Werbung bei YouTube: Ethik und Moral in einem Algorithmus

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Christian Jakob
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Werbung bei YouTube: Ethik und Moral in einem Algorithmus
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Werbung bei YouTube

Ethik und Moral in einem Algorithmus

youtube_accountloeschung_accountsperrung_algorithmus_kritisches_netzwerk_clickbaiting_kritisches_netzwerk_entgrenzung_internetwerbung_monetarisierung_videoportal_videoclips_videosperre.pngYouTube stellt am 20. Februar 2018 die Richtlinien für die Monetarisierung der Partner-Kanäle um. Als neue Richtlinie gelten von da an die Mindestzahl von 1000 Abonnenten für den entsprechenden Kanal und das die eigenen Videos in den letzten 12 Monaten mindestens 4000 Stunden geschaut wurden. Nur eine von den beiden Bedingungen zu erfüllen, reicht NICHT mehr. Es müssen beide Bedingungen erfüllt sein. Wer diese Bedingungen nicht erfüllt hat, oder wer mit seinen hochgeladenen Videos auch nur vorübergehend unter einer der beiden Grenzen fällt, wird ebenfalls automatisch aus der Monetarisierung gekickt, sprich rausgeschmissen.

Das Ganze gilt natürlich auch für die YouTuber, die in einem sogenannten "Multi-Channel-Netzwerk" (kurz MCN oder Netzwerk, wortwörtlich übersetzt ‚Viel-Kanal-Netzwerk‘) vertreten sind. Da dürfte es noch deutlicher zur Sache gehen. Wer die Bedingungen nicht erfüllt, fliegt wegen den neuen YouTube-Richtlinien nicht nur aus der Monetarisierung, sondern auch aus dem MCN. In den neuen Vertragsbedingungen steht im Grunde drin, dass man nur aufgenommen wurde, weil man YouTube-Partner ist.

► Ausmisten 3.0 - Leider verfehlt

YouTube mistet also auf den hinteren Rängen aus. Ein Versuch wieder Kontrolle zu erlangen, denn die scheint seit einiger Zeit verloren gegangen zu sein. Alles eine Folge der Probleme, die man seit ungefähr einem Jahr auf YouTube kennt. Es geht um die ungewollte Werbefinanzierung für Terror, Sex, Gewalt oder Drogen. Die Frage ist nur ob die, die jetzt aussortiert werden, auch diejenigen sind, die entsprechendes Problem verursacht haben. Ernsthafte Zweifel daran und zugleich Kritik an der rigiden Vorgehensweise scheinen mehr als berechtigt.

Im Frühjahr 2017 fing alles an. Es wurde Werbung vor einem Video der Terrormiliz des sog. "Islamischen Staats" (IS) eingespielt. Schlichter hatten daraufhin noch versucht, die Wogen zu glätten und argumentierten, dass das doch eigentlich nur das Jahrestreffen der erfolglosesten Counter-Strike-Gruppe ever sei. (CS, engl. für Gegenschlag). Hierbei handelt es sich um eines der erfolgreichsten verkauften Computerspiele. Counter-Strike ist ein Online-Taktik-Shooter, der im Coop-Modus online mit bis zu 20 Spielern in einem Team gespielt werden kann. Danach rannten allerdings alle Werbekunden weg. Offenbar will niemand vor einem Enthauptungsvideo Werbung schalten, nicht mal Hersteller von Kopfschmerzmitteln.

Deswegen wurde im Sommer 2017 ein neuer Algorithmus auf YouTube eingeführt, der solche Videos automatisch finden soll und dann, wieder automatisch “demonetarisiert”, sprich sperrt. Der Algorithmus ist allerdings so schlecht, dass er fast jedes zweite Video auf die schwarze Liste gesetzt hat. Nach jeder einzelnen Videosperre legen die Kanalbetreiber (Hochlader) Einspruch ein. Die Sperre und/oder Accountlöschung wird entsprechend der Richtlinien oftmals zurückgenommen, nur ist diese Vorgehensweise ausgesprochen nervig und unnötig. Anfangs haben die User von YouTube gehofft, dass das System einfach nur dämlich ist und vielleicht über die Zeit "dazulernen" würde. Aber das kann man inzwischen getrost verneinen.

Kurz nachdem die Werbekunden wieder zurückgekommen waren, hatten wir den nächsten Aufreger. Pewdiepie, ein schwedischer YouTuber (Klarname: Felix Arvid Ulf Kjellberg) mit über 60 Mio. Abonnenten auf seinem Kanal, sorgte für einen Skandal, als er in einem seiner Videos das N-Wort (“Nigger”) benutzt hat [1]. Und schon sind die Werbeleute wieder alle weggerannt. Und jetzt, nachdem wieder alle vorsichtig zurückgekrochen kamen, vor wenigen Wochen der nächste Skandal um den US-amerikanischen YouTuber Logan Paul. Bei seinem Sylvester-Urlaub in Japan besuchte er mit Freunden den "Aokigahara Forest", der Teil eines über 1200 km² großen Fuji-Hakone-Izu-Nationalparkes ist. Der weitläufige und dichte Wald Aokigahara wird auch als "Suicide Forest", also “Selbstmord-Wald” bezeichnet.[2]

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Dieser Wald am Fuße des Mt. Fuji wird umgangssprachlich so genannt, weil sich dort jährlich etwa 50-120 Menschen das Leben nehmen. Es wird jedoch vermutet, das es noch mehr Leichen gibt, diese aber wegen der Dichte des Unterholzes nicht gefunden wurden. Als Logan Paul dann tatsächlich auf eine Leiche stieß, filmte er diese in Nahaufnahme und stellte das Video auf seinen Kanal online [3].

Nun, in dem ersten der drei Fälle hat YouTube durchaus ein ernstes Problem, weil man argumentieren könnte, dass mit der Werbung vor einem Video der IS zumindest indirekt Terrorismus und Menschenverachtung mitfinanziert wurde. In den letzten beiden Fällen kann man allerdings auch argumentieren, dass zumindest indirekt Schwachköpfe finanziert worden sind. Allerdings ist es nicht verboten, ein pietätloser Idiot zu sein und daher hat YouTube durchaus auch in dem Fall ein Problem. Denn da könnte man den Fall Logan Paul einreihen. Der Typ ist offenbar Opfer einer sich immer weiter entgrenzenden Gesellschaft.

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YouTube könnte langsam mal begreifen, dass mindestens die Hälfte aller Kanäle unglaublich nebulösen, trivial dümmlichen oder komplett sinnfreien Inhalt zur Schau stellen. Und die ziehen genau deswegen einfach strukturierte Zuschauer an. Das Geschäftsmodell scheint so simpel wie effizient: blöder Inhalt zieht Leute an. Noch blöderer Inhalt zieht noch mehr Leute an. Also sehen sich durch Massenklicks gehypte Leute wie Logan Paul, Pewdiepie und Co. getrieben, jedes Mal noch dämlichere Inhalte zu präsentieren, damit man noch höhere Zugriffszahlen und damit unter anderem mehr Werbeeinnahmen durch Internetwerbung oder eine größere Markenbekanntheit der Zielseite bzw. des Kanalbetreibers erzielen kann. Das man durch dieses zügellose, deregulierte Treiben dann irgendwann auch die rote Linie (Stichw.: Höflichkeit, Respekt, Gewissen, Empathie, Menschenwürde, Mobbing, Verbalentgleisung, Hasstiraden, geltende Rechtsprechung etc.) überschreitet, muß man wohl als logische Konsequenz erachten. YouTube, aber auch Facebook, Instagram und Co. haben bereits viel zu lange dieser desaströsen, ausufernden Entwicklung unzureichend entgegengewirkt. Die Nutzungsbedingungen verkamen zur Farce. Profit over people!

► Dumm und Dümmer, es geht noch schlimmer

tide_pods_capsules_laundry_detergent_waschmittelkapseln_spuelmaschinentabs_waschmittel_kritisches_netzwerk_challenge_mutprobe_procter_gamble_youtube_fluessigtabs.jpgSeit etwa einer Woche schwirrt ein neuer "Skandal" durchs Netz, bei dem ein Channel auf YouTube zu einer sogenannten “Tide-Pod Challenge” aufgerufen hat. Tide ist der Produktname eines Waschmittels aus den USA, hergestellt von Procter & Gamble. Es wird nicht mehr unbedingt in Pulverform verkauft, sondern auch in Form von größeren Tabletten, Pads oder Tabs. In Deutschland kennen wir das von der Spülmaschine. Der augenscheinlich vollständig vom Hirn befreite User in dem Youtube-Channel hat sich solch einen Tab in den Mund gesteckt und darauf gewartet, bis das Teil wegen der Wärme oder wegen der Feuchtigkeit im Mund explodiert.

Eine Aktion wie diese ist weder originell, informativ noch in irgendeiner Weise sinnstiftend. Wie reagieren nun die Betrachter auf eine solche Darbietung? Kaum einer spricht von mögl. gesundheitsschädlichen Folgen, sich mit einem "Waschmittel" eine Mundspülung zu verschaffen. Es wird als Mutprobe und Challenge betrachtet, ein Wettkampf, bei dem ebenso hirnbefreite YouTuber mitmachen. Reihenweise landen Nachahmer mit Vergiftungen und Verätzungen in der Notaufnahme, weil sie die hochkonzentrierten Chemikalien aus den geöffneten Waschmittelkapseln dann auch noch runtergeschluckt haben.[4] Merke: "Schwarmintelligenz" ist hier sicherlich nicht der richtig gewählte Begriff.

Das Videoportal YouTube ist "bemüht", die Lage schnell in den Griff zu bekommen. Gesundheitsbehörden, Gesetzgeber und die Versicherungswirtschaft werden sich das nicht mehr lange anschauen. Derzeit versteckt sich YouTube hinter dem sogenannten Providerprivileg in Deutschland bzw. der EU, genauso wie in den USA. Dieses Privileg besagt, daß für den hochgeladenen Inhalt ausschließlich der Kanalbetreiber verantwortlich ist. Zumindest in der EU gibt es aber inzwischen eine durchaus kritische Grundhaltung gegenüber YouTube, Facebook, Google und Co. Es wird sicher nicht mehr lange dauern bis die Politik dieses Privileg aufhebt. Wenn die Plattformbetreiber kommerzielle Werbung vor so einem Mist schalten, sind sie keine "Unwissenden" mehr, sondern "Mittäter". Man darf gespannt bleiben, wie sich das Ganze entwickelt.

tide_pods_laundry_detergent_capsules_waschmittelkapseln_spuelmaschinentabs_waschmittel_kritisches_netzwerk_challenge_mutprobe_procter_gamble_youtube_fluessigtabs.jpgChristian Jakob
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[1] Nach Nigger-Skandal: Pewdiepie entschuldigt sich, > PC WELT > Artikel v. 12.09.2017.

[2] "Die makabre Legende des Aokigahara-Waldes" > WELT.de > Artikel von Daniel Krüger, 18.03.2017.

[3] SPON: Er drehte Skandal-Video im "Selbstmord-Wald": Youtube bestraft Logan Paul > Stern.de > Artikel v. 12.01.2018.

[4] "Sie riskieren ihr Leben für ein paar Klicks im Internet" > WELT.de > Artikel v. Michael Remke, 23.01.2018.

"Richtlinien-Änderung bei YouTube: Gut für Werbetreibende, schlecht für kleine Channels" > MEEDIA.de > Artikel v. 18.01.2018.

YouTube Nutzungsbedingungen >> weiter.



► Bild- und Grafikquellen:

1. YouTube ist ein 2005 gegründetes Videoportal des US-amerikanischen Unternehmens YouTube, LLC, seit 2006 eine Tochtergesellschaft von Google Inc., mit Sitz im kalifornischen San Bruno. Über das YouTube-Partnerprogramm ist es den Produzenten von Videos seit 2007 möglich, Geld zu verdienen. Häufig organisieren sich Produzenten zu Kooperationen in Netzwerken („Multi-Channel-Netzwerken“). YouTube stellt am 20. Februar 2018 die Richtlinien für die Monetarisierung der Partner-Kanäle um, damit verlorengegangenes Vertrauen der Werbetreibenden zurückgewonnen werden kann und um weniger seriöse Anbieter die Monetarisierung zu erschweren. Grafik: geralt  / Gerd Altmann, Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Grafik.

2. Aokigahara Forest: Aokigahara, auch Aokigahara-jukai (dt. „Aokigahara-Baummeer“) genannt, ist ein weitläufiger und dichter Wald in der Präfektur Yamanashi in Japan. In der breiten Öffentlichkeit ist der Aokigahara als „Selbstmord-Wald von Japan“ bekannt, weil hier jährlich viele Menschen versteckt Suizid begehen. Foto: Guilhem Vellut, Annecy/France. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

3. Aokigahara-Wald in Japan: Die Möglichkeit, tatsächlich Leichen aufzufinden, hat in den letzten Jahren zu einer negativ wahrgenommenen Art von „Nervenkitzel-Tourismus“ geführt. Aufgrund der Dichte und Eintönigkeit des Unterholzes können Personen, welche die offiziellen Wege verlassen, schnell die Orientierung verlieren und sich im Wald verirren. Da der Waldboden zudem äußerst uneben, porös und durchzogen von Höhlungen und Spalten ist, besteht auch ein gewisses Risiko zu verunglücken. Der Aokigahara ist deshalb auch für seine hohe Anzahl an vermissten Personen bekannt; die meisten von ihnen werden jedoch schnell wieder aufgefunden. Foto: Patrik Ragnarsson, Linköping / Sweden. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

4. NOOOO! Maybe I shouldn't put laundry detergent in a crystal candy dish... Foto: Michael Paul. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

5. Tide Pods Laundry Detergent Capsules. Foto: Austin Kirk. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).