Kampf um die Köpfe in der digitalisierten Arbeitswelt

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Kampf um die Köpfe in der digitalisierten Arbeitswelt
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Kampf um die Köpfe in der digitalisierten Arbeitswelt

von Marcus Schwarzbach / Gastautor des isw München e.V.

Selbstbestimmung, Demokratie oder Freiheit – diese Begriffe werden häufig verwendet, um den Beschäftigten die neue digitale Arbeitswelt zu erklären. Unternehmen initiieren einen Kampf um die Köpfe. „Die Mitarbeiter entkommen der Hierarchie und den peniblen Kontrollmechanismen klassischer Unternehmensstrukturen. Das bringt mehr Selbstbestimmung und Einfluss“, so Professor Dr. Carsten C. Schermuly von der SRH Hochschule Berlin. ( Artikel b. HAUFE: "Holacracy: Die holokratische Organisation")

Thomas Sattelberger, Ex-Vorstand der Deutschen Telekom verspricht: Der Beschäftigte als „Co-Unternehmer gewinnt neue Freiheiten“ durch die Digitalisierung. Und zum Bericht über die IT-Agile GmbH in Hamburg titelt das Magazin Brand Eins „Die Geschichte eines demokratischen Unternehmens“, um einen Beschäftigten zu zitieren: „Demokratie funktioniert wie Autofahren, da gibt es auch keine festen Regeln, wann du bremst oder Gas gibst. Du entscheidest situativ, und vor allem entscheidest du selbst.

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Ignoriert werden bei diesen Schön-Wetter-Berichten die Tendenzen in den Unternehmen. Denn der Arbeitsdruck nimmt durch die Digitalisierung zu. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer steht sehr häufig unter Zeitdruck, so eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbunds mit dem DGB-Index „Gute Arbeit“. Das ist eine Folge der zunehmenden Digitalisierung, die bereits weit fortgeschritten ist. Bei 82 Prozent aller Arbeitnehmer wird die Arbeit durch Digitalisierungsprozesse beeinflusst wird, bei 60 Prozent sogar in hohem oder sehr hohem Maße. Auf die Frage: „Haben Sie den Eindruck, dass Sie in den letzten 12 Monaten mehr Arbeit in der gleichen Zeit als vorher schaffen müssen?antworteten 61% der Befragten mit Ja.

Thomas Sattelberger sieht vor allem positive Entwicklungen durch die Digitalisierung. „Meine Vision ist, dass die Welt der Arbeit um einen zukunftsfähigen Akteur reicher wird. Dieser Akteur ist das Individuum“. Der Ex-Vorstand will nicht mehr von »Angestellten« sprechen, sondern von »Unternehmensbürgern« und verdeutlicht gegen wen sich diese Zielsetzung richtet: „Betriebsräte und Gewerkschaften müssen lernen, dass die Unmenge an Schutzrechten in den Zeiten des industriellen Turbokapitalismus nötig war, im Übergang zur digitalisierten Ökonomie jedoch zunehmend untauglich oder gar kontraproduktiv ist“.

Sattelberger verdeutlicht: „Das Individuum als Subjekt spielt in der Arbeitswelt noch kaum eine Rolle. Der einzelne Mitarbeiter wird entweder geschützt oder kontrolliert – als Objekt“. Gewerkschaften und Betriebsräte agieren nur „mit Schutzrechten“. Sattelberger will dies ändern. Denn „das ist Entmündigung“. Gefordert sei deshalb auch der Gesetzgeber. „Damit diese Entwicklung eine Dynamik entfaltet, muss der gesetzliche Rahmen angepasst werden, der immer noch sehr betriebszentriert ist. In der Realität wird es den klassischen Betrieb immer seltener geben. Der Trend Industrie 4.0 entgrenzt das Unternehmen räumlich und zeitlich. Die Wertschöpfung endet nicht mehr an Unternehmensgrenzen, sondern verbindet eine Vielzahl von Unternehmen.

Die Freiheit, um die es geht, ist die „Freiheit der Unternehmen“. Ähnlich argumentiert auch der Haufe-Verlag in einer Kommentierung zum „Weißbuch Arbeiten 4.0“ (siehe PDF im Anhang!) der Bundesregierung und fordert: „Arbeitszeit: flexibel und selbstbestimmt, kein Recht auf befristete Teilzeit“ – nein, Rechte für Beschäftigte, das geht dann doch zu weit, erst Recht in der digitalen Arbeitswelt!

Marcus Schwarzbach, Referent für Betriebsratsseminare und Sachverständiger für Betriebsräte

Siehe auch: isw-Wirtschaftsinfo 52 „Agil und ausgepresst – Agile Unternehmensführung als Herausforderung für Gewerkschaften und Betriebsräte in der digitalen Arbeitswelt“ >> weiter.
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Lesetipps:

Thomas Hagenhofer: Industrie 4.0 – Was ist das eigentlich? - weiter.

Marcus Schwarzbach: Arbeit 4.0: zurück in die Zukunft  - weiter.

Matthias Burchardt: Digitalisierung von Bildung als neoliberales Projekt - weiter.

Kerem Schamberger: Digitalisierung ist Klassenfrage - isw-forum zu digitaler Arbeit und Industrie 4.0 - weiter.

Götz Eisenberg: Freiwillige digitale Knechtschaft. - weiter.

Katrin McClean: Der marktgerechte Mensch: Diktat des Wettbewerbs - weiter.

Marcus Schwarzbach: Alles schön bunt hier? Smartphone als Arbeitsmittel und mehr - weiter.

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► Quelle: Erstveröffentlicht am 09. Dezember 2017 bei isw-München >> Artikel. Marcus Schwarzbach ist Gastautor bei isw-München. Die Bilder im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..

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isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.

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► Bild- und Grafikquellen:

1. Thomas Sattelberger (* 5. Juni 1949 in Munderkingen) ist ein deutscher Manager und Politiker (FDP). Von 2007 bis 2012 war er im Vorstand der Deutschen Telekom tätig. Am 1. September 2016 wurde er von der FDP als Direktkandidat für die Bundestagswahl 2017 im Wahlkreis München–Süd aufgestellt. Er kandidierte auf Platz fünf der Landesliste der FDP Bayern und wurde in den 19. Deutschen Bundestag gewählt.

Sattelberger ist mehrfacher Buchautor und Kolumnist beim Manager Magazin sowie Mitherausgeber des Gesellschaftsmagazins Revue – Magazine for the Next Society. Sattelberger ist verpartnert. Sattelbergers > Webseite. Foto: Caitlin Hardee. Quelle: Flickr-Account der Liberalen, Freie Demokraten. > Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0). 

2. Industrie 4.0 ist ein Zukunftsprojekt in der Hightech-Strategie der Bundesregierung, mit dem die Informatisierung der klassischen Industrien, wie z.B. der Produktionstechnik, vorangetrieben werden soll. Das Ziel ist die intelligente Fabrik (Smart Factory), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Ergonomie sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse auszeichnet.

Illustration of Industry 4.0, showing the four "industrial revolutions". Author: Christoph Roser at AllAboutLean.com . Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“.

3. Digitalisierte Arbeitswelt. Grafik: geralt  / Gerd Altmann  •  Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Grafik.