Zuchtfleischproduktion: Kulinarische Perversitäten aus Frankensteins Horror-Shop

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Marie-Luise Volk
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Zuchtfleischproduktion: Kulinarische Perversitäten aus Frankensteins Horror-Shop
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Zuchtfleischproduktion

Kulinarische Perversitäten aus Frankensteins Horror-Shop

Wie muss man sich das Fleisch der Zukunft vorstellen? Im niederländischen Kerkrade fand vom 11.10.2016 bis 11. Juni 2017 eine Ausstellung statt, die alles sprengte, was wir uns vorstellen können: „Meat the Future“. 30 Zuchtfleischgerichte wurden dem Besucher vorgestellt - ein Horrortrip der besonderen Art!

Die Aussichten scheinen ziemlich trübe zu sein: Wenn die Weltbevölkerung auf 9 Milliarden Menschen anwächst, dann gibt es nur noch Reis, Bohnen und Algenburger – so die Kassandra-Rufe der in den Startlöchern steckenden Zuchtfleischindustrie. Und diese ist fleißig dabei, mit Hilfe von Stammzellen und Bioreaktoren Fleisch aus der Retorte zu zaubern. Menschen, die sich die Fleischerzeugung mit Hilfe von Bioreaktoren ausdenken, tun dies sicherlich nur deswegen, weil sie dafür bezahlt werden. Immerhin wird die Stammzellenforschung staatlicherseits gefördert. Dass es zu solchen Fehlentwicklungen kommt, ist nur mit unserem fehlerhaften Geldsystem erklärbar.

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Die Botschaft der Zuchtfleischindustrie lautet:

Zuchtfleisch aus dem Bio-Reaktor ist eine tierfreundliche Alternative.

zuchtfleisch_10_bioreaktor_gewebetechnik_gewebekonstruktion_gewebetechnologie_gewebezuechtung_tissue_engineering_in_vitro_meat_fleisch_synthetisches_fleisch_kritisches_netzwerk.jpgEs gibt keine Tierquälerei, keine Massentierhaltung und auch keine Gülleprobleme mehr.

Die Technologie bei der Herstellung von Zuchtfleisch ist soweit, dass in einem Labor gewachsener Hamburger bereits gebraten und verzehrt wurde

Fleisch aus dem Bio-Reaktor ist nachhaltig

Kein Nahrungsmittelmangel mehr

Wie denn sonst soll die Nachfrage nach Fleisch bei ansteigender Bevölkerungszahl zukünftig bedient werden?

Mal Hand aufs Herz, sind dies nicht Argumente, um die Bedenken von Seiten der Ethiker auszuräumen?

Es war ein großer Ausstellungsraum im niederländischen CUBE DESIGN MUSEUM, bei dem an den Wänden die Geschichte des Fleischkonsums und den heutigen Auswirkungen dargestellt wurden. Der Raum wirkte wie ein Vorraum einer Leichenhalle, die Strahler waren auf die Ausstellungstische gerichtet und es war totenstill. Der junge Mann von der Museumsaufsicht war mit dem Fotografieren einverstanden und sehr diskutierfreudig.

Was auf den Tischen präsentiert wurde, sprengte alle meine Vorstellungen. Ab und zu wurde mir flau im Magen. Zum Glück gab es keinerlei Gerüche, sonst hätte ich den Durchgang nicht geschafft. Mir stehen heute noch die Haare zu Berge, wenn ich an das Gesehene denke!

Im Wechselbad der Gefühle betrachtete ich die neuesten Kreationen aus Frankensteins Horror-Shop: Hergestellt aus Tausenden einzelnen Stücken gezüchteter Muskelmasse wurde ein Zuchtfleischhamburger präsentiert, Produktionskosten: 250.000 Euro – mit folgender kulinarischer Bewertung (sic!): „Fleisch schmeckt noch ein bisschen trocken…

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„Post-Burger“ genannt nach Prof. Mark Post (Biomediziner von der Uni Maastricht)

Der große Klumpen „Urzuchtfleisch“, also Fleisch aus Stammzellen monatelang im Bioreaktor gezüchtet, bekam das Geschmacksprofil „schwarzer Trüffel bis Eichenholz“ verliehen. Dieser Fleischklumpen, präsentiert auf einem dekorativen Holzbrett, zeigte im Innern weiße Linien, die an Fett- und Sehneneinlagerungen im Fleisch erinnern. Trotzdem irgendwie unnatürlich.

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Urzuchtfleisch

Bei der Fleisch- und Wurstplatte, „kultiviert“ im Edelstahl-Bio-Reaktor bekam ich richtige Ekelgefühle. Diese konnten auch nicht mit dem Hinweis, dass dazu ein lokal gebrautes Bier passend wäre, unterdrückt werden.

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Fleischzucht Typ „Carney Tapas“

Ravioli von Bresse, gefüllt mit Putenstückchen, Putenstückchen aus einem niederländischen Labor, mit dem Qualitätsmerkmal „ganz frisch“  gezüchtet, wurde auf dem nächsten Tisch offeriert.

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Putenstückchen aus niederländischem Labor – frisch gezüchtet

Den Labor-Perlen, Kaviar oder Tapiokabällchen ähnlich, natürlich aus gezüchtetem tierischen Fett, werden einen „nussigen Geschmack, ähnlich eines guten italienischen Lardos“ bescheinigt.

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Laborperlen mit „delikater“ Struktur

Für die Fisch-Liebhaber wurde ein transparentes Sashimi (Sashimi = japanisches Fischgericht mit Meeresfrüchten), vorgestellt. Alles aus dem Bioreaktor.

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Gezüchteter Thunfisch

Natürlich durften auch Produkte aus den Stammzellen des Schweins nicht fehlen. Echte Salami-Würste aus dem Labor. Grauenvoll auch das „Fleisch-Obst“. Das „gestrickte Steak“. Es wurde immer abstruser.

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Aus Stammzellen vom „Spenderschwein“

Was  aber dann zum Schluss zu sehen war, sprengte dann wirklich alle Vorstellungen. Als besondere Attraktion wurde das „Berühmte Klötzchen“ offeriert mit folgender Prospekt-Beschreibung:

Vergessen Sie Unterschriften und Poster an der Wand… Zeigen Sie Ihrem Idol, dass Sie ein echter Fan sind, der ihn oder sie zum Fressen gern hat. Diese berühmten Klötzchen bestehen aus Stammzellen von Berühmtheiten… Lady Gaga, Usain Bolt oder Einstein gefällig? Serviert werden die Promis als köstliche Leckerbissen, getaucht in eine einfache Glasur aus Whisky. Ein süchtig machendes Gericht…

Wie bitte? Wir sollen also Produkte serviert bekommen, von Personen, die wir kennen?

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Klötzchen aus Stammzellen von Lady Gaga, Usain Bolt und Albert Einstein

Diese Perversion konnte dann nur noch mit dem „Liebesmedaillon“ getoppt werden: Züchte mich selbst!

Es handelt sich bei dem „Liebesmedaillon“ um einen persönlichen Bioreaktor, den man wie einen Anhänger zwischen den Schlüsselbeinen trägt: Nach drei Monaten wird in dem Bioreaktor ein kleines, aus den eigenen Zellen gezüchtetes Medaillon wachsen, bestehend aus Muskelgewebe, das durch die eigene Blutzufuhr genährt wurde.

zuchtfleisch_9_liebesmedaillon_bioreaktor_medaillon_anhaenger_muskelgewebe_muskelfleisch_zuchtfleischburger_zuchtfleischhamburger_fleischerzeugung_fleischindustrie_kritisches_netzwerk.jpgHier soll es sich um eine moderne und charmante Version des uralten Rituals des Kannibalismus handeln. Im Prospekt zu der Ausstellung wurde dazu geschrieben: „Servieren Sie Ihrem oder Ihrer Geliebten bei einem intimen, romantischen Diner ein Stück ihres eigenen Leibs. Poesie oder Horror?“ Was für eine Frage! Wer denkt sich so etwas „Krankes“ eigentlich aus? Sind wir von allen guten Geistern verlassen?

Ist es vorstellbar, dass so etwas überhaupt angerührt, geschweige denn gegessen wird? Nur: Warum sollten diejenigen, die heute schon nicht danach fragen, was sie sich einverleiben, nicht auf Ravioli mit Putenstückchen aus dem Labor hereinfallen? Da es kaum Beschränkungen mehr gibt, der Nahrungsmittelindustrie in irgendeiner Form Einhalt zu gebieten, warum sollte ausgerechnet jetzt der Gesetzgeber reagieren? Dem Fast-Food-Junkie kann doch heute schon der größte Dreck angedreht werden. Die Hauptsache ist doch für ihn, dass es erschwinglich ist und dass es schmeckt.

Zuchtfleischerzeugung ist die Antwort – aber was war eigentlich die Frage? Brauchen wir bei der heutigen Eiweißmast, die für viele gesundheitliche Beeinträchtigungen steht, noch weitere technische Lösungen, damit diese aufrecht erhalten bleiben kann?

In dem Bericht „Mit Fleisch, aber ohne Tier: Burger aus Stammzellen“ (Rhein-Zeitung v. 21.02.2012) wird angesprochen, wie synthetisches Fleisch vor dem Verderben bewahrt werden soll: Antibiotika und andere Chemikalien.

Die Forschungsergebnisse des deutschen Bakteriologen Prof. Werner Kollath (auch bekannt als Pionier der Vollwerternährung), die Erfahrungen von Dr. Max Otto Bruker (Infos siehe weiter unten!), dem dänischen Arzt u. Ernährungsforscher Mikkel Hindhede und dem Facharzt für Innere Medizin Prof. Lothar Wendt, (bekannt als Spezialist für Eiweißspeicherkrankheiten), zeigen doch, dass das Eiweißproblem längst gelöst ist – auch wenn diese fortschrittlichen Ergebnisse aus wirtschaftlichen Gründen vorsätzlich unter dem Deckel gehalten werden: Pflanzliches Eiweiß ist dem tierischen Eiweiß überlegen. Die Überlegungen, die bestehende Tiereiweißmast durch Laborfleisch zu erhöhen, gehen in die falsche Richtung. Zuchtfleischerzeugung aus dem Bio-Reaktor.

NEIN  DANKE!

Marie-Luise Volk.



► Quelle: Artikel erstveröffentlicht am 2. Juli 2017 auf meinem Blog esgehtanders.de >> Artikel.

► Fleisch aus der Retorte | Projekt Zukunft (Dauer 3:18 Min)

Der Niederländer Prof. Mark Post ist davon überzeugt, dass Steaks in Zukunft aus dem Labor kommen werden. Der Professor für Biomedizin an der Universität Maastricht ist Spezialist für Gewebekultur. Seine Idee: So wie man aus Stammzellen künstliche Herzklappen oder künstliche Haut für Unfallopfer herstellen kann, so könnte man auch Stücke von Rind- oder Schweinefleisch produzieren.

► Bild- und Grafikquellen:

max_otto_bruker_die_deckung_des_eiweissbedarfs_tierisches_pflanzliches_eiweiss_vollwerternaehrung_vitalstoffreiche_vollwertkost_kritisches_netzwerk_pflanzenkost_eiweissproblem.jpg1. Kultiviertes Rindmuskelfleisch (ital.: muscolo bovino colticato), also synthetisches Fleisch (ital.: carne sintetica; engl. cultured meat). In-vitro-Fleisch (von lateinisch in vitro ‚im Glas‘), auch kultiviertes Fleisch, umgangssprachlich Laborfleisch, ist das Ergebnis von Gewebezüchtung mit dem Ziel, Fleisch zum menschlichen Verzehr im industriellen Maßstab synthetisch herzustellen. Die Erzeugung von In-vitro-Fleisch basiert auf den Methoden der Zellkultur, insbesondere auf den Methoden der Gewebezüchtung wie die 3D-Zellkultur und das Tissue Engineering. Foto: Fabrice de Nola, an Italian-Belgian artist and producer from Palermo / Sizilien >> http://www.denola.net/ . Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).

2. - 11. Urheber dieser Fotos: Marie-Luise Volk. Weiterverbreitung für nicht-kommerzielle Zwecke nur mit vollständiger Namens- und Quellenangabe "Marie-Luise Volk, Gamlen / esgehtanders.de" erlaubt!

12. Cover "Die Deckung des Eiweißbedarfs"; Kleinschrift Nr. 22; für 50 Cent zu beziehen im Emu-Verlag, Lahnstein >> https://emu-verlag.de/ . In dieser Kleinschrift wird dargelegt, das die Angst vor ungenügender Deckung des Eiweißbedarfs unberechtigt ist, falls genügend unerhitzte Pflanzenkost in form von Getreide, Blatt– und Wurzelgemüse und Obst genossen wird. Autor: Dr. med. Max Otto. Bruker.

Dr. Max Otto Bruker (* 16. November 1909 in Reutlingen; † 6. Januar 2001 in Lahnstein) war ein deutscher Sachbuchautor, Arzt und Politiker. Er war ein Verfechter der Vollwerternährung, für die er einen eigenen Ansatz erarbeitete („vitalstoffreiche Vollwertkost“).

Bruker leitete von 1974 bis 1977 als Chefarzt die psychosomatische Abteilung der Klinik am Burggraben in Bad Salzuflen. Von 1977 bis 1991 war er ärztlicher Leiter der Klinik Lahnhöhe in Lahnstein bei Koblenz und hielt in seinem angrenzenden Gesundheitszentrum Lahnhöhe eine für die Öffentlichkeit zugängliche Sprechstunde mit dem Namen „Ärztlicher Rat aus ganzheitlicher Sicht“ ab. Bruker starb 91-jährig, erst ein Jahr zuvor hatte er sich in den Ruhestand begeben. Seine Bücher erreichten eine Auflage von über vier Millionen.

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Verbunden: 10.09.2016 - 11:31
Fleischproduktion: Eingebildeter und realer Horror

Liebe Frau Volk,

Ich habe Ihren Artikel aufmerksam gelesen. Dreimal, um genau zu sein. Um es auf den Punkt zu bringen: zwischen unseren Vorstellungen von Horror scheinen Welten zu liegen. Horror, wie ich Ihn verstehe, habe ich in Ihrem Artikel nicht gefunden. Perversitäten (Liebesmedaillons): ja. Geschenkt. Aber Horror? Nein. Was ich unter Horror verstehe, hat Dirk C. Fleck beispielsweise im folgenden Artikel beschrieben:

Von der Würde der Tiere - hier als pdf

Der Unterschied: Während sich Ihr Horror ausschließlich in Ihrem Kopf abspielt und nur persönliche Befindlichkeiten verletzt, ist das, was ich unter Horror verstehe, absolut echter, realer und abgründiger Horror.

Ganz offen gesagt: da nehme ich Ihren Horror mit Kusshand, wenn dadurch „mein“ Horror gemildert oder vermieden werden kann. Ein realistisches Konzept, „meinem“ alltäglichen Horror abzuhelfen, lässt sich Ihrem Artikel nicht entnehmen. Die Erkenntnis, dass pflanzliches Eiweiß tierischem überlegen ist, ist ja nicht neu. Geändert hat das wenig. Wenn die Masse der Menschen sich dadurch nicht zu einem anderen Essverhalten bewegen lässt, bleiben entweder Zwang und Verbot (wofür derzeit nicht einmal am Horizont eine realistische politische Gesetzesinitiative zu erkennen wäre) oder Fleisch aus der Retorte. Denn soviel ist sicher: Mit der Feststellung einer heutigen Eiweißmast, die für viele gesundheitliche Beeinträchtigungen steht und die nur das Luxusproblem der westlichen, angeblich „zivilisierten“ Welt ist, wird sich weder der aktuelle Horror und schon gar nicht der Zukünftige der wachsenden Weltbevölkerung beheben lassen.

Logos

Dipl.-Ing. Maschinenbau, Jhrg. 64

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Verbunden: 10.09.2016 - 11:31
Nachtrag zur Fleischproduktion und zum Geldsystem

Noch ein Nachtrag mit zwei Überlegungen:

1)
Leider leben wir nun mal in einer Welt, inder die meisten Menschen nicht nach Sinn und Verstand, nach gut und richtig oder gar empathisch handeln, sondern egoistisch und bequem sind. Das mag einem nicht passen und man kann es auch zu recht verurteilen - nur ändert das nichts. Insofern hilft ein Konzept (pflanzliches Eiweiß) nur in der Theorie weiter, wenn sich das nicht zur allgemeinen Praxis machen lässt. Fleisch aus der Retorte hingegen könnte geeignet sein, den Horror der Praxis zu lindern.

2)
Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass der Druck, den das Zinseszinsschuldgeldsystem auf Wirtschaft und Gesellschaft ausübt, verheerend ist. Auch ich bin für ein anderes Geldsystem. Was uns trennt ist Ihre Äußerung [Hervorhebung meinerseits]:

„Dass es zu solchen Fehlentwicklungen kommt, ist nur mit unserem fehlerhaften Geldsystem erklärbar.“

Zunächst lassen die von mir ausgeführten Sachargumente Zweifel anmelden, ob das überhaupt eine Fehlentwicklung ist.

Generell: Solche [Fehl-]Entwicklungen sind komplexe Phänomene. Komplexe Phänomene lassen sich niemals monokausal, sondern immer nur multifaktoriell erklären. Schon aus dieser rein theoretischen Erwägung heraus ist Ihre Äußerung realität-verzerrend und komplexität-verkürzend.

Konkret wäre diese Entwicklung auch ganz ohne ein Zinseszinsschuldgeldsystem denkbar. Multiple Faktoren wirken darauf hin:

  • Wachsende Weltbevölkerung
  • An die Grenzen stoßende „konventionelle Fleischproduktion“
  • Ausweg aus der üblen Massentierhaltung
  • Gier/neue Geschäftsfelder
  • Kungelei & Korruption: Profiteure der staatlich geförderten Stammzellenforschung

Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: ich halte die Kritik an diesem Geldsystem für ebenso richtig und nötig, wie die Aufklärung einer anzustrebenden pflanzlichen Deckung des Eiweißbedarfs. Nur sollte das nicht in einer Ablehnung von Retortenfleisch münden, nur weil das die zweitbeste bzw. nicht ideale Lösung (reine Lehre) darstellt. Aus o.g. Gründen ist das kontraproduktiv.

Logos

Dipl.-Ing. Maschinenbau, Jhrg. 64

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Marie-Luise Volk
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Verbunden: 28.10.2010 - 13:29
Geldsystem


Als überzeugte Vegetarierin (seit über 25 Jahren) stimme ich Logos zu, dass die Massentierhaltung skandalös ist. Sie ist tiefstes Unrecht und deswegen zu verbieten. Trotzdem bleibe ich dabei, dass Zuchtfleisch nicht die richtige Antwort auf die Versorgung mit Eiweiß sein kann. Es ist nicht die zweitbeste Lösung des Problems, weil damit neue Probleme geschaffen werden.

Anstelle in diese sinnlose Technologie zu investieren, könnte sehr viel Aufklärung im Sinne der Tiere und Pflanzen finanziert werden. Ab genau das wird in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem, welches nur mit Wachstum und Rendite funktioniert, verhindert. Aufklärung würde sich ja geschäftsschädigend auswirken und deswegen wird sie auch nicht gemacht!
 
Geht man den “komplexen Phänomenen” auf den Grund, wird man immer als Ursache unser Geldsystem ausmachen können.
 
vg
ml

 

 

 

 

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Verbunden: 10.09.2016 - 11:31
Absolutist. Tunnelsicht vs. multifakorielles Realitätsbewußtsein


Absolutistische, monokausale Tunnelsicht vs. multifaktorielles Realitätsbewußtsein

Meinerseits wurde nie behauptet, Zuchtfleisch wäre die „richtige Lösung“. Sie ist - an sich - die zweitbeste. Allerdings hat die zweitbeste der idealen Lösung einen ganz entscheidenden Vorteil voraus: sie ist mutmaßlich in absehbarer Zeit umsetzbar und somit realistisch. Was eben leider nicht über die ideale Lösung gesagt werden kann. Was sind denn Ihre Lösungsansätze zur Beendigung des tiefen Unrechts der Massentierhaltung und sonstiger Abartigkeiten?

I) Verbot. An sich zustimmungsfähig, nur leider völlig unrealistisch. Es ist nicht einmal am Horizont eine begründete Hoffnung erkennbar für die Einziehung eines gesetzlichen Verbotes erkennbar.

II) „Aufklärung im Sinne der Tiere und Pflanzen“. Aufklärung im Sinne der Tiere kann ich ja verstehen. Aber was meinen Sie mit „Aufklärung im Sinne der Pflanzen“? Und wohin hat uns die Aufklärung bisher gebracht? Womöglich steht dahinter die realitätsferne Ansicht, für eine Veränderungen menschlichen Verhaltens wäre Aufklärung hinreichend. Menschen würden nur deswegen „schlecht“ handeln, weil sie es nicht besser wüssten. Der Stand der Erkenntnis in der Psychologie lehrt allerdings, dass Menschen im Regelfall gefühlsgeleitet handeln und nur selten rein verstandsmäßig. Allein das Heer der Raucher und die weitgehend ergebnislose Aufklärung auf Zigarettenschachteln spricht Bände. Gerade beim Thema Ernährung spielen z.B. auch Bequemlichkeit und Geld eine gewichtige Rolle, die sich auch durch alle Aufklärung der Welt nicht beseitigen lassen.

Im Übrigen wird eine flächendeckende gesellschaftliche Aufklärung durch entsprechende Machtstrukturen, deren Interessen damit beeinträchtigt würden, konsequent verhindert. Allerdings würden Machtstrukturen wahrscheinlich auch jenseits eines kapitalistischen Wirtschaftssystems existieren.

III) Abschaffung des Geldsystems. Volle Zustimmung. Aber wo sind realistische Ansätze im staatlichen Rahmen erkennbar? Wäre das gesamte Unrecht der Massentierhaltung tatsächlich mit einem anderen Geldsystem beseitigt? Warum angeblich, wenn sowohl ein gesundes Gewinnbestreben oder wie auch zerstörende Gier völlig unabhängig vom Geldsystem existieren?

IV) Abschaffung des Kapitalismus. Bisher sind alle Versuche gescheitert. Aber nicht nur das: keiner der Kapitalismuskritiker konnte bislang ein realistisches und hinreichend konkretes Ausstiegskonzept vorstellen. 

Zu Ihrer Bemerkung "Es ist nicht die zweitbeste Lösung des Problems, weil damit neue Probleme geschaffen werden." zwei Erwiderungen:

1. Es liegt in der Natur der Sache, dass die zweitbeste Lösung nicht so gut wie die ideale ist - also Nachteile/Probleme aufweist. Insofern ist der mit „weil“ eingeleitete Halbsatz gar keine Begründung.

2. Sind die mit der zweitbesten geschaffenen Probleme gleichgroß oder größer als die bestehenden? Augenscheinlich nicht. In sofern würde die zweitbeste Lösung in jedem Fall eine Verbesserung der Zustände bewirken. Bei Wahlen wird ständig nach dem Prinzip des kleineren Übels gehandelt.

Ihre Bemerkung "Geht man den “komplexen Phänomenen” auf den Grund, wird man immer als Ursache unser Geldsystem ausmachen können." eröffnet im Hinblick auf „als Ursache“ zwei Lesarten :

a) im Sinne von „eine unter mehreren“ oder

b) im Sinne von „die alleinige“

Letzteres ist die Wiedereinführung der Monokausalität durch die Hintertür. Die Erkenntnistheorie hat solche unterkomplexen und Realität verkürzenden Ansätze längst auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt. Weder eine Aufwärmung noch Wiederholung dieses verfehlten Ansatzes macht diesen korrekt.

Ergo:

Verbesserungen sollen nicht [nur] in der Theorie, sondern [auch] der Praxis erreicht werden. Dafür aber ist eine hinreichende Berücksichtigung der harten Wirklichkeit erforderlich. So richtig Aufklärung und die Forderung idealer Lösungen auch ist - ohne eine absehbar realistische Umsetzbarkeit (sei es durch Gesetze oder Änderung gesellschaftlichen Verhaltens) ist mit all den Forderungen und Aufklärung wenig bis nichts Substanzielles gewonnen. Eine signifikante Verbesserung der Zustände unterbleibt. Deswegen ist der korrekte Ansatz (wieder einmal) keine Frage

  • eines absolutistischen „entweder/oder“ (nur die ideale Lösung bzw. „die reine Lehre“ verfolgen und alles andere ablehnen),
  • sondern des „sowohl/als auch“:

nämlich das eine tun (Aufklärung und ideale Lösungen fordern), ohne das andere (die 2tbeste Lösung zur Verbesserung umsetzen) zu lassen.

Wie kontraproduktiv die erste Haltung ist, haben die Lehren aus dem Israel-Palästinenserkonflikt gezeigt: In der Vergangenheit wollten die Palästinenser-Verhandlungsführer immer die 100%, immer die Ideal-Lösung. Weil sich diese aber nicht durchsetzen ließ, haben sie meist rein gar nichts erreicht. Mit Kompromissbereitschaft hingegen hätten sich schon diverse Verbesserungen erzielen lassen.

Um es ganz hart zu formulieren (ohne Ihnen dieses Konzept zu unterstellen): Eine der sichersten Methoden, Fortschritt und Verbesserungen zu unterbinden, ist die ausschließliche und absolutistische Einforderung von Ideallösungen bei gleichzeitiger kategorischer Ablehnung suboptimaler Verbesserungszwischenschritte. Das garantiert Stillstand und verhindert nach jeglicher Erfahrung ein positives Vorankommen.

Auch wenn Ihr Ansinnen im Gegenteil liegt - Ihr Ansatz, Frau Volk, läuft im Ergebnis auf diese Verhinderungsstrategie hinaus. Sollte nicht wenigstens dieser Sachverhalt veranlassen, Ihre Haltung kritisch zu überdenken?

Logos

Dipl.-Ing. Maschinenbau, Jhrg. 64

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