Die Israelis töten einfach weiter Menschen, stehlen Land
Gibt es eine israelische Nation? Natürlich gibt es die.
Gibt es eine jüdische Nation? Natürlich gibt es keine.
von Uri Avnery († 20. August 2018 in Tel Aviv)
Man kann die Ereignisse in Gaza durch das linke oder durch das rechte Auge betrachten. Man kann sie als unmenschlich, grausam und falsch verurteilen oder sie als notwendig und unvermeidlich rechtfertigen. Aber es gibt eine Eigenschaft, die außer Frage steht: sie sind dumm.
Wäre die verstorbene Barbara Tuchman noch am Leben, könnte sie versucht sein, ihrem bahnbrechenden Werk "Die Torheit der Regierenden" ein weiteres Kapitel hinzuzufügen: ein Kapitel mit dem Titel "Blind in Gaza".
Die letzte Episode dieser Episode begann vor einigen Monaten, als unabhängige Aktivisten im Gazastreifen zu einem Marsch an die israelische Grenze aufriefen, den die Hamas unterstützte. Er wurde "Der große Marsch der Rückkehr" genannt, eine symbolische Geste für die mehr als eine Million arabischer Einwohner, die aus ihren Häusern in dem Land flüchteten oder vertrieben wurden, das zum Staat Israel wurde.[>> "Nakba - die offene Wunde"; H.S.]
Die israelischen Behörden gaben vor, dies ernst zu nehmen. Ein erschreckendes Bild wurde für die israelische Öffentlichkeit gemalt: 1,8 Millionen Araber, Männer, Frauen und Kinder, würden sich auf den Grenzzaun werfen, vielerorts durchbrechen und die Städte und Dörfer Israels stürmen. Furchterregend.
Israelische Scharfschützen wurden entlang der Grenze postiert und angewiesen, jeden zu erschießen, der wie ein "Rädelsführer" aussah. An mehreren aufeinanderfolgenden Freitagen (dem wöchentlichen muslimischen Feiertag) wurden mehr als 150 unbewaffnete Demonstranten, darunter viele Kinder, erschossen und viele hundert weitere durch Schüsse schwer verletzt, abgesehen von denen, die durch Tränengas verletzt wurden.
Das israelische Argument war, dass die Opfer beim Versuch, "die Zäune zu stürmen", erschossen wurden. Tatsächlich wurde kein einziger solcher Versuch fotografiert, obwohl Hunderte von Fotografen auf beiden Seiten des Zauns postiert waren.
Angesichts eines weltweiten Protestes änderte die Armee ihre Befehle und tötet nur noch selten unbewaffnete Demonstranten. Auch die Palästinenser änderten ihre Taktik: Die Hauptaufgabe besteht nun darin, Kinderdrachen mit brennenden Schwänzen einzusetzen und israelische Felder in der Nähe des Strips anzuzünden. Da der Wind fast immer von Westen nach Osten weht, ist das ein leichter Weg, Israel zu treffen. Kinder können es tun und tun es auch. Jetzt fordert der Bildungsminister, dass die Luftwaffe die Kinder bombardiert. Der Stabschef lehnt ab und argumentiert, dies sei "gegen die Werte der israelischen Armee".
Gegenwärtig beschäftigt sich die Hälfte unserer Zeitungen und Fernsehnachrichten mit Gaza. Alle scheinen sich darüber einig zu sein, dass dort früher oder später ein ausgewachsener Krieg ausbrechen wird.
Das Hauptmerkmal dieser Aktion ist ihre völlige Dummheit.
Jede militärische Handlung muss ein politisches Ziel haben. Wie der deutsche Militärdenker Carl von Clausewitz berühmterweise sagte: "Krieg ist nur eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln."
Der Streifen ist 41 km lang und 6 bis 12 km breit. Es ist einer der überfülltesten Orte der Welt. Nominell gehört er zum weitgehend theoretischen Staat Palästina, wie das Westjordanland, das von Israel besetzt ist. Der Streifen wird de facto von der radikalen muslimischen Hamas-Partei regiert. In der Vergangenheit strömten täglich Massen von palästinensischen Arbeitern aus Gaza nach Israel. Aber seit die Hamas die Macht im Strip übernommen hat, hat die israelische Regierung eine fast vollständige Blockade von Land und Meer verhängt. Die ägyptische Diktatur, ein enger Verbündeter Israels und tödlicher Feind des radikalen Islam, kooperiert mit Israel.
Was will Israel also? Die bevorzugte Lösung ist es, den gesamten Streifen und seine Bevölkerung ins Meer zu versenken. Wenn das nicht gelingt, was kann man tun?
Das Letzte, was Israel will, ist, den Streifen mit seiner riesigen Bevölkerung, die nicht vertrieben werden kann, zu annektieren. Auch Israel will keine Siedlungen im Streifen errichten (die wenigen, die gegründet wurden, wurden von Ariel Sharon zurückgezogen, der meinte, es lohne sich nicht, sie zu behalten und zu verteidigen).
Die wirkliche Politik besteht darin, das Leben in Gaza so miserabel zu machen, dass die Gazaer selbst aufstehen und die Hamas-Behörden hinauswerfen. In diesem Sinne wird die Wasserversorgung auf zwei Stunden pro Tag reduziert, der Strom auf die gleiche Weise. Die Beschäftigung liegt bei etwa 50%, die Löhne unter dem Minimum. Es ist ein Bild des totalen Elends.
Da alles, was den Gazastreifen erreicht, durch Israel (oder Ägypten) kommen muss, wird die Versorgung oft tagelang als "Strafe" abgeschnitten. Leider zeigt die Geschichte, dass solche Methoden nur selten erfolgreich sind. Sie vertiefen nur die Feindschaft. Was kann man also tun?
Die Antwort ist denkbar einfach: sich hinsetzen, reden und zu einer Einigung kommen. Ja, aber wie kann man sich mit einem Todfeind zusammensetzen, dessen offizielle Ideologie einen jüdischen Staat völlig ablehnt? Der Islam, der (wie jede Religion) eine Antwort auf alles hat, anerkennt etwas, das "Hudna" genannt wird, einen dauerhaften Waffenstillstand. Dieser kann viele Jahrzehnte dauern und wird (religiös) beibehalten.
Seit einigen Jahren deutet die Hamas fast offen an, dass sie für eine lange Hudna bereit ist. Ägypten hat sich freiwillig gemeldet, um zu vermitteln. Unsere Regierung hat das Angebot völlig ignoriert. Eine Hudna mit dem Feind? Kommt nicht in Frage! Gott bewahre! Wäre politisch furchtbar unbeliebt!
Aber es wäre vernünftig, das zu tun. Stoppt alle feindlichen Handlungen von beiden Seiten, sagen wir für 50 Jahre. Löst die Blockade auf. Baut einen richtigen Hafen in Gaza-Stadt. Erlaubt den freien Handel im Rahmen einer Art militärischer Inspektion. Das Gleiche gilt für einen Flughafen. Erlaubt den Arbeitnehmern, in Israel Arbeit zu finden, anstatt Arbeiter aus China und Rumänien zu importieren. Verwandelt Gaza in ein zweites Singapur. Freie Fahrt zwischen Gaza und dem Westjordanland über eine Brücke oder eine extraterritoriale Autobahn. Helft mit, die Einheit zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland wiederherzustellen.
Warum nicht? Schon der bloße Gedanke wird von einem normalen Israeli auf Anhieb abgelehnt.
Eine Abmachung mit der Hamas? Unmöglich !!! Die Hamas will Israel zerstören. Jeder weiß das.
Ich höre das oft und wundere mich immer wieder über die Dummheit der Leute, die das wiederholen.
Wie kann eine Gruppe von einigen hunderttausend einen der am schwersten bewaffneten Staaten der Welt "zerstören", einen Staat, der Atombomben und U-Boote besitzt, um sie zu transportieren? Wie? Mit Drachen?
Sowohl Donald Trump als auch Wladimir Putin huldigen uns, die faschistischen Diktatoren und liberalen Präsidenten der Welt kommen zu Besuch. Wie kann die Hamas eine tödliche Gefahr darstellen? Warum hört die Hamas nicht von selbst mit den Feindseligkeiten auf? Die Hamas hat Konkurrenten, die noch radikaler sind. Sie wagt es nicht, ein Zeichen von Schwäche zu zeigen.
Vor einigen Jahrzehnten bot die arabische Welt auf Initiative Saudi-Arabiens Israel Frieden unter mehreren Bedingungen an, die alle akzeptabel waren. Die aufeinanderfolgenden israelischen Regierungen haben das nicht nur nicht akzeptiert, sie haben es völlig ignoriert. Dahinter verbirgt sich eine bestimmte Logik. Die israelische Regierung will das Westjordanland annektieren. Sie will die arabische Bevölkerung herausholen und durch jüdische Siedler ersetzen. Sie betreibt diese Politik langsam, vorsichtig, aber konsequent.
Es ist eine grausame Politik, eine verabscheuungswürdige Politik, und doch hat sie eine gewisse Logik. Wenn Sie dieses abscheuliche Ziel wirklich erreichen wollen, sind die Methoden vielleicht ausreichend. Aber das gilt nicht für den Gazastreifen, den niemand annektieren will. Dort sind diese Methoden pure Torheit. Das bedeutet nicht, dass die gesamte israelische Politik gegenüber den Palästinensern insgesamt weiser ist. Das ist sie nicht.
Benjamin Netanjahu und seine handverlesenen dummen Minister haben keine Politik. So sieht es aus. Tatsächlich haben sie eine nicht deklarierte Agenda: die schleichende Annexion des Westjordanlandes. Das geht jetzt schneller als zuvor. Die täglichen Nachrichten erwecken den Eindruck, dass sich die gesamte Regierungsmaschine auf dieses Projekt konzentriert.
Dies wird direkt zu einem Apartheid-Staat führen, in dem eine große jüdische Minderheit eine arabische Mehrheit beherrschen wird.
Für wie lange? Eine Generation? Zwei? Drei?
Es wird gesagt, dass ein kluger Mensch in der Lage ist, sich aus einer Falle zu befreien, in die ein weiser Mensch gar nicht erst geraten wäre.
Dumme Menschen befreien sich nicht selbst. Sie haben nicht einmal eine Ahnung von der Falle.
Uri Avnery
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Uri Avnery ist Friedensaktivist, Journalist, Schriftsteller und ehemaliges Mitglied der israelischen Knesset. Detaillierte Infos zu Uri Avnery >> BIO.
seine Website >> http://uriavnery.com/en/
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Lesetipp:
"Israel: Seit März 45 Palästinenser erschossen und Tausende verwundet" >> weiter.
Ich bin optimistisch im Sinne, dass ich darauf gefasst bin, dass sehr schlimme Sachen passieren werden. Warum bin ich optimistisch? Wenn das Allerschlimmste passiert . . was dann? Wird sich irgendwas an der Lage, an den Grundelementen der Lage ändern? Am nächsten Tag werden wir wieder vor dem selben Problem stehen, dass wir zwei Völker in diesem Lande haben, und zwei Völker in Jerusalem haben. Und dass es überhaupt keine andere Alternative gibt, als zwischen diesen beiden Völkern Frieden zu machen.
Uri Avnery (*10 September 1923 in Beckum; †20. August 2018 in Tel Aviv)
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► Quelle: Der Artikel wurde erstveröffentlicht am 20. Juli 2018 auf >> Antiwar.com >> Artikel.
Die Weiterverbreitung des Textes ist durchaus erwünscht. In diesem Fall bitte die Angabe der Webadresse www.antikrieg.com nicht zu vergessen! Die deutschsprachige Übersetzung wurde dort am 21. Juli 2018 freundlicherweise von Klaus Madersbacher / A zur Verfügung gestellt. Die Bilder im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..
► Bild- und Grafikquellen:
1. Massenproteste im Gazastreifen (März - Juni 2018), auch bekannt als "Marsch der Rückkehr" - "Marche du retour" - "March of Return". Foto: IDF. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).
2. Der Widerstand eines Palästinensers versinnbildlicht den ungleichen Kampf eines unterdrückten, entrechteten Volkes gegen die Besatzungs- und Atommacht Israel. Foto: IDF. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).
3. ISRAEL`S COLLECTIVE PUNISHMENT OF GAZA . . . Karikatur von Carlos Latuff, einem "Politischen Karikaturist", geboren November 1968 in Rio de Janeiro, Brazil. Quelle: Wikimedia Commons. Dieses Werk wurde von seinem Urheber Carlos Latuff als gemeinfrei veröffentlicht. Dies gilt weltweit. Carlos Latuff (eigentlich Carlos Henrique Latuff de Souza) gewährt jedem das bedingungslose Recht, dieses Werk für jedweden Zweck zu nutzen, es sei denn, Bedingungen sind gesetzlich erforderlich. Sein Blog > latuffcartoons.wordpress.com
4. Texttafel "Antizionismus ist nicht Antisemitismus, sondern Ablehnung von Nationalismus und Rassismus!" Grafik: Wolfgang (WOB) Blaschka, München.
5. Palästinenser im Gazastreifen (März - Juni 2018) während der Protestaktion "Marsch der Rückkehr" - "Marche du retour" - "March of Return". Foto: IDF. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).
6. Siedlungsbau durch Landraub: Illegale gewaltsame Besetzung, Enteignung und fortlaufender Siedlungsbauprojekt im Westjordanland durch die rassistische, rechtsradikale Regierung Israels. Foto und Quelle: International Solidarity Movement (ISM).
7. Protestbanner "VERURTEILT DEN KRIEGSVERBRECHER NETANJAHU" - "JUGEZ LE CRIMINEL DE GUERRE - NETANYAHOU" - Foto: doubichlou14. Quelle: Flickr. Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).
8. Buchcover: "NAKBA - DIE OFFENE WUNDE" v. Marlene Schnieper, Rotpunktverlag., Zürich. 1. Auflage, 384 Seiten, Klappenbroschur, ISBN 978-3-85869-444-7, mit zahlreichen historischen Fotos. Dieser Titel ist auch als E-Book erhältlich. >> ausführlichen Buchvorstellung.
9. Buchcover: "Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam" von Barbara Tuchman. (Originaltitel: "The March of Folly", 1984). 560 Seiten, Taschenbuch, ISBN-13: ISBN: 978-3-596-15394-7. S. Fischer Verlag. Taschenbuch Preis € (D) 12,95 | € (A) 13,40.
Barbara Tuchman untersucht die vielleicht faszinierendste Paradoxie der Geschichte: die Verwirklichung einer Politik, die dem Eigeninteresse der Regierenden entgegensteht. Sie führt den Leser an vier entscheidende Schauplätze.
Der erste ist der Trojanische Krieg. Gegen göttliche Omen und Beschwörungen aus den eigenen Reihen handelnd, ziehen die Trojaner das Pferd in ihre Mauern und verurteilen sich selbst zum Untergang. Das hölzerne Pferd ist das Symbol eines Wahns, der heute existenzgefährdend geworden ist. Die sechs Jahrzehnte päpstlicher Torheiten stellt sie im zweiten Abschnitt vor: Korruption, Amoral und Machthunger, die hochmütige Nichtachtung aller Proteste und Klagen, die zum Protestantismus und zu den Religionskriegen führten.
Im dritten Kapitel erzählt sie, wie Georg III. und seine Regierung die Beziehungen zu den Siedlern in den amerikanischen Kolonien zerstörten. Die Verblendung der britischen Krone und ihrer Berater machte aus Untertanen Rebellen und besiegelte den Verlust eines Kontinents. Und schließlich analysiert sie Amerikas Verwicklung in Vietnam - von Franklin D. Roosevelts zögernder Unterstützung des französischen Kolonialismus in Indochina über die unsinnige Domino-Theorie bis zu Lyndon B. Johnsons törichtem Bestehen auf einem militärischen Sieg und der kaum verhüllten Niederlage der USA. (Text: Klappentext / Fischer Verlag).
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Seit 2013 sind Avnerys Artikel in Jahresbänden als Bücher erschienen: drei als Papierbücher und drei als eBücher. Der Band Letzte Artikel schließt die Reihe ab. In den Artikeln zeigt sich der Autor als engagierter, zugleich immer auch besonnener, genauer Beobachter seiner Umwelt, als einer, der den Mut nicht verloren hat, als – so nennt er sich selbst – „Optimist“. Trotz Optimismus und Humor bleibt die Bedrohlichkeit der Gesamtsituation immer spürbar.
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