Das Lindenblatt auf Putins Schulter - oder warum Putin auf Wahlkampfreisen geht

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Kai Ehlers
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Das Lindenblatt auf Putins Schulter - oder warum Putin auf Wahlkampfreisen geht
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Das Lindenblatt auf Putins Schulter

- oder warum Putin auf Wahlkampfreisen geht

In Russland wird demnächst  ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Das neue wird das alte sein, Wladimir Putin. Das ist die allgemeine Erwartung, der man wohl zustimmen muss: Putin hat das Land stabilisiert. Er hat den Schuldendrachen besiegt, der Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in seinen Klauen hielt. Er hat die Zinsgier des internationalen Kapitals zurückgewiesen, als er bei seinem Amtsantritt weitere Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank ablehnte und die Altschulden der Sowjetunion gegen den Widerstand der westlichen Banken beglich. Er hat die vielköpfige Schar der Privatisierungsgewinnler gezähmt, die sich aus dem Chaos der Ära Jelzin erhoben hatten und sie im Konsens um sich zum Nutzen der Stabilisierung Russlands gruppiert.

vladimir_vladimirovich_wladimir_wladimirowitsch_putin_russische_foederation_kritisches_netzwerk_kremlin_kreml_putinismus_united_russia_einiges_geeintes_russland_duma_staatsduma.jpgIm Krieg mit den Tschetschenen hat er verhindert, dass der Zerfall der Sowjetunion sich als Zerfall Russlands entlang seiner Vielvölkerstruktur fortsetzte. Er hat einen Stabilitätsfonds geschaffen, mit dem er zwei Krisen und drei Amtszeiten überstand. Alle oppositionellen Angriffe, berechtigt oder nicht berechtigt, sind an ihm abgeprallt, ebenso wie Versuche aus dem Ausland, ihn als neuen Stalin oder Hitler zu diffamieren. Am Ende wuchs er sogar, wenn auch getrieben von wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, über den innenpolitischen Stabilisierer zum außenpolitischen Krisenmanager empor, der mit China an einer neuen multipolaren Weltordnung baut, welche die USA in die Schranken weisen könnte. Das weltweit erfolgreiche Wirtschaftsmagazin Forbes setzte ihn im 2016er Ranking zum 4. Mal hintereinander auf Platz eins der einflussreichsten Menschen unserer Zeit.

Kurz, dieser Mann scheint vielen seiner Landsleute und nicht nur diesen und nicht wenigen auch zu ihrem Ärger, unverwundbar wie seinerzeit die Sagenfigur Siegfried, nachdem er im Blut des von ihm erlegten Drachen gebadet hatte. Herausforderer, die mit ihm jetzt um das Amt des Präsidenten konkurrieren, haben keine Chance, ihn zu  besiegen, es sei denn, sie treffen ihn dort, wo einst Siegfried getroffen werden konnte, als ein Lindenblatt zwischen seinen Schulterblättern die Aushärtung des Drachenblutes verhindert hatte.

► Die Riege der Konkurrenten

Betrachten wir Putins Konkurrenten. Da ist zunächst der „ewige Zweite“, wie er im Lande genannt wird, der Chef der „Kommunistischen Partei der Russischen Förderation“ (KPRF) Gennadij Sjuganow. Er ist zwar soeben zugunsten eines neuen unverbrauchten Kandidaten der KP, Pawel Grudinin zurückgetreten. Grudinin ist als erfolgreicher landwirtschaftlicher Unternehmer auch über die traditionellen Kreise der alten Riege der KPRF hinaus eine angesehene politische Figur, die für eine mögliche Erneuerung der KP steht. Aber auch der jüngere und weltoffenere Grudinin wird, mit der sklerotisierten KPRF im Schlepptau, nicht mehr als einen Achtungserfolg einfahren können.

Ähnliches, wenn auch vielleicht nicht gerade von Achtung die Rede  sein kann, kann man von dem Kandidaten der „Liberaldemokratischen Partei“ (LDPR), Wladimir Schirinowski sagen. Er ist als provokativer Rechtsaußen ebenfalls Dauerkandidat bei Wahlen zur Präsidentschaft seit Beginn der nachsowjetischen neuen russischen Staatlichkeit. Meinungsumfragen, wie auch aktuell ‚gefühlte‘ Wahrnehmungen im Lande, die aus der Tatsache resultieren, dass die LDPR ein besseres ‚Händchen‘ für die Nöte der Bevölkerung zeige als die übrigen Parteien, besonders  die ‚Partei der Macht‘, „Einiges Russland“ (auch Vereintes Russland), geben ihm die Chance zur KPRF aufzuschließen. Eine ernste Konkurrenz für den Amtsinhaber wird aber auch er nicht werden.

Bleiben neben Grudinin und Schirinowski noch Kandidaten und Kandidatinnen aus der zweiten Reihe, die nicht dem etablierten Parteiengefüge entstammen, sondern mit persönlichen Unterstützerkreisen antreten. Sie nehmen nach eigenen Aussagen durchweg allein deswegen an der Wahl teil, weil sie Putin nicht allein das Feld überlassen wollen. Keine/r von ihnen kann, sofern sie zur Wahl zugelassen werden, mit mehr als zwei, drei, höchstens fünf Prozent der Stimmen rechnen. Alles andere wären Überraschungen.

Da ist zunächst Grigori Jawlinski, ein aus der Zeit Jelzins übrig gebliebener Veteran der Liberalen, von dem kaum jemand noch etwas anderes erwartet als die Befriedigung von dessen persönlichen politischen Ambitionen. Weiterhin Oligarch Boris Titow, Chef der „Wachstumspartei“, als neoliberaler Vertrauter Putins ein eher unglaubhafter Konkurrent. Weiter Anton Bakow, Unternehmer, Antikommunist, Vorsitzender der "Monarchistischen Partei der Russischen Föderation", der das Zarentum wieder errichten will. Sodann Maxim Suraikin, Chef der „Kommunisten Russlands“ (KR), einer seit 2012 begründeten Konkurrenzorganisation zur KPRF.

Dieses Mal sind auch einige Frauen dabei: Xenia Sobtschak, die Tochter von Putins politischen Ziehvater Anatoly Sobtschak, dem verstorbenen Bürgermeister von St. Petersburg, parteilos, die sich mit ihrer Wahlkampfparole „Gegen alle“ allerdings von vornherein aus dem Rennen geschossen hat. Sodann Jekaterina (Katja) Gordon, Journalistin, Menschenrechtsaktivistin, die sich für Frauenrechte einsetzt und – unübersehbar im mehrfachen Sinn des Wortes – Elena Berkowa, ehemalige Pornodarstellerin aus Murmansk, die in high-heels und Dessous posiert.

Als bisher Letzte meldete Alina Gamzatova, Muslimin aus Dagestan ihre Kandidatur an. Als Ziel gab sie an, ihr gehe es nicht darum mit Putin zu konkurrieren, sondern die radikalen Islamisten in ihrer Republik zu bekämpfen.

Offen ist, ob Michail Prochorow, Unternehmer und Sergej Mironow, Vorsitzender der Partei „Gerechtes Russland“, die 2012 mit zur Wahl standen, auch dieses Mal antreten werden und ob sich noch weitere Kandidaten melden.

Der nach früheren Umfragen und umtriebigen Aktivitäten möglicherweise aussichtsreichste Konkurrent, Alexei Nawalny, der sich in den letzten Jahren als ‚Korruptionsjäger‘ zu einer beachtlichen politischen Figur hinaufgearbeitet hat, wurde auf Grund des gegen ihn verhängten Urteils wegen Unterschlagung Ende Dezember von der Wahl ausgeschlossen. Er versucht jetzt eine Wahlboykottkampagne im Land in Gang zu setzen.

So wie die anderen mit ihrer Kandidatur, hat Nawalny allerdings auch mit seinem Boykottaufruf keine Chance Putins Wiederwahl ernsthaft in Frage zu stellen. Erst recht wird er kaum so etwas wie einen russischen Maidan inszenieren können, wie es sich nicht wenige westliche Beobachter erhoffen. Wird doch seine aktuelle Kampagne selbst von Putins Intimfeind Michail Chodorkowski abgelehnt, der die russische Bevölkerung aufruft, für jeden „annehmbaren Kandidaten“ zu stimmen, nur nicht für den „vorherbestimmten Gewinner“.

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Werfen wir einen Blick auf die Marge, an der Putins Herausforderinnen und Herausforderer sich messen lassen müssen: Lässt man die vorangegangenen Wahlen beiseite, die abgesehen von Putins Einstieg im Jahr 2000 mit 52,94% der Stimmen, mit ihren hohen Werten von 71,31% für Putin 2004, mit 70,88% für seinen Ersatzmann Dmitri Medwedew 2008 schon außerhalb des politischen Horizontes von heute liegen, dann kann auch die Präsidentenwahl von 2012, an der sich 65 Prozent der russischen Wahlberechtigten beteiligten, schon eine Ahnung davon geben, welchen Abstand Putins Konkurrenten aufzuholen hätten, wenn sie ihn jetzt im Amt des Präsidenten ablösen wollten: Putin kam 2012 auf 64,35 Prozent der Stimmen, Sjuganow auf 17, 38, der liberale Oligarch Prochorow auf 8,00, Schirinowski  auf 6,30, der eher linke Konservative Sergei Mironow auf 3,90 Prozent. Weitere Kandidaten, u.a. Jawlinksi, waren erst gar nicht zur Wahl zugelassen worden.

Bei einer Umfrage vom April 2017, wen die Menschen zu dem Zeitpunkt der Befragung wählen würden, entschieden sich 48% für Putin, je 3% für Sjuganow und Schirinowski; alle anderen blieben bei einem Prozent.(Daten in Russland Analysen, 334 vom 12.05. 2017, S. 18.)

► Vorsprung mit Einschränkungen

Der Vorsprung Putins ist offensichtlich. Aber etwas, nur eine Kleinigkeit, wie es scheinen mag, ist dieses Mal anders: Dieses  Mal könnten mehr Kandidaten auf der Liste stehen als 2012. Zwar mindert das nicht den Vorsprung Putins vor allen anderen Bewerbern und Bewerberinnen, aber alle anderen zusammen könnten die Zustimmungsrate zu Putin unter das Niveau senken, das die russische Führung mit der Zielmarke 70/70, soll heißen, bei 70 prozentiger Wahlbeteiligung 70 Prozent der Stimmen für Putin, vorgeben möchte. ( Artikel in EPOCH TIMES, 27.03.2017)

Und noch etwas ist neu: Erstmals traten in den vorangegangenen Kommunalwahlen vom September 2017 in Moskau jüngere Kräfte auf einer Liste an, die nicht aus der Konkursmasse der Alt-Liberalen à la Jawlinksi oder aus den Reihen der provokativen Parteigänger des ermordeten Boris Nemzow, aber auch nicht aus der Spur Nawalny´s hervorgingen. Sie fanden vielmehr in der praktischen Selbstorganisation auf Bezirksebene zusammen.

aleksej_nawalnyj_4_alexei_anatoljewitsch_nawalny_moscow_moskau_russland_regimekritiker_kremlkritiker_strassenproteste_oppositionspolitiker_fortschrittspartei_kritisches_netzwerk.jpgDer Initiator der Liste, ein ehemaliger Abgeordneter der Moskauer Duma (Unterhaus), Dmitri Gudkov, schaffte es, unter dem Motto „unabhängige Kandidaten“ die zerstrittenen oppositionellen Kräfte von unten her zu bündeln und zu einem beachtlichen Erfolg zu führen, auch wenn Nawalny (Foto re.), wie der ‚SPIEGEL‘ anmerkt, „es nicht fertig brachte, Gudkow und seinem Team zu gratulieren.“( Artikel auf SPIEGEL ONLINE, 11.09.2017). Bei insgesamt 1502 kommunalen Abgeordneten brachte die Liste 262 Kandidaten in die Moskauer Kommunalvertretungen ein. Sie wurden damit zur zweiten Kraft neben den kommunalen Vertretern der bisher unangefochten herrschenden Partei „Einiges Russland“ (auch: Vereintes Russland), welche die  Mehrheit im kommunalen Bereich hält.

Gudkow hält sich bereit, als Kandidat zu der für 2018 anstehenden Bürgermeisterwahl in Moskau anzutreten. Die Vorgänge in Moskau könnten Initiator für eine von unten entstehende, echte Opposition in anderen Großstädten Russlands werden.(Daten in Russland Analysen, 340 vom 22.09.2017, S. 2ff.).  

Dies alles, der Andrang von Kandidaten und Kandidatinnen, die Putin nicht besiegen, aber einengen wollen, der Boykottaufruf Nawalny’s, die Botschaft, die von dem Erfolg der Opposition in den Moskauer Wahlen ausgeht, macht erkennbar, warum Putin, obwohl sein Wahlsieg absehbar ist und er sich ruhig zurücklehnen könnte, um die Ergebnisse abzuwarten, dennoch den aktiven Wahlkampf betreibt, bei dem er gegenwärtig zu beobachten ist. Vorzugsweise will er vor jugendlichen Auditorien, in Betrieben, generell mit sozialen Themen und erklärtermaßen als unabhängiger Kandidat auftreten. ( Artikel auf russland.news, 06.12.2017).

Bezeichnend dafür ist, wie er die Ankündigung seiner Kandidatur vor 15.000 Jugendlichen des 2015 nach der Übernahme der Krim in den russischen Staatsverband ins Leben gerufenen „Allrussischen Freiwilligenforums“, in der Jugendliche sich für Flüchtlingshilfe und Katastrophenschutz einsetzen, und gleich danach vor Veteranen und Arbeitern des Autowerks GAZ in Nischni Nowgorod (1932 bis 1990 Gorki) inszenierte. Zwar lässt er sich von der Partei „Einiges Russland“ unterstützen, ist aber sichtlich bemüht, sich von deren schlechtem Image als ‚Partei der Macht‘ abzusetzen, der von der Bevölkerung die Verantwortung für Bürokratismus, Korruption und sinkendes materielles Lebensniveau angelastet wird.(siehe in Russland Analysen, 291 vom 27.02.2015, S. 15).

Einfach gesagt, es geht nicht darum, ob Putin für eine vierte Amtszeit gewählt wird, sondern wie. Mit einem Ergebnis, das deutlich unter seinem bisherigen Ranking und den Zielvorgaben für die kommende Wahl bliebe, bekäme Russland zwar keinen neuen, aber einen geschwächten Präsidenten. Damit tritt das Lindenblatt auf Putins Schultern deutlich hervor: Es heißt Legitimation. Ohne einen eindeutigen neuen Vertrauensbeweis, der erkennbar über den 52,94 Prozent aus seiner Antrittswahl 2000 liegt, wenn schon nicht über der 70ger Marke der Wahlen von 2004 und 2008, wird er die kommende Legislaturperiode nicht ohne Entstehung innerer Unruhen bewältigen können.

► Die Last der Stabilität…

vladimir_vladimirovich_putin_wladimir_krisenmanager_kriseneindaemmung_wladimirowitsch_russland_russia_kritisches_netzwerk_stabilitaetsfonds_stabilitaetskurs_russian_federation.jpgEs ist ja eine widersprüchliche, wenn nicht gar eine fatale Situation, in der Putin sich befindet: Die Stimmen, die ihn erneut ins Amt des Präsidenten führen sollen, wenn alles so läuft, wie zur Zeit absehbar, erhält er für seinen siebzehnjährigen Stabilitätskurs, der ihn zum unersetzbaren Kapitän auf dem russischen Schiff hat werden lassen, ohne den nichts läuft. Erhält er den gewünschten Zuspruch, selbst wenn nicht ganz in gewünschter Höhe,

kann er ihn durchaus als Aufforderung zur Fortsetzung seines bisherigen Kurses annehmen. Zugleich ist aber  klar, dass er den Kurs angesichts wirtschaftlicher und sozialer Probleme, die seine dritte Amtszeit seit der Krise 2014/2015 begleiten, nicht zuletzt der Verschuldung, die das Land jetzt wieder eingeholt hat, nach der Wahl nur halten kann, wenn es ihm gelingt, den Impuls der Modernisierung zu erneuern, mit dem er im Jahr 2000 angetreten ist – und wenn er sich zugleich der Lösung der überfälligen sozialen Fragen zuwendet.

Nach Lage der Dinge, die durch seinen autoritären Führungsstil entstanden ist, bedeutet das, eine Stabilität, die auf Basis eines vorauseilenden Gehorsams gegenüber einem allmächtigen Zentrum, das heißt, Putin, zunehmend in Stagnation überzugehen droht, erneut in Bewegung bringen zu müssen. Es bedeutet privates Unternehmertum wieder von staatlicher Bevormundung zu befreien, private unternehmerische Aktivitäten wie auch generell Initiativen der Selbstorganisation von der Basis der Gesellschaft bis in die Verwaltungsorgane hinein nicht nur wieder zuzulassen, sondern zu fördern, ohne dabei die Autorität des Zentrums, seine eigene Machtbasis zu schwächen.

Zugleich muss Putin aber Korruption und Eigenmächtigkeiten von Gouverneuren, Oligarchen, bürokratischen Korruptionsgemeinschaften, die ihren eigenen Interessen zum Schaden des Landes nachgehen, die Kapital angesichts der Erosion des Modernisierungskurses zunehmend „off shore“ auslagern, aktiv, ggfls. sogar repressiv an die Leine nehmen, dabei aber vermeiden, von einer autoritären Modernisierung in eine Diktatur abzugleiten. Die massiven Umbesetzungen leitender Posten, die in letzter Zeit im russischen Machtapparat vorgenommen wurden, lassen das Ausmaß dieses Problems erkennen. ( siehe in Russland Analysen 334 vom 12.05.2017, S. 10 ff, Stichwort: „Elitenwechsel“).

Paradox formuliert, muss Putin autoritäre Wege einschlagen, um eine autoritäre Erstarrung der politischen Strukturen wieder in Bewegung zu bringen. Das ist eine Aufgabe, die nicht ohne Widerstände durchführbar ist.

Zugleich muss es ihm gelingen, die im Zuge der Konfrontation mit dem Westen seit der Krise 2014/15 gewachsenen, aber vernachlässigten sozialen Probleme mit Blick auf Befriedung einer unruhig werdenden Bevölkerung aufzugreifen. Das Land ist gespalten in eine superreiche Oberschicht, eine kleine konsumorientierte Mittelschicht und eine große Mehrheit von Menschen, die heute nur knapp über der Armutsgrenze leben, heute erkennbar knapper als in den Aufbaujahren nach 2000, als der Öl-Preisboom der Regierung eine lockere Sozialpolitk ermöglichte, welche die vom Zusammenbruch der Union gebeutelte Bevölkerung zu befrieden vermochte.

Zunehmende lokale und überregionale Proteste im Lande sind ein deutlicher Ausdruck dieser veränderten Lage im Lande – das sind Aktivitäten der Transportarbeiter gegen die Einführung eines Mautsystems, das ihre Selbstständigkeit stranguliert. Das sind verzweifelte Bauernproteste gegen Landraub und Korruption durch eine kleptokratische Landoligarchie. Es sind lokale Lohnkämpfe, Mieterproteste gegen korrupte Spekulation mit Immobilien und Bauprojekten zu Lasten der Wohnung suchenden Bevölkerung, es sind Unruhen im Bildungsbereich, Mängel im Gesundheitswesen und in der Justiz usw., von den Zuständen in Sozialhilfestationen oder gar Gefängnissen ganz zu schweigen.( siehe in Russland Analysen 333 vom 31.03.2017).

► … aber kein russischer Maidan

Ein russischer Maidan, wie manche im Westen unken, wird sich daraus allerdings zurzeit kaum entwickeln. Das muss hier noch einmal betont werden: 94 % der Bevölkerung erklärten bei einer entsprechenden Umfrage im März 2017, dass sie eine solche Entwicklung wie in der Ukraine nicht für möglich halten.(ebenda, Grafiken S. 18 ff). Auftritte Putins, bei denen er vor ‚Unruhestiftern vom Schlage eines Micheil Saakaschwili‘ warnt, sind zurzeit eher als Wahlkampfagitation einzuordnen. Vor dem Hintergrund, dass die Ukraine Saakaschwili zum Agenten Moskaus stempeln will, sind sie möglicherweise auch noch als Botschaft an die Ukraine zu verstehen, dass Russland mit Saakaschwili nichts zu schaffen habe.

Dass hinter der aktuellen Wahlkampfagitation Putins selbstverständlich die innenpolitischen Strategien stehen, auf die Putin und sein ’Kommando‘ gegebenen Falles bereit sind zurückzugreifen, wenn sie es für nötig halten möglichen inneren Unruhen zu begegnen, ist ebenso klar. Nach den Vorgängen in der Ukraine 2014 liegt das Schwergewicht russischer Sicherheitsstrategien bis hinauf in die 2017 vorgelegte neue Version darauf, mögliche Unruhestiftung von außen nach dem Muster des Kiewer Maidan präventiv zu verhindern und gegebenen Falles repressiv zu ersticken. Eine Nationalgarde, die dem Präsidenten direkt unterstellt ist, steht seit ihrer Gründung 2016 für solche Fälle bereit. ( K.E.-Artikel "Russland, EU, NATO: Ist Frieden möglich?").

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Zurzeit aber, um darauf zurück zu kommen, geht es um mögliche Reformen. Beide Aufgaben, ein erneuter Privatisierungsschub zum einen, verbunden mit sozialen Einschnitten, dirigistische Maßnahmen zur Disziplinierung der Wirtschaft zum anderen, verbunden mit einer Sozialpolitik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung stehen konträr zueinander. Der ungelöste Widerspruch ist geeignet, den bisherigen Konsens Putinscher Politik, in welcher der Präsident als oberster Wächter einer halb liberalen, halb autoritären Politik Balance hielt, platzen zu lassen.

Wenn das bisher noch nicht geschehen ist, ist das der Tatsache zu verdanken, dass diese Schwierigkeiten, angesichts der empfundenen Bedrohung des Landes durch äußere Mächte sowohl in den oberen Etagen, als auch an der Basis der Bevölkerung bisher als notwendig und unvermeidlich für die Verteidigung der Sicherheit des Landes hingenommen wurden. Die Eingliederung der Krim, die erfolgreiche Kriseneindämmungspolitik Putins in Syrien, Russlands neue Rolle als Weltmacht im Verbund mit China haben dem durchlässig gewordenen wirtschaftlichen begründeten Konsens aus den Anfangsjahren der Putinschen Ära noch einmal einen neuen, einen politischen Halt in der gemeinsamen Abwehr der äußeren Feinde verliehen. Zugleich belasten die enormen Kosten, welche die außenpolitischen Einsätze nach sich ziehen, auch diesen Konsens zunehmend. Länger ist deshalb eine Reform, die sich den seit 2014 gewachsenen wirtschaftl. und sozialen Entwicklungsproblemen zuwendet, auch durch weitere außenpolitische Erfolge nicht mehr oder nur unter der Gefahr von Illoyalität in den Führungsetagen u. zunehmenden sozialen Unruhen in der Bevölkerung aufzuschieben.

► Polare Programme

Eine Ahnung von der Zerreißprobe, die Russland bevorsteht, lassen die Programme erkennen, die im Vorfeld der Wahlen, zuletzt auf dem Wirtschaftsforum im Juni 2017, öffentlich diskutiert wurden. Sie sind verbunden, um in aller Kürze nur die Extreme zu nennen, mit den Namen Alexei Kudrin zum einen und Sergei Glasjew zum anderen. Beide sind informelle, aber enge Berater Wladimir Putins.

Alexei Kudrin, von 2000 bis 2011 Finanzminister, ist Träger der Modernisierungspolitik Putins aus den ersten beiden Amtsperioden. Nach vorübergehendem Zurücktreten von diesem Amt, wurde er 2016 zum Vorsitzenden des Wirtschaftsrates beim Präsidenten ernannt. Putin beauftragte ihn, ein Programm für eine nach der Wahl 2018 einzuleitende Wirtschafts- und Strukturreform vorzulegen. Kudrin sieht die Lösung der Krise in einer radikalen neoliberalen Öffnung der russischen Wirtschaft für den Weltmarkt auf vornehmlich privatwirtschaftlicher Grundlage. Sie soll den Modernisierungskurs aus den ersten Amtsjahren Putins wieder aufgreifen.

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Zur Ankurbelung wirtschaftlicher Gesundung schlägt Kudrin den Verkauf, also die Privatisierung von Staatsfirmen vor, allen voran die großen Öl- und Gaskomplexe. Dies alles soll von Einschränkungen staatlicher Sozialausgaben flankiert werden, allem voran durch Erhöhung des Rentenalters und Kürzung der Renten. Bildung und Gesundheit will Kudrin dagegen fördern; das liegt durchaus in der neoliberalen Logik des Programms, denn diese Sektoren werden für eine effektive Modernisierung gebraucht.( Artikel auf SPIEGEL ONLINE, 03.06.2017).

Dem Programm Kudrins steht das Konzept Sergei Glasjews gegenüber. Nach einem bewegten Lebensgang durch die konservative politische Landschaft Russlands, einschließlich vorübergehender Mitgliedschaft in der KPRF, wurde Glasjew 2009 Leiter des Sekretariats des „einheitlichen Wirtschaftsraumes“ (Zollunion) von Russland, Weißrussland und Kasachstan. 2012 ernannte Putin ihn zu seinem Berater für die Integration der eurasischen Wirtschaft. Glasjew fordert eine staatliche Regulierung, der Wirtschaft, genauer deren entschlossene Fortsetzung nach Regeln, die eher an sowjetische Strukturen und Methoden anknüpfen.

Schon 2014, gleich nach den Maidan-Ereignissen, hatte Glasjew mit einem Plan von sich reden gemacht, wie Russland auf die westlichen Sanktionen regieren solle: mit klaren dirigistischen Maßnahmen müsse der russische Staat, vertreten durch die Zentralbank der russischen Föderation (Bank Rossii), russisches Kapital aus dem Ausland zurückholen, statt sich westlichem Kapital weiter zu öffnen, wie Kudrin es vorschlage. Mit einer Politik der „Entdollarisierung“ müssten russische Guthaben auf Banken in neutralen Ländern außerhalb des NATO-Bereiches transferiert werden.

Der radikalste Vorschlag Glasjews besteht darin, den russischen Schuldendienst gegenüber internationalen Gläubigern angesichts der durch die Finanzsanktionen entstandenen, nicht einlösbaren Verschuldung Russlands einzustellen, das heißt, Russland, wenn die Sanktionszange weiter geschlossen gehalten werde, mit der Begründung, dass Zahlungsverkehr unter Sanktionsbedingungen ohnehin nicht möglich sei, praktisch für Bankrott zu erklären, gleichzeitig aber, die Finanzbeziehungen mit China zu stärken. Die Umsetzung dieser Vorschläge käme einer radikalen Abkoppelung Russlands vom Westen gleich.

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Innenpolitisch fordert Glasjew eine harte Besteuerung der oligarchischen Superprofite, um damit ein soziales Sicherungssystem in Russland und den Schutz russischer Minderheiten in den ehemaligen sowjetischen Republiken aufzubauen. Das wäre eine Sozialpolitik vom Zuschnitt der KPRF.(Siehe dazu: diverse Einzelberichte unter dem Stichwort: "der Glasjew-Plan", außerdem: Peter W. Schulze. "Wohin steuert Russland mit Putin?" Campus, 2004, S. 172 ff.)

Putin hat sich bisher nicht entschieden, welcher Seite er den Zuschlag geben will, außer, dass er im Wahlkampf erklärt, sich in Zukunft den sozialen Fragen zuwenden zu wollen. So oder so stehen jedoch, wenn er das Amt des Präsidenten erneut antritt, Entscheidungen an, die die bisherige politische Konstellation ablösen werden, in der Putin als ‚Zar‘ über den unterschiedlichen Fraktionen der Gesellschaft den überparteilichen, quasi neutralen Konsens halten konnte, in welchem Liberalismus und Traditionalismus, neo-kapitalistisches "Laissez-faire" und rigide Staatskontrolle des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens einander die Waage hielten.

Das Wahlergebnis wird den Ausschlag geben, wofür Putin sich entscheidet, wie das neue ‚Kommando` im und um den Kreml herum aussehen, nach welchen Regeln es arbeiten wird – und welche Veränderungen für Russlands Zukunft aus dieser Entscheidung folgen werden. Vorab verbietet sich jede Spekulation.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

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Weiterführende Literatur:

  • Kai Ehlers, 25 Jahre Perestroika, Gespräche mit Boris Kagarlitzki, Band I und II, Laika, 2014/15 ( >> Kurzvorstellung bitte runterscrollen)
  • Kai Ehlers, Aufbruch oder Umbruch. Zwischen alter Macht und neuer Ordnung. Gespräche und Impressionen, Pforte, 2005

Bezug über den Buchhandel oder direkt über den Autor: www.kai-ehlers.de

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Aktuell:

Was kommt nach Putin?
Stichwort: Putin als interner und externer Krisenmanager und seine Grenzen.

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Stichwort: Ist Russland ohne Europa und Europa ohne Russland denkbar?

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Stichwort: ‚Eingefrorene Konflikte‘ und ‚failed-states‘: Minen des Jahrhunderts

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Stichwort: Deutscher Geist – Segen oder Fluch?

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Russland:

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Stichwort: Russlands nach-atheistische spirituelle Dynamik

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Stichwort: Deutschland neue Führungsmacht oder Vermittler?

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Krise des Nationalstaats?
Stichwort: Kommunalisierung, Regionalisierung, Föderalisierung, Dreigliederung von Wirtschaftsleben, Geistesleben, Rechtsleben – bilden sich heute neue Formen des sozialen Organismus heraus? Oder erlebt die Welt einen Rückfall in Nationalismus?

Hat Mitteleuropa heute noch eine Aufgabe zwischen westlichem Herrschaftsanspruch und östlichem Kulturkeim?
Stichwort: Rückblick auf das zurückliegende Jahrhundert 1917-2017. Ist eine Vermittlung von westl. Individualismus u. östl. Gemeinschaftstraditionen möglich?

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Stichwort: Gemeinschaftsbildung, Wahlfamilie und Beziehungsgesellschaft.    

Migration, Revolte, Terror, Revolution – eine notwendige Reihe?
Stichwort: Kann es eine gewaltfreie Lösung der globalen Krise geben?

Kapitalismus, Sozialismus, Dreigliederung – ein Lernprozess?
Stichwort: Russische Revolution, realer Sozialismus – nur ein gescheitertes Experiment oder eine Lehre für die Zukunft?

Großbritannien / USA – Russland: eine historische Polarität.
Stichwort: Westen/Osten, Seemacht/Landmacht Neue Welt / alte Welt.

Präventionswahn – neue Formen der Eugenik.
Stichwort: Strategien gegen die ‚Überflüssigen‘ von heute und morgen.

Bild- und Grafikquellen:

1. Wladimir Putin (painted potrait): In Russland wird demnächst ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Das neue wird das alte sein. Das ist die allgemeine Erwartung, der man wohl zustimmen muss: Putin hat das Land stabilisiert. Foto: Thierry Ehrmann / Abode of Chaos - Contemporary Art Museum (Demeure du Chaos - Musée d'Art Contemporain), Saint Romain au Mont d'Or, France >> HD Video. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

2. Michail Borissowitsch Chodorkowski (Michail Borisovič Chodorkovskij; *26. Juni 1963 in Moskau) ist ein russischer Unternehmer, früherer Oligarch und ehemaliger Vorstandsvorsitzender des heute insolventen Ölkonzerns Yukos. Chodorkowski lebt seit seiner Begnadigung in der Schweiz. Foto aufgenommen am 19. Juni 2017. Foto: Deutsche Welle / © DW/K. Danetzki. Quelle: Flickr. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

3. Alexei Anatoljewitsch Nawalny (auch Aleksej Nawalnyj; russ. Алексей Навальный, *4. Juni 1976 in Butyn, Oblast Moskau) ist ein russischer Rechtsanwalt, führender oppositioneller Aktivist und nationalistisch-demokratischer Politiker, der spätestens seit 2009 eine große Popularität unter russischen Bloggern und Lesern seines Blogs erlangte. Nawalny wird von einem Teil der regierenden Elite unterstützt, von einem sehr einflussreichen Teil der Elite. Nawalny initiiert einen politischen Prozess in ganz Russland. Foto: Vitalij Fleganov. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

4. Wladimir Wladimirowitsch Putin (* 7. Oktober 1952 in Leningrad, Russische SFSR, Sowjetunion) ist hat einen Stabilitätsfonds geschaffen, mit dem er zwei Krisen und drei Amtszeiten überstand. Alle oppositionellen Angriffe, berechtigt oder nicht berechtigt, sind an ihm abgeprallt, ebenso wie Versuche aus dem Ausland, ihn als neuen Stalin oder Hitler zu diffamieren. Am Ende wuchs er sogar, wenn auch getrieben von wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, über den innenpolitischen Stabilisierer zum außenpolitischen Krisenmanager empor, der mit China an einer neuen multipolaren Weltordnung baut, welche die USA in die Schranken weisen könnte. Foto: Thomas Cizauskas. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

5. Präsident Putin, fotografiert am 19. Januar 2018. Putin muß autoritäre Wege einschlagen, um eine autoritäre Erstarrung der politischen Strukturen wieder in Bewegung zu bringen. Das ist eine Aufgabe, die nicht ohne Widerstände durchführbar ist. Zugleich muss es ihm gelingen, die im Zuge der Konfrontation mit dem Westen seit der Krise 2014/15 gewachsenen, aber vernachlässigten sozialen Probleme mit Blick auf Befriedung einer unruhig werdenden Bevölkerung aufzugreifen. Das Land ist gespalten in eine superreiche Oberschicht, eine kleine konsumorientierte Mittelschicht und eine große Mehrheit von Menschen, die heute nur knapp über der Armutsgrenze leben, heute erkennbar knapper als in den Aufbaujahren nach 2000, als der Öl-Preisboom der Regierung eine lockere Sozialpolitk ermöglichte, welche die vom Zusammenbruch der Union gebeutelte Bevölkerung zu befrieden vermochte. Foto / Quelle: Webseite President of Russia >> kremlin.ru >> Bild. All content on this site is licensed under Creative Commons Attribution 4.0 International >> Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0) .

6. Alexei Kudrin, von 2000 bis 2011 Finanzminister, ist Träger der Modernisierungspolitik Putins aus den ersten beiden Amtsperioden. Nach vorübergehendem Zurücktreten von diesem Amt, wurde er 2016 zum Vorsitzenden des Wirtschaftsrates beim Präsidenten ernannt. Putin beauftragte ihn, ein Programm für eine nach der Wahl 2018 einzuleitende Wirtschafts- und Strukturreform vorzulegen. Kudrin sieht die Lösung der Krise in einer radikalen neoliberalen Öffnung der russischen Wirtschaft für den Weltmarkt auf vornehmlich privatwirtschaftlicher Grundlage. Sie soll den Modernisierungskurs aus den ersten Amtsjahren Putins wieder aufgreifen.

Bildbeschreibung: Alexei Kudrin (*12. Oktober 1960 in Dobele, Lettische SSR), Professor and Dean, School of Liberal Arts and Sciences Saint Petersburg State University, Russian Federation is captured during the session 'The BRICS Agenda' in the congress centre at the Annual Meeting 2015 of the World Economic Forum in Davos, January 22, 2015. WORLD ECONOMIC FORUM/swiss-image.ch/ Photo Michael Buholzer. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0).

7. Academician Sergey Glazyev (Advisor to the President of the Russian Federation)[rechts!] and Professor Dr. Pavel Kabat (IIASA Director General and CEO)[links]. >> Artikel. Foto: International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA). >> Artikel. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0).

8. Buchcover "25 Jahre Perestroika, Bd.1. Gespräche mit Boris Kagarlitzki". Von Kai Ehlers. Gorbatschow and Jelzin. 83 – 96/97: Perestroika, Putsch, Revolte, Übergang in die Restauration. Laika Verlag, ISBN: 978-3-944233-28-4

Welche Lehren zieht die russische Linke aus dem Kollaps des realen Sozialismus? Welchen Einfluss hat sie auf die Entwicklung nehmen können? Welche Alternativen entwickelt sie heute? Für Russland? Über Russland hinaus? "Zehn Monate nach dem tatsächlichen Einsetzen des 500-Tage- Programms wird das ideologische Klima das vollkommene Gegenteil zu dem sein, was es jetzt ist. Liberalismus und Kapitalismus werden verhasster sein als jetzt der Kommunismus."

Das erklärte Boris Kagarlitzki, profiliertester Reform-Marxist des heutigen Russland im September 1990 angesichts des Übergangs von Gorbatschows Reform des Sozialismus zu Jelzins Kurs der Zwangsprivatisierung. In welchem Auf und Ab sich die Verhältnisse tatsächlich entwickelten, zeigen die Gespräche, die Boris Kagarlitzki und der deutsche Russlandforscher Kai Ehlers über einen Zeitraum von 25 Jahren miteinander geführt haben. Sie vermitteln, begleitet von einer vergleichenden Chronologie, einen authentischen Einblick in die inneren Abläufe und die Grundfragen der nachsowjetischen Transformation.

9. Buchcover: "Russland: Aufbruch oder Umbruch Zwischen alter Macht und neuer Ordnung. Gespräche und Impressionen." von Kai Ehlers. Verlag: Futurum  (Pforte Entwürfe 2005), ISBN: 978-3-85636-184-6 .

Aus dem Inhalt:

Putins ‹Politik der Stärke› – Rückfall in den totalitären Staat?

Parteien und außerparlamentarische Bewegungen: Gibt es politische Alternativen?

Anti-Globalisierungs-Einerlei zwischen Protest und Resignation

Die Entwicklung des Kooperativwesens: seelische und materielle Grundlagen des Überlebens

Aufhebung der Lohnarbeit: Abkehr von den Zwängen der Marktwirtschaft und das neue Verlangen nach kooperativen Strukturen

Neue Formen der Selbstorganisation

Die Kriegserklärung der Modernisierer gegen Selbstversorgungsstrukturen

Funktionswandel des Staats und Entwicklung eines neuen Staatsverständnisses

10. Buchcover "25 Jahre Perestroika, Bd.2.: Gespräche mit Boris Kagarlitzki. Jelzins Abgang, Putin und Medwedew - ISBN: 978-3-944233-29-1, erschienen August 2015.

Der zweite Band führt mitten in die Krise der Jelzinschen Modernisierung – Separationstendenzen in der russischen Föderation, Tschetschenienkrieg, Aufkommen sozialer Verwüstungen, angesichts derer die Mehrheit der Bevölkerung um ihr Überleben kämpfen muss. Dann Wladimir Putins Ansage, eine »Diktatur des Gesetzes« einführen zu wollen. Das Dilemma einer Opposition, die zwischen Zustimmung zu Putins Ordnungspolitik und Kritik an dem von ihm praktizierten autoritären und zugleich neoliberalen Führungsstil einen Weg zu finden sucht.

Als roter Faden schließlich zieht sich durch die Gespräche die Frage, welche Lehren aus dem Zusammenbruch des realsozialistischen Gesellschaftsaufbaus für die Zukunft einer sozialistischen, zumindest aber gemeinwohlorientierten, solidarischen Gesellschaft zu gewinnen sind.

97 – heute: Stabilisierung, restaurative Normalisierung, Eintritt in die globale Krise

Wohin brachte uns Perestroika? Was waren ihre Ziele? Wer waren ihre Aktivisten? Wer waren ihre Gegner? Wer war Gorbatschow? Wer Jelzin? Wer ist Putin? Wie liest sich linke Kritik dieser Jahre? Welche Lehren zieht die russische Linke aus dem Kollaps des realen Sozialismus? Welchen Einfluss hat sie auf die Entwicklung nehmen können? Welche Alternativen entwickelt sie heute? Für Russland? Über Russland hinaus?

„In zehn Monaten nach dem tatsächlichen Einsetzen des ‚500-Tage-Programms’ wird das ideologische Klima das vollkommene Gegenteil zu dem sein, was es jetzt ist. Liberalismus und Kapitalismus werden verhasster sein als jetzt der Kommunismus.“ Das erklärte Boris Kagarlitzki, profiliertester Reform-Marxist des heutigen Russland im September 1990 angesichts des Übergangs von Gorbatschows Reform des Sozialismus auf Jelzins Kurs der Zwangsprivatisierung.

In welchem Auf und Ab sich die Verhältnisse tatsächlich entwickelten, ist den Gesprächen zu entnehmen, die über einen Zeitraum von 25 Jahren zwischen Boris Kagarlitzki und dem deutschen Russlandforscher Kai Ehlers geführt wurden. Sie vermitteln, begleitet von einer vergleichenden Chronologie, einen authentischen Einblick in die inneren Abläufe und die Grundfragen der nachsowjetischen Transformation.