Heimat als Utopie. Heimat – der offene Begriff

1 Beitrag / 0 neu
Bild des Benutzers Helmut S. - ADMIN
Helmut S. - ADMIN
Offline
Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Heimat als Utopie. Heimat – der offene Begriff
DruckversionPDF version

Heimat als Utopie. Heimat – der offene Begriff

Bin ich in dieses Land gekommen?

Ernst_Simon_Bloch_Prinzip_Hoffnung_Heimat_Kindheit_Heimatgefühl_Identitaet_Identifizierung_Jakob_Knerz_Karl_Jahraus_Tuebingen_Bewusstsein_Tagtraeume_Wunschbilder_Kritisches-NetzwerkVorbemerkung von H.S.: Ernst Simon Bloch (* 8. Juli 1885 in Ludwigshafen am Rhein; † 4. August 1977 in Tübingen; Pseudonyme: Karl Jahraus, Jakob Knerz) war ein deutscher Philosoph der „konkreten Utopien“, der Tagträume, des Prinzips Hoffnung. 

Im Zentrum seines Denkens steht der über sich hinausdenkende Mensch. Das Bewusstsein des Menschen ist nicht nur das Produkt seines Seins, es ist vielmehr mit „Überschuss“ ausgestattet. Dieser „Überschuss“ findet seinen Ausdruck in den sozialen, ökonomischen und religiösen Utopien, in der bildenden Kunst, in der Musik und in den Tagträumen.

Das "Prinzip Hoffnung" ist das Hauptwerk Ernst Blochs. Geschrieben wurde es zwischen 1938 und 1947 im US-amerikanischen Exil. Ursprünglich sollte "The dreams of a better life" heißen. Es erschien in drei Bänden ab 1954 zunächst in der DDR und 1959 im Verlag Suhrkamp. Seither ist der Begriff „Prinzip Hoffnung“ zu einem geflügelten Wort in den deutschen Feuilletons geworden.

Im letzten Band, den Prof. Dr. Bloch mit "Wunschbilder des erfüllten Augenblicks" bezeichnete, erforscht er diese eingehend in den Kategorien der Moral, der Musik, des Todes, der Religion, der Natur und schließlich der Heimat.

Mit Heimat lässt sich inzwischen beinahe alles verkaufen und vieles rechtfertigen. Umso wichtiger ist es, eine genaue und differenzierte Begriffsbestimmung vorzunehmen. Ausgehend von Ernst Blochs berühmtem Satz von der Heimat, die uns in die Kindheit scheint – und in der noch niemand wirklich war.

Ab hier nun die Worte meines hochgeschätzten Autors Dr. phil. Gerhard Mersmann, dessen geistreiche Texte ich mit Genehmigung anreichern und bereits seit Jahren im KN veröffentlichen darf. Dafür auch mal öffentlich herzlichen Dank. [H.S.] 

♦ ♦ ♦ ♦

Bin ich in dieses Land gekommen?

Von Gerhard Mersmann | Forum-M7.com

Bin ich in dieses Land gekommen,

um mir Jahrzehnte eine politische Debatte über das Asyl anzuhören?

um mir die ganze Zeit anzuhören, dass es kein anderes gibt, in dem das Leben so schön ist?

um mir ein Jahrzehnt lang das Wort „Dosenpfand“ in den Nachrichten anzuhören?

um mich an der Ablösung des „Dosenpfands“ durch den Begriff der „Nachhaltigkeit“ zu erfrischen?

um bei jeder Wahl mit dem Begriff des „kleineren Übels“ konfrontiert zu werden, das in keinem Punkt in der Lage ist, aus den eigenen Untaten zu lernen?

um bei jeder von mir geäußerten Kritik zu hören, ich solle doch woanders hingehen?

um mir anzuhören, man sei in jeder nur möglichen Disziplin Weltmeister?

um mir immer wieder anzuhören, dass Fremdes suspekt ist, aber nicht definiert werden kann, was nicht fremd, sondern üblich ist?

um festzustellen, dass Fragen als Fahnenflucht betrachtet werden?

um festzustellen, dass Unzufriedenheit mit der größt möglichen Irrationalität beantwortet wird?

Bin ich in dieses Land gekommen?

Bin ich jemals in diesem Land angekommen?

Oder hatte Ernst Bloch Recht, als er in seinem "Prinzip Hoffnung" Heimat als das definierte, was jedem in die Kindheit scheine – und in der noch niemand wirklich war?  

Gerhard Mersmann

Heimat als Utopie. Heimat – der offene Begriff (Dauer 29:37 Min.)

Ernst Blochs Abschlusssätze im Prinzip Hoffnung bilden ein fulminantes Furioso (Eberhard Braun) zum Thema Heimat:

»Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.« (Ernst Bloch, – Seite 1628).

»Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns? Viele fühlen sich nur als verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht.« (aus: Das Prinzip Hoffnung, Einleitung)

»Es gehört zum Wesen der Hoffnung, dass sie enttäuscht werden kann, sonst wäre sie ja Zuversicht. [..] Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt.«

Deprimiertheit_Deprivation_Depression_Kummer_Leid_Lethargie_Niedergeschlagenheit_Seelenschmerz_Sehnsucht_Prinzip_Hoffnung_Hoffnungslosigkeit_Kritisches-Netzwerk

»Nichts ist an sich gut, wenn es nicht begehrt wird. Aber nichts wird begehrt, wenn es sich nicht selbst als gut darstellt.«

»Das Leben ist bedenklich, doch per Saldo sollte es sich rentieren.«

»Furcht ist Besorgnis vor etwas Bestimmten - Angst ist Besorgnis vor etwas Unbestimmtem.«

»Alles Gescheite mag schon siebenmal gedacht worden sein. Aber wenn es wieder gedacht wurde, in anderer Zeit und Lage, war es nicht mehr dasselbe.«

»Denken heißt Überschreiten.« [..] »Geschultes Selbstdenken nimmt nichts als fix und fertig hin, weder zurechtgemachte Fakten noch totgewordene Allgemeinheiten noch gar Schlagworte voll Leichengift.«

»Irren mag menschlich sein, aber Zweifeln ist menschlicher - indem es gegen das Irren angeht.«

»Die Fälschung unterscheidet sich vom Original dadurch, daß sie echter aussieht.«

»Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.«

»Die Sehnsucht scheint mir die einzige ehrliche Eigenschaft des Menschen.«

Herz_Herzlichkeit_Liebe_Empathie_Prinzip_Hoffnung_Hoffnungsprinzip_Sehnsucht_Identitaet_Identifizierung_Vertrauen_Zufriedenheit_Zuversicht_Kritisches-Netzwerk


Gerhard Mersmann, Dr. phil., (Jahrgang 1956), gebürtiger Westfale, ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen.

Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Publizistische Aktivitäten durchziehen seine gesamte Biographie. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse sind auf seinem persönlichen Blog M7 regelmäßig nachzulesen. >> https://form-7.com/ .


► Quelle: Dieser Beitrag (ohne die Vorbemerkung) wurde am 28. Februar 2025 erstveröffentlicht auf https://form-7.com/ >> Artikel. Eigentümer, Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich ist Gerhard Mersmann.

ACHTUNG: Die Bilder, Grafiken, Illustrationen und Karikaturen sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten folgende Kriterien oder Lizenzen, siehe weiter unten. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt, ebenso die Komposition der Haupt- und Unterüberschrift(en) geändert.

► Bild- und Grafikquellen:

1. Prof. Dr. Ernst Bloch, fotografiert während des 15. Schriftstellerkongresses in Berlin, 13. Januar 1956. Foto: Krueger. Sammlung Bundesarchiv. Inventarnummer 183-35545-0009. Quelle: Flickr.

Dieses Bild wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen dem deutschen Bundesarchiv und Wikimedia Deutschland aus dem deutschen Bundesarchiv für Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt. Das deutsche Bundesarchiv gewährleistet eine authentische Bildüberlieferung nur durch die Originale (Negative und/oder Positive), bzw. die Digitalisate der Originale im Rahmen des Digitalen Bildarchivs. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ (CC BY-SA 3.0 DE) lizenziert.

ACHTUNG: Das Foto wurde von Helmut Schnug (horizontal) seitengespiegelt. Die Lizenz bleibt bestehen.

2. Deprimiertheit, Deprivation, Depression, Hoffnungslosigkeit, Kummer, Niedergeschlagenheit: »Es gehört zum Wesen der Hoffnung, dass sie enttäuscht werden kann, sonst wäre sie ja Zuversicht. [..] Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt.« (-Ernst Bloch). Illustration: Vilkasss / Vilius Kukanauskas, Hannover (user_id:35420724). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Illustration.

3. Herzlichkeit, Liebe, Prinzip Hoffnung, Hoffnungsprinzip, Zuversicht: Illustration: Geralt / Gerd Altmann, Freiburg (user_id:9301). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Illustration.