Alles schön bunt hier? Smartphone als Arbeitsmittel und mehr

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Alles schön bunt hier? Smartphone als Arbeitsmittel und mehr
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Alles schön bunt hier? Smartphone als Arbeitsmittel und mehr

Marcus Schwarzbach / Gastautor des isw München

Das Smartphone kommt in den Betrieben an, zeigen Meldungen der letzten Tage. „iPhones statt Festnetz“ heißt es bei VW. Am Standort Kassel wird die klassische Telefonanlage abgeschafft und die Arbeitnehmer mit Smartphones versehen. Knapp ein Drittel der Festnetzgeräte am Standort werden abgebaut und durch iPhones ersetzt. „Bei den Mitarbeitern trifft das jedenfalls auf Zustimmung“, betont ein Unternehmenssprecher.

smartphone_festnetz_digitale_arbeitswelt_digitalisierung_telefonanlage_spple_iphone_samsung_galaxy_blackberry_huawei_sony_lg_android_ueberwachung_tracking_kritisches_netzwerk.jpgAuch bei der Drogerie-Kette dm sollen Beschäftigte Smartphones erhalten. Detaillierte Fragen zum Sortiment oder zu Inhaltsstoffen könnten so in den Märkten sofort beantwortet werden. „Digitalisierung ist mehr als nur Online-Shop“, sagt dm-Chef Erich Harsch. Sie habe Auswirkungen auf Prozesse, Arbeitsweisen, Arbeitsmittel und die Kommunikation mit Kunden. Martin Dallmeier, dm-Geschäftsführer, verkündet sogar:Wir tragen die Digitalisierung in die breite Bevölkerung, um die Gesellschaft auf den Wandel vorzubereiten.“. Vorteile hätten auch die Kunden: „Das Unternehmen will damit die Kompetenz der Beschäftigten stärken und zugleich den Service für die Kunden verbessern“, meldet ntv. Die technischen Neuerungen werden mit positiven Begriffen versehen, sollen die Modernität der Unternehmen signalisieren.

Welche Risiken aus Sicht der Beschäftigten damit verbunden sein können, spielt in den Medienberichten keine Rolle. Denn durch den Smartphone-Einsatz werden die Beschäftigten jederzeit ortbar. Es können Daten ermittelt werden, wann sich welcher Arbeitnehmer wo aufgehalten hat – um später auszuwerten, wie lange sich wer im Lager oder an der Kasse aufgehalten hat. So kann ein „Performance Index“ erstellt werden, bei dem sich Beschäftigte rechtfertigen müssen, warum sie im Lagerbereich länger gebraucht haben als der Durchschnitt der Kollegen.

Digitale Technik hat schon heute gravierende Auswirkungen. So wird ein Arbeiter beim Vorreiter der Digitalisierung, Amazon, als „Picker“ [Greifer] mit einem Chip am Arm eingesetzt, damit er beim Zusammenstellen der Pakete ständig erreichbar ist. „Dieser Chip ermöglicht aber auch, dass der Mitarbeiter an jedem Ort in der Halle ständig überwacht werden kann“, erläutert der Vorsitzende des DBB-Bayern, Matthias Jena. Er schildert die Abmahnung eines Amazon-Mitarbeiter, der sich fünf Minuten nicht bewegt habe.

smartphone_staendige_erreichbarkeit_digitalisierung_personalsteuerung_personalueberwachung_mitarbeiterueberwachung_tracking_ueberwachung_digitale_arbeitswelt_kritisches_netzwerk.jpgDie neue Technik eignet sich ideal zur Arbeitssteuerung und bringt so Big Data in den Betrieb: Mithilfe statistischer Erhebungen und Vorhersagen des Arbeitsanfalls und Kundenverhaltens können Vorgaben des Arbeitsvolumens ermittelt werden, um Personalkapazitäten, Dienstpläne und die Verteilung der Arbeitszeiten bis hin zur Lage der Pausen zu steuern.

Derzeit entscheidet sich in den Betrieben, wie die digitale Arbeitswelt aussehen soll. Und dabei zeigt sich: Für die einen ist es ein Smartphone – für die anderen ist es ein Mittel zu „mobilen Assistenz“. Nach einer Studie wird die mobile Assistenz gerade in der Industrie zunehmen, um Daten effizienter und schneller auswerten können (siehe Fraunhofer-IAO: Produktionsarbeit der Zukunft – Industrie 4.0 >> zur Studie).

Ein solches System soll die Arbeitnehmer bei der Entscheidung unterstützen, prognostiziert Professor Gunther Reinhart, Institutsleiter des "Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften" (iwb): „Damit der Mensch mit der Produktionssteuerung oder der Maschine interagieren kann, muss die mobile Assistenz zunehmen. Bei einer Fehlermeldung einer Maschine kann sich das ›iProductionPad‹ vor Ort vernetzen und den Fehlerspeicher auslesen und interpretieren. Das ›iProductionPad‹ kann Temperaturen oder Frequenzen der Maschine messen, Anweisungen geben und deren Zustand sehr schnell analysieren und diagnostizieren“.

Möglich wird so die totale Überwachung des Arbeitnehmers, der jederzeit ortbar ist und dessen Verhalten dokumentiert wird.

Ein weiterer Aspekt der Veränderung sind Fragen der Qualifizierung. Virtuelles Lernen wird unter dem Schlagwort „E-Learning“ immer mehr zum Thema. Dies kann durch Angebote, die Unternehmen per Internet oder Smartphone machen, vorangetrieben werden. Was im ersten Moment modern klingt, da Lernprogramme inzwischen abwechslungsreiche Animationen bieten, wird jedoch vom Management gezielt zur Kostensenkung genutzt. Zunehmend versuchen Unternehmen, die Lernzeiten in die Freizeit zu „delegieren“. Diese Gefahr ist bei E-Learning besonders groß, da das Material über Internet zuhause bearbeitet werden kann. Die Folge oft: Lernen nebenbei am Küchentisch. Damit beinhaltet der Smartphone-Einsatz das Risiko, die Arbeit weiter in das Privatleben auszuweiten.

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Ein betriebliches Beispiel verdeutlicht, wie schnell neue Technik Nachteile für Arbeiter haben kann. Statt wie bisher der Außendienst- und Verwaltungsbereich wurden im Betrieb Arbeiter mit Smartphones auf Firmenkosten ausgestattet. Die Begeisterung der Beschäftigten war groß, nachdem der Werksleiter verkündete, diese Geräte könnten auch privat genutzt werden. Als dann die Meister diese jedoch öfters am Wochenende oder im Urlaub für betriebliche Kommunikation mit Mitarbeitern ihres Teams nutzten und verkündet wurde, die Arbeit könnten jetzt über „WhatsApp-Gruppen“ die Vertretung für Wochenendschichten untereinander „freiwillig“ nutzen, wurden die Probleme sichtbar. Der Betriebsrat griff in diesem Fall regelnd ein. Das Beispiel zeigt aber, dass Probleme der ständigen Erreichbarkeit zukünftig nicht auf den Dienstleistungsbereich begrenzt bleiben. Auch im Industriebereich wird es Handlungsfeld für Betriebsräte. Dabei hat eine Untersuchung der Krankenkassen die negativen Folgen der Erreichbarkeit auch im Privaten klar beschrieben.

Die Untersuchung macht auch deutlich, dass Arbeitnehmer das Thema oft unterschätzen, in Betrieben gibt es häufig einen schleichenden Übergang zur Erreichbarkeit im Privaten. So zeigen alleine diese Smartphone-Beispiele, wie wichtig Regeln über den Technik-Einsatz sind. Und sie zeigen, dass Unternehmen die Digitalisierung in ihrem Sinne nutzen, wenn keine Interessenvertretung der Beschäftigten erfolgt. Ansonsten scheint das Motto zu sein: was die Technik kann, wird auch getan.

Marcus Schwarzbach, Berater für Betriebsräte.
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Lesetipps:

Thomas Hagenhofer: Industrie 4.0 – Was ist das eigentlich? - weiter.

Marcus Schwarzbach: Arbeit 4.0: zurück in die Zukunft  - weiter.

Matthias Burchardt: Digitalisierung von Bildung als neoliberales Projekt - weiter.

Kerem Schamberger: Digitalisierung ist Klassenfrage - isw-forum zu digitaler Arbeit und Industrie 4.0 - weiter.

Götz Eisenberg: Freiwillige digitale Knechtschaft. - weiter.

Katrin McClean: Der marktgerechte Mensch: Diktat des Wettbewerbs - weiter.

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► Quelle: Erstveröffentlicht am 02. November 2017 bei isw-München >> Artikel. Marcus Schwarzbach ist Gastautor bei isw-München.

Mehr Informationen und Fragen zur isw:

isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.

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Infos über Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. :

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Das isw versteht sich als Wirtschaftsforschungs-Institut, das alternativ zum neoliberalen Mainstream Analysen, Argumente und Fakten für die wissenschaftliche und soziale Auseinandersetzung anbietet. Unsere Themen und Forschungen beziehen sich deshalb in besonderem Maß auf die "Bedürfnisse" von Gewerkschaften und von sozialen, ökologischen und Friedensbewegungen. Unser Anspruch ist, Wissenschaft in verständlicher Form darzustellen und anschaulich aufzubereiten. Deshalb sind isw-Ausarbeitungen auch besonders geeignet für Unterricht und Schulungsarbeit und als Grundlage für Referate und Diskussionen. Die Mehrheit unserer LeserInnen, AbonnentInnen und Förder-Mitglieder sind Menschen, die sich in Bewegungen und Gewerkschaften engagieren.

  • Im Zentrum unserer wissenschaftlichen Analysen und Forschungsarbeit stehen Fragen und Probleme der Globalisierung, der Bewegung des transnationalen Kapitals, der Rolle und Wirkungen der Multis und transnationalen Institutionen (IWF, WTO, OECD, G7, etc).
  • Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt bilden Verteilungsfragen: Einkommens- und Vermögensverteilung, Interdependenz von privatem/gesellschaftlichem Reichtum und Armut.
  • Im Rahmen der Friedensforschung befassen wir uns mit Aspekten der Rüstungsökonomie (z.B. Konzentration in der Rüstungsindustrie), der Militärstrategie und Auswirkungen von Rüstung und Krieg.
  • Im ökologischen Bereich konzentrieren wir uns auf Fragen der Energiewirtschaft und -konzerne.
  • Schließlich beschäftigen wir uns kontinuierlich mit Untersuchungen zur Entwicklung der Sozialsysteme, der Konjunktur- und zyklischen Entwicklung der Weltwirtschaft.

Auf Veranstaltungen und jährlich stattfindenden isw-Foren werden Erfahrungen ausgetauscht, Gegenstrategien diskutiert und Alternativen erarbeitet. Wir freuen uns über Vorschläge und Anregungen, aber auch über solidarische Kritik.

Ein alternatives Projekt wie das isw ist auf aktive Mitarbeit und auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Die materielle Grundlage unserer Arbeit schaffen unsere Leserinnen und Leser. Weder Parteien noch Verbände noch Stiftungen alimentieren uns. Unsere Publikationen finanzieren wir, neben der Selbstausbeutung der Autorinnen und Autoren und der zahlreichen Aktiven im Institut, aus den Beiträgen der rund 1.500 FörderInnen und AbonnentInnen. Wir schaffen derzeit eine plus/minus Null-Bilanz. Eine neue Steuerregelung kostet uns allerdings viel Substanz. Jeder Euro, jedes zusätzliche Fördermitglied, jedes zusätzliche Abonnement ist von Bedeutung. Spenden sind in voller Höhe steuerlich absetzbar.

Publikationen: Hier können Sie einzelne Printpublikationen des isw bestellen - weiter.



► Bild- und Grafikquellen:

1. SMARTPHONE-Sucht: Jederzeit, an jedem Ort . . Welche Risiken aus Sicht der lohnabhängiger Beschäftigte damit verbunden sein können, spielt in den Medienberichten keine Rolle. Denn durch den Smartphone-Einsatz werden die Beschäftigten jederzeit ortbar. Es können Daten ermittelt werden, wann sich welcher Arbeitnehmer wo aufgehalten hat – um später auszuwerten, wie lange sich wer im Lager oder an der Kasse aufgehalten hat. So kann ein „Performance Index“ erstellt werden, bei dem sich Beschäftigte rechtfertigen müssen, warum sie im Lagerbereich länger gebraucht haben als der Durchschnitt der Kollegen. Foto: Nicolas Nova, Geneva/CH. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

2. Smartphone als Arbeitsmittel: ständige Erreichbarkeit und Überwachung des Personals. Termingebundene Aufträge und Kundenbetreuungen müssen eingehalten werden. Eine strenge Überwachung spielt für viele Unternehmer daher eine wichtige Rolle. So nutzen einige Arbeitgeber auch die Möglichkeit einer Handyortung ihrer Mitarbeiter. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit ein solches Vorgehen und insbesondere eine Personenortung rechtlich vereinbar sind.

Viele Außendienstmitarbeiter mit Firmenfahrzeug werden von ihrem Arbeitgeber mit einem GPS-fähigen Smartphone ausgestattet. Mithilfe dieses Handys können nicht nur Probleme vor Ort geklärt werden, sondern es kann auch über GPS geortet werden. Auch wenn das Handy im Firmenfahrzeug liegen bleibt, kann der Arbeitgeber jederzeit feststellen, wo sich das Fahrzeug gerade aufhält. Dabei sendet das Gerät kontinuierlich GPS-Signale aus, die lokalisiert werden können.

Foto: TeroVesalainen / Tero, Finnland. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Grafik.  

3. Unter E-Learning (englisch electronic learning = „elektronisch unterstütztes Lernen“, wörtlich: „elektronisches Lernen“), auch als E-Lernen (E-Didaktik) bezeichnet, werden – nach einer Definition von Michael Kerres – alle Formen von Lernen verstanden, bei denen elektronische oder digitale Medien für die Präsentation und Distribution von Lernmaterialien und/oder zur Unterstützung zwischenmenschlicher Kommunikation zum Einsatz kommen. Für E-Learning finden sich als Synonyme auch Begriffe wie: Online-Lernen (Onlinelernen), Telelernen, multimediales Lernen, computergestütztes Lernen, Computer-based Training, Open and Distance-Learning u. a. Grafik: kai kalhh, Hamburg. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Grafik.  

4. Smartphone-Studien belegen, daß immer mehr Kinder und Jugendliche süchtig nach Handynutzung sind - quasi die digitale Versuchung in der Hosentasche. Smartphone läuft Fernsehen als Leitmedium Rang ab. Bereits zwei Drittel der Acht- bis 14-Jährigen nutzen ein Smartphone. Konzentrationsschwäche, Mobbing und schulische Probleme sind die Folgen bzw. werden durch zunehmende Diitalisierung verstärkt. Grafik: natureaddict. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Bild