Die Entnationalisierung der Eliten

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Die Entnationalisierung der Eliten
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Die Entnationalisierung der Eliten

Selbstanalyse: Im Land der toten Seelen

Who Are We? – Wer Sind Wir?

Von Gerhard Mersmann | Forum-M7.com

Wer es versäumt, sich seiner eigenen Position zu vergewissern und keine Vorstellung davon hat, was ihn eigentlich ausmacht, hat bezüglich der Navigation in stürmischen Zeiten nahezu eine Garantie für das eigene Scheitern. Es handelt sich nämlich bei diesen beiden Fragestellungen um eine existenzielle Essenz.

Jedes Lebewesen und jede soziale Organisation sollte sich darüber im Klaren sein, in welchem Umfeld es existiert und was die eigenen Stärken und Schwächen ausmacht. Was die meisten Menschen und Organisationen als eine Binsenweisheit betrachten, erweist sich in der momentanen Weltlage als ein toxisches Defizit in Deutschland.

WER_SIND_WIR_WHO_ARE_WE_Identitaet_Identitaetsbildung_Identitaetskonstitution_Nationalbewusstsein_Nationalstolz_Patriotismus_Selbstanalyse_Selbstzuschreibungen_Kritisches-Netzwerk

Da wurden zum einen derartig notwendige Analysen von so genannten Partnern unkritisch übernommen oder sie wurden kategorisch verteufelt. Und die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten wurden zu sehr auf ökonomische Kategorien reduziert. Und nun, wo der "Schutzpatron" nicht mehr da ist, löst sich die Illusion über das eigene Dasein in Luft auf.

Die Reaktion derer, die lange Zeit mit dem epistemologischen [wissenschafts- / erkenntnistheoretischen] Müßiggang gut gefahren sind, verstehen die Welt nicht mehr und reagieren wie störrische Kinder, denen die harte Hand der Eltern fehlt. Das als Politik kategorisierte Gekeife ist nichts weiter als eine Bankrotterklärung für die Fähigkeit einer kritischen Selbstanalyse.

In den USA ist das anders. Dort kämpfen seit jeher unterschiedliche Flügel miteinander, die allerdings einen Konsens in Bezug auf die globale Bedeutung des eigenen Landes eint. Und eines muss man den USA lassen: ihr Frühwarnsystem für tektonische Verschiebungen im globalen Machtgefüge hat bis heute zumindest intellektuell immer existiert.

Es sei daran erinnert, dass es nicht nur einen Francis Fukuyama gibt, der kurz nach dem Ende der Sowjetunion vom Ende der Geschichte schrieb, sondern auch einen Samuel P. Huntington (* 18. April 1927; † 24. Dezember 2008), der bereits 1996 mit seinem Buch »The Clash of Civilizations« deutlich machte, wo die Grenzen eines 'freiheitlich-amerikanischen' Kapitalismus liegen. Wenn man sich die Karten, auf denen er illustrierte, wo überall in der Welt die westliche Vorstellung von Gesellschaft auf andere kulturelle Konzeptionen stieß, bekommt man sehr schnell den Eindruck, man läse gerade aktuelle Berichte über politische Friktionen in der Welt.

In Deutschland reichte bereits die – leider, muss man sagen – üblich hirnrissige Übersetzung des Titels. Aus dem »Aufeinandertreffen von Zivilisationen« wurde ein »Kampf der Kulturen«. Und allein aus diesem Grund war der Autor auf den Index zu setzen. Süffisanterweise exakt von jenem politischen Milieu, das sich heute exklusiv für militärische Lösungen im Sinne des westlichen Imperialismus einsetzen.

Und, hier kaum noch beachtet und in den USA auch nicht sonderlich gewürdigt, stellte derselbe Autor im Jahr 2004 die nächste, logisch aus dem ersten Buch abgeleitete Frage: »Who Are We? The Challenges To America´s National Identity«. Darin untersuchte er den dramatischen Wandel in Bezug auf die Rolle der Religion, die kulturellen und ethnischen Verschiebungen in der amerikanischen Gesellschaft und riet dazu, die traditionellen Identitätsmuster einer historischen Anpassung zu unterziehen.

Huntington brachte noch eine andere Sache auf den Punkt: Der Westen gewann seine Überlegenheit nicht aufgrund seiner Ideen, Werte oder Religion, sondern in seiner Überlegenheit in der Anwendung organisierter Gewalt. Im Westen vergäße man das gerne. Der Rest der Welt verlöre das allerdings nie aus dem Blick, so Politikwissenschaftler Huntington.

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Die letzte Lizenz zum Töten wird die Lizenz sein, uns selbst umzubringen.

Die letzte Lizenz zum Töten wird die Lizenz sein, uns selbst umzubringen

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Man muss nicht mit dem, was in diesen beiden Büchern dargestellt und entwickelt wurde, einverstanden und glücklich sein. Aus deutscher Sicht vielleicht gar nicht. Aber es ist zu konzedieren, dass man daraus lernen kann, was ein Gemeinwesen und seine politischen Protagonisten leisten müssen, um eine Chance auf eine einigermaßen realistische, den Interessen der eigenen Bevölkerung entsprechenden Vorgehensweise zu erhalten.

Und es stellt sich die Frage, wann die ersten Ideen aufkommen, die sich mit einer realistischen Welteinschätzung und einer robusten Selbstanalyse befassen. – Ich rate trotzdem, die Bücher von Huntington noch einmal zu lesen. In »Who Are We?« findet sich übrigens ein Kapitel mit dem Titel: »Dead Souls: The Denationalization of Elites.« 

Das klingt irgendwie überaus aktuell. Oder? . . Im Land der toten Seelen.

Gerhard Mersmann

Kampf der Kulturen - Samuel P. Huntington (Dauer 19:13 Dauer) - Video vom Mai 2018

Von Gunnar Kaiser (* am 9. Juni 1976 - † 12. Oktober 2023) - Ruhe in Frieden, lieber Gunnar. Du bleibst unvergessen! H.S. 

Clash of Civilizations | Samuel Huntington (Dauer 1:16:44 Min.)

Der Kampf der Kulturen ist eine Theorie, die besagt, dass die kulturellen und religiösen Identitäten der Menschen die Hauptquelle für Konflikte in der Welt nach dem Kalten Krieg sein werden. Sie wurde von dem Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington 1992 in einer Vorlesung am 'American Enterprise Institute' aufgestellt und 1993 in einem Artikel in 'Foreign Affairs' mit dem Titel „The Clash of Civilizations?“ als Reaktion auf das Buch „The End of History and the Last Man“ seines ehemaligen Studenten Francis Fukuyama von 1992 weiterentwickelt.

Huntington erweiterte seine These später in seinem 1996 erschienenen Buch „The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order.“ Der Begriff selbst wurde zuvor von Bernard Lewis in einem Artikel in der Septemberausgabe 1990 von 'The Atlantic Monthly' mit dem Titel „The Roots of Muslim Rage“ verwendet. Noch früher erschien der Ausdruck in einem Buch von Basil Mathews aus dem Jahr 1926 über den Nahen Osten: „Young Islam on Trek: A Study in the Clash of Civilizations.


Gerhard Mersmann, Dr. phil., (Jahrgang 1956), gebürtiger Westfale, ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen.

Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Publizistische Aktivitäten durchziehen seine gesamte Biographie. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse sind auf seinem persönlichen Blog M7 regelmäßig nachzulesen. >> https://form-7.com/ .


► Quelle: Dieser Beitrag wurde am 13. April 2025 erstveröffentlicht auf https://form-7.com/ >> Artikel. Eigentümer, Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich ist Gerhard Mersmann.

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2. Die Evolution vieler US-AmerikanerInnen vom Windelträger über den patriotischen Soldat (Mörder) ins ehrenvolle Grab. Karikatur von Carlos Latuff, einem "Politischen Karikaturist", geboren November 1968 in Rio de Janeiro, Brazil. Quelle: Wikimedia Commons. Dieses Werk wurde von seinem Urheber Carlos Latuff als gemeinfrei veröffentlicht. Dies gilt weltweit. Carlos Latuff (eigentlich Carlos Henrique Latuff de Souza) gewährt jedem das bedingungslose Recht, dieses Werk für jedweden Zweck zu nutzen, inklusive uneingeschränkter Weiterveröffentlichung, kommerziellem Gebrauch und Modifizierung, zu nutzen, es sei denn, Bedingungen sind gesetzlich erforderlich. Sein Blog > latuffcartoons.wordpress.com