katholische Kirchenmitglieder, die Evangelische Kirche in Deutschland genau 21.535.858 Mitglieder der EKD. Diese Zahlenangaben beruhen auf den Angaben zur Religionszugehörigkeit in den staatlichen Melderegistern, die den Kirchen für ihre Mitglieder ‚überspielt‘ werden. Allerdings sind diese exakten Zahlenangaben zumindest auf Tausender abzurunden, da die staatlichen Melderegister eine Ungenauigkeit von bis zu drei Prozent aufweisen.
2016 waren in Berlin von den 2,48 Mio. Wahlberechtigten zur Abgeordnetenhauswahl rund 70.000 gemeldete wahlberechtigte Personen nicht erreichbar. Das sind 2,8 Prozent der Wahlberechtigten laut Melderegister. Es sind u. a. die Personen, die in Deutschland gemeldet waren und sich beim Fortzug ins Ausland/Rückkehr in ihr Heimatland nicht abgemeldet haben. Allerdings sind diese Wanderungsbewegungen in den Großstädten vermutlich ausgeprägter, wobei die Fortzügler andere Prioritäten haben, als sich melderechtlich abzumelden. Auf ganz Deutschland bezogen wird es dabei vermutlich um 1 – 1,5 Prozent Überhöhung handeln.
Die katholische Kirche wird davon wohl auch stärker betroffen sein, als die EKD-Landeskirchen. So hat das Erzbistum Hamburg 402.576 Kirchenmitglieder. Sie kommen aus 171 Nationen. 86.871 von ihnen haben einen nicht-deutschen Pass, was einem Anteil von 22 Prozent entspricht. „Die größte Gruppe stellen die Polen (41.478) vor den Italienern (7.344) und den Portugiesen (7.014).“ Das Erzbistum Berlin nennt, bei 412.700 Kirchenmitgliedern, ca. 85.000 „fremdsprachige Katholiken“, das sind rund 21 Prozent. Im Zensus 2011 wurden 1.602.000 römische Katholiken bzw. 252.000 EKD-Evangelische mit ausländischer Staatsangehörigkeit gezählt.
Das als Hinweis, dass die Größenordnungen und Tendenzen in den ‚amtlich gezählten‘ Veränderungen zwar richtig, es aber keine exakten Zahlen sind. Auch die Thematik der Melderegister ist bislang nicht systematisch untersucht.
Die Zahl der Mitglieder der römisch-katholischen Kirche verringerte sich (2017) aufgrund der Angaben der Melderegister um 269.000 Personen, die Zahl der EKD-Evangelischen verringert sich um 394.000. Für beide großen Kirchen zusammen ist das (2017) ein Mitgliederverlust von 663.000 Mitgliedern.
Der Rückgang der Mitgliederzahlen setzt sich aus vier Komponenten zusammen: 1. den Kirchenaustritten, 2. dem Bestattungsüberschuss (kirchliche Bestattungen vs. Taufen) 3. den Neuaufnahmen und 4. dem Saldo der Wanderungsbilanz.
Die Verringerung der EKD-Evangelischen um 394.000 Mitglieder setzt sich entsprechend zusammen aus: rund 200.000 Kirchenaustritten, einem Bestattungsüberschuss von rund 170.000 Mitgliedern (350.000 Verstorbene vs. 180.000 Taufen) und rund 25.000 Aufnahmen.
Bei den römischen Katholiken sind es 167.504 Kirchenaustritte, ein Bestattungsüberschuss von 74.073 Mitgliedern (243.824 Bestattungen vs. 169.751 Taufen) und 9.332 Eintritte/Wiederaufnahmen, als Summe 232.245. Die Differenz des Saldo der kirchlich erfassten Mitgliederbewegungen (232.245 Personen) und der Verringerung aufgrund der Angaben der Melderegister (269.000) lässt sich auf rund 37.000 Personen beziffern.
Ob sich in den Differenzen zwischen Kirchenstatistik und Melderegister bereits die angesprochenen Aspekte der Fehlertoleranz der Melderegister hinsichtlich einer Wanderungsbilanz darstellt oder ob die geringere Zahl der Kirchenstatistik zeigt, dass die Verstorbenen, die sich nicht kirchlich bestatten lassen, in der Kirchenstatistik auch nicht auftauchen, lässt sich nicht feststellen. Insbesondere für die EKD-Landeskirchen ist auch der EKD bekannt, dass der Anteil der Kirchenmitglieder, die sich nicht kirchlich beerdigen lassen, ansteigt. Es können und werden von der Kirche nur die kirchlichen Bestattungen gezählt.
Insgesamt setzen sich die Trends für die beiden großen Kirchenverbände kontinuierlich fort. Der Anteil an der Bevölkerung hat sich von 55 Prozent (2016) auf 54 Prozent (2017) verringert. Bleiben diese Trends erhalten oder verstärken sich sogar (wie der Sterbeüberschuss bei den EKD-Evangelischen), so werden die Kirchenmitglieder der beiden großen Kirchenverbände voraussichtlich in den Jahren 2022/2023 den Anteil von 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland unterschreiten.
► Muslime
In den Melderegistern werden nur die Mitglieder der religiösen Körperschaften des öffentlichen Rechts erfasst. Die letzte belastbare Statistik zu der Anzahl der Muslime in Deutschland stammt aus der Volkszählung 1987. Damals wurden als „Angehörige der islamischen Religionsgemeinschaft“ insgesamt 1.650.952 Personen gezählt. Das waren 2,70 Prozent der 61.077.042 Einwohner. (1990, nach der deutschen Einheit, wären das 2,07 Prozent der 79.430.000 Einwohner). Aufgrund mangelnder Daten wird die Schätzung/Hochrechnungen des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) im Bericht „Wie viele Muslime leben in Deutschland“ (WP71, 2016) verwendet. „Ergebnis ist, dass in Deutschland am 31. Dezember 2015 zwischen 4,4 und 4,7 Millionen muslimische Männer und Frauen lebten. Demnach sind von insgesamt 82,2 Millionen Einwohnern zwischen 5,4 und 5,7 Prozent muslimische Glaubensangehörige.“
► Kultur-Muslime
Um einerseits die Unterschiedlichkeit der Religionszugehörigkeitszuweisung im Islam zu berücksichtigen (Ist der Vater Muslim, sind auch die Kinder Muslime) und andererseits annähernd eine Vergleichbarkeit zu den Zahlenangaben der (christlichen) Kirchenmitglieder (mit der Möglichkeit des formalen Kirchenaustritts und der Konfessionsfreiheit) zu erreichen, hat die fowid-Gruppe sich darauf verständigt, nur die Muslime, die sich selbst als religiös bezeichnen, als konfessionsgebundene Muslime einzustufen. Die nicht-religiösen Muslime, die niemals religiöse Veranstaltungen besuchen, die sich aber aus Tradition, Lebensgewohnheiten u. a. m. als Muslime bezeichnen, sind entsprechend „Kultur-Muslime“.
Wie hoch der Anteil dieser nicht-religiösen Kultur-Muslime ist, ergibt sich u. a. aus den Studien „Muslimisches Leben in Deutschland" (MLD 2008), des BAMF. Darin geben – mit unterschiedlichen Variationen aufgrund der Herkunftsländer – insgesamt 29 Prozent der befragten Muslime an, niemals religiöse Veranstaltungen zu besuchen, also auch niemals in die Moschee zu gehen. (S. 161)
In der Studie des „Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung“ (2015) über „Teilhabe und Befindlichkeit: Der Zusammenhang von Integration, Zugehörigkeit, Deprivation und Segregation türkeistämmiger Zuwanderer in Nordrhein-Westfalen“ bezeichnen sich 95 Prozent der Befragten als Muslime. „Die Religiosität ist – nach subjektiver Einschätzung der Befragten – unter den befragten Muslimen stark ausgeprägt: 80 % definieren sich als religiös, 14 % als sehr und 66 % als eher religiös, ein Fünftel sieht sich als eher oder gar nicht religiös (17% eher nicht und 3% gar nicht).“ (S. 21/22) Von den muslimischen Männern bezeichnen sich 77 Prozent als religiös, von den Frauen 84 Prozent.
Zudem kommt die Studie der Konrad Adenauer Stiftung von Sabine Pokorny: „Aktivität ist ansteckend. Soziale und politische Partizipation von Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund und in Deutschland lebender Ausländern“ (2016, S. 12) zu dem Ergebnis: „32 Prozent der Muslime machen keine Angabe zu ihrer religiösen Ausrichtung und 4 Prozent geben an, keiner bestimmten Gruppe innerhalb des Islam anzugehören.“ Das „deutet darauf hin, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der in Deutschland lebenden Muslime relativ säkular ist.“
Als Schlussfolgerung hat fowid sich entschieden, 20 Prozent der Muslime als nicht-religiöse Kultur-Muslime anzunehmen und sie entsprechend als Konfessionsfreie aus der Gesamtzahl der Muslime herauszurechnen.
► Wanderungsbilanz
Die Zahlen des Ausländerzentralregisters für die Zuzüge nach bzw. Fortzüge aus Deutschland werden zwar nach Ländern aufgeschlüsselt, aber nicht nach Religionszugehörigkeiten.
In einer Übersicht des „Wanderungsmonitoring 2017“ ergeben sich für Staatsangehörige aus Nicht-EU-Staaten (= Drittstaatsangehörige) für 2017: 544.757 Zuzüge sowie 266.721 Fortzüge, d. h. ein Wanderungssaldo von + 278.036. Wie viele davon Muslime sind, ist unbekannt.
Für das Jahr 2017 nennt das BAMF in seinem Jahresbericht „Das Bundesamt in Zahlen, 2017“ (Seite 23) aufgrund der Asylerstanträge 130.783 zugewanderte Muslime. Als Kultur-Muslime (20 Prozent) werden entsprechend 26.000 eingestuft.
In 2017 gibt es insgesamt 198.317 Asylerstanträge (von denen 66 Prozent von Muslimen sind), was gegenüber dem Wanderungssaldo von + 278.036 Personen eine ungeklärte Größenordnung von rund 80.000 Zugewanderten ergibt.
► Konfessionsgebundene Muslime
Entsprechend der Beschränkung auf die religiösen Muslime verringert sich die Zahl der konfessionsgebundenen Muslime für 2015 von 4.550.000 (minus 20 Prozent) auf 3.600.000 konfessionsgebundene Muslime bzw. 4,4 Prozent der Bevölkerung.
Aufgrund der Angaben in den Asylerstanträgen von zugewanderte Muslime erhöhte sich die Zahl der in Deutschland lebenden „konfessionsgebundenen Muslime“ bis zum 31.12.2016 um rund 450.000 Personen auf 4.050.000 Muslime bzw. 4,9 Prozent.
Nach den Asylerstanträgen von Muslimen für 2017 verbleiben nach dem Abzug der Kultur-Muslime rund 105.000 zusätzlich Muslime, so dass sich deren Zahl auf 4.155.000 erhöht bzw. 5,02 Prozent der Bevölkerung.
Abgesehen von den Asylsuchenden war 2016 und 2017 keine nennenswerte Zuwanderung von Muslimen festzustellen.
Die Zahl der Konvertiten zum Islam fiel statistisch nicht ins Gewicht und die Geburtenhäufigkeit der muslimischen Mütter hat sich den Geburtenziffern der in Deutschland lebenden Nicht-Muslime inzwischen weitgehend angeglichen.
► Sonstige Religionszugehörige
Diese Sammelkategorie erfasst alle Zählungen und Schätzungen von Mitgliederzahlen der vielen kleineren Religionsgemeinschaften in Deutschland. Dieser Erfassung widmet sich vor allem REMID (Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e.V.) mit großer Gewissenhaftigkeit. Für die vielen kleineren Religionsgemeinschaften in Deutschland liegen jedoch für Ende 2017 (noch) keine Zahlen vor, sodass die Zahlenangaben auf dem Stand von 2016 und früher verblieben sind.
(CF/ES/MK) Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid)
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Die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) wurde im Jahr 2005 von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) gegründet. Fowid ist ein Projekt der gbs und wird von einem offenen Mitgliederkreis getragen. Auf dieser Seite informieren wir Sie über unsere Ziele, Arbeitsweise, Mitglieder und Möglichkeiten der Kooperation und Unterstützung:
Ziele
Auf empirischer Grundlage und mit robusten wissenschaftlichen Methoden will fowid Daten und Fakten zu relevanten Aspekten von Weltanschauungen in Deutschland (und der Welt) erheben, auswerten und der Allgemeinheit zugänglich machen. Wir tragen zu einer wissensbasierten, und gut informierten öffentlichen Debatte in Deutschland bei - tagesaktuell und mit Hintergrundinformationen. Hierzu decken wir die gesamte Bandbreite an Fragen und Themen ab, die mit Weltanschauungen – gleich ob politischer, religiöser oder nicht-religiöser Art – einhergehen. Bitte hier weiterlesen.
► Quelle: Erstveröffentlicht am 08. Oktober 2018 bei https://fowid.de/ >> Artikel.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Grafik: Religionszugehörigkeiten - Bevölkerungen Deutschland 2017 - Aufbereitung: fowid / CF. Quellen: EKD, Bischofskonferenz, REMID, BAMF, eig. Berechnungen
2. Tabelle: Deutschland - Religionszugehörigkeiten der Bevölkerung am 31.12.2017 / 2016 / 2015. Aufbereitung: Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid / CF), EKD, Deutsche Bischofskonferenz, Melderegister, Statistisches Bundesband, REMID, BAMF).
3. Tabelle: Deutschland - Kirchenmitglieder DBK / EKD - Veränderung 2017. Aufbereitung: Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid / CF), EKD, Deutsche Bischofskonferenz, BAMF).
4. Buchcover: "Kirchenrepublik Deutschland. Christlicher Lobbyismus." von Carsten Frerk. Verlag: Alibri. ISBN 978-3-86569-190-3, erschienen 2015, 303 Seiten, kartoniert, Euro 18. Dr. Carsten Frerk, Politologe/Sozialwissenschaftler, Berlin (Mitglied u. Koordinator der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid).
Carsten Frerk beschreibt, wie die Kirchen in Deutschland systematisch Einfluss auf die Politik nehmen. Dabei zeigt sich, dass katholische und evangelische Stellen in einer Weise in Gesetzgebungsverfahren eingebunden sind wie keine zweite zivilgesellschaftliche Kraft.
Das Buch untersucht – erstmalig für Deutschland – die Arbeit der kirchlichen Büros und ihre Kontakte in die Ministerialbürokratie. Dabei stößt es auf interessante personelle Überschneidungen und Karriereverläufe. Es stellt dar, über welche Kanäle die Kirchen ihre Informationen erhalten und welche Strukturen begünstigen, dass politische Entscheidungen im Sinne der Kirchen ausfallen.
Als Fazit kommt Carsten Frerk zu der Einschätzung, dass die Kirchen – wo es um ihre ureigenen Belange als Organisationen geht – die erfolgreichsten Lobbyisten der Republik sind. Das Buch schafft Problembewusstsein für Ämterverquickung und „Seitenwechsler“. Es fordert Befangenheitsregeln für Parlamentarier und thematisiert den durch die Kirchen. (Verlagstext, ⇒ Inhaltsverzeichnis und Probekapitel bitte weiterscrollen!)
5. Buchcover: "Violettbuch Kirchenfinanzen: Wie der Staat die Kirchen finanziert" von Carsten Frerk. Verlag: Alibri. ISBN 978-3-86569-039-5. Dr. Carsten Frerk, Politologe/Sozialwissenschaftler, Berlin (Mitglied und Koordinator der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid).
Obwohl die beiden großen christlichen Kirchen heute weniger als zwei Drittel der Bevölkerung organisieren, werden viele ihrer Belange durch die öffentliche Hand finanziert. Und das betrifft keineswegs nur Krankenhäuser oder Sozialstationen, die von der Allgemeinheit in Anspruch genommen werden können. Ob Bischofsgehälter, die Ausbildung kirchlichen Personals oder Missionswerke – konfessionslose und andersgläubige Bürgerinnen und Bürger zahlen alle kräftig mit.
Carsten Frerk gibt einen systematischen Überblick, zu welchen Gelegenheiten der Staat von den Kirchen zur Kasse gebeten wird. Er problematisiert versteckte Begünstigungen wie die steuerliche Absetzbarkeit der Kirchensteuer, erläutert die rechtliche und historische Fragwürdigkeit der so genannten Staatsleistungen und stellt die Frage, warum die Allgemeinheit soziale Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft bezuschusst, obwohl dort die Arbeitnehmerrechte weitgehend außer Kraft gesetzt sind.
Dabei geht es nicht um Kleinigkeiten: Die Zuwendungen der öffentlichen Hand an die Kirchen übersteigen deren Einnahmen aus der Kirchensteuer beiweitem. Und da die Kirchen steuerbefreit sind, tragen sie nichts zur Finanzierung der gesellschaftlichen Infrastruktur bei, von der sie profitieren. (Verlagstext ⇒ Inhaltsverzeichnis und Probekapitel bitte weiterscrollen!)