Lieber Helmut,
ich möchte die Kommentierung der KN-Redaktion im Artikel von Conrad Schuhler mit dem Titel "Donald Trump und die Rechtsentwicklung in Europa [4]" nun gerne meinerseits mit dem nachfolgenden Artikel kommentieren, wenn auch aus Zeitgründen nur in einem wichtigen Punkt, den Du zuletzt unter den Schlussfolgerungen angesprochen hast, nämlich ob der Kampf zwischen LINKS und RECHTS nur Theaterdonner und damit Zeitverschwendung sei, mindestens Ablenkung vom Wesentlichen. (WOB, München)
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Die große Verwirrung um Donald Trump
Die neoliberale EU darf jubeln, Trumps Wähler haben verloren
Der Kampf, der zur Zeit auf beiden Seiten des Atlantik zwischen "LINKS" und RECHTS tobt, ist weder reiner Theaterdonner noch purer Streusand in den Augen der Beteiligten und Betroffenen. Er ist sichtbarer Ausdruck einer Auseinandersetzung zwischen den Herrschenden, wie sie ihre neoliberalen Projekte EU und USA weiterführen sollen, um damit der kapitalistischen Globalisierung zum endgültigen Sieg verhelfen und sich dabei optimal zu bedienen. Dabei setzen diverse Kapitalfraktionen in der Tat auf verschiedene Pferde, in der Hoffnung, die Wähler würden jeweils deren ins Rennen geschickten Kampfgäule in den Sattel heben. Zu (er)tragen haben diese vom Wahlvolk gekürten "Sieger" dann in jedem Fall die Menschen, die sie gewählt haben. Die sind nicht nur einfach Zuschauer, sondern unmittelbar Betroffene. Sie haben Wetten abgeschlossen darauf, wer sie den Karren besser, effizienter und kräfteschonender aus dem Dreck ziehen lassen wird. Wie das so ist bei Wettgeschäften: Realer Gewinner ist allemal die Bank.
Nun gibt es zwar prinzipiell zwei Richtungen auf der Rennbahn, aber die eine davon, nämlich zurück, würde automatisch dem anderen, der vorwärts rennt, den Sieg überlassen und zur eigenen Disqualifikation führen. Ein Zurück gibt es also nicht, weder am Rennplatz noch im Lauf der Welt. Daher starten alle in dieselbe Richtung. So sehen es die Regeln der Rennveranstalter vor. Wer letztlich gewinnt, könnte denen eigentlich egal sein, ob das weiße oder das schwarze oder ein braunes Pferd gewinnt. Hauptsache, die Veranstaltung hätte sich finanziell gelohnt.
In der Politik kann eine Wahl aber auch dann erfolgreich sein und sich lohnen, wenn sich nur wenige daran beteiligt haben, Hauptsache sie wird hinterher anerkannt und nicht begründet bezweifelt. Bei aller Schiebung, unzulässiger Wahlkampfhilfe, Parteien- oder Kandidatenfinanzierung, am Ende muss klar sein: Dieser Gaul ist jetzt unser Zugpferd, getragen von seinen Anhängern und Wählern, aber auch denen, die sich die Konkurrenz eher im Ziel gewünscht hätten. Bis zum nächsten Rennen sollte das Publikum das Ergebnis akzeptieren und den gesamten Rennzirkus mittragen, und so die Ausrichtung der nächsten Veranstaltung garantieren. Die Rennleitung kümmert sich derweil um die Dressur des Favoriten und seiner Nachfolger.
So ungefähr sieht die Bourgeoisie ihre bürgerliche Demokratie: Als Austragungsort der gesellschaftlichen Widersprüche in Parteien-Konkurrenz. Die Arena dazu bildet das Parlament, dessen Halbrund sich in links und rechts gruppiert, wobei heftiger Streit darum geführt wird, wer denn nun mehr die Mitte repräsentieren darf und wer an die Ränder gedrängt werden müsse. Eigentlich wollen alle möglichst mittig sitzen außer DIE LINKE im Bundestag. Die sitzt gerne links vom Sitzungsleiter aus gesehen, und ist auch nicht unfroh darüber. Neben ihr ist parlamentarisch gesehen nur noch die Wand. Auf der anderen Seite sitzt die CSU. Rechter geht es derweil kaum. Demnächst sitzt da voraussichtlich ein Häufchen AfD, dann rutscht die CSU ein bisschen auf in die Mitte, bleibt aber dennoch rechtsaußen. CDU und SPD sitzen auf Tuchfühlung in der Mitte, solange sich keine FDP dazwischen drängt.
► Im US-Senat scheint es dagegen einfacher:
Demokraten links, Republikaner rechts, dazwischen passt kaum ein Blatt Papier. Und dennoch dieser Trubel, dieser Wahnsinns-Wahlkampfmarathon! Die Demokraten sind nicht links, sondern weitgehend neoliberal, und die Republikaner neokonservativ, noch einen Zacken härter als traditionell konservativ". Beide würden hierzulande als rechts gelten. Was ist dabei der Unterschied? Die einen sind mehr für Globalisierung der US-amerikanischen Dominanz, die anderen mehr für US-amerikanische Dominanz in der Globalisierung. Beides nimmt sich nicht viel. Es läuft in dieselbe Richtung: Die kapitalistische Globalisierung darf keinesfalls gegen US-amerikanische Interessen laufen. Die Dominanz der USA soll auf jeden Fall gewährleistet bleiben, gerade in Zeiten des Aufkommens ernster Konkurrenz in Gestalt der BRICS-Staaten [5]. So war bisher die Aufteilung.
Da kommt Trump daher und trötet: "AMERICA FIRST!" Das wird als Absage an Globalisierung und Freihandel aufgefasst. Aha! Da will einer mit protektionistischer Politik, mit Handelsbarrieren unser Geschäft erschweren? Will er gar nicht! Er will statt regionaler und multilateraler Freihandelsabkommen lieber bilaterale abschließen, wo jeder Verhandlungspartner, jedes Land einzeln der großen Wirtschaftsmacht der USA gegenüber sitzt. "AMERICA FIRST!" klingt in den Ohren sehr vieler nicht gerade als revolutionär bekannten Industriearbeiter im heruntergekommenen "Rostgürtel" (Rust Belt [6]) wie "AMERICANS FIRST", also sie selbst, im Gegensatz zu den noch nicht als US-Bürger aufgenommenen Zugewanderten aus dem Süden.
"AMERICA FIRST!" klingt selbst manchen Gutgläubigen in Europa nach einer Selbstbescheidung der USA, als Auftakt zum Rückzug aus den Schlachtfeldern des Nahen Ostens, nach Verständigung mit Russland, ja gar vereinzelt nach Friedenshoffnung. Weit gefehlt! Trump will um 10 Prozent jährlich aufrüsten, also satte 54 Milliarden zusätzlich in atomare Modernisierung stecken und die Konfliktlinien nur verschieben. Er will erklärtermaßen neue Kriege entfachen gegen China und gegen den Iran. Von wegen Rückzug! Von wegen harter Kampfansage an Hillary Clintons Verbandeltheit mit dem Militärisch-industriellen Komplex [7]!
Im Gegenteil! "AMERICA FIRST!" heißt generell optimale Ausbeutungsbedingungen für das Kapital in den USA, Unternehmenssteuersenkung von 35 auf 15 Prozent. Egal übrigens, woher es kommt. BMW ist eh schon da. Also die reine Märchenstunde von wegen Kampfansage an transnationale Konzerne! Sie sollen nur in den USA produzieren, um harsche Strafzölle zu vermeiden. Mit dem Kapital an sich hat Trump generell keine Probleme, er selbst ist milliardenschwerer Kapitalist.
► Der Oligarch also gegen das "Establishment"?
Sein Gruselkabinett strotzt nur so von gelernten Goldman-Sachs [8]-Hasardeuren und abgehalfterten Haudegen aus dem Militär. Es versammelt die Hautevolee des strammen Upper-Class-Amerika. Seine Attacken gegen die "feine Gesellschaft" konnten daher demagogisch nur so erfolgreich sein, weil seine Wahlkampf-Konkurrentin so unbeliebt war wie er es nun bald auch sein wird, wenn er seinen Wählern nicht "liefert". Also liefert er: Rassismus, Homophobie, Patriotismus, Medienschelte, Frauenverachtung, was immer das "gemeine Volk" gern hören will. Das "gebildete Volk" erschaudert. Das "normale Volk" ist hin- und her gerissen.
Ist es nur das Staunen über ein Polit-Theater? Mitnichten! Es geht um die Frage, welche Art von Herrschaftsform sich durchsetzt. Würde sich Trump vollumfänglich mit all seinen angekündigten Vorhaben durchsetzen, wäre es mit den letzten Resten an Liberalität vorbei. Und das nicht einmal in erster Linie für die Bourgeoisie, sondern für die Menschen in den USA, für ganze Bevölkerungsgruppen jedenfalls: Moslems, Juden, Latinos, Schwarze, emanzipierte Frauen, Homosexuelle, also fast alle so genannten Minderheiten, aus denen das bunt gewürfelte Land nun einmal besteht, welches sich einst aus Einwanderern rekrutierte. Dazu kritische Medien, Teile der Justiz, kurzum das gesamte Erdoğan-Programm an Feindbildern und Angstgegnern.
► Bereits jetzt lassen zunehmende antisemitische Übergriffe aufhorchen:
Friedhofsschändungen mit über 500 umgeworfenen jüdischen Grabsteinen, offenbar von durch den Trumpsieg ermunterten Anhängern eines "sauberen" Amerika inszeniert. Dabei ist das noch nicht einmal die "offizielle" Politik-Linie von Trump. Der setzt vielmehr auf weit verbreitete Ressentiments gegen die Zugewanderten aus dem Süden. Gegen diese bereitet er eine Pogromstimmung vor, zunächst gegen straffällig gewordene, dann gegen solche ohne aufenthaltsberechtigende Papiere, dann gegen "Mexikaner". Es ist nur noch eine Frage der Zeit und der politischen Opportunität, bis regierungsoffiziell zum "großen Halali" geblasen wird. Bis sich "weiße" Bürgerwehren berufen fühlen, offen Treibjagden auf "Illegale" zu starten und breit angelegte "Säuberungen" zu veranstalten, Diffamierungs- und Denunziationskampagnen lostreten und einzelne Menschen auf offener Straße verprügeln oder gar totschlagen.
Die Polizei würde zu Teilen vielleicht sogar daneben stehen und die Malträtierten "in Obhut" zur Deportation nehmen. Denn es würde ja nur die offizielle Politik exekutieren, "Schwarzarbeiter" aus ihren marginalen Arbeitsverhältnissen in den Villen und Vorgärten der Reichen zu zerren und "nach Hause" zu schicken. Das reine NPD-Programm wäre das! Darum jubelt ja auch die selbsternannte [9] "Alternative für Deutschland" (AfD) über den Wahlsieg des sich cäsarisch gebenden Volkstribuns, weil er "aufräumt" und "Ordnung" schafft.
Es wären jedoch bürgerkriegsähnliche Zustände mit Lynchjustiz und allgemeiner Verunsicherung bis hin zur Todesangst bei einzelnen potenziell Betroffenen, und auch bei denen, die sich dieser faschistoiden Herrschaftsform widersetzen oder zumindest nicht folgen wollen. Insofern geht es bei diesem Kampf zwischen Links und Rechts um nicht weniger als um "Alles oder Nichts", was die (bisherige) Verfasstheit der USA betrifft.
Trump-Politik in unverwässerter Reinkultur würde einen qualitativen Wechsel in Richtung Faschismus bedeuten. Es sind nicht nur die üblichen Scheingefechte, sondern ein Ringen um grundlegende Weichenstellungen für die Politik der nächsten vier Jahre. Darum der massive Protest gegen diese drohende Entwicklung, der vor allem von der Jugend, vom städtischen Kleinbürgertum, von Intellektuellen und Wissenschaftlern, Frauen, antirassistischen Initiativen und Verteidigern der Verfassung getragen ist, sowohl qualitativ als auch quantitativ einmalig in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Ihn kleinzureden oder zu verachten wäre das Falscheste, was wir tun könnten. Auch wenn wir uns bezüglich der Trump-Schelte scheinbar in einer Front mit den US-amerikanischen und europäischen "Eliten" finden, so ist es nur scheinbar. Denen geht es um etwas ganz anderes: Um ihr kapitalistisches Globalisierungs-Projekt, dem Trump aber eben nur scheinbar entgegensteht.
Wolfgang Blaschka, München
► Bild- und Grafikquellen:
1. Trump as the Buddha. Foto: muffinn, Worcester/UK. Quelle: Flickr [10]. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0 [11]).
2. Whisper America: Whisper America because it's no longer united, whisper America for it makes profits with fighting, whisper America the citizens are divided, whisper America it's desensitized with violence, whisper America poverty is ignored and blinded, whisper America drugs run rapid in society, whisper America mental health takes over and help is not provided, whisper America leaders lead the future with crimes and defiance, whisper America for there is nothing left but muck and grime the mighty have ruined many of our lives. Originalbild: Flickr-user drazz, New York. Quelle: Flickr [12]. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0 [13]). Textinlet-Idee: Helmut Schnug, techn. Umsetzung: Wilfried Kahrs (WiKa), QPress.de .
3. Donald Trump meint das so, wie er es sagt. Er sagt, was er tatsächlich meint. Das muss nicht heißen, dass er grundehrlich ist. Sein Gruselkabinett strotzt nur so von gelernten Goldman-Sachs [8]-Hasardeuren und abgehalfterten Haudegen aus dem Militär. Es versammelt die Hautevolee des strammen Upper-Class-Amerika. Seine Attacken gegen die "feine Gesellschaft" konnten daher demagogisch nur so erfolgreich sein, weil seine Wahlkampf-Konkurrentin so unbeliebt war wie er es nun bald auch sein wird, wenn er seinen Wählern nicht "liefert". Also liefert er: Rassismus, Homophobie, Patriotismus, Medienschelte, Frauenverachtung, was immer das "gemeine Volk" gern hören will. Das "gebildete Volk" erschaudert. Das "normale Volk" ist hin- und her gerissen.
Karikatur: DonkeyHotey. Quelle: Flickr [14]. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0 [13]). This caricature of Donald Trump was adapted from Creative Commons licensed images from Gage Skidmore's flickr photostream [15]. Trump's body was adapted from Creative Commons licensed images from Alex Hanson's flickr [16] photostream. This caricature of Joe Arpaio was adapted from a Creative Commons licensed photo by Gage Skidmore via Wikimedia [17]. The six gun was adapted from a Creative Commons licensed photo from Nevada Tumbleweed's Flickr photostream. (Link defekt!) The tent city was adapted from a photo in the public domain from the U.S. Navy available via Wikimedia [18].
4. Zitattext auf blauem Schild: "manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern, werch ein illtum". (Ernst Jandl). Bildidee: KN-ADMIN Helmut Schnug. Techn. Umsetzung: Wilfried Kahrs (WiKa).