Über den Umgang mit Niederlagen

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Über den Umgang mit Niederlagen
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Über den Umgang mit Niederlagen

Niederlagen sind fester Bestandteil unseres Lebens

by Gerhard Mersmann | NEUE DEBATTE

Es ist nicht nur die große Politik, die uns Beispiele für das liefert, was als der Umgang mit Niederlagen bezeichnet wird. Donald Trump zeigt, wie er damit verfährt und ein Friedrich Merz auch. Das als ausreichendes Datenmaterial für die Degeneration eines Berufsstandes zu nehmen, wäre allerdings übereilt.

Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, dann stellen wir schnell fest, dass das Dasein von Niederlagen überschwemmt ist – das eigene wie das der anderen. Es gibt keine Ausnahmen. Und, auch dessen sollten wir uns bewusst sein, dass Niederlagen ein negatives Aroma verströmen, hat etwas mit unserem Kulturkreis zu tun, und zwar mit seiner heroischen Vorgeschichte.

Enttaeuschung-Niederlage-Failure-Defaitismus-Defaetismus-Misserfolg-Misslingen-Fehlschlag-Scheitern-Schlappe-Traurigkeit-Kritisches-Netzwerk-Resignation

Das Licht der Welt ist immer mit den Siegern? Weit gefehlt!

Kurz vor seinem gewaltsamen Tod, ohne dass es Folgen gehabt hätte, schrieb Karl Liebknecht [1] nach der Niederschlagung des sogenannten Spartakusaufstandes die klugen Worte: “Aber es gibt Niederlagen, die Siege sind; und Siege, verhängnisvoller als Niederlagen.” [2] Das war dialektisch und asiatisch zugleich, denn dort werden viele Erscheinungen des Lebens aus einem anderen, schillernderen und manchmal auch weiseren Winkel betrachtet.

► Niederlagen und Erkenntnisse

Niederlagen-Nachdenken-Erkenntnis-Erkenntnisgewinn-ErleuchtungAber kommen wir zurück zu uns. Was machen wir, wenn wir uns ein Ziel gesteckt haben, gut vorbereitet sind und dann im Moment der Entscheidung feststellen müssen, dass wir selber unseren Ansprüchen in dieser Frage nicht genügen oder dass andere es einfach besser machen? Daraus ein Debakel abzuleiten, ist grundlegend falsch, auch wenn es emotional schwer zu machen ist.

Was uns in unserem gesellschaftlichen Narrativ, in dem der soziale Vergleich Siegeszüge feiert, abgeht, ist die Umdeutung der gesetzten Wertigkeit. Wenn wir, so wie wir es gelernt haben, ausschließlich nach einer erlebten Niederlage die Frage stellen, wo wir schwach waren oder was wir falsch gemacht haben, blockieren wir den Weg zu neuen Erkenntnissen.

Wenn etwas nicht erreicht wurde, heißt das auch, dass wir in der Folge etwas anders machen. Dieses Andere muss mit seinen ganzen Gestaltungspotenzialen beschrieben werden, um eine neue Perspektive attraktiv werden zu lassen. Und wenn jetzt der Vorwurf aufkommt, dieser Rat sei nichts anderes als ein verkleideter Defätismus, dann ist, bleiben wir bei Vorwürfen, dieses ein Verharren in den alten Mustern des Heroismus.

► … über den Horizont zur Haltung

Niederlagen und Fehler gehören nicht nur zum Leben, sondern sie sind auch essenzielle Bestandteile eines Lernprozesses. Und die Möglichkeit zur Einsicht in eine negative Aura zu hüllen, verhindert das Fortschreiten im Prozess seiner eigenen Entwicklung und Selbstwerdung. Und auch das kennen wir: Manchmal, wenn die gefühlten Niederlagen lange genug her sind, dann kommt ein Lächeln auf unsere Lippen. Und wenn das der Fall ist, verfügen wir über ein Indiz erweiterten Horizontes.

Und trotz dieser Erkenntnis, dass Niederlagen fester Bestandteil unseres Lebens sind und sie uns nicht ultimativ grämen sollten, dürfen sie, um bei dem Begriff der Selbstwerdung zu bleiben, nicht dazu führen, dass man sich fremden Mächten, gegen die man eigentlich angetreten ist, gefügig unterwirft und sich an sie assimiliert. Da ist dann ein anderes, scharfes Urteil vonnöten, denn das ist nicht die Haltung des Lernenden, sondern das Gebaren eines Menschen ohne Haltung.

Haltung bedeutet, einen Standpunkt zu haben. Und wer einen Standpunkt hat, verfügt über einen Kompass. Siege, die aus einer Position ohne Haltung entspringen, ja, sie sind verhängnisvoller als Niederlagen.

Und zwar für alle Beteiligten.
______________

[1] Karl Liebknecht (1871.1919) war ein Marxist und Antimilitarist zu Zeiten des Deutschen Kaiserreiches und seit 1900 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Er gehörte zum linksrevolutionären Flügel der SPD und war von 1912 bis 1916 einer ihrer Abgeordneten im Reichstag. 1916 wurde Liebknecht aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen, später wegen “Kriegsverrats” zu Zuchthaus verurteilt und erst wenige Wochen vor dem Ende des Ersten Weltkrieges freigelassen.

Während der Novemberrevolution rief Liebknecht vom Berliner Schloss am 9. November 1918 die “freie sozialistische Republik Deutschland” aus. Nach der Niederschlagung des Berliner Januaraufstands, bekannt als Spartakusaufstand (dem Generalstreik und den bewaffneten Kämpfe in Berlin vom 5. bis 12. Januar 1919 im Zusammenhang mit der Novemberrevolution), wurden Karl Liebknecht und die Antimilitaristin Rosa Luxemburg von Angehörigen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (einem Großverband der Preußischen Armee) ermordet.

[2] Rote Fahne (15. Januar 1919): Trotz alledem! In: Karl Liebknecht, Ausgewählte Reden und Aufsätze, Berlin 1952, S. 505–520. >> weiter.

Gerhard Mersmann


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Gerhard Mersmann, Dr. phil., (Jahrgang 1956), gebürtiger Westfale, studierte Literaturwissenschaften, Politologie und Philosophie. Beruflich durchlief er die Existenzen als Lehrer, Trainer, Berater und Leiter kleiner und großer Organisationen. So war und ist er Leiter verschiedener Bildungsinstitutionen, arbeitete als Regierungsberater in Indonesien, reformierte die kommunale Steuerung von schulischer Bildung in Deutschland, leitete diverse Change-Projekte und war Personalchef einer deutschen Großstadt. Publizistische Aktivitäten durchziehen seine gesamte Biographie. Mersmanns persönlicher Blog >> https://form7.wordpress.com/ .


► Bild- und Grafikquellen:

1. Niederlagen hinzunehmen ist enttäuschend und stimmt zuweil traurig und/oder wütend, bietet aber auch große Chancen um aus gemachten Erfahrungen neue, gewinnbringende Erkenntnisse zu gewinnen. Wenn etwas nicht erreicht wurde, heißt das auch, dass wir in der Folge etwas anders machen. Foto: PixArc / Shaarc, New Delhi/India. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

2. Niederlagen hinnehmen, erschrecken . . dann infolge von Erkenntnissen kommt es zu neuen Ideen. Ein weißer Rat: Es ist allemal sinnvoller, sich in der Dunkelheit zurechtfinden zu lernen, indem sich der Mensch an den kleinen Lichtern der Erkenntnis orientiert. Foto: Jenzig71, Jan Gropp - 07749 Jena / www.Blickreflex.de - Quelle: Pixelio.de. Verwendung: Nur redaktionelle Nutzung. >> Foto.