Dekadenz und Zynismus der politischen Clique

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Dekadenz und Zynismus der politischen Clique
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Dekadenz und Zynismus der politischen Clique

Le pain est le droit du peuple! (frei: Genug Brot zu haben, ist ein Recht des Volkes!)

by Gerhard Mersmann | NEUE DEBATTE

Ein Bäcker irgendwo in Nordrhein-Westfalen hat die Zeichen der Zeit erkannt. Neben den von der inflationären Preisentwicklung betroffenen Brotsorten, die alle weit über 4 Euro lagen, kreierte er ein von ihm als Inflationsbrot [1] bezeichnetes Mischbrot: Gewicht 750 Gramm, Preis 2,50 Euro.

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► Politik für die Reichen

Was als Anekdote durch manche Journale ging, ist ein von den Gewinnern der Krisen belächeltes Faktum. Ja, es ist Realität, dass immer größere Teile der Bevölkerung dem gnadenlosen Prozess der Verarmung unterliegen, während – auch das ist eine Schlagzeile – ebenfalls vor den Niederlassungen von Luxusmarken lange Schlangen gesichtet werden. Die immer wieder so gerne geleugnete Tatsache der Spaltung der Gesellschaft hat sozial seit Langem stattgefunden. Dass daraus auch eine mentale Entzweiung resultiert, ist folgerichtig.

Ob Finanzkrise, Corona oder Ukraine-Krieg, eines haben diese Ereignisse gemeinsam zur Folge: Die Reichen wurden reicher und die Armen ärmer. Die Politik, die zu dieser Entwicklung geführt hat, ist die der Gewinner.

Mache sich niemand darüber Illusionen. Wenn unter dem Strich immer nur eine Gruppe profitiert, dann ist es diese Gruppe, die die Politik bestimmt. Darüber sollten weder irgendwelche Einmalzahlungen, Benzinsubventionen oder 9-Euro-Tickets hinwegtäuschen. Während die Endverbraucher blechen müssen und zusätzlich zahlen sollen wie bei der Gasumlage, während eine Übergewinnsteuer ein Tabu bleibt, wird der Prozess der neoliberalistischen Bereicherung auf Kosten derer, denen die Wertschöpfung zu verdanken ist, weitergetrieben. Die mentale Verwahrlosung der Claqueure dieser Politik ist so weit fortgeschritten, dass sie an den Vorabend der Französischen Revolution erinnert.

Unterdrueckung-Humanschrott-Nutzmenschhaltung-Markthomunculus-Homo-oeconomicus-Neoliberalismus-Kritisches-Netzwerk-Sozialabbau-Sozialdarwinismus-Sozialdumping-Mies-01

► Ihre Dekadenz und ihr Zynismus

In den Volksgerichtshof gleichen Polit-Talk-Sendungen werden nicht nur in billigen Frame-Up-Verfahren alle, die Zweifel an der sozialen Vertretbarkeit dieser Politik hegen, mit Freislerscher Intonation niedergebügelt, sondern die Leitartikler der großen, monopolisierten Gazetten greifen auf ein Vokabular zurück, das die Dekadenz der untergehenden Royalisten im vorrevolutionären Frankreich noch in den Schatten stellt.

Zynismus_Zyniker_Zynikerin_bissiger_Spott_menschenverachtende_Haltung_Schamlosigkeit_beleidigend_Ironie_Herablassung_Verhoehnung_Verachtung_Kritisches-NetzwerkDa wird ein Großteil der Bevölkerung als Mob oder Pöbel bezeichnet und niemand in Politik und Medien, aber auch der Justiz sieht eine Veranlassung, sich dagegen zu positionieren. Dass da dann auch noch Außenministerin Annalena Baerbock, die weder durch ihren Charme noch durch ihre Tragik an die unglückselige Marie Antoinette [2] erinnert, sich dennoch deren rhetorischen Figuren zu eigen macht, belegt das fortgeschrittene Stadium der Dekadenz.

Wie die auf der Guillotine gelandete französische Königin, die dem Volk, das nach Brot schrie, angeblich riet, doch stattdessen Kuchen zu essen, so gab die Ministerin aus dem Jahr 2022 allen, die sich über hohe Benzinpreise beklagten, den Rat, dann doch lieber E-Autos zu fahren. Der Zynismus der Satten scheint universal zu sein.

[Anm. H.S.: Der Kuchen-Spruch ist nachweislich nicht Marie Antoinette zuzuschreiben und wird ihr nur untergeschoben. Es fehlt jeglicher Beleg, wann Marie Antoinette es zu wem gesagt haben könnte. Stattdessen finden sich Briefstellen, in denen sie sich für die Notleidenden ausspricht. In den Memoiren („Les Confessions (Bekenntnisse“) des Philosophen, Pädagogen und Schriftstellers Jean-Jacques Rousseau (* 28. Juni 1712 in Genf; † 2. Juli 1778 in Ermenonville bei Paris) findet sich diese Aussage: "Endlich erinnerte ich mich des Notbehelfs [der Notlösung] einer großen Prinzessin, der man sagte, die Bauern hätten kein Brot, und die antwortete: Dann sollen sie Brioche essen!"

Rousseau schrieb dies in den 1760er-Jahren, als Marie Antoinette, gerade zehn Jahre alt, in Wien lebte, keinesfalls eine "große Prinzessin". Veröffentlicht wurde das Buch 1782, als Marie Antoinette bereits unter fortgesetztem Verschwendungsverdacht stand. Die häufige Übersetzung von brioche mit ‚Kuchen‘ in diesem Zitat ist irreführend, da die französischen Brioches im 18. Jahrhundert wenig Butter und Zucker enthielten und näher beim Weißbrot als beim Kuchen lagen. -Helmut Schnug]

► Le pain est le droit du peuple! (frei übersetzt: Genug Brot zu haben, ist ein Recht des Volkes!)

Le pain est le droit du peuple! Das Brot ist das Recht des Volkes. Mit dieser wirkungsvollen Parole, die sich aus der tatsächlichen Not der Bevölkerung speiste, bekam die Französische Revolution den Schwung, dessen es bedurfte, um die Monarchie vom selbstherrlichen Thron zu stoßen.

Das Brot des Bäckers ist ein Verweis auf die existierenden Bedingungen, die politisch gelöst werden müssen. Es geht nicht nur um Brotpreise, sondern um eine Politik, die sich exklusiv dem Wohl derer verschrieben hat, die nichts anderes im Sinn haben, als ihren nicht mehr in Zahlen zu fassenden Reichtum durch Raub und Plünderung ins Astronomische zu vergrößern.

Brot_Roggenbrot_Weizenbrot_Kornbrot_Baeckerbrot_Brotpreisentwicklung_Energiekosten_Energieverbrauch_Brotpreise_Weizenpreis_Lebensmittelpreise_Kritisches-Netzwerk

Mit ihrem Zynismus erinnern sie täglich mehr an jene, die in der Französischen Revolution in großer Zahl auf der Guillotine landeten. Auch sie waren bis zum letzten Moment arrogant und fühlten sich sicher. Le pain est le droit du peuple!

Gerhard Mersmann

[1] »Kunden bleiben weg, Kosten explodieren – Bäcker schlagen Alarm. Bald kriegen wir nix mehr gebacken.« Von: TIM SPECKS, ANJA TISCHENDORF und LISA UNVERFERT, BILD-Artikel, 19.08.2022 >> weiter.

[2] Marie-Antoinette von Österreich-Lothringen (* 2. November 1755 in Wien; † 16. Oktober 1793 in Paris) wurde als Erzherzogin Maria Antonia von Österreich geboren. Durch Heirat mit dem Thronfolger Ludwig August wurde sie am 16. Mai 1770 Dauphine (etwa vergleichbar mit dem Adelstitel Kronprinzessin) von Frankreich. Nach der Thronbesteigung ihres Ehemanns als Ludwig XVI. war sie vom 10. Mai 1774 an Königin von Frankreich und Navarra.

Nach der Französischen Revolution 1789, deren erste Phase bis 1791 andauerte und im Zeichen des Kampfes für bürgerliche Freiheitsrechte und für die Schaffung einer konstitutionellen Monarchie stand, war Marie-Antoinette vom 4. September 1791 bis zum 10. August 1792 Königin der Franzosen. Sie wurde zum Ziel massiver Kritik und Propaganda. Ludwig XVI. wurde am 21. Januar 1793 hingerichtet, Marie-Antoinette am 14. Oktober des gleichen Jahres.

Die Hinrichtung fand am 16. Oktober statt. Um 12 Uhr wurde Marie-Antoinette auf dem Revolutionsplatz, dem heutigen Place de la Concorde, enthauptet. Eine Zeichnung des Malers Jacques-Louis David zeigt die Verurteilte auf dem Henkerskarren bei ihrer Fahrt zur Guillotine. Er stand am Fenster, als sie unten auf der Straße vorbeigefahren wurde. Ihre letzten Worte waren „Pardon, Monsieur“, da sie dem Henker versehentlich auf den Fuß getreten war.

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»Der Pauperismus ist, will man ihn durch ein einziges Wort definieren, die Epidemie der Armut«
(Émile Laurent, * 10. August 1830; † 19. Feb. 1900)


Quelle: Dieser Artikel von Gerhard Mersmann wurde am 27. August 2022 unter dem Titel "Die Zeichen der Zeit: Le pain est le droit du peuple!" erstveröffentlicht auf der Webseite NEUE DEBATTE - "Journalismus und Wissenschaft von unten" >> Artikel.

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Gerhard Mersmann, Dr. phil., (Jahrgang 1956), gebürtiger Westfale, ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen.

Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Publizistische Aktivitäten durchziehen seine gesamte Biographie. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen. Mersmanns persönliches Blog >> https://form7.wordpress.com/ .


► Bild- und Grafikquellen:

1. Bäcker beim Entleeren eines Backofens. Im Herbst 2022 könnte man bei weiter steigenden Strom- und Heizkosten für ein Kilogramm Brot bis zu 10 Euro bezahlen, wie es die Bäcker heute schon voraussagen. Foto: JULIENDavid / David JULIEN, Méral/France. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

2. Unterdrückung abgehängter Menschen (Humanschrott): »Der konformistisch-ökonomistisch und idiotisiert-funktionalisiert verformte Markt-Homunculus entspricht dem Menschenbild der Neoliberalen (Homo oeconomicus). Sie wollen den „neuen Menschen“ schaffen: Dieser darf sich nur innerhalb des gesetzten Rahmens der neoliberal pervertierten menschenverachtenden Ordnung „verwirklichen“, vor allem darf er den gesetzten Rahmen des Laufstalls organisierter Beschränkung, Verblödung und geistiger Enge nicht erkennen und schon gar nicht verlassen.

Die Herrschaftsträger setzen alles daran, dass der Mensch nicht befähigt wird, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Er soll gehorchen, funktionieren, keine Fragen stellen und sich der „freien Marktordnung“ und ihren „Wahrheiten“ hingeben. Seine einzige Funktion besteht darin, selbst zum Träger der neoliberalen Ideologie zu werden.

Er soll minimale Kosten verursachen – und soweit ökonomisch teilhabefähig – maximal konsumieren und für den Fall des „selbstverschuldeten“ Ausscheidens aus dem Markt – als dann lebensunwerter „Sozialschmarotzer“ – maximal frühzeitig aus dem Leben scheiden.« (-Zitat aus einem Artikel von Ullrich Mies). Foto OHNE Inlet: Lode Van de Velde, Autor und Fotograf > http://lode.weebly.com/. Quelle: Lode Van de Velde hat dieses "Trampled Underfoot" Bild unter Public Domain Lizenz veröffentlicht (CC0 1.0). Das bedeutet, dass Sie es für Ihre persönlichen und gewerblichen Projekte nutzen und modifizieren können. >> Foto. Das Textinlet wurde nach einer Idee von Helmut Schnug von Wilfried Kahrs (WiKa) eingearbeitet.

3. Textgrafik: »Alle sagen, Zynismus helfe nicht weiter. Mir schon!« - diese Aussage könnte von Annalena Baerbock stammen. Die Textgrafik besteht nur aus einfachen geometrischen Formen und Text. Sie erreichen keine Schöpfungshöhe, die für urheberrechtlichen Schutz nötig ist, und sind daher gemeinfrei. Dieses Bild einer einfachen Geometrie ist nicht urheberrechtsfähig und daher gemeinfrei, da es ausschließlich aus Informationen besteht, die Allgemeingut sind und keine originäre Urheberschaft enthalten. > This image of simple geometry is ineligible for copyright and therefore in the public domain, because it consists entirely of information that is common property and contains no original authorship.

4. Brote im Regal: Der Bauernverband Schleswig-Holstein rechnet damit, dass der Brotpreis bald auf 10 Euro steigen könnte. Der Verband rechnet mit einem Anstieg der Lebensmittelpreise um durchschnittlich 20 bis 40 Prozent. Grund dafür sei der deutlich gestiegene Weizenpreis. Foto: TiBine / Sabine Schulte, Taufkirchen. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.