

Nakba – die offene Wunde. Die Vertreibung der Palästinenser 1948 und ihre Folgen
Autor: Marlène Schnieper
Verlag: Rotpunktverlag., Zürich/CH (1. Auflage 02.2012) – zur Verlagsseite
ISBN-13: 978-3-85869-444-7
Taschenbuch, kartoniert mit zahlr. Schwarz-Weiß-Abb., 380 Seiten., [D] € 28,00 [CH] CHF 36,00
► Klappentext:
Vergessen ist keine Lösung
»Wir müssen alles tun, um sicherzugehen, dass sie [die Palästinenser] niemals zurückkommen?… Die Alten werden sterben, die Jungen werden vergessen.« Dies notierte Israels Staatsgründer David Ben Gurion am 18.?Juli 1948 in seinem Tagebuch. Und so hoffen es viele israelische Politiker immer noch. Doch die palästinensischen Flüchtlinge, die Marlène Schnieper in ihrem Buch über die Nakba porträtiert, haben nicht vergessen.
»Nakba«, das ist die alles umstürzende Katastrophe, die über die arabischen Einwohner des historischen Palästinas kam, als in einem Teil dieses Territoriums der jüdische Staat gegründet wurde. Zerstört wurden Dörfer und Städte, eine in mancher Hinsicht blühende Kultur. Ersatz ist nicht in Sicht. Das offizielle Israel mag diese Umstände verharmlosen – die Katastrophe ist bis heute nicht verwunden. Sie prägt das Leben der Betroffenen. Das führt uns Marlène Schnieper eindringlich vor Augen.
Sie hat mit Vertriebenen und deren Angehörigen gesprochen und ihr Schicksal aufgeschrieben. Dazu liefert sie geschichtlichen Hintergrund, webt Sequenzen aus dem heutigen Alltag in Israel und den Palästinensergebieten ein und resümiert neuste Forschungsergebnisse über die Wahrnehmung des Konflikts. So vervollständigt sich das Bild des an Dramatik reichen nahöstlichen Geschehens.
11. Juli 1948. Einwohner von Ramleh ergeben sich. © Bild David Eldan/GPO
► Inhalt:
Volk ohne Land . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Die Nakba ist auch Teil der europäischen Geschichte
Die Katastrophe kündigte sich an . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Zuspitzung mit dem Uno-Teilungsplan 1947
Der neue Yishuv . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Herzl und sein Basler Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Balfour, Wilson und das doppelte Versprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Der Staat vor dem Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Die Fellachen verlieren ihr Land . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Flaggen und religiöse Symbole kommen ins Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Der Arabische Aufstand 1936–1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Lord Peel greift die Idee des Transfers auf . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Hatta gegen Tarbusch . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Qassam, ein Syrer wird zum ersten »Märtyrer« . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Der Aufstand eskaliert zum Guerillakrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Jabotinsky und die rechten Nachfahren Herzls . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Die Briten bleiben ihren Widersprüchen treu . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
USA und Uno, die neuen Akteure in Nahost . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
Über Nacht war die Nakba da, und sie dauert an . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Mohammed Hejab
Fremdarbeiter im Land der Väter . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
1948 in alle Winde zerstreut . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Noch ein Krieg und noch einer . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Nablus, »Kapitale des Terrors« . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Bedrohliche Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Hasan Hammami und Fadwa Hasna
Bootsflüchtlinge aus dem Villenviertel von Jaffa . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Die Katze sollte mit . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Begins Entscheidungsschlacht . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Jaffa, die »Braut des Meeres« … . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
… und ihre Konkurrentin, Tel Aviv . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
Deir Yassin treibt alle in die Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
Erst Ghetto, jetzt Edelvorort . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Des vollen Lebens beraubt . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
Mohammed Abd al-Qader Harb
Ein Pachtbauer und seine rebellischen Söhne . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Von Camp David zur zweiten Intifada . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Durch »schwarze Löcher« und Mauern . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Im Teufelskreis der Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
Bestraft noch über den Tod hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Die Nakba im Dorf . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Yosef Weitz durchkreuzt die Rückkehrpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Offene und verdeckte Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Ahmed Yousef
Islamist im Gazastreifen . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Blitzoffensive im Süden . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Geld, Gold und Öl blieb zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Messerschmitt gegen Spitfire . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Bernadotte – ein angekündigter Mord . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Gaza wird zum gigantischen Lager . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
9/11 änderte alles . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Inspiriert durch die Schweiz, die Türkei, Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
Der arabische Frühling, eine Hoffnung auch für Palästina . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Korrespondierende Mentalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Ali Abu Shkheita und Nouri al-Ukbi
Die betrogenen Wüstensöhne . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Keinem verbunden, von allen schikaniert . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
Der Negev rückt ins Blickfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Stunde der Plünderer in Beersheba . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Dawayima sät Furcht und Schrecken . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
In der Falle von Faluja . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Das »Nachputzen« an der Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Der Siyag, das »umzäunte Land« . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Israels Flagge auf dem Dach des Scheichs . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Übereinkunft mit vorgehaltener Waffe . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
45 Dörfer planerisch ausradiert . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Die Beduinen von al-Araqib wehren sich . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Ein Prozess stellt die alten Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
Sari Nusseibeh
Aristokrat und Querdenker . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Hüter der Grabeskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
Jerusalem versinkt im Chaos . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Der Kampf um die Heilige Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
Abdullahs Geheimdiplomatie . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Für Glubb Pasha ein Scheinkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Vom Regen in die Traufe . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
Ben Gurion schießt sich auf Lydda und Ramleh ein . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
Rabin gibt den Vertreibungsbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
Flüchtlinge wider Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Im Dienst des Herrschers über beide Jordanufer . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
Der Vater ein Gentleman, die Mutter Jekyll und Hyde . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
An Avicenna und Kant geschult . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
Kein Freund von Anzügen . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Abbas sagt vor der Uno: »Genug ist genug« . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
Ein Staat, zwei Staaten – eine Lösung tut not . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
Der legalisierte Raub
Ein Volk verlor sein Land und seine Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
Jaffa kapituliert unter scheinbar günstigen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Die Militärs brechen alle Versprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
Der Willkür öffnen sich Tür und Tor . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Kolonialismus und Rassismus in einem . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
Die kafkaeske Praxis der Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Das Öl ist verloren, das Stadtarchiv auch . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
»Ein Krieg? Eher eine bewaffnete Übernahme« . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Das Recht auf Rückkehr, ein Streitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Viele Israeli wissen heute um die Vertreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
Die inneren Barrieren bleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
Begriffserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
► Leseprobe – weiter
► zur Autorin Marlène Schnieper:
Marlène Schnieper, 1946 geboren, stammt aus Sursee LU. Als Journalistin hat sie sich immer wieder in spannungsgeladenem Terrain bewegt – im Iran, im Kaukasus und auf dem Balkan. Als diplomatische Korrespondentin des Tages-Anzeigers beobachtete sie die Kriegsverbrecherprozesse in Den Haag. 2006 bis 2008 berichtete sie für die gleiche Zeitung aus Israel und den Palästinensergebieten. Heute arbeitet sie als freischaffende Nahostkorrespondentin. Nakba – die offene Wunde ist im Februar 2012 im Rotpunktverlag. erschienen.
Frühjahr 1948. Arabische Familien ziehen aus Jaffa aus. © Archivbild UNRWA
► Buchbesprechung von Heiko Flottau, Berlin:
Die Wurzeln des jüdischen Staates
Marlène Schnieper über die palästinensische Katastrophe
Die Entstehung des Staates Israel wird als eine Folge des Holocaust angesehen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die Pläne für diesen Staat reichen viel weiter zurück.
Dieses Buch über die Vertreibung der Palästinenser erzählt die bislang kaschierte historische Wahrheit. Es bedarf wohl einer Schweizer Autorin und eines Schweizer Verlages, um über die „Nakba“, die palästinensische Katastrophe, im deutschsprachigen Raum so detailliert berichten zu können.
⇒ Der Zionistenkongress in Basel 1897
Marlène Schnieper, einst diplomatische Korrespondentin des Zürcher Tagesanzeigers, hat das getan, was viele Journalisten, die sich mit dem Nahen Osten beschäftigen, oft nicht sorgfältig genug tun: Sie ist den historischen Ursprüngen der Gründung des jüdischen Staates auf den Grund gegangen. Und dabei kommt heraus, dass vieles, was besonders in deutschen Tageszeitungen immer noch zu lesen ist, nur die halbe Wahrheit ist: Die Gründung Israels ist eben nicht ausschliesslich das Ergebnis des von Nazi-Deutschland zu verantwortenden Holocaust.
Die Autorin beweist an Hand überzeugender Quellen und ebenso überzeugenden eigenen Recherchen, dass die zionistische Landnahme weit früher begonnen hat. Theodor Herzl hat mit seiner Schrift „Der Judenstaat“ aus dem Jahre 1896 die ideologischen Grundlagen gelegt, und der erste Zionistenkongress in Basel 1897 hat ein so konkretes Programm entworfen, dass Herzl seinen berühmten Ausspruch tun konnte, wonach er in Basel den Judenstaat gegründet habe.
⇒ Grenzen werden plötzlich wichtig
Die Autorin zitiert den palästinensischen Wissenschaftler Saleh Abdel Jawad. Dieser hat die sozialen und kulturellen Unterschiede der alteingesessenen Palästinenser und der zuwandernden Juden trefflich geschildert: Die palästinensischen Araber hätten während Jahrhunderten in Grossreichen gelebt – unter den Omayaden, den Abassiden, unter Mameluken und Osmanen. Grenzen hätten sie nie gekümmert, ihre Grundherren, deren Land sie gepachtet hatten, hätten sie kaum gekannt. Überlebt habe all die Jahrhunderte das Dorf, die Grossfamilie, der Stamm.
Dann aber seien die europäischen, die jüdischen Siedler gekommen. Sie hätten nach anderen Kategorien gelebt – und diese Kategorien einer traditionellen Gesellschaft übergestülpt und diese damit überrannt und oft auch vernichtet: Grenzen wurden plötzlich wichtig – staatliche wie auch Grundstücksgrenzen, der Begriff der Nation wurde eingeführt, es galt, eine „nationale Heimstätte“ für die Juden dort zu errichten, wo schon andere, nämlich die Araber wohnten.
⇒ Der bewaffnete Raub
„Mit europäischer Gründlichkeit“ schreibt Abdel Jawad, „haben die jüdischen Einwanderer, die Einrichtung eines solchen Nationalstaates während des britischen Mandates vorbereitet. Auschwitz verlieh ihrem Vorhaben eine zusätzliche Dringlichkeit. Aber die Einheimischen hatten immer noch nichts begriffen. Zwei Gesellschaften mit je anderer Identität gerieten sich ins Gehege, doch als die eine Seite vorpreschte, war die andere völlig überrumpelt.“
Überrumpelt wird die palästinensische Gesellschaft auch noch heute. Unter den Augen westlicher Diplomaten, westlicher Nicht-Regierungsorganisationen, unter den Augen vieler Gruppen, die sich die Wahrung der Menschenrechte zum Ziel gesetzt haben, unter den Augen auch mancher kritischer israelischer Bürger geht die Landnahme weiter. Der Bau der Trennmauer, weitgehend auf palästinensischem Gebiet, ist eines der letzten schlagenden Beispiele für das, was der palästinensisch-israelische Politiker Azmi Bishara als den „grössten bewaffneten Raub des 20.Jahrhunderts“ bezeichnet hat.
April/Mai 1948. Jaffa, die Stadt der Orangen, wird von drei Seiten beschossen.
Auf Flossen, in Fischer- und Segelbooten suchen die Einheimischen das Weite. © Archivbild UNRWA
⇒ Zwei Narrative
Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck hat bei seinem kürzlichen Besuch in Israel zwar verhalten kritische Worte zur israelischen Siedlungspolitik, sprich zur fortgesetzten israelischen Landnahme gefunden. Aber der Ostdeutsche Gauck, der Jahrzehnte hinter der deutschen Sperrmauer leben musste, fand – jedenfalls nicht in seinen öffentlichen Stellungnahmen - kein Wort, mit dem er die von Israel gebaute Mauer kritisierte.
Die israelische Siedlungspolitik ist die Fortsetzung der zionistischen Landnahme der zwanziger, dreissiger und vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts, welche Autorin Marlène Schnieper auf den ersten einhundert Seiten ihres gut, verständlich und vor allem ohne jede Polemik geschriebenen Buches beschreibt. Die Autorin gibt eingangs zu, dass es durchaus zwei - heute sagt man einleuchtend „Narrative“ - gebe, zwei „sinnstiftende Erzählweisen“, wie die Autorin den Begriff „Narrativ“ sehr schön erklärt.
Es gebe das zionistische Narrativ, wonach die in Europa diskriminierten Juden eine erneute Bindung an die alte Heimat in Palästina suchten. Und es gebe das palästinensische Narrativ, das Narrativ von der durch die zionistische Landnahme verlorenen Heimat. Marlène Schnieper entscheidet sich bewusst dafür, das palästinensische Narrativ zu schildern. Etwa am Beispiel der Stadt Jaffa, die heute ein Teil von Tel Aviv ist.
⇒ Der Betrug von Jaffa
Dort hatten sich die palästinensischen Einwohner 1948 entschlossen, die Stadt der israelischen Armee kampflos zu überlassen, sofern die Bewohner friedlich behandelt würden und die Flüchtlinge zurückkehren dürften. Der israelische Kommandeur versprach alles – und brach seine Versprechen. Nach der friedlichen Übergabe der Stadt an die israelische Armee wurden Läden, Wohnungen, Fabriken von den Siegern geplündert. Und Premier Ben Gurion erklärte, man solle die Rückkehr der Flüchtlinge nach Jaffa verhindern. „Wir müssen Jaffa besiedeln, Jaffa wird eine jüdische Stadt sein. ... Den Arabern die Rückkehr nach Jaffa zu erlauben, wäre ... töricht“, sagte Ben Gurion.
Marlène Schniepers Buch bekommt eine sehr persönlich-historische Note durch die Schilderung von sechs palästinensischen Einzelschicksalen – durch die Schilderung der Biograpien von Palästinensern, die durch die israelische Landnahme vertrieben wurden und dabei all ihr Hab und Gut verloren. Aus ihrer Heimat verjagt, in der die Vorfahren oft über Jahrhunderte gelebt hatten, müssen sich viele heute als Entwurzelte durch ihr Leben schlagen – ohne Hoffnung darauf, dass es ihren Kindern einmal besser gehen werde.
⇒ Warnung vor dem Zionismus
Die detaillierte Schilderung der historischen Ereignisse, die zur palästinensischen Katastrophe führten und die Nachzeichnung persönlicher Schicksale entwerfen das Panorama einer menschlichen Tragödie, welche die Ereignisse des Nahen Ostens seit Jahrzehnten bestimmt und auch weiterhin bestimmen wird.
Diese Tragödie hat sich über Jahrzehnte angebahnt und entwickelt. Begleitet wurde sie immer wieder von kritischen Stimmen. Schon 1919 hatte die von den USA eingesetzte King-Crane-Kommission davor gewarnt, das zionistische Maximalprogramm weiter zu verfolgen. Wenn man, hiess es in diesem Bericht, das von Präsident Wilson geforderte Selbstbestimmungsrecht der Völker ernst nehme, dann müsse man konstatieren, dass die überwältigende Mehrheit der palästinensischen Araber den Zionismus total ablehnten. Den Palästinensern eine unbegrenzte jüdische Einwanderung zuzumuten, laufe darauf hinaus, den Palästinensern das Selbstbestimmungsrecht zu verweigern, schrieben die Mitglieder der Kommission in ihrem Bericht.
⇒ Das edle Prinzip der Selbstbestimmung
Und der britische Aussenminister Curzon, Nachfolger von Lord Balfour, der 1917 die Errichtung einer „nationalen Heimstätte“ für die Juden in Palästina befürwortet hatte, fand diese Idee plötzlich gar nicht mehr so plausibel. Im Jahre 1920 schrieb er: „Die Zionisten wollen einen jüdischen Staat mit Arabern als Holzfäller und Wasserträger. Das wollen auch viele Briten, die mit den Zionisten sympathisieren. ... Das ist nicht meine Sicht der Dinge. Ich will, dass die Araber eine Chance haben, und ich will keinen Staat der Hebräer. Da gibt es ein Land mit 580 000 Arabern und möglicherweise 60 000 Juden (keineswegs alle Zionisten). Für uns gilt das edle Prinzip der Selbstbestimmung. ...“
Dieses Selbstbestimmungsrecht wird den Palästinensern bis heute vorenthalten. Es ist das Verdienst von Marlène Schniepers Buch, dieses Tatsache der Öffentlichkeit auf eindringliche Weise dargelegt zu haben. Nicht zuletzt macht die Autorin ausdrücklich darauf aufmerksam, dass das palästinensische Problem in erster Linie auch ein Problem der europäischen Geschichte ist. Besonders deutschen Politikern sei die Lektüre dieses exzeptionellen Buches wärmstens ans Herz gelegt.
► Quelle: "Journal21" - Journalistischer Mehrwert, 5. Juni 2012 > Buchbesprechung
1.°Mai 1949: Das zerstörte muslimische Viertel von Safed © Bild Zoltan Kluger/GPO
► Pressestimmen:
Aus Angst vor den Konsequenzen hat Israel das Unrecht jener Zeit nie anerkannt– ob dies ein Recht auf Rückkehr bedeute oder einen Anspruch auf Entschädigung. Die Urangst aber ist, ob das zionistische Projekt nicht als Ganzes infrage gestellt würde. So erklärt sich auch, dass die Verhandlungen nie zum Ziel des friedlichen Ausgleichs geführt haben und die Palästinenser die Nakba präsent halten bis heute. Wer das Buch liest, versteht diese Zusammenhänge besser. Zuversicht vermittelt es nicht, dass sich doch noch etwas zum Guten wenden könnte.
-Claudia Kühner in: Tages-Anzeiger, 13. April 2012
Die Wunde ist auch nach über 60 Jahren nicht geschlossen. Die Journalistin Marlène Schnieper hat mit „Nakba“ ein Buch zur Verliererseite des ersten israelisch-arabischen Krieges geschrieben, das mit den Mythen aufräumt. „Nakba“ fusst als Geschichtswerk auf Gesprächen mit Historikern beider Seiten. Die grosse Leistung sind indes die reflektiert eingeordneten Erinnerungen der Zeitzeugen von 1948/49, die Oral History der vertriebenen Palästinenser. Gründlich recherchiert, empathisch aufbereitet.
-Andreas Schneitter in: Tachles, 25. Januar 2013
► Bildlegenden / Copyright:
Bild 1
11. Juli 1948. Einwohner von Ramleh ergeben sich. Aus Ramleh und Lydda werden innert zwei, drei Tagen gegen 80‘000 Menschen vertrieben. Bild David Eldan/GPO
Bild 2
Frühjahr 1948. Arabische Familien ziehen aus Jaffa aus. Archivbild UNRWA
Bild 3
April/Mai 1948. Jaffa, die Stadt der Orangen, wird von drei Seiten beschossen. Auf Flossen, in Fischer- und Segelbooten suchen die Einheimischen das Weite. Archivbild UNRWA
Bild 4
1.°Mai 1949: Das zerstörte muslimische Viertel von Safed, der Stadt, aus der Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas stammt. Ein Jahr zuvor hatte die jüdische Untergrundarmee Haganah diese Stadt nördlich des Sees Genezareth erobert. Bild: Zoltan Kluger/GPO
► Kritisches-Netzwerk sagt DANKE:
der sympathischen Autorin Marlène Schnieper für die netten Telefonate und ihr dynamisches Engagement. Liebe Marlène: ich freue mich schon auf unser schriftliches Interview in Kürze. Vele Dank ond liabi Grüassli in d Schwiiz.
dem Rotpunktverlag., Zürich, insbesondere Frau Daniela Koch für die tolle mediale Unterstützung und Materialzusendung - ein vorbildlicher Service. I dä Schwyz isch halt nöd nume d Schoggi guet.
Herrn Heiko Flottau für die Genehmigung, seine Rezension und fundierte Buchanalyse veröffentlichen zu dürfen. Info zu Heiko Flottau: geboren 1939, arbeitete seit 1970 als Redakteur und Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung, zuletzt von 1996 bis 2004 in Kairo. Von dort berichtete er auch für die Basler Zeitung. Bis 2010 lebte Flottau als freier Journalist in Kairo, seit 2010 in Berlin. Er ist Autor verschiedener Bücher über den Nahen Osten, zuletzt erschien „Vom Nil bis an den Hindukusch – Der Nahe Osten und die neue Weltordnung“ (2004, arabische Ausgabe 2006); „Die Eiserne Mauer – Palästinenser und Israelis in einem zerrissenen Land“ (Berlin 2009, arabische Ausgabe 2011).
dem Online-Portal „Journal21" - Journalistischer Mehrwert unter der Leitung von Heiner Hug. Info zu J21: "Wir sind etwa 80 erfahrene Journalistinnen und Journalisten, die in grossen schweizerischen und deutschen Medienhäusern gearbeitet haben – oder noch arbeiten. Viele von uns sind oder waren Chefredaktoren, Redaktionsleiter, Ressortleiter, Korrespondenten oder Professoren. Unser Wissen, das wir uns in teils jahrzehntelanger Arbeit angeeignet haben, möchten wir einem interessierten Publikum zur Verfügung stellen. Alle von uns arbeiten aus Lust und Freude - und in dem Bewusstsein, dass der fundierte Journalismus weiter lebt - sofern man ihn pflegt". (Heiner Hug)