Die Weltordnung hat eine neue Kontur bekommen

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Die Weltordnung hat eine neue Kontur bekommen
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Die Weltordnung hat eine neue Kontur bekommen

Der finale Konkurrenzkampf und Lektionen für Europa

Europa als Ganzes hat verloren, schrecklich verloren.

by Gerhard Mersmann | NEUE DEBATTE

Wenn es die Qualität kluger Strategen ist, die Dinge vom Ende her denken zu können, dann ist das Ergebnis des Krieges gegen die Ukraine eindeutig: Russland ist ad hoc und für Jahrzehnte als Teil des europäischen Kontinents politisch wie kulturell verschwunden. Die Weltordnung hat eine neue Kontur bekommen, die nichts Gutes vermuten lässt.

► Der Preis im Konkurrenzkampf

Neben dem sich immer wieder selbst überschätzenden Westen, das heißt den USA und den mit ihnen sicherheitspolitisch wie systemisch assoziierten Staaten, bildet sich eine gewaltige eurasische Allianz: China, Russland und Indien. Sowohl China als auch Indien haben mit ihren ersten Aussagen nach der russischen Invasion in der Ukraine Präsident Wladimir Putin in seinem Handeln gestützt.

Wer sich, und diese harte Realität lässt sich kaum verbergen, wohl auf der ganzen Linie verzockt hat, sind die in der EU versammelten Staaten. Sie stehen ohne eigenes Interessenprofil und ohne militärische Verteidigungsmacht zwar mitten auf dem Schlachtfeld, aber ohne die USA sind sie kein Faktor. Und der Preis, der in der nun folgenden Eiszeit zu bezahlen ist, wird hier in Europa gezahlt werden müssen.

Die mangelnde Courage, Uncle Sam zu widersprechen und die Unfähigkeit, sich auf einer gemeinsamen Interessenbasis zu verständigen, haben zu einem Desaster geführt. Der Eintrittspreis für die erste heiße Phase im finalen Konkurrenzkampf einer multipolaren Welt wird in Europa zu entrichten sein. Well done!

► Die Lektionen für Europa

Dass nun sich ausgerechnet die wieder lautstark zu Wort melden und betonen, sie hätten schon immer gewusst, dass man Russland keine Konzessionen machen dürfe, ist ein schlechtes Testat für die hiesige politische Öffentlichkeit. Welche Lektionen zu lernen sind, steht seit Langem fest:

weg von der eigenen Arroganz,

weg von einem desaströsen Verständnis, wie man Verhandlungen zu führen hat und

weg von dem Weltbekehrungswahn.

Zwar winken bereits einige kluge Politologen über den Zaun, dass man hätte Russland zuhören und Angebote machen müssen, und vielleicht hätte das andere nicht kriegerische Optionen eröffnet, aber die zum Teil auf den Gehaltslisten des militärisch-industriellen Komplexes (MIK) der USA stehenden „Experten“ finden mehr Gehör denn je. Lessons learned? Wieso?

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Die Nichtbeachtung wie wachsende Konfrontation haben den großen Schachspieler im Kreml in die Paranoia getrieben, unter der nach der Oktoberrevolution übrigens alle russischen Herrscher litten, weil es wenigen Hundert Bolschewiki in Sankt Petersburg gelungen war, den Zaren zu stürzen. Putin, der mehr als zwei Jahren sprichwörtlich im Bunker verbracht hat, hat das Psychogramm entwickelt, das systematisch andere Perspektiven als die eigene ausblendet. Übrigens ein durchaus zunehmend im Westen zu beobachtendes Phänomen.

Putin hat sich, was die politische Akzeptanz der jetzigen kriegerischen Handlung anbetrifft, verkalkuliert. Nicht, dass die russische Operation im rein militärischen Sinn nicht erfolgreich sein wird. Was aber seine Landsleute denken und fühlen, ist etwas anderes.

► Russische Seele

Ukraine_Russland_Aggressionspolitik_Kiew_Moskau_Konfrontationspolitik_Kriegsrhetorik_Ostukraine_Russophobie_Russiagate_Neonazis_Faschisten_Neonazismus_Kritisches-NetzwerkDie wie auch immer zu bezeichnende Herauslösung von Donezk und Luhansk, wo russische Mehrheiten leben, die tatsächlich von der ukrainischen Zentralregierung schlecht behandelt und diskriminiert wurden [Das ist viel zu verharmlosend formuliert angesichts des Leides, das man in der Ostukraine den russischstämmigen Menschen seit vielen Jahren in brutalster Weise angetan hat! Die aktuelle Gewalt seitens Russlands soll damit aber nicht schöngerechnet werden. H.S.], fand Unterstützung bei vielen Russen. Sie sahen die Notwendigkeit, ihnen zur Hilfe zu kommen. Bomben auf Kiew aber, das war die rote Linie.

Es liegen verifizierte Augenzeugenberichte vor, dass sich in der Kapitale Moskau wie auf dem Land Menschen weinend in die Arme fielen, als sie hörten, es würden Raketen auf Kiew geschossen. Es waren nicht die kosmopolitisch urbanen Eliten, die der Westen so glorifiziert, sondern die einfachen Leute, die ihren Gefühlen Ausdruck verliehen. Der Präsident hatte die Rechnung ohne die russische Seele gemacht.

Wer sich die Sitzung des Sicherheitsrats angesehen hat, in der Putin den militärischen Angriff auf die Ukraine verkündete, konnte die Gesichter der dort versammelten Militärs und Mitglieder der Sicherheitsdienste genau betrachten und musste bemerken, dass das, was dort verkündet wurde, nicht mehr ihrem Verständnis einer russischen Sicherheitspolitik entsprach.

In Zeiten wie diesen soll man sich von Spekulationen mehr denn je fernhalten. Aber Risse im obersten Machtgefüge werden deutlich, und ein Machtwechsel sollte nicht ausgeschlossen werden.

Hierzulande, vor unseren eigenen Augen stehen gewaltige Aufgaben. Wir, [Deutschland und der russophobe Pseudo-Wertewesten! H.S.] wären gut beraten, nicht wieder einer kurzlebigen Selbstbeweihräucherung anheimzufallen und uns wie immer auf der richtigen Seite zu fühlen.

Europa als Ganzes hat verloren, schrecklich verloren.

Und die alten Wege wie die alten Akteure sind Geschichte.

Gerhard Mersmann

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Anmerkung von H.S.: »Staatliche Gedenkfeiern und öffentliche Denkmale für Kriegsverbrecher, Massenmörder, Antisemiten und Nazi-Kollaborateure wie Symon Petliura, Stepan Bandera und Roman Schuchewytsch; Einbindung faschistischer Milizen in die offiziellen Streitkräfte; Vernetzung und militärische Ausbildung von Neonazis aus der ganzen Welt unter der schützenden Hand des Staates; mafiaähnliche Kämpfe um die Staatsmacht zwischen einer Handvoll Oligarchen; korrupte Justiz und Behörden; schreiende soziale Ungleichheit bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 412 Euro (April 2021) – das sind die herausragendsten Merkmale der ukrainischen „Demokratie“, für die die USA und ihre europäischen Nato-Verbündeten einen Krieg gegen die Atommacht Russland riskieren.« (-Peter Schwarz in einem Artikel vom 21. Januar 2022 auf WSWS.org).


Bertolt Brecht (Rede für den Frieden 1952)

»Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yorker von den Gräueln der Atombombe erhielt, schreckten ihn anscheinend nur wenig.

Der Hamburger ist noch umringt von den Ruinen, und doch zögert er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht nass sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.

Und doch wird nichts mich davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!

Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.«


Quelle: Dieser Artikel wurde am 26. Februar 2022 erstveröffentlicht auf der Webseite NEUE DEBATTE - "Journalismus und Wissenschaft von unten" >> Artikel. Alle auf NEUE DEBATTE veröffentlichten Werke (Beiträge, Interviews, Reportagen usw.) sind – sofern nicht anders angegeben oder ohne entsprechenden Hinweis versehen – unter einer Creative Commons Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International; CC BY-NC-ND 4.0) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen diese von Dritten verbreitet und vervielfältigt werden.

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Gerhard Mersmann, Dr. phil., (Jahrgang 1956), gebürtiger Westfale, ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen.

Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Publizistische Aktivitäten durchziehen seine gesamte Biographie. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen. Mersmanns persönliches Blog >> https://form7.wordpress.com/ .


► Bild- und Grafikquellen:

1. Graffito: "THE NEW WORD ORDER IS THE ENEMY OF HUMANITY." Foto: Duncan Cumming. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

2. Schachbrett mit Figuren: Seit 2019 ist Schach in Russlands Schulen wieder Unterrichtsfach. Die Ukraine ist eine Figur, aber vor allem ist die Ukraine eine Figur auf dem Weltschachbrett (um den Ausdruck von Zbigniew Kazimierz Brzeziński zu verwenden), auf dem sich die Machtverteilung für die kommenden Jahrzehnte abspielt, falls wir jemals dort ankommen. Foto: Iha76. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

3. Russische und ukrainische Flagge. Vektorgrafik: FrankundFrei / Frank, Hamburg. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Vektorgrafik.

4. Zitat von Prof. Dr. Mausfeld:

»Macht heißt, dass jemand die Möglichkeit hat, seine Interessen gegen andere durchsetzen zu können und Entscheidungen zu treffen, die ihm zu Gute kommen. Wer Macht hat, kann durchsetzen, was zu seinem Vorteil ist. Macht über andere zu haben bedeutet, andere dem eigenen Willen unterwerfen zu können.

Macht ist die Kernkategorie des Politischen. Und deswegen ist es eigenartig und bemerkenswert, wenn Medien nicht mehr über Macht und Herrschaft reden. Das wäre so, als würde man in einer Akademie für Fische nicht über Wasser reden.

Auf jeden Fall zeigt die Geschichte, dass das Streben nach Macht dazu neigt, unersättlich zu sein. Diese Gier führt uns zu den dunklen Seiten des Menschen, und sie hat im Laufe der Zivilisationsgeschichte gigantische Blutspuren hervorgebracht.« (Zitat Prof. Dr. Rainer Mausfeld).

Foto: Screenshot aus einem Video zeigt Prof. Mausfeld in einem Gespräch. Inletidee: KN-Admin Helmut Schnug, Bildbearbeitung Wilfried Kahrs (WiKa).