Der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung
von Franz Garnreiter c/o Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.
In der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 wurde beschlossen, den Klimawandel auf unter 2°C zu begrenzen und alle Anstrengungen darauf zu richten, nicht mehr als 1,5°C Erwärmung zu verursachen. Basis dafür sind die Klimaschutzzusagen der beteiligten Regierungen, die zusammen allerdings die Erwärmung erst bei etwa 3 °C stoppen. Es fehlt also noch sehr viel.
Die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks machte sich nach der Rückkehr aus Paris daran, in einem durchaus aufwendigen Prozess mit Bürgerbeteiligung, Diskussionen mit Interessengruppierungen und mit Wissenschaftlern die Klimaschutz-Absichtserklärung der EU für die Pariser Konferenz in ein nationales Programm zu konkretisieren – erst mal konzentriert auf das Zwischenziel 2030. Bis zu diesem Jahr sollen die Treibhausgas-Emissionen um 55 % gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 reduziert werden. Angesichts des ganz unzureichenden Standes heute (erst 27 % Reduzierung seit 1990) ist das ein anspruchsvolles Ziel, das eingriffsintensive Maßnahmen fordert.
Zu Beginn im Frühjahr 2016 war der erste Entwurf wohl ein ganz brauchbares Papier. Dann kam die Abstimmung mit den anderen Ministerien, als erstes mit dem Wirtschaftsminister. Gabriel kassierte den ersten Entwurf – für seinen Geschmack enthielt er viel zu scharfe Anforderungen an Industrie und Energiewirtschaft. Ähnlich zerrupften andere beteiligte Ministerien (v.a. Verkehr und Landwirtschaft) diesen Plan. Die Bewertungen seitens der Regierungskollegen lauteten „Horrorkatalog“, „überhastete Vorschläge“, „grundsätzliche Vorbehalte“, „große Gefahr für Wirtschaft und Wohlstand“, „untragbar“. Erfolgreich bekämpft, also aus dem vorgelegten Papier raus gestrichen, wurden von den Klimaschutzgegnern alle Konkretisierungen:
- ein zügiger Kohleausstieg aus Kohleabbau und Kohlekraftwerken mit Ausstiegsterminen,
- Vorgaben für den Heizungsverbrauch von Wohngebäuden,
- Vorgaben für Bürogebäude,
- eine Verkehrspolitik, die mehr will als von BMW akzeptierte CO2-Emissionsgrenzen,
- Maßnahmen zur Reduzierung des Fleischkonsums und des Düngereinsatzes,
- Einsparungsvorgaben für industrielle Prozesse.
Frau Hendricks wollte mit einem tollen Klimaschutzplan auf der diesjährigen Klimakonferenz in Marrakesch (7. bis 18. November) als Star punkten. Mit Müh und Not ist ihr Plan am 14. 11. 2016 im Kabinett beschlossen worden, wobei ihm jetzt zur Freude der CDU „die Zähne gezogen“ sind. Auch Gabriel freute sich: „Es hat sich gelohnt“, sein letztes Eingreifen noch mal zugunsten der Industrie.
► Warum wollen wir eigentlich Klimaschutz?
Dass der Klimaschutz eine große, die gesamte Gesellschaft umfassende Aufgabe ist, davon ist im Klimaschutzplan 2050 [⇒ siehe am Seitenende] nichts zu spüren. Das wirkliche Interesse der Regierung am Klimaschutz offenbart sich in einer Kapitelüberschrift: „Klimaschutz als Modernisierungsstrategie unserer Volkswirtschaft“ (S. 10). Konkret: „Dabei ist Klimaschutz ein Treiber … für eine Modernisierungsstrategie, die das Ziel hat, … die internationale Wettbewerbsfähigkeit der industriellen Produktion … in Deutschland auch unter den Bedingungen einer ambitionierten Klimaschutzpolitik zu erhalten“ (S. 57).
Das ist eine etwas seltsame Satzbaulogik (das Papier ist in der Eile überhaupt richtig schlampig aus den einzelnen Versatzstücken zusammen gestückelt worden), aber der Sinn ist klar: Wir betreiben Klimaschutz nicht etwa deshalb (hauptsächlich), weil wir den Klimawandel verhindern wollen, sondern unser Ziel ist die internationale Konkurrenzfähigkeit, es ist: Deutschland vorne. Wenn schon der Zeitgeist für Klimaschutz weht, dann muss Deutschland der Hauptgewinner sein. Deutschland soll vom möglichen Megamarkttrend Klimaschutz das meiste abschöpfen. Dieses Motto, dieser Tenor in der Sprache, zieht sich durch den kompletten Text – abgesehen von einigen einleitenden Bemerkungen, die wohl noch von Umweltministerialen satammen, und in denen sogar mal von Verantwortung gegenüber den Leidtragenden die Rede ist.
Es gibt im gesamten Text von 90 Seiten keinerlei Diskussion, wie sich die Gesellschaft angesichts des Klimawandels ändern muss, welche Herausforderungen auf Bewusstsein und Handeln der Einzelnen zu kommt. Begriffe wie Wachstumskritik oder Solidarität tauchen kein einziges mal in den 90 Seiten auf. Die Begriffe Luxus und Verteilung ebenfalls nicht. Es gibt keinerlei Diskussion, ob der drohende Klimawandel eventuell erfordert, unseren Lebensstil zu ändern oder den Luxus der 1 % oder der 10 % Reichsten zu kappen, ob eine Umverteilung angebracht ist, um die gigantischen Stoffströme und Energieströme einzudämmen, ob die nötigen hohen Energiepreise womöglich mit Vorstellungen von Verteilungsgerechtigkeit in Konflikt geraten und wie darauf zu reagieren ist, ob das hochgezüchtete Konkurrenzdenken der Machthaber und das Gefühl des Überflüssig-seins bei den Machtlosen zur notwendigen Solidarität und Verantwortungsübernahme bei der Bekämpfung des Klimawandels passt.
Der Klimaschutzplan 2050 handelt von einem ganz anderen Thema. Es geht darum, nur ein Beispiel: „Wir brauchen eine global wettbewerbsfähige Batteriezellfertigung in Europa“ (S. 49). Der Begriff "Wettbewerb" kommt 31mal vor in den 90 Seiten über (angeblich) Klimaschutz. [⇒ siehe am Seitenende]. Der Begriff "Digitalisierung" kommt 22mal vor. Mit Digitalisierung rauf und runter, mit Industrie 4.0 macht die Regierung jetzt Klimaschutz – um die internationale Konkurrenzfähigkeit der hiesigen Konzerne, der eigenen Global Players, weiter nach vorne zu puschen. Klimaschutz ist hier eine rein technizistisch-betriebswirtschaftliche Angelegenheit, die die Wirtschaftsingenieure durchrechnen sollen.
Durchaus sehr konkret wird dieser Plan immer, wenn die Regierung der Industrie zu Diensten sein darf, etwa: „Die Ausstattung der bewirtschafteten Rastanlagen bis 2017 mit Schnellladesäulen ist Teil dieses Strategierahmens“ (S. 53). Vage bleibt er beim Klimaschutz: „Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird auch in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle spielen“ (S. 33). Das Fazit dieses völlig desorientierten Pseudo-Klimaplanes ist folgerichtig: „Der Klimaschutzplan 2050 wird im Jahr 2018 mit einem in seiner Minderungswirkung quantifizierten Maßnahmenprogramm unterlegt, das sicher stellt, dass die 2030er Ziele erreicht werden“ (S. 83), d.h. die 55 % Reduzierung.
Also: 2017 passiert erst mal gar nichts, es eilt ja nun wirklich nicht. 2018 fangen wir mit der Gesetzesarbeit an, dann wird es ernst (das bisherige ist nur ein unverbindlicher Orientierungsrahmen). Zwei Jahre später, 2020, stellen wir dann fest, dass das alte Zwischenziel für 2020, nämlich 40 % Reduzierung, ewig weit entfernt liegt (2015 lagen wir bei 27 %); macht aber nix, wir haben im Klimaschutzplan 2050 umso schönere Ziele für 2030 aufgeschrieben.
Franz Garnreiter, Diplom-Volkswirt und Autor
► Quelle: Erstveröffentlichung am 28. November 2016 bei isw-muenchen.de > Artikel.
► Mehr Informationen und Fragen zur isw:
isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.
Johann-von-Werth-Straße 3, 80639 München
Fon 089 – 13 00 41
Fax 089 – 16 89 415
isw_muenchen@t-online.de
www.isw-muenchen.de / https://www.facebook.com/iswmuenchen
► Infos über Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. :
Im Juni 1990 haben kritische Wirtschafts- und SozialwissenschaftlerInnen zusammen mit GewerkschafterInnen in München das isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. gegründet. Seitdem haben wir fast zweihundert Studien und Berichte veröffentlicht.
Das isw versteht sich als Wirtschaftsforschungs-Institut, das alternativ zum neoliberalen Mainstream Analysen, Argumente und Fakten für die wissenschaftliche und soziale Auseinandersetzung anbietet. Unsere Themen und Forschungen beziehen sich deshalb in besonderem Maß auf die "Bedürfnisse" von Gewerkschaften und von sozialen, ökologischen und Friedensbewegungen. Unser Anspruch ist, Wissenschaft in verständlicher Form darzustellen und anschaulich aufzubereiten. Deshalb sind isw-Ausarbeitungen auch besonders geeignet für Unterricht und Schulungsarbeit und als Grundlage für Referate und Diskussionen. Die Mehrheit unserer LeserInnen, AbonnentInnen und Förder-Mitglieder sind Menschen, die sich in Bewegungen und Gewerkschaften engagieren.
- Im Zentrum unserer wissenschaftlichen Analysen und Forschungsarbeit stehen Fragen und Probleme der Globalisierung, der Bewegung des transnationalen Kapitals, der Rolle und Wirkungen der Multis und transnationalen Institutionen (IWF, WTO, OECD, G7, etc).
- Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt bilden Verteilungsfragen: Einkommens- und Vermögensverteilung, Interdependenz von privatem/gesellschaftlichem Reichtum und Armut.
- Im Rahmen der Friedensforschung befassen wir uns mit Aspekten der Rüstungsökonomie (z.B. Konzentration in der Rüstungsindustrie), der Militärstrategie und Auswirkungen von Rüstung und Krieg.
- Im ökologischen Bereich konzentrieren wir uns auf Fragen der Energiewirtschaft und -konzerne.
- Schließlich beschäftigen wir uns kontinuierlich mit Untersuchungen zur Entwicklung der Sozialsysteme, der Konjunktur- und zyklischen Entwicklung der Weltwirtschaft.
Auf Veranstaltungen und jährlich stattfindenden isw-Foren werden Erfahrungen ausgetauscht, Gegenstrategien diskutiert und Alternativen erarbeitet. Wir freuen uns über Vorschläge und Anregungen, aber auch über solidarische Kritik.
Ein alternatives Projekt wie das isw ist auf aktive Mitarbeit und auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Die materielle Grundlage unserer Arbeit schaffen unsere Leserinnen und Leser. Weder Parteien noch Verbände noch Stiftungen alimentieren uns. Unsere Publikationen finanzieren wir, neben der Selbstausbeutung der Autorinnen und Autoren und der zahlreichen Aktiven im Institut, aus den Beiträgen der rund 1.500 FörderInnen und AbonnentInnen. Wir schaffen derzeit eine plus/minus Null-Bilanz. Eine neue Steuerregelung kostet uns allerdings viel Substanz. Jeder Euro, jedes zusätzliche Fördermitglied, jedes zusätzliche Abonnement ist von Bedeutung. Spenden sind in voller Höhe steuerlich absetzbar.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Erdball im Wasser. Foto: geralt / Gerd Altmann • Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden.
2. GOOD GIRLS GO TO HEAVEN BUT CO" GOES EVERYWHERE. Grafik: Flickr-user LIZ. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).
3. Plastikmüll: Die Überbleibsel unserer Wegwerfgesellschaft. Bei den Zersetzungsprozessen werden gefährliche Inhaltsstoffe wie Bisphenol A, Phtalate oder Flammschutzmittel freigesetzt, die sich in der Nahrungskette anreichern und nachhaltig das Erbgut und den Hormonhaushalt mariner Lebewesen beeinflussen können. Auch sind in der Langzeitfolge schädliche Auswirkungen auf den Menschen nicht auszuschließen. (Text: NABU). Foto: nforngwa. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden.
4. Industrie 4.0 ist ein Zukunftsprojekt in der Hightech-Strategie der Bundesregierung, mit dem die Informatisierung der klassischen Industrien, wie z.B. der Produktionstechnik, vorangetrieben werden soll. Das Ziel ist die intelligente Fabrik (Smart Factory), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Ergonomie sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse auszeichnet. Robotized Float Glass Unloading. Urheber: ICAPlants. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“.
5. Eisschmelze durch Erderwärmung. Foto: DigitalDesigner, London. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden.
NABU schreibt: zum Thema Plastikmüll und seine Folgen: Kaum eine Bedrohung der Meere ist heute so sichtbar wie die Belastung durch Plastikabfälle. In knapp 100 Jahren hat das anfänglich vielgelobte Material unseren blauen Planeten unwiederbringlich verändert. Wurden in den 1950er Jahren knapp 1,5 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr produziert sind es heute fast 300 Millionen Tonnen. Und ein viel zu großer Teil davon landet im Meer.
Etwa 75 Prozent der bis zu 10 Millionen Tonnen Müll, die jährlich in die Meere gespült werden, besteht aus Kunststoff. Nach Angaben des Umweltprogramms der vereinten Nationen (UNEP) treiben inzwischen auf jedem Quadratkilometer Meeresoberfläche bis zu 18.000 Plastikteile unterschiedlichster Größe. Doch was wir sehen ist nur die Spitze des Eisbergs, mehr als 70 Prozent der Abfälle sinken auf den Meeresboden und bleiben unserem Auge verborgen. Plastik ist im Meer nahezu unvergänglich, nur langsam zersetzt es sich durch Salzwasser und Sonne und gibt nach und nach kleinere Bruchstücke an die Umgebung ab. (Text: NABU)