Ethik und Profitsystem: globaler Wertewandel nötig

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Ethik und Profitsystem: globaler Wertewandel nötig
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Ethik und Profitsystem: globaler Wertewandel nötig

von Conrad Schuhler / Vorsitzender des isw (Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.)

ingo_schulze_kapitalismus_ethik_moral_profit_profitstreben_oekononie_wertewandel_marktkonforme_demokratie_demokratiekonforme_maerkte_dresdner_reden_kritisches_netzwerk.jpgIn seiner Dresdner Rede hat Ingo Schulze sich auf die Suche nach dem „Zauberwort“ gemacht, das mit einem Mal die Natur des Kapitalismus offenlegen würde. Ganz im Sinne der modernen Semantik hatte einst Joseph von Eichendorff, der Sänger der Romantik, gedichtet:

Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.

Das Zauberwort, das Ingo Schulze fand, heißt kapitalistisches Profitstreben. Aus ihm leitet er ab die absurd ungleiche Verteilung des Reichtums in unserem Land, die Übervorteilung der Verbraucher, die Ausbeutung der Beschäftigten und schließlich die Abschaffung der Demokratie, die nach den Worten von Frau der Merkel eine marktkonforme Demokratie zu sein habe. Müssten wir, fragt Schulze, nicht eher demokratische Marktzustände haben? [kompletter Dresdner Redetext und als PDF_Symbol.gif im Anhang!]

Der Literat aus Dresden bringt also die kapitalistische Ökonomie in Gegensatz zu Ethik und Moral, wo es bekanntlich um das Richtige, das sittlich Vernünftige zu gehen hat. Auch die Veranstalter des heutigen Austauschs sehen diesen Widerspruch zwischen Ethik und Profitsystem und plädieren für einen globalen Wertewandel.

► Adam Smith: Rücksichtsl. Eigeninteresse wird durch die „unsichtbare Hand“ zum größten Gemeinnutzen

Das Kapital und seine Propagandisten in Wissenschaft und Medien lassen diesen Widerspruch nicht gelten. Das fängt schon an mit dem Urvater der marktwirtschaftlichen Theorie, mit Adam Smith. Der im Hauptberuf was war? Er war, versteht sich, Moralphilosoph, ein Experte in beiden Disziplinen, dem sittlichen Leben und dem Profitmachen. Der Professor an der Universität von Glasgow wurde später Zollkommissar von Schottland, kannte sich also gut aus mit der Realität des Wirtschaftslebens. Deshalb wusste er natürlich, dass das Profitstreben den Unternehmer treibt. Schieres Eigeninteresse, das gesellschaftliche Gesamtwohl ist ihm völlig gleichgültig. Aber, das ist der Clou der kapitalistischen Marktwirtschaftslehre, das rücksichtslose Verfolgen des Eigeninteresses führt zum Maximum des Gesamtwohls.

Im „Wohlstand der Nationen“, so der Titel seines Hauptwerks, schreibt Adam Smith: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschenliebe, sondern an ihre Eigenliebe, wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil.“ Doch es sorgt eine „unsichtbare Hand“, wie Smith formuliert, dafür, dass dieser persönliche Erfolg des Unternehmers zum Besten aller gerät. Denn Unternehmen, die dauerhaft erfolgreich sein wollen, müssen den Interessen ihrer Kunden gerecht werden. So sorgen die Unternehmer aus Eigeninteresse für das Interesse der Allgemeinheit. Darin drückt sich das Wirken der „unsichtbaren Hand“ aus. Der Homo oeconomicus, der in rücksichtslosem Verhalten gegenüber Mensch und Natur seinen eigenen Vorteil sucht und optimiert, wird so gerade dadurch zum unverzichtbaren Wohltäter für seine Gesellschaft.

Was ich hier vortrage, ist nicht eine verstaubte Theorie aus der kapitalistischen Gründungszeit, sondern immer noch die offizielle Propaganda zum Beispiel der Deutschen Arbeitgeberverbände. Unter der Überschrift „Wirtschaft und Ethik bilden keinen Widerspruch“ verkünden sie:

Unternehmen, die erfolgreich wirtschaften, leisten einen wichtigen und unersetzbaren Beitrag zum Gemeinwohl. Nur durch Gewinne kann ein Unternehmen Arbeitsplätze schaffen und sichern sowie in Ausbildung und Innovationen investieren. Gewinne sind deshalb keineswegs moralisch verwerflich, sondern notwendig. Sie sind gleichzeitig ein Signal dafür, dass Unternehmen die richtige Strategie verfolgen sowie nachhaltig und zukunftsfähig aufgestellt sind. Dabei schließt sich Verantwortung für ein erfolgreiches Wirtschaften und Verantwortung für die Gesellschaft nicht aus, sondern befördern sich wechselseitig. Der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens ist die Voraussetzung für jedes weitere gesellschaftliche Handeln.

Zum Beweis für ihre These – der Korrespondenz von Wirtschaftserfolg und gesellschaftlicher Verantwortung – stellen die Arbeitgeber dann heraus, dass über 96 % der Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sich gesellschaftlich engagieren. Wofür sie sich gesellschaftlich engagieren, wird nicht erwähnt. Auch die 150 Millionen Dollar für Hillary Clinton, die Wall Streets Großbanken und Hedgefonds ihr in den letzten beiden Jahren gezahlt haben, fallen unter das Rubrum „gesellschaftliches Engagement“. Die Unternehmen nutzen ihre Gewinne in der Tat, um in die Gesellschaft einzugreifen, aber sie tun dies, um die Gesellschaftsordnung in ihrem Interesse zu ändern und zu stabilisieren. Colin Crouch hat für diesen Zustand den Begriff „Postdemokratie“ geprägt, wo sich im gesellschaftlichen Diskurs nicht das rationale Argument und das Interesse der Mehrheit durchsetzt, sondern wo die Manipulationen der Profitmaschine den Ton angeben. Dass das große Kapital sich gesellschaftlich engagiert, ist kein Beleg für seine soziale Qualität, sondern für seine Fähigkeit, die gesellschaftliche Meinungsbildung zu prägen.

► Die Wahrheit: Die Profite so hoch wie nie – das Gemeinwohl in nicht gekannten Tiefen

Doch bleiben wir zunächst einmal bei den Verheißungen von Adam Smith und den Auslegungen seiner Nachfolger in den Arbeitgeberverbänden. Je höher die Profite, umso höher das Gemeinwohl, heißt es dort. Nun müssen wir konstatieren, dass die Profite in den letzten Jahren so hoch wie nie waren, das Gemeinwohl aber, sowohl national wie global, in neue Tiefen glitt.

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Grafik 1 dokumentiert anhand der Entwicklung der Profitrate den Kern der Ökonomie der letzten Jahrzehnte. Von 1960  bis 1980 haben wir eine Phase zunächst hoher, dann aber sinkender Profite. Gleichzeitig erleben wir relativ hohe Gewinn- und Vermögensteuern und einen hohen, aber sinkenden Anteil an Netto-Investitionen, d.h. relative hohe Profitanteile wurden für die Ausweitung der Investitionen in die Realwirtschaft verwendet. Dies alles ändert sich dramatisch mit dem Jahr 1980, der Durchsetzung des Neoliberalismus mit diesen Folgen, die in der Grafik klar quantifiziert werden:

1. Seit 1980 steigt der Anteil der Gewinneinkommen am Volkseinkommen. Von damals 25 auf heute 32 %.

2. Der durchschnittliche Satz von Gewinn- und Vermögensteuern lag bis 1982 bei über 30 %. Seit Mitte der 90er Jahre pendelt er zwischen 15 bis 20 %. Die Nettoprofite sind also noch stärker gestiegen als die Bruttoprofite.

3. Was aber geschieht mit diesen Profiten, die angeblich der Quell wachsenden Gemeinwohls sind? Sie gehen nicht etwa in Sachinvestitionen, die die Grundlage für weiteres Wirtschaftswachstum sein könnten, diese Investitionen in die Realwirtschaft gehen vielmehr gegen Null. Der wachsende Löwenanteil der Gewinne wird stattdessen verwendet für den Konsum der Unternehmer und zur Investition in Finanzanlagen. Nur 10 % der Gewinneinkommen werden im Durchschnitt in den größten OECD-Ländern für Netto-Investitionen verwendet. In der Periode vor 1980 waren es 80 % und mehr. Heute erleben wir hingegen ein rasantes Anschwellen von Finanzmitteln, die wiederum in den Händen der Reichen konzentriert sind.

Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, worin die 35 führenden westlichen Industriestaaten organisiert sind, bewertet die daraus entstehenden Probleme so: „Kapitaleinkünfte und Einkommen aus selbständiger Tätigkeit sind sehr ungleich verteilt, und die hier bestehenden Disparitäten haben sich in den letzten zehn Jahren weiter verschärft. Diese Trends sind eine der Hautpursachen der zunehmenden Einkommensungleichheit.

Gewinne galoppieren also, doch mit ihnen galoppiert nicht das Gemeinwohl, sondern der Reichtum an der Spitze und die Armut am unteren Ende.

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Das reichste Promille – das sind in Deutschland rund 40.000 Haushalte – besitzt 16 % des Gesamtvermögens. Das reichste eine Prozent besitzt 32 %. Die ärmere Hälfte Deutschlands – 50 % der Gesamtbevölkerung  – besitzt gerade einmal 1% des Gesamtvermögens. Der Armutssockel in Deutschland bleibt stabil, er wächst sogar.

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Die Arbeitslosenquote ist von 2006 bis 2014 von 10,8 auf 6,7 % gesunken, gleichzeitig ist die Armutsquote von 14 auf 15,4 % gestiegen. Wachsender Reichtum an der Spitze, wachsende Armut unten, wo die Menschen trotz Arbeit arm bleiben und weiter arm werden. Das Eigeninteresse der Unternehmer, das Smith und die Seinen für die Grundlage des Gemeinwohls halten, erweist sich schon bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen als die eigentliche Fatalität.

► Die Entwicklungsländer: erste Opfer der Globalisierung

Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern in noch schlimmerem Maße global.

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Während die reichen Länder 300 % des Volkseinkommens im Weltdurchschnitt erhalten, kommen die Entwicklungsländer insgesamt auf nur rund 60%. Afrika-Subsahara sogar nur auf rund 20%. Und mit dem Voranschreiten des Kapitalismus in diesen Ländern steigt auch die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen. Nach Zahlen der UN und der Weltbank lebt derzeit ein Drittel der Weltbevölkerung von weniger als zwei Dollar am Tag. 800 Millionen Menschen, das Zehnfache der Bevölkerung Deutschlands, gelten als absolut arm, verfügen über weniger als 1,25 Dollar pro Tag. Wir führen hier also keine Debatte über abstrakte Fragen von Gleichheit und Gerechtigkeit, sondern es geht buchstäblich um Leben und Tod.

Mais_Genmais_Monssanto_Monsantod_gentechnisch_veraendert_1507_Gentechnik_Enzym_Phoshinothricin_cetyltransferase_Dupont_Pioneer_Risikobewertung_Herbizidtoleranz_Resistenzmonitoring.jpgDas skrupellose Verhalten der kapitalistischen Unternehmer schädigt nicht nur die Menschen, sondern immer gravierender auch die Natur. Der ökologische Fußabdruck, den die Industrieländer hinterlassen, ist verheerend größer als der Rest der Menschheit ihn hinterlässt. Die OECD-Länder stoßen so viel CO2 aus, dass sich daraus eine Summe von 570 Milliarden $ an jährlichen Klimaschulden gibt, die sich jedoch die Industrieländer, angeführt von den USA und Deutschland, bis Heute weigern, an einen internationalen Klimafonds abzuführen.

Das vielbeschworene Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen in Corporate Governance-Regeln erweist sich angesichts der Abgasskandale der Automobilindustrie, oder auch der Monsanto-Strategie der Ruinierung lokal-regionalen Saatgutes zugunsten der eigenen Monopolprodukte als absurde Heuchelei.

Dies sind nicht Auswüchse einzelner, besonders verantwortungsloser Konzerne. Es handelt sich um die generelle Politik der Industrieländer. Die Länder des Südens werden so in die globale Wirtschaft integriert, dass sie ihre Versorgungsunabhängigkeit verlieren, ihre Landwirtschaft auf Exporte ausgerichtet wird und sie selbst auf Lebensmittelimporte angewiesen sind. Mit den EPAs (Economic Partnership Agreements) der EU mit afrikanischen Ländern werden diese zu einer radikalen Marktöffnung für EU-Importe gezwungen. Allein dadurch verliert Afrika jährlich rund 20 Milliarden US-Dollar an Exporteinnahmen.

Die EU hat mit 16 Ländern in Afrika, der Karibik und im Pazifik Verträge über die Nutzung von Fischfanggebieten abgeschossen. Die Groß-Trawler der Europäer zerstören die einheimische Fischereiwirtschaft und werden dabei mit knapp einer Milliarde Euro von der EU subventioniert.

Dieses globale Ausbeutungssystem, das zu milliardenfachem Elend und zur Zerstörung der Natur führt, wird immer härter militärisch durchgesetzt. Deutschland ist übrigens fast immer bei den Kriegseinsätzen dabei. Derzeit gibt es 13 sogenannte Auslandseinsätze der Bundeswehr und im neuen Weißbuch des Verteidigungsministeriums wird gefordert, diese Militäreinsätze, diese Kriege weiter auszudehnen.[ Weißbuch 2016 als PDF_Symbol.gif im Anhang!]

Ingo Schulze hat recht, wenn er den Kapitalismus als letzte Ursache der existentiellen Probleme der Menschheit ausmacht. [Anm. ADMIN H.S.: es liegt am perversen Geldsytem was aber die Wenigsten als ursächlich verstehen!]. Max Horkheimer, einer der Begründer Frankfurter Schule, hat zu Nazi-Deutschland gesagt: "Wer nicht vom Kapitalismus reden will, der soll vom Faschismus schweigen." Heute wäre zu sagen: Wer nicht vom Kapitalismus reden will, der soll von Armut und Elend, von Naturzerstörung und Kriegen und Kriegsgefahr schweigen. In der Tat ist ein globaler Wertewandel nötig, weg vom Profitsystem, hin zu Menschen und Natur.

► Warum der Kapitalismus nicht verantwortungsvoll handeln kann – nicht gegenüber den Menschen, nicht gegenüber der Natur

Über diesen dringend notwendigen Wertewandel besteht bis weit in die Think Tanks der kapitalistischen Wissenschaft und Propaganda Einigkeit. Die Bertelsmann-Stiftung wirbt besonders intensiv um, wie der Begriff heißt, „unternehmerisch verantwortungsvolles Handeln“. Sie hat einen CRI – Corporate Responsibity Index – entwickelt und muss ihre aktuellen Ergebnisse für Deutschland so einschätzen:

Deutsche Unternehmen haben erheblichen Nachholbedarf dabei, gesellschaftliche Verantwortung strategisch und praktisch umzusetzen. In 73 % der Unternehmen befürworten zwar Vorstand und Geschäftsführung derartige Aktivitäten. Allerdings integrieren lediglich 39 % der Firmen Corporate-Responsibility-Maßnahmen in ihre Geschäftsprozesse und Wertschöpfungsketten. Die Motive für CR-Aktivitäten sind in erster Linie von wirtschaftlichen Interessen geprägt… Auch wollen Unternehmen sich damit von der Konkurrenz abheben und das eigene Image verbessern.

Ganz davon abgesehen, wie beschränkt der Index für unternehmerisch verantwortungsvolles Handeln der Bertelsmann-Stiftung auch ist – er bleibt natürlich stets bei dem Primat der Profitmaximierung – die Unternehmen bleiben noch enger bei ihrer skrupellosen Profitorientierung. In der Realität blamiert sich der propagandistische Gestus eines ethisch verantwortungsvollen Kapitalismus.

Das gilt auch für die Disziplin der Philosophie, die sich verstärkt um die Frage „Ethik und Ökonomie“ kümmert. Dort wird von einer Rangordnung der Werte gesprochen. An oberster Stelle stünden die demokratischen Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. In der Mitte kämen moralische Werte. Davon gäbe es drei Kategorien: Individualwerte wie Selbstbestimmung, Freundschaft usw. Sozialwerte wie Solidarität, Frieden, Toleranz. Ökologische Werte wie der schonende Umgang mit der Natur. Unten in der Rangfolge stünden die ökonomischen Werte wie Marktwirtschaft und Erwerbsstreben.

Annemarie Pieper stellt in der Bucerius Law School, ein weiteres Unternehmen zur moralischen Erhöhung des Kapitalismus, den Imperativ auf: „Die Menschenwürde muss zur Basis menschlichen Handelns werden“. Das ist ein sympathisches Verlangen. Ebenso sympathisch ist das Grundrecht des Artikels 14 GG, wo es heißt: „Eigentum soll dem Wohl der Allgemeinheit dienen.

Warum nur sieht die Realität so ganz anders aus? Die simple Wahrheit ist: Weil kapitalistisches Eigentum in einer kapitalistischen Marktstruktur das nicht zulässt. Der Höchstprofit ist das Kriterium für die weitere Profitfähigkeit des Kapitals. Deshalb bleibt kein Spielraum für humane, ethische Anforderungen an das Kapital.

Wo und wie soll dann der geforderte Wertewandel in der Weltwirtschaft herkommen? Die Kapitaleliten selbst sehen angesichts der wachsenden Probleme ihrer wirtschaftlichen Entwicklung offenbar keinen Anlass zur Korrektur ihrer Linie, vielmehr drängen sie auf eine Verschärfung der Rezepte:

  • Trotz anhaltend niedrigen Wachstums – der IWF (Internationaler Währungsfonds) formuliert: „Too long too low“ – „Zu lange zu niedrig“ – weigert sich die Politik in dieser „marktkonformen“ Demokratie, die Massennachfrage zu unterstützen. Stattdessen bläst sie weiter die Geldmenge auf, was zwar die Vermögenswerte – Immobilien, Aktien, Wertpapiere aller Art – nach oben treibt, aber kein reales wirtschaftliches Wachstum in Gang setzt und die wirtschaftliche Ungleichheit weiter befeuert.
  • Die Flüchtlingsfrage – heute sind über 60 Millionen auf der Flucht, in wenigen Jahren werden es hunderte Millionen sein. Sie fliehen vor Krieg und Elend und der Zerstörung der natürlichen Grundlagen ihrer Existenz. Indem sie in die westlichen Industrieländer streben, kommen sie zum Verursacher ihrer Not. Statt Programme aufzulegen zur Integration dieser Menschen, entwickelt der Westen das Programm der Abschottung gegenüber den Migranten, auch über das vieltausendfache Ertränken der Flüchtlinge im Mittelmeer oder das Abschießen an der Rio-Bravo-Grenze zwischen Mexiko und den USA.
  • Die allgemeine Wirtschaftskrise, die Flüchtlinge, die zunehmende Sorge immer größerer Teile der Bevölkerung vor weiterem sozialem und wirtschaftlichem Absturz führt bei den herrschenden Eliten nicht etwa zu Konzepten mit mehr Demokratie und mehr sozialer Gerechtigkeit, sondern ganz im Gegenteil zu einem weiteren Ruck nach Rechts. In den USA ist das vor allem zu beobachten in der Wahlkampagne von Donald Trump, einem Hybriden aus Fremdenhass und Triumphkapitalismus. In unserem Land zeigt es sich in der Übernahme der AfD-Parolen durch die CSU und die immer rechtere Positionierung von CDU und SPD. In Frankreich in dem anhaltenden Höhenzug des Front National.
  • Es wäre falsch zu meinen, die Hinwendung nach rechts sei nur eine Tendenz der Eliten. Sie wird getragen von einer wachsenden „Massenstimmung“, die sich u.a. in den Wahlerfolgen der AfD ausdrückt. Wir haben es seit langem mit einem Sockel von gut 20% Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und Autoritarismus in unserer Gesellschaft zu tun, die sich nun trauen, offen hervor zu treten. Dieses rechtsautoritäre Moment wird in den reaktionären Parteien und Bewegungen stärker werden, aber sich auch bemerkbar machen in den Programmen und Aktivitäten der konservativen und sozialdemokratischen Formationen.

► Wo soll der geforderte Wertewandel herkommen?

Wenn wir hier mal eine Bilanz ziehen, müssen wir feststellen, dass das Projekt, einen globalen Wertewandel in Richtung soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit durchzuführen, prima vista keine Konjunktur hat. Andererseits aber gibt es eine sogar wachsende Zahl von Bewegungen und Gruppen, die sich gegen die vom Kapitalismus ausgehenden Probleme wenden und auf eine Gesellschaftsveränderung drängen. Ihre Initiative, die CBG (Coordination gegen Bayer-Gefahren), legt davon Zeugnis ab. Diese Initiativen sind sich im Ziel nicht einig, aber sie kommen auf ihre je unterschiedliche Art dazu, den Gegner zu erkennen, die Ursache des Übels.

David Harvey, einer der wichtigsten linken Autoren in den USA, hat folgende Gruppen in diesem Zusammenhang aufgeführt:

  • david_harvey_neomarxismus_kapitalismus_karl_marx_soziale_gerechtigkeit_moral_profit_ausbeutung_neoliberalismus_kritisches_netzwerk_capitalism_kapitalismuskritik_capital_neoliberalism.jpgDie NGOs, also die Nichtregierungsorganisationen, die auf fast allen Feldern der Politik diese verfolgen und in die Pflicht nehmen wollen;
  • Die autonome, basisorientierte Opposition;
  • Die Bewegungen, die sich auf die Selbstverwirklichung im Dienst am anderen konzentrieren;
  • Die Arbeiterbewegung und die politische Linke;
  • Die Vielzahl sozialer und ökologischer Bewegungen;
  • Und emanzipatorische Bewegungen zu Identitätsfragen, wie Frauen, Kinder, Schwule, rassistische, ethnische und religiöse Minderheiten.

Diese Strömungen liegen zum Teil erheblich auseinander, es gibt aber ein paar allgemeine Leitlinien, über die Einigkeit besteht oder relativ schnell hergestellt werden könnte. Harveys „ko-revolutionäre Theorie“, die Ähnlichkeiten mit dem bei uns diskutierten Konzept der Mosauk-Linken(?) hat, hält die Gemeinsamkeiten so fest:

  • Der Respekt gegenüber der Natur;
  • Radikale Gleichheit in den gesellschaftlichen Beziehungen;
  • Institutionelle Arrangements, die auf einem gewissen Gespür für gemeinsame Interessen und auf Kollektiveigentum beruhen;
  • david_harvey_siebzehn_widersprueche_das_ende_des_kapitalismus_kritisches_netzwerk_gebrauchswert_tauschwert_privateigentum_reichtum_freiheit_herrschaft_exponentielles_wachstum.jpgDemokratische Verwaltungserfahrungen (im Gegensatz zu den existierenden korrupten Betrügereien);
  • Von den unmittelbaren Produzenten organisierte Arbeitsprozesse;
  • Ein Alltagsleben als freiheitliche Erkundung neuer gesellschaftlicher Beziehungen und Lebensgestaltungen;
  • Geistige Vorstellungen, die sich auf die Selbstverwirklichung im Dienst am anderen konzentrieren;
  • Sowie technologische und organisatorische Erneuerungen, die dem Allgemeinwohl dienen, statt die militarisierte Macht, die Überwachung und die unternehmerische Gier zu unterstützen.

Die Aufgabe, die ansteht, ist, diese Strömungen, die um gesellschaftliche Veränderungen ringen, zusammenzuführen und zu einer in den Grundzügen übereinstimmenden antikapitalistischen Bewegung zu machen.

Wir sind an einem Wendepunkt in der Geschichte des Kapitalismus angekommen. Jetzt muss es heißen: Der Kapitalismus selbst muss als Gesellschaftssystem in Frage gestellt werden. Die Profitwirtschaft ist die letzte Ursache der Krisen, von Elend, Krieg und Naturzerstörung.

Die Fortführung der kapitalistischen Wachstumswirtschaft wäre auch das Ende der Reproduktionsfähigkeit unseres Planeten. Die Überwindung dieses Kapitalismus ist die wesentliche Voraussetzung einer solidarischen, dem Menschen und der Natur verpflichteten Gesellschaft.

Conrad Schuhler

Vortrag bei der Veranstaltung der „ethecon – Stiftung Ethik und Ökonomie“ am 24.9.2016 in Hamburg.

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Quelle: Erstveröffentlich am 25.09.2016 bei isw-München > Artikel.

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Das isw versteht sich als Wirtschaftsforschungs-Institut, das alternativ zum neoliberalen Mainstream Analysen, Argumente und Fakten für die wissenschaftliche und soziale Auseinandersetzung anbietet. Unsere Themen und Forschungen beziehen sich deshalb in besonderem Maß auf die "Bedürfnisse" von Gewerkschaften und von sozialen, ökologischen und Friedensbewegungen. Unser Anspruch ist, Wissenschaft in verständlicher Form darzustellen und anschaulich aufzubereiten. Deshalb sind isw-Ausarbeitungen auch besonders geeignet für Unterricht und Schulungsarbeit und als Grundlage für Referate und Diskussionen. Die Mehrheit unserer LeserInnen, AbonnentInnen und Förder-Mitglieder sind Menschen, die sich in Bewegungen und Gewerkschaften engagieren.

  • Im Zentrum unserer wissenschaftlichen Analysen und Forschungsarbeit stehen Fragen und Probleme der Globalisierung, der Bewegung des transnationalen Kapitals, der Rolle und Wirkungen der Multis und transnationalen Institutionen (IWF, WTO, OECD, G7, etc).
  • Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt bilden Verteilungsfragen: Einkommens- und Vermögensverteilung, Interdependenz von privatem/gesellschaftlichem Reichtum und Armut.
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Bild- u. Grafikquellen:

1. Ingo Schulze (* 15. Dezember 1962 in Dresden) ist ein deutscher Schriftsteller. Schulze veröffentlichte unter anderem "Unsere schönen neuen Kleider. Gegen eine marktkonforme Demokratie – für demokratiekonforme Märkte", Hanser Verlag, 2012, ISBN 978-3-446-24091-9. Das Bild entstand im Dezember 2014. Foto: Fraktion Die Linke. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0). Bildausschnitt geändert, H.S.

2. Adam Smith (getauft am 5. Junijul./ 16. Juni 1723greg. in Kirkcaldy, Grafschaft Fife, Schottland; † 17. Juli 1790 in Edinburgh) war ein schottischer Moralphilosoph, Aufklärer und gilt als Begründer der klassischen Nationalökonomie. Urheber: Etching created by Cadell and Davies (1811), John Horsburgh (1828) or R.C. Bell (1872). The original depiction of Smith was created in 1787 by James Tassie. Quelle: Wikimedia Commons. Dieses Werk ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.

3. Grafik 1: Grafik 3.6 aus Garnreiter, Forschungshefte 5 (Globale Einkommensverteilung), S. 32 – ab Jahr 1980.

4. Grafik 2: Vermögens-Verteilung in Deutschland, wirtschaftsinfo 50 (Bilanz 2015, Ausblick 2016.), S. 34.

5. Grafik 3: Armutsbericht 2016 – Armutsquote 2014, wirtschaftsinfo 50 (Bilanz 2015, Ausblick 2016.), S. 35.

6. Grafik 4: Grafik 2.4 A und 2.4 B, Forschungshefte 5 (Globale Einkommensverteilung), S. 9.

7. MONSANTO - MONSANTOD. Grafik: Wilfried Kahrs / www.qpress.de .

8. VW-Skandal: Der Streit um die Millionen-Boni für die superreiche Vorstandselite bei Volkswagen zeigt exemplarisch, wie die Führung des Autokonzerns auf den Abgasbetrug und die damit verbunden massiven Verluste und zu erwartenden Strafzahlungen reagiert: Nicht der Vorstand und die Kapitaleigner, sondern die Beschäftigten und ihre Familien sollten für die Krise bezahlen. 

Das skrupellose Verhalten kapitalistischer Unternehmen wie beispielsweise VW schädigt nicht nur die Menschen, sondern immer gravierender auch die Natur. Das vielbeschworene Verantwortungsbewusstsein solcher Unternehmen in Corporate Governance-Regeln erweist sich angesichts der Abgasskandale der Automobilindustrie, oder auch der Monsanto-Strategie der Ruinierung lokal-regionalen Saatgutes zugunsten der eigenen Monopolprodukte als absurde Heuchelei. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa) / QPress.de .

david_harvey_siebzehn_widersprueche_das_ende_des_kapitalismus_kritisches_netzwerk_gebrauchswert_tauschwert_privateigentum_reichtum_freiheit_herrschaft_exponentielles_wachstum.jpg9. PROFIT TÖTET! Grafik: Wilfried Kahrs / QPress.de.

10. Buchcover: "Die Große Flucht: Ursachen, Hintergründe, Konsequenzen" von Conrad Schuhler; erschienen am 15.05.2016 im PapyRossa Verlag, Köln; ISBN 978-3-89438-601-6; EUR 12.90 (DE);

11.  David W. Harvey (* 31. Oktober 1935 in Gillingham, Kent) ist ein US-amerikanisch-britischer Humangeograph und Sozialtheoretiker. 1973 wurde er durch sein Werk Social Justice and the City zu einem führenden Verfechter neomarxistischer Ideen in der Geographie. Etwa seit Anfang/Mitte der 1980er-Jahre ist er der meistzitierte Geograph der Welt. Harvey kritisiert neoimperialistische Entwicklungen, die er als „Akkumulation durch Enteignung“ bezeichnet. Foto: Mara Daruich / I. Municipalidad de Santiago, aufgenommen 19.10.2015. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0). Bildausschnitt geändert, H.S., Lizenz bleibt.

12.+14. Buchcover: "Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus und das Ende des Kapitalismus." von David Harvey; Ullstein Verlag (München) 2015. 373 Seiten. ISBN 978-3-550-08089-0. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR, CH: 30,90 sFr.; auch als ePub ISBN 978-3-84371-071-8. Ausführliche Buchbesprechung in socialnet Rezensionen.

WORUM GEHT ES? Gibt es seit dem Ende des Kommunismus wirklich keine echten Alternativen zum Kapitalismus? David Harvey meint: Doch! Man muss allerdings das Wesen des Kapitalismus genau verstehen, um ihn durch einen revolutionären Humanismus ersetzen zu können, in dessen Zentrum nicht das Kapital, sondern der Mensch steht. Konkret untersucht Harvey die Anhäufung von Kapital, das fatale Wachstumscredo, den spekulativen Immobilienmarkt und den Raubbau an der Natur. Er beschreibt jedoch nicht nur Krisen, sondern zeigt auch Chancen auf. Denn gerade die Widersprüche im Kapitalismus können Anfangspunkte für neue politische und kulturelle Bewegungen sein. Die utopische Kraft dafür kommt aus den Städten.

WAS IST BESONDERS? Eine fundierte, realitätsnahe Kapitalismuskritik und zugleich ein Manifest des Wandels – geschrieben von einem der führenden Sozialtheoretiker der heutigen Zeit. WER LIEST? • Jeder, der die globalen Machtverhältnisse kritisch sieht • Leser von Stéphane Hessel, Michael J. Sandel, David Graeber und Thomas Piketty.

13. Buchcover: "Das Geld-Syndrom 2012 – Wege zu einer krisenfreien Wirtschaftsordnung"; aktualisierte Neuausgabe, 2014 nochmals updated! (v. Helmut Creutz) ISBN 10: 3-8107-0140-8, ISBN 13: 978-3-8107-0140-4, Druck & Verlagshaus Mainz, Wissenschaftsverlag, Aachen, Euro 16,80.

"Warum werden die weltweit vagabundierenden Geldströme immer größer, weshalb reagieren die Kurse an den Aktien- und Vermögensmärkten immer hektischer und warum bekommen die Notenbanken Geldmenge und Kaufkraft nicht in den Griff? Vielleicht haben Sie sich das auch schon gefragt, vor allem angesichts der Ereignisse in den letzten zehn Jahren, wahrscheinlich aber auch, warum wir jedes Jahr unsere Wirtschaftsleistung steigern müssen und trotzdem die Staatsverschuldungen ständig zunehmen und ebenso die Scherenöffnung zwischen Arm und Reich? -

Helmut Creutz veranschaulicht auf verblüffende Weise, wie alle diese Fehlentwicklungen mit den Strukturen unseres Geldsystems zusammenhängen und bietet sinnvolle und kompetente Lösungsvorschläge. Helmut Creutz, geboren 1923, ein erfahrener Wirtschaftspraktiker und -analytiker, hat in zahlreichen Veröffentlichungen, Vorträgen und Seminaren seine wirtschaftsanalytischen Untersuchungen dargelegt.

1990 erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität Kassel und wurde mehrfach für den Alternativen Nobelpreis vorgeschlagen. Eigentlich kann ich Helmut Creutz als den wichtigsten Lehrer meines Lebens bezeichnen. Ich denke, dass er einen Platz in der Geschichte unserer Evolution bekommen sollte."
(Prof. Dr. Margrit Kennedy, Steyerberg/A.).