Oktoberfest 2016: Wiesn hinter Gittern.

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Oktoberfest 2016: Wiesn hinter Gittern.
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Wiesn hinter Gittern

Doch die Gefährdung kam von oben

oktoberfest_munich_bierfest_volksfest_theresienwiese_wiesn_muenchen_oktoberfestung_kotzhuegel_kotzwiese_terrorangst_terrorhysterie_hendl_dirndl_bavaria_kritisches_netzwerk.jpgManch ein Schießbudenbesitzer war den Tränen nahe, weil es ihm gar so nass reingegangen war zum Wiesn-Auftakt: "Heute haben wir 25 Euro eingenommen. Davon kann ich kaum den Strom bezahlen". Geschweige denn die Angestellten. Die rund 400 kleinen Schausteller, Eisverkäufer, Karussell- und Fressbuden-Betreiber waren verzweifelt und drohten am vierten Tag mit Protestaktionen.
 
Ab 21 Uhr wollten sie die Lichter löschen und in partiellen Wiesnstreik treten. Und das auf dem größten Volksfest der Welt! Die Sause drohte zu floppen. Seppi Schmid, der Wiesn-Chef und CSU-Großstadt-Großkoalitionär thematisierte großspurig schon mal kleine Nachlässe bei den Standmieten, konnte und wollte aber nichts versprechen. Denn der Sicherheitsaufwand mit Zaun und 450 Einlass-Ordnern kostet die Stadt immerhin 3,6 Millionen. Die werden immerhin erst nächstes Jahr draufgeschlagen. Den Großwirten kann das egal sein: Bier geht immer. Da darf es durchaus nass reinlaufen, wenn man im Trockenen sitzt. Die Polizei meldete die erste Alkoholleiche allerdings erst gegen 15 Uhr, so spät wie selten. Nur eine halbe Million kam am ersten Wochenende, also halb so viele wie sonst.

War es die Terrorangst oder einfach nur das vermaledeite Sauwetter? 25.000 konnte es nicht abhalten zur Anti-CETA-Demo zu gehen. Aber Teufelsrad und Achterbahn fahren gegen den Terror? Sich im Kettenkarussell oder per Schiffschaukel in die prasselnden Böen werfen, nur um "unsere Lebensart" zu verteidigen, das ginge den meisten Feierwütigen dann doch zu weit.
 
Außerhalb der Zelte war kaum was los. Pfützen und Regenschirme boten hübsche Spiegelungen, wo man ansonsten vor lauter Leuten den Asphalt nicht sieht. Die frisch gekauften Lederhosen saugten sich klamm, die 49-Euro-Dirndln pappten am Körper. Kein Wunder, dass die Stimmung unterkühlt blieb: Es war schattig bis zapfig. Nur an den überdachten Autoscootern hielten sich ein paar gelangweilte Halbwüchsige ihre schicken Frisuren trocken.

Selbst draußen an den erstmals hermetisch kontrollierten Zugängen bildeten sich kaum Warteschlangen; es ging eher locker zu. Manche beschwerten sich sogar, zu nachlässig kontrolliert worden zu sein. Einige kamen selbst mit Rucksäcken durch, die ihnen dann drinnen von der Polizei abgenommen wurden. Also doch Gefahr? Nur von zwei allzu leicht bekleideten Damen in Glitzer-Hotpants, die ihre Brüste mit luftig baumelnden Masskrug-Puscheln bedeckt hielten; sie wurden von Polizisten als Sichtblenden umstellt und der Wiesn verwiesen. Mit Burka wären sie eher durchgekommen.
 
penis_phallus_griechische_statuen_glied_greek_statue_kritisches_netzwerk_penises_penes_phallusgott_priapos_penislaenge_abgeschlagen_genitalverstuemmelung_papst_pius_ix.jpgDie Menschen trauten sich einfach nicht auf das Festgelände. Zu unsicher war die Großwetterlage. Dabei war alles so sicher wie nie zuvor: Die Theresienwiese ein einziger Hochsicherheitstrakt. Die Lokalpresse griff sogar das Wort von der "Oktoberfestung" auf. Doch nach drei Tagen Dauerregen wollten die Wenigsten glauben, dass es mit dem Terror von oben aufhören würde. Für das Wetter zeichnet ja in katholisch geprägten Gegenden der Petrus verantwortlich, seines Zeichens Himmelspförtner und anscheinend auch Hilfsgärtner mit einer übergroßen Gießkanne, im irdischen Leben Berufsfischer und Haudegen, der sogar einem römischen Legionär ein Ohr abgehauen haben soll. Von seinem damaligen Herrn wurde er "der Fels" genannt, auf den dieser seine Kirche bauen wolle; ein kleiner Terrorist also, der postum einen Gottesstaat etablieren sollte, welcher bis heute sein Unwesen treibt und sich einst über halb Norditalien erstreckte, doch inzwischen zusammen geschrumpft ist auf ein marginales Territorium, den Vatikan. Auch dessen zahlreiche Nachfolger im Amt eines Brückenbauers waren im Abschlagen von Penissen griechischer Skulpturen nicht zimperlich.
 
Ihre Inquisitoren steinigten nicht; sie verbrannten bei lebendigem Leibe Männer und Frauen, die ihnen zuviel wussten oder einfach zu erfolgreich waren mit allerlei Kräutern und Tinkturen oder gar Kenntnisse besaßen im "Engelmachen". Das Apostolat duldete keine Konkurrenz und nur den einen, wahren Glauben, keinen Aberglauben, keine Häresie. Abtrünnige und Ketzer wurden mit Kirchenbann belegt oder gleich füsiliert. Muslime ließen sie von Kreuzrittern mit dem Schwert bekehren, um Jerusalem zu befreien. Alles in allem also ein veritables Vorbild für den IS, auch was den globalen Anspruch betrifft. Apostelbriefe zur Anhänger-Werbung gingen übrigens schon damals von Syrien aus; da nannte man die heimlichen Rebellen wider Rom freilich nicht Hassprediger, allenfalls Bergprediger.
 
Sowas wollte man in München eigentlich draußen halten. Aber dann plätscherte es los, und die Sicherheitsleute und 600 Polizisten konnten sich nur die Mützen tiefer ziehen. Der ganze teure Securi-Zaun war zu nichts nütze, weil bei solcher Witterung selbst der verborgenste Sprengstoffgürtel eingenässt nicht zündet. Es regnete einfach durch, auch durch den Zaun. An einen Generalangriff von oben hatte im Vorfeld niemand gedacht. Der Luftraum war eigentlich gesperrt. Möglicherweise waren die Kerzen, die alljährlich von den Wirten für gutes Wiesnwetter gestiftet werden, nicht lang oder nicht dick genug, wer weiß. Man rechnete mit dem Schlimmsten, aber damit nicht.

Die ersten vier Tagen blieben ein ökonomisches Desaster für die Wiesnbeschicker. Das lässt sich kaum mehr hereinholen, selbst wenn für den Rest der 17 Tage weißblauester Himmel erstrahlen sollte und die feierwütigen Besucher sich mit Zuckerwatte vollstopfen würden, bis sie nicht mehr "Papp"sagen könnten. Ein knappes Viertel der Einnahmen dürfte heuer fehlen.
 
Auch die Hotellerie verzeichnete im Vorfeld 15 Prozent Buchungsrückgänge. Und manch eine Promi-Party wurde storniert. Regine Sixt sagte auf Anraten vieler verängstigter Freundinnen ihre "Damenwiesn" im Marstallzelt ab, zu der sie seit 25 Jahren rund 1400 Frauen aus der besseren Gesellschaft einlädt, damit die was für ihre Kinderstiftung "Tränchen trocknen" spenden. Doch das lässt sich verschmerzen; da freuen sich die Nachrücker auf den Reservierungs-Wartelisten.

Mehr Tränchen dürften die Trachtenvereine verdrückt haben, die sich zum Teil über ein halbes Jahr auf den großen Umzug vorbereitet hatten und jetzt wegen der Terrorhysterie nicht dabei sind, weil aus Bernried nur drei Leute von 250 Mitgliedern zugesagt haben. Da hätte ein Schilderträger einem Trachtler und einer Trachtlerin vorweg stolzieren müssen, beträchtlich zu wenig. Ein Trachten-Aufzug wirkt ja nur, wenn mehrere Menschen dieselben Klamotten tragen. Dabei liegt es ohnehin im Auge des Betrachters, was er als Tracht betrachtet und was als Uniform.

Zumindest die Schützen waren schon mal doppelt angefressen, weil ihre Waffen gleich zweimal kontrolliert werden sollten: Einmal bei der Aufstellung des Zuges, und dann noch einmal beim Wiesn-Einzug. So streng sind die Regeln neuerdings. Das schreckte auch die "Schwälmer Tanz- und Trachtengruppe" aus Hessen ab. Mit 17 zu 2 Stimmen beschloss der Vorstand, dass sie diesmal in Loshausen bleiben. "Alle sind ängstlich, dass etwas passieren könnte", sagte der Vorsitzende. Dass die Stadt die Sicherheitsmaßnahmen für die Wiesn jetzt verschärfe, habe "die Angst noch größer werden lassen". Da hat er recht, der Herr Wimmer! Die Stadt hat ihr eigenes Event torpediert, und konnte dann doch nur hilflos im Regen stehen. Dieser Petrus! Diese CSU! Dieser Seppi Schmid!

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Zumindest leiten sie jetzt die Besucher aus der U-Bahn umwegig in die Schaustellerstraße, damit die im Vorbeigehen wenigstens noch ein paar Plastikrosen abballern oder mal kräftig auf den Lukas hauen, wenn sonst schon kein Terror ist. Der Vogeljakob musste sein Standl ein paar Meter weiter verlegen, um die Sicherheitsbereiche am Eingang zu vergrößern. Jetzt ist er immerhin mitten drin im Gewühle, wenn es denn eins gibt. Das wird schon noch! Auf Regen folgt Sonnenschein. Dann rummst es wieder.
 
Sogar der Wiesn-Stadtrat, der die Vorbesichtigung unentschuldigt geschwänzt hatte, auch ein CSU-ler, hat sich noch überwunden, und war dann beim Wiesneinzug der Wirte doch wieder dabei. Er hatte eine Scheiß-Angst, nicht wegen möglicher Dschihadisten, sondern wegen eines eventuellen Shitstorms. Hatte er doch schamlos gelogen und behauptet, sein Facebook-Profil hätte jemand, der ihm schaden wolle, ohne sein Wissen angelegt. Darauf war ein sexistisches Softporno-Bildchen mit rassistischem Kommentar zu sehen gewesen. Das hatte er dennoch irgendwie gelöscht. Später dann konnte er sich doch wieder erinnern, wenn auch nicht so ganz sicher. Persönliche Unsicherheit ist bei einem Sicherheits-Verantwortlichen natürlich reiner Quatsch. Also ist er wieder da. So wie der Uli Hoeneß beim FC Bayern. So geht Resozialisierung. So funktioniert Integration. Da kann der Kölner Klüngel einpacken.

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Apropos Einpacken: Für nächstes Jahr sollten die Wiesn-Planer nicht erst wenige Wochen vor Festbeginn mit ihren Ideen herausrücken so wie diesmal mit dem Zaun. Das hat mit der Rollzaun-Lösung ja gerade noch so geklappt, um auch den Kotzhügel mit einzuhegen. Natürlich bringen solche Ad-hoc-Improvisationen die Planungen der Terroristen durcheinander; das ist klug gedacht, kann aber auch daneben gehen. In Zukunft muss mehr geklotzt werden. Da muss mit dem Gießen der Fundamente für eine Vollüberdachung rechtzeitig begonnen werden. Nur solch ein kompletter Wiesn-Dome in Stahlkuppelausführung wäre wetterfest und damit krisensicher. Außerdem ganzjährig nutzbar, formschön und, wenn hoch genug, auch atmungsaktiv. Schon jetzt mutet der nächtliche Blick in Richtung der Festwiese wie ein strahlendes UFO an. Das funzt. Den lächerlichen Zaun könnte man sich dann schenken. Der nützt ohnehin nicht viel: Der Masskrug-Klau blieb im Verhältnis zum Vorjahr konstant bei 50.000. Nur Kinder wurden fünf weniger verloren als im Vorjahr, weil es übersichtlicher war, aber doch immerhin noch vier. Aus dem abgeschlossenen Kindergarten konnten sie jedenfalls nicht raus.
 
► Halbzeit-Fazit:

Leichter Gemütlichkeitszuwachs durch weniger Andrang, „nur“ 991 Polizeieinsätze (- 101), „nur“ 3380 Rettungseinsätze (- 120), „nur“ 925 Fundsachen (- 115), aber auch nur ein Ochse weniger an Verzehr (54) als im letzten Jahr. Auffallend: Auch beim Bierkonsum waren bislang kaum nennenswerte Einbrüche zu verzeichnen: 2.665.600 (- 470.400). Kein Grund also für Festwirte, das diesjährige Oktoberfest bereits völlig abzuschreiben.

„Der Petrus wird’s schon richten“, hofft Toni Roiderer (72), Sprecher der Wiesnwirte, in katholischer Zuversicht. Wenn er sich da mal nicht täuscht! Nach seiner naiven Lesart hat’s der urchristliche Gotteskrieger bereits gerichtet: Für Außenstände bleiben deutliche Außenstände.
 
Dennoch muss man das Fest nicht gleich schon im August beginnen lassen wie die Supermärkte die Lebkuchenzeit bereits am 1. September. Es gibt zur Auslastung übers Jahr auch noch die Frühjahrsdult und im Winter das Tollwood-Festival, vielleicht abwechselnd mit dem Landwirtschaftsfest noch eine Rüstungsmesse. Beides lässt sich als Waffe einsetzen: Drohnen ebenso wie Genmais, Glyphosat von Monsanto genauso wie das Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch.

Jetzt alles in deutscher Hand: Spekulation auf Hunger oder Totalzerstörung. Da werden die Terroristen aber schaun, wenn der Krieg der Reichen ihren armseligen Terror in den Schatten stellt und sich selbst erst ins rechte Licht rückt! Und der zwiderne Himmelsschleusenwärter könnte sowieso einpacken. Ab sofort wird der Schotterrasen bei Bedarf selbst gesprengt.

Wolfgang Blaschka, München


 

► Bild- und Grafikquellen:

1. Das Oktoberfest in München (mundartlich Wiesn) ist das größte Volksfest der Welt. Es findet seit 1810 auf der Theresienwiese in der bayerischen Landeshauptstadt München statt. Im Zuge der Terrorhysterie sollen 2016 ein sündhaft teurer Securi-Zaun, Sicherheitsleute und 600 Polizisten den Besuchern ein Gefühl der relativen Sicherheit bieten - die Theresienwiese ein einziger Hochsicherheitstrakt. Foto: Jochen Hencke. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0). 

2. Abschlagen von Penissen griechischer Skulpturen. Foto: Atomische* Tom Giebel, www.tomgiebel.com/. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

3. "O'zapft is." Für das Oktoberfest brauen die Münchner Brauereien ein spezielles Bier, das eine Stammwürze von mindestens 13,5 % aufweisen muss und folglich mehr Alkohol als gewöhnliches Vollbier enthält (2013 zwischen 5,8 und 6,4 %). Foto: Markburger83. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

4. Terrorangst? "Scheiss drauf! Wurschd! O'zapft is'. Auf eine friedliche Wiesn". Foto: pfatter. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

5. Außerhalb der Zelte war kaum was los. Pfützen und Regenschirme boten hübsche Spiegelungen, wo man ansonsten vor lauter Leuten den Asphalt nicht sieht. Die frisch gekauften Lederhosen saugten sich klamm, die 49-Euro-Dirndln pappten am Körper. Kein Wunder, dass die Stimmung unterkühlt blieb: Es war schattig bis zapfig. Foto: pfatter. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

6. Der Preis für 1 Maß Bier kostet beim 183. Oktoberfest 2016 zwischen 10,40€ und 10,70€, also ~20 Mark für ein zum Teil mäßig gefülltes Glas. [sic!]. Foto: Thomas Sauzedde. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0)