29 Indikatoren zur Gleichstellung: Frauen haben im Job aufgeholt

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29 Indikatoren zur Gleichstellung: Frauen haben im Job aufgeholt
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29 Indikatoren zur Gleichstellung:

Frauen haben im Job aufgeholt

Doch traditionelle Arbeitsteilung, Präsenzkultur und ungleiche Berufsbewertung bremsen

von WSI der Hans-Böckler-Stiftung

In Puncto Bildung, Erwerbstätigkeit und soziale Absicherung haben Frauen in den vergangenen Jahren aufholen können. Dazu haben auch bessere gesellschaftliche Rahmenbedingungen beigetragen, beispielsweise der Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung. Doch auch wenn die Abstände vielfach kleiner geworden sind, ist die durchschnittliche berufliche, wirtschaftliche und soziale Situation von Frauen weiterhin oft schlechter als die von Männern.

Wo es Fortschritte gegeben hat und wo nicht, beleuchtet anhand von 29 Indikatoren und aktueller Daten ein neuer Report zum Stand der Gleichstellung, den das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung vorlegt.

► METHODISCHES VORGEHEN - Auswahl der Kernindikatoren in den sechs Bereichen:

Bereich Bildung

(1) Schulische Bildungsniveau: Höchster schulischer Abschluss
(2) Berufliche Bildungsniveau: Höchster beruflicher Abschluss
(3) Segregation in der beruflichen Ausbildung: Die 25 häufigsten Ausbildungsberufe
(4) Weiterbildung: Teilnahme an Weiterbildung nach Art der Weiterbildung  

Bereich Erwerbsarbeit

(1) Erwerbsbeteiligung: Erwerbsquoten und Erwerbstätigenquoten Erwerbsverhältnis
(2) Selbstständigkeit
(3) Minijobs
(4) Befristungen
(5) Leiharbeit
(6) Berufliche Segregation: Horizontale Segregation des Arbeitsmarktes
(7) Arbeitsqualität: Arbeitsbedingungen

Bereich Einkommen

(1) Gender Pay Gap: Geschlechterbezogener durchschnittlicher Verdienstabstand
(2) Gender Pension Gap: Geschlechtsbezogener durchschnittlicher Abstand zwischen Alterssicherungsleistungen
(3) Niedrigeinkommen: Vollzeitbeschäftigung mit Bruttomonatseinkommen unter 2.000 Euro   
(4) Existenzsicherung: Quelle des überwiegenden Lebensunterhalts  

Bereich Zeit

(1) Gender Time Gap: Geschlechtsbezogener Abstand zwischen durchschnittlichen Wochenarbeitszeiten  
(2) Teilzeit: Teilzeitquoten der abhängig Beschäftigten   
(3) Arbeitszeitumfang im Haushaltskontext: Partnerschaftliche Konstellationen des Arbeitszeitumfangs in Haushalten mit und ohne Kinder
(4) Lage der Arbeitszeit: Arbeit an Wochenenden, abends und nachts und in Wechselschichten

Bereich Sorgearbeit

(1) Gender Care Gap: Tägliche Stunden bezahlter und unbezahlter Arbeit
(2) Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie: Erschöpfung nach der Arbeit nach Erwerbsumfang und Care-Aufgaben
(3) Elterngeld: Prozentualer Anteil des Elterngeldbezugs
(4) Institutionelle Kinderbetreuung: Ganztagsbetreuungsquoten von Kleinkindern
(5) Pflege: Wöchentliche Stunden für Pflege von Angehörigen

Bereich Mitbestimmung

(1) Mitbestimmung in Aufsichtsräten: Frauen in Aufsichtsräten nach Mitbestimmung und Börsenindex
(2) Mitbestimmung in Vorständen: Frauen in Vorständen nach Mitbestimmung und Börsenindex  
(3) Mitbestimmung in Betriebsräten: Frauen im Betriebsrat nach Betriebsgröße  
(4) Repräsentanz in betrieblichen Führungspositionen: Betriebliche Führungspositionen nach Führungsebene
(5) Repräsentanz in Gewerkschaften: Frauen in den DGB-Gewerkschaften

► Die Auswertung zeigt:

Bei schulischer und beruflicher Qualifikation haben Frauen weitgehend mit den Männern gleichgezogen. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen liegt aktuell um knapp 8 Prozentpunkte niedriger – vor knapp 30 Jahren war die Differenz noch fast dreimal so groß. Ein wesentlicher Grund für fortbestehende Unterschiede ist die ungleiche Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit, etwa bei familiärer Kinderbetreuung, Pflege oder Haushalt (Gender Care Gap): Bei Frauen macht unbezahlte Arbeit nach den neuesten verfügbaren Zahlen 45 Prozent an der Gesamtarbeitszeit aus. Bei Männern sind es hingegen nur 28 Prozent, auch wenn Männer zum Beispiel bei der Pflege langsam mehr Aufgaben übernehmen.

Alleinerziehende-Kinderbetreuung-Gleichberechtigung-Teilzeitfalle-Gender-Equal-Pay-Time-Care-Gap-Kritisches-Netzwerk-Geschlechtergleichstellung-Kleinkinderbetreuung

Um Familie und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bringen, arbeiten Frauen gut viermal so häufig Teilzeit wie Männer (46 Prozent gegenüber gut 11 Prozent 2018), von den Beschäftigten, die ausschließlich einen Minijob haben, sind 62 Prozent weiblich. Dieses Ungleichgewicht trägt, unter anderem wegen geringerer Karrieremöglichkeiten, wesentlich dazu bei, dass der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen knapp 21 Prozent unter dem von Männern liegt.

care_sorgearbeit_altruismus_fuersorge_solidaritaet_empathie_haeusliche_pflege_soziale_ungleichheit_entfremdung_kritisches_netzwerk_gabriele_winker_solidargemeinschaft_care-arbeit.png Eine weitere Ursache für den Verdienstrückstand sind sehr stabile geschlechtsspezifische Präferenzen bei der Berufswahl, verbunden damit, dass „typisch weibliche“ Berufe, etwa im Pflege- und Gesundheitsbereich, meist schlechter bezahlt werden als technische Berufe, in denen Männer dominieren. 25 Prozent der weiblichen Beschäftigten mit Vollzeitstelle verdienen weniger als 2000 Euro brutto im Monat, bei den Männern sind es 14 Prozent. Immerhin wurde der Abstand bei den Entgelten in den vergangenen Jahren etwas kleiner, wozu auch der gesetzliche Mindestlohn beigetragen hat.

Noch deutlich gravierender ist die Lücke bei der Absicherung im Alter: Nimmt man gesetzliche Rente, betriebliche und private Alterssicherung zusammen, beziehen Frauen durchschnittlich ein um 53 Prozent niedrigeres Alterseinkommen als Männer. Anfang der 1990er Jahre lag der Gender Pension Gap sogar bei 69 Prozent. „Diese Entwicklung zeigt beispielhaft: Der Rückstand der Frauen wird in wichtigen Bereichen kleiner. Aber Fortschritte bei der Gleichstellung vollziehen sich meist sehr langsam“, sagt WSI-Forscherin PD Dr. Karin Schulze Buschoff, die die Studie zusammen mit Dr. Yvonne Lott vom WSI sowie Svenja Pfahl und Dietmar Hobler vom Berliner Forschungsinstitut SowiTra erstellt hat.

Schneller voran gehe es, wenn die Politik mit Investitionen und/oder verbindlichen Regulierungen für Dynamik sorge, so die Wissenschaftlerinnen und der Wissenschaftler. Das gelte etwa für die Ganztagsbetreuung von Kindern, wo sich die Quote bei den 3- bis 6-jährigen zwischen 2007 und 2017 knapp verdoppelte und bei den Kindern unter 3 Jahren sogar fast verdreifachte – freilich ohne den noch deutlich höheren Betreuungsbedarf von Eltern bislang abdecken zu können.

Der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der 160 größten börsennotierten Unternehmen stieg mit der Einführung einer Geschlechterquote bis 2018 auf gut 30 Prozent, wenn auch Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten im Kontrollgremium sitzen. In nicht mitbestimmten Unternehmen, in denen keine Quote gilt, lag der Anteil bei knapp 20 Prozent. In den Unternehmens-Vorständen, für die es bislang keine gesetzlichen Regeln gibt, war 2018 nicht einmal jedes zehnte Mitglied weiblich – 9 Prozent in mitbestimmten, knapp 6 Prozent in nicht-mitbestimmten Firmen (das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet auf etwas anderer Datenbasis mit 10,4 Prozent weiblichen Vorstandsmitgliedern 2019). Besser sieht es nach der WSI-Analyse auf der zweiten Führungsebene aus, wo der Frauenanteil mit 40 Prozent nur wenig niedriger war als der Anteil an allen Beschäftigten (44 Prozent). Ganz ähnlich fiel die Relation von weiblichen Betriebsratsmitgliedern und Belegschaftsanteil aus.

► Empfehlungen was notwendigerweise zu tun sei:

Verpflichtende Vorgaben für Geschlechteranteile in Vorständen sind nach Analyse der Forscherinnen und des Forschers ebenso notwendig wie ein erweiterter Geltungsbereich der Geschlechterquote in Aufsichtsräten, die bislang nur greift, wenn Unternehmen börsennotiert und zugleich paritätisch mitbestimmt sind. Um die Gleichstellung von Frauen und Männern auf breiter Linie wirksam zu fördern, empfehlen sie darüber hinaus unter anderem:

Stärkere Anreize für Männer, Sorgearbeit zu übernehmen, etwa durch eine schrittweise Erweiterung der Partnermonate im Elterngeld auf sechs Monate.

Mehr Möglichkeiten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene geschlechteruntypische Berufe/Berufsfelder kennenzulernen.

Eine finanzielle Aufwertung von frauendominierten Berufen im Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsbereich, um diese für beide Geschlechter attraktiver zu machen.

Schaffung von Arbeitsplätzen in kurzer Vollzeit und Abkehr von der Vollzeit- bzw. Überstundenkultur. Voraussetzung dafür seien unter anderem eine ausreichende Personalbemessung, verbindliche Vertretungsregelungen und Beförderungskriterien, die sich nicht an der Präsenz am Arbeitsplatz bzw. Überstunden orientieren.

Weiterer Ausbau der institutionellen Betreuung von Kleinkindern.

Weitere Informationen:

WSI-Report Nr. 56, Februar 2020: Dietmar Hobler, Yvonne Lott, Svenja Pfahl, Karin Schulze Buschoff: Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland (pdf).

>> vollständige Analyse / Studie.

Kontakte:

PD Dr. Karin Schulze Buschoff - WSI, Arbeitsmarktexpertin und Rainer Jung - Leiter Pressestelle

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pin_green.gifHör- und Lesetipp (ergänzt von KN-ADMIN H. Schnug):

»Care Revolution« - Gabriele Winker über Schritte in eine solidarische Gesellschaft (Dauer 12:32 Min.)

     

LESETIPP: "Care Revolution - Schritte in eine solidarische Gesellschaft" >> Verlag: Transcript Verlag, Bielefeld, März 2015 >> zur Buchvorstellung.

pin_green.gif  Webseitentipp: http://care-revolution.org/


► Quelle: Diese Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 26. Februar 2020 zum WSI-Report Nr. 56. >> Pressetext. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) ist ein Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Zur Hans-Böckler-Stiftung gehören vier wissenschaftliche Institute und zwei Förderabteilungen: die Forschungsförderung und die Studienförderung.

ACHTUNG: Der Pressetext wurde durch KN-Admin Helmut Schnug erweitert. Die Bilder und Grafiken im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, siehe weiter unten. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt.

► Bild- und Grafikquellen:

1. Job und Karriere für Frauen? Treiber der Entwicklung steigender Beschäftigtenzahlen ist die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen, die jedoch oft unfreiwillig in der Teilzeit stecken. Daran wird auch das Recht auf Brückenteilzeit wenig ändern. Foto: FotografieLink / Igor Link, Offenbach am Main. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Bild.

Gabriele_Winker_Care_Revolution_Schritte_in_eine_solidarische_Gesellschaft_Kritisches_Netzwerk_Reproduktionsmodell_Sozialsystem_Altenpflege_Solidaritaet_Familienpolitik.jpg2. Junge Frau und Kinder: Die auf Frauen beschränkte Festschreibung der Arbeitszeiten durch das erste Kind hemmt die berufliche Entwicklung maßgeblich. Sobald Mütter aber längerfristig auf der Teilzeitstelle hängen bleiben, erwachse daraus eine „dauerhafte Verantwortung der Frau für Haushalt und Familie“. Kein Wunder also, dass viele erwerbstätige Mütter dann doch in der Teilzeitfalle stecken bleiben. Urheber: © BPW Germany | Foto: Frank Nürnberger. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0). Das Foto entstand während des Equal Pay Kongresses, Berlin 18.03.2017.

3. CARE (Buchstaben): Mit dem „Care“-Begriff werden der Arbeitsinhalt und die Beziehungsaspekte von Sorgearbeit reflektiert. Care-Arbeit umfasst bezahlte und unbezahlte Arbeit. Sie orientiert sich an den Bedürfnissen anderer Personen („other centred work“). Unter Care-Arbeit fällt beispielsweise Kinderbetreuung oder Altenpflege, es werden aber auch familiäre Unterstützung, Häusliche Pflege und freundschaftliche Hilfen als Care-Arbeit verstanden. Überwiegend wird Care-Arbeit von Frauen geleistet. Bis in die Gegenwart werden die verschiedenen Stränge nicht als ein gesellschaftspolitisch zentrales, zusammenhängendes Politikfeld gesehen, oder entsprechend bearbeitet.

In der öffentlichen Diskussion besteht Einigkeit darüber, dass Beschäftigte im Care-Sektor bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Entlohnung verdient haben. Mit dem „Care“-Begriff werden die Arbeitsinhalte und die Beziehungsaspekte von Sorgearbeit beschrieben. Care-Arbeit umfasst bezahlte, sowie unbezahlte Arbeit. Diese Arbeit orientiert sich an den Bedürfnissen anderer Personen. Grafik: Christian Schnettelker >> Agentur für Webdesign: https://www.manoftaste.de/ . Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

4. Buchcover: "Care Revolution - Schritte in eine solidarische Gesellschaft" von Gabriele Winker; Verlag: Transcript Verlag, Bielefeld - März 2015, 208 Seiten; kart., 11,99 €, ISBN 978-3-8376-3040-4; auch erhältlich als PDF-Download ISBN 978-3-8394-3040-8 und EPUB-Download ISBN 978-3-7328-3040-4. > Buchvorstellung - weiter.

„Gerade weil das alltägliche Leben voller Belastungen, Überforderungen und Existenznöte ist, möchte das Buch mit der Transformationsstrategie einer Care Revolution und dem Ziel einer solidarischen Gesellschaft Mut machen und vermitteln, dass es sich gut anfühlen kann, sich als Care Revolutionär_in gemeinsam mit anderen auf den Weg zu machen.“ (aus der Einleitung, S.14)

„Das Buch bietet eine genaue Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Situation. In den ersten Kapiteln wirken die Fakten mitunter etwas trocken, diese sind aber notwendig, um die Basis für das Konzept zu erläutern. Ein in sich rundes Buch, das allen Menschen zu empfehlen ist, insbesondere denjenigen, die in den Bereichen Pflege, Erziehung, Bildung, Sozialarbeit o.ä. tätig sind oder unbezahlte Arbeit in der Familie/dem Haushalt leisten oder aber denen, die sich damit beschäftigen, wie eine solidarischere Gesellschaft konkret aussehen könnte. Das vorliegende Buch liefert eine Argumentationsbasis für Kämpfe und Verbesserungen in diesem Bereich und ist dabei motivierend geschrieben.“ (D. Neppert)