Schwarzarbeit – gar nicht so unwillkommen?
von Egon W. Kreutzer, Elsendorf
Der renommierte Sozialwissenschaftler, Prof. Dr. Stefan Sell, berichtet auf seinem Blog „Aktuelle Sozialpolitik“ über solide Indizien für massive Schwarzarbeit auf den Baustellen der Berliner Bau-Unternehmen. Um den weiteren Text unmissverständlich zu machen, ist der Hinweis erforderlich, dass zur Schwarzarbeit weit mehr zählt, als die abendlichen Hausbesuche der Frisöse oder die Wochenendbeschäftigung des Maurers oder Malers auf privaten Baustellen.
Zur Schwarzarbeit gehört auch und vor allem die die fehlerhafte, bzw. unvollständige Lohnabrechnung durch regulär tätige Unternehmen, mit dem Ziel, wirtschaftliche Vorteile zu generieren, die mit dem Gewinn der Ausschreibung beginnen und mit der „Einsparung“ von Sozialbeiträgen und ggfs. Lohnsteuer ihre Fortsetzung finden, bis hin zur Möglichkeit, Unternehmensgewinne an der Steuer vorbei zu erzielen, weil Teile des Umsatzes überhaupt nicht fakturiert werden.
Da das Volumen der Schwarzarbeit immer nur geschätzt wird und der Zoll mit der Aufgabe, die Schwarzarbeit aufzuspüren und auszutrocknen, einfach nicht nachkommt, ja ein geradezu groteskes Missverhältnisse zwischen steuergeldfinanziertem Aufwand und dem aus Nach- und Strafzahlungen resultierendem Ertrag bestehen, lässt sich eine realistische Zahl für den Umfang der Schwarzarbeit nicht nennen. Abgesehen davon, dass mit Bestimmtheit davon ausgegangen werden kann, dass die vom „Schwarzarbeitspapst“, em. Univ.-Prof. Dr. Friedrich Schneider, Linz, mit den Methoden der Alchemisten gefundenen Zahlen, eindeutig zu hoch sind.
Der nette Herr Professor hat im Februar geschätzt, dass der Umsatz der Schattenwirtschaft in Deutschland (er sagt aber meist Schwarzarbeit, wenn er Schattenwirtschaft meint) etwas niedriger sein werde als 2018, voraussichtlich aber bei 319 Milliarden Euro liegen werde.
Die 8.000 Mitarbeiter des Zolls, die im Bereich Schwarzarbeit, Sozialleistungsbetrug und Kindergeldmissbrauch tätig sind, haben in den beiden Jahren 2017 und 2018 insgesamt gerade einmal 1,8 Milliarden „Schadensfälle“ entdecken können.
Nach Schneiders Zahlenwerk wäre das eine Erfolgsquote von etwa 0,6 Prozent, aber auch nach meiner weit niedrigeren Schätzung nur eine Quote von etwa drei Prozent, also nichts! Ein laut in die Welt hinausgerufenes: „Macht weiter so!“, was leicht die Gewissheit auslöst: „Wer sich sonst nichts zuschulden kommen lässt und sich eine stets marktkonforme Meinung bildet, der brauche auch den Zoll nicht zu fürchten.“
Beim Nachdenken darüber, warum das so ist, stellt sich fast automatisch die Frage: „Welches Interesse hat der Staat eigentlich daran, Schwarzarbeiter zu verfolgen?“.
Die Antwort für die Bundesrepublik Deutschland, deren Politiker das Heil der Nation nach wie vor im Export suchen und zur Förderung des Exports den schönsten und besten Niedriglohnsektor der Welt zu errichten versuch(t)en und zugleich die Sozialsysteme geschreddert haben, die Antwort für diese Republik, lautet: „Es besteht nicht das geringste Interesse daran, die Schwarzarbeit zu verfolgen, außer dem Bedürfnis, den Schein des Rechtstaats aufrecht zu erhalten!“
Schwarzarbeit, ob nun am Bau oder in der Gastronomie, ob im Haushalt oder in anderen Dienstleistungsberufen, ist ein Mittel zur Kostensenkung im Binnenmarkt. Kostensenkung im Binnenmarkt ist Doping für den Export. Egal, ob das neue Rathaus, die neue Fabrikhalle, die neue Mietskaserne oder das neue Eigenheim mit einem Anteil von 15 bis 20 Prozent Schwarzarbeit errichtet werden - die Folge heißt: Der Gewerbesteuerhebesatz der Gemeinde muss nicht erhöht werden, was die Produktion für den Export verbilligt. Die Kapitalkosten des Unternehmers bleiben niedriger, was die Produktion für den Export verbilligt.
Die notwendigen Mieteinnahmen zur Amortisation der Mietskaserne sind geringer, was den Mietern erlaubt, sich mit niedrigeren Löhnen zufrieden zu geben, was die Produktion für den Export verbilligt – und wo das Eigenheim durch Schwarzarbeit erschwinglich wird, verbilligt auch das die Produktion für den Export, weil die vielen Schwarzarbeiter nämlich mit ihren Schwarzarbeitseinkünften den Binnenmarkt überhaupt erst am Leben erhalten, denn der größte Teil der Schwarzarbeitslöhne wird ja bei Aldi und OBI, bei Saturn und Media-Markt wieder in die legale Wirtschaft eingespeist, die darauf angewiesen ist, ihre Kapazitäten auszulasten.
Dieses gelebte Denken im Bereich der Staatsfinanzierung auf der Einnahmenseite korrespondiert augenfällig mit dem Investitions- und Instandhaltungsstau bei der öffentlichen Infrastruktur auf der Ausgabenseite. Die Brücke, die noch zehn Jahre genutzt wird, obwohl sie schon hätte ersetzt werden müssen, spart – je nach Größe – zwischen einer halben und eventuell hundert Millionen Euro, und bei der großen Zahl maroder Brücken sind das schnell 10 Milliarden, die man einfach im Bereich Straßenbrücken vor sich herschiebt, was nur der Exportwirtschaft hilft.
Es sind aber nicht nur die Straßenbrücken, es sind, in mindestens vergleichbarer Größenordnung, die Straßen selbst, es sind die Schienenwege, die Bahnhöfe, es sind die Schwimmbäder, die Kindergärten, die Schulen, die Hochschulen, nicht zu vergessen die auf dem Zahnfleisch, statt auf Panzerketten daherkommende Bundeswehr, die – einzig zu Gunsten der Exportwirtschaft (und der ausländischen Abnehmer) – im Zustand des gerade noch erträglichen Verfalls gehalten werden, wie die Sozialsysteme auch, die seit 2002 im künstlichen Koma liegen, mit dem Effekt, dass „Altersarmut“ als unmittelbar bevorstehendes Massenphänomen schon gar nicht mehr verhindert werden kann.
Da hilft die „Respektrente“ von Bundesminister Hubertus Heil (SPD) ungefähr so viel, wie das Schild „40 km/h – Brückenschäden“ an der Autobahnbrücke im Harz: Der Einsturz wird mit dem untauglichsten aller Mittel nur noch hinausgezögert.
Dass den Schwarzarbeitern im Krankheitsfall nur der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gewährt wird, den die Politik nach Kassenlage, sowie nach dem Interessenmix von Krankenhäusern, Pharmaindustrie, Apothekern und niedergelassenen Ärzten, aber eben nicht nach medizinischer Notwendigkeit festlegt, dass die Schwarzarbeiter noch weniger Rentenansprüche erwerben als ihre regulär beschäftigten Kollegen, deren Löhne sie zu drücken geholfen haben, spielt ebenfalls keine Rolle. Die notwendigen Manipulationen an der Rentenformel nehmen am hinteren Ende die gleichen Politiker vor, die vorne eben nicht darauf achten, dass die Beitragseinnahmen im regulär möglichen Maße sprudeln.
Ich muss noch einmal auf die 8.000 Zöllner zurückkommen. Mit dieser Streitmacht innerhalb von 2 Jahren nur 1,8 Milliarden „Schwarzarbeit“ aufgedeckt zu haben, das ist für mich, und ich sage das vor dem Hintergrund meiner reichen Berufserfahrung, entweder ein Zeichen totaler Desorganisation, oder der Ausdruck der streng angezogenen politischen Bremse. Wobei Ersteres durchaus ein Effekt des Letzteren sein kann.
Egon W. Kreutzer, Elsendorf
► Quelle: Der Artikel wurde am 2. Dezember 2019 erstveröffentlicht auf Egon W. Kreutzers Webseite egon-w-kreutzer.de >> Artikel. ACHTUNG: Die Bilder und Grafiken sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. folgende Kriterien oder Lizenzen, s.u.. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt.
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1. Stefan Sell (* 3. Juli 1964 in Eutin) ist ein deutscher Sozialwissenschaftler. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften am RheinAhrCampus Remagen der Hochschule Koblenz und gilt als Experte in Arbeitsmarktfragen. Das Foto zeigt Prof. Dr. Sell im Workshop zur Rentenfinanzierung, 14. Oktober 2016. >> http://stefan-sell.de/. >> https://twitter.com/stefansell. Urheber: Marco Lange / Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).
2. em. Univ.-Prof. Dr. Dr.h.c.mult. Friedrich Schneider: Das Foto zeigt Friedrich Schneider auf der "u19 – CREATE YOUR WORLD" Preisverleihung, Sep. 2015. Foto / credit: Florian Voggeneder / Ars Electronica. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).
3. Brücken sind marode: An Bundesfernstraßen gibt es 39.106 Brücken und 50.790 Teilbauwerke, deren Zustand sich zunehmend verschlechtert. Besonders bekannt sind die Fälle der Rheinbrücke an der BAB A 1 bei Leverkusen, die Rader Hochbrücke an der BAB A 7 und die Schiersteiner Brücke, Autobahnbrücke der A 643 über den Rhein, die aufgrund ihrer maroden Substanz für den Lkw-Verkehr gesperrt werden mussten. Dies ist aber nur die Spitze des Eisberges. Seit dem Jahr 2000 hat sich - laut den Infrastrukturberichten des BMVI - der Bestand an Brückenfläche mit sehr gutem bzw. gutem Zustand mehr als halbiert, während sich der Anteil an Brücken mit gerade noch ausreichendem Bestand fast verdoppelt hat.
Bei den kommunalen Brückenbauwerken sieht die Situation nicht anders aus: Über 10.000 kommunale Straßenbrücken müssen bis 2030 ersetzt werden. Das sind rund 15 Prozent der insgesamt 66.700 kommunalen Straßenbrücken in ganz Deutschland. >> weiterlesen auf bauindustrie.de >> Artikel. Foto: sarangib / Bishnu Sarangi. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.