Feindbilder: Referenz für die eigene Unmündigkeit
Wahlen: Kassensturz!
Von Gerhard Mersmann | Forum-M7.com
Die Koinzidenz ist wunderbar. Mit der anbrechenden Zeit des Spekulatius-Gebäcks ist synchron die Hochzeit für politische Spekulation zu verzeichnen. Die Informations- und Meinungsindustrie ist voll auf Speed und kann sich nichts Besseres wünschen. Drüben in den USA wurde das „toxische Mahl“ mit der eindeutigen Wahl Donald Trumps zum Präsidenten bereits angerichtet. Dass am selben Tag noch die Bundesregierung in die Knie ging, haben sich die Auflagenjunkies nicht zu träumen gewagt.
Jetzt gilt es. Jetzt wird rund um die Uhr gedeutet, spekuliert, geleakt, geschaltet und kommentiert. Interessant dabei ist, dass sich in dem publizistischen Milieu nichts geändert hat. Die Welt legt eine Pirouette hin und man selbst ist in seiner Vorgehensweise einbetoniert.
Hand aufs Herz! Was haben wir von der politischen Hofberichterstattung bisher erfahren? Betretenes Schweigen zum Thema der eigenen grandiosen Fehleinschätzung der amerikanischen Wahl, Spekulationen über die Ereignisse, die zum Koalitionsbruch in Deutschland führten und jede Menge Gewusel um die verschiedenen Möglichkeiten hinsichtlich der im Bundestag zu stellenden Vertrauensfrage und Neuwahlen.
• Haben Sie irgendwo etwas gelesen zu der Frage, worauf es jetzt in diesem Land ankommt?
• Wie man sich nicht in einer, sondern in vielen Fragen positionieren müsste?
• Wer welche Position tatsächlich vertritt und und als potent genug eingeschätzt wird, seine Vorstellungen zu realisieren?
Was in allen möglichen Bereichen erprobt und vorhanden ist, sei es in Industrie oder Wissenschaft, in jeder halbwegs rational und professionell geführten Organisation, sind bestimmte Instrumentarien, derer man sich in komplexen Entscheidungssituationen bedient. Das eine ist eine Portfolio-Analyse, mit der man, in Abgleich zu den real existierenden Möglichkeiten, in der Lage ist, zu priorisieren.
Das andere ist eine synoptische Übersicht, in der man, nach Themen gegliedert, ablesen kann, was verschiedene Akteure dazu anzubieten haben. Allen, die bei den bevorstehenden Wahlen nach rationalen, ihren Interessen entsprechenden Aspekten ihr Votum abzugeben gewillt sind, sei angeraten, sich mit diesen Instrumenten zu befassen und sie für sich anzuwenden. Danach kann der Kassensturz beginnen.
Die entscheidenden Kriterien, zu denen eine neue Regierung in Deutschland Position beziehen muss und aus denen sie Handlungsziele abzuleiten hat, sind
• Krieg oder Frieden,
• Energieversorgung und Standortsicherung,
• Bildungsentwicklung,
• Instandhaltung und Modernisierung der Infrastruktur,
• Neoliberalismus oder Sozialstaat,
• Rechts- oder Gesetzesstaat,
• Staatsbürgerschaft und Immigration,
• Bündniszugehörigkeit und Souveränität.
Wie ersichtlich, sind das keine Petitessen, sondern gravierende, grundsätzliche Entscheidungen, die getroffen werden müssen. Ein Slogan, der sich momentan ohne großes Federlesen aufdrängt, wäre der nach Frieden, Souveränität und Wohlstand.
Bei einer synoptischen Übersicht wird sehr schnell deutlich, worin sich die einzelnen Bewerber unterscheiden und in wiefern die Bundesrepublik überhaupt über eine Perspektive verfügt, um aus einer chronisch krisenhaften Situation herauszukommen. Wichtig wäre, sich anhand der aufgezeigten Kriterien auseinanderzusetzen, und nicht danach zu suchen, wer die Schuld am Bruch der Koalition trägt (wenn es nicht das Konstrukt selbst schon war und ist), wie schlimm jetzt alles durch den amerikanischen Präsidenten Donald Trump wird, nach dem der „Satan Putin“ bereits für viele hausgemachte Probleme herhalten musste.
Neben der Versachlichung der Positionen sollte klar sein, dass dieses Land für alles verantwortlich ist, was es tut und auch für das, was es nicht tut. Es handelt sich dabei um einen alten Satz aus der Aufklärung. Jedes Problem mit irgendwelchen Feindbildern zu erklären, ist im besten Falle eine Referenz für die eigene Unmündigkeit. Und vielleicht ist damit bereits eine Frage aufgeworfen, die zu allererst geklärt werden muss:
Tragen wir nicht die Verantwortung, für alles, was ist?
Gerhard Mersmann
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»Heute gilt es für uns alle mehr denn je mit- und füreinander da zu sein, indem wir mittels unserer Erkenntnisse, unserer kreativen Begabungen und entsprechend aller unserer Kulturen ein besseres Morgen heute zu beginnen. Das auf Sand gebaute Kartenhaus der neoliberalen Global Player fällt zusammen und wir alle müssen uns darauf einstellen, dass aggressives Gegeneinander um geostrategische Einflusssphären, um Rohstoffe, Energiequellen, Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte fast immer mit Zerstörung und Krieg endet.« (Frank Nöthlich, August 2023)
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Bertolt Brecht (Rede für den Frieden 1952)
»Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yorker von den Gräueln der Atombombe erhielt, schreckten ihn anscheinend nur wenig.
Der Hamburger ist noch umringt von den Ruinen, und doch zögert er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht nass sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.
Und doch wird nichts mich davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!
Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.«
Die richtige Seite? . . . Gegen den Krieg!
Egal von welcher Seite!
Gerhard Mersmann, Dr. phil., (Jahrgang 1956), gebürtiger Westfale, ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen.
Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Publizistische Aktivitäten durchziehen seine gesamte Biographie. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse sind auf seinem persönlichen Blog M7 regelmäßig nachzulesen. >> https://form-7.com/ .
► Quelle: Dieser Beitrag wurde am 10. November 2024 erstveröffentlicht auf https://form-7.com/ >> Artikel. Eigentümer, Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich ist Gerhard Mersmann.
ACHTUNG: Die Bilder, Grafiken, Illustrationen und Karikaturen sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten folgende Kriterien oder Lizenzen, siehe weiter unten. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt, ebenso die Komposition der Haupt- und Unterüberschrift(en) geändert.
► Bild- und Grafikquellen:
1. Karikatur: Eine Partei, die noch immer Merkelpartei ist, kann nur Verliererpartei sein. Friedrich Merz und seine Brandmauer. Olaf Scholz kann Vertrauensfrage beliebig schieben. Merz an Scholz: "Treten Sie endlich zurück!" Bildunterschrift: „Warum sollte ich? Stürzen Sie mich doch! HA. HA. HA. Dann müssen Sie aber liebstes Stück einreißen! HA. HA. HA.“
Karikatur: Copyright ©️ Götz Wiedenroth. Zur Person: Götz Wiedenroth wird 1965 in Bremen geboren, beginnt seine berufliche Laufbahn als Industrie- und Diplomkaufmann. Kaufmännische Ausbildung bei der Daimler-Benz AG, Niederlassung Hamburg. Es folgten ein Studium der Wirtschaftswissenschaften/ Betriebswirtschaftslehre an der Nordischen Universität Flensburg und der Universität Kiel, Abschluß dortselbst 1995. Beschäftigt sich während des Studiums als Kleinunternehmer mit der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Kunst, organisiert Seminare, Ausstellungen und Kongresse zum Thema Kulturmanagement auf Schloß Glücksburg in Glücksburg. Arbeitet in Flensburg seit 1995 als freier Karikaturist, Cartoonist, Illustrator und Zeichner.
Seine ersten Karikaturveröffentlichungen erscheinen 1989 in der Flensburger Tagespresse. Von 1995 bis 2001 zeichnet er täglich für den Karikaturendienst von news aktuell, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Hamburg. Von 1996 bis 2016 erscheinen landes- und lokalpolitische Karikaturen aus seiner Feder in den Tageszeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags, Flensburg.
Der von Kindheit an passionierte Zeichner erhält 1997, 2001 und 2008 Auszeichnungsurkunden des "Deutschen Preises für die politische Karikatur", verliehen durch die Akademie für Kommunikation in Baden-Württemberg, Stuttgart. >> weiterlesen. Herzlichen Dank für die Freigabe zur Veröffentlichung Ihrer Arbeiten im Kritischen Netzwerk. Quelle: Flickr und HIER.
⇒ Götz Wiedenroth (Karikaturist, Cartoonist, Illustrator und Zeichner): wiedenroth-karikatur.de/.
2. Karikatur: Olaf Scholz: Total danebenliegen bei der Erfolgseinschätzung der eigenen Politik und bei der Beliebtheit der eigenen Person: früher Zentralkomitee, heute Ampelresterampe. Schwadronierkanzler Olaf Scholz: "Nicht so viel Applaus, liebes Wahlvolk. Ich weiß, wie sehr Ihr mich liebt . . und werde, je nach Neuwahlen . . Euer Kanzler". Bildunterschrift: Virtuelle Welt für virtuell kompetente Politnasen.
Karikatur: Copyright ©️ Götz Wiedenroth. Zur Person: Götz Wiedenroth wird 1965 in Bremen geboren, beginnt seine berufliche Laufbahn als Industrie- und Diplomkaufmann. Kaufmännische Ausbildung bei der Daimler-Benz AG, Niederlassung Hamburg. Es folgten ein Studium der Wirtschaftswissenschaften/ Betriebswirtschaftslehre an der Nordischen Universität Flensburg und der Universität Kiel, Abschluß dortselbst 1995. Beschäftigt sich während des Studiums als Kleinunternehmer mit der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Kunst, organisiert Seminare, Ausstellungen und Kongresse zum Thema Kulturmanagement auf Schloß Glücksburg in Glücksburg. Arbeitet in Flensburg seit 1995 als freier Karikaturist, Cartoonist, Illustrator und Zeichner.
Seine ersten Karikaturveröffentlichungen erscheinen 1989 in der Flensburger Tagespresse. Von 1995 bis 2001 zeichnet er täglich für den Karikaturendienst von news aktuell, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Hamburg. Von 1996 bis 2016 erscheinen landes- und lokalpolitische Karikaturen aus seiner Feder in den Tageszeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags, Flensburg.
Der von Kindheit an passionierte Zeichner erhält 1997, 2001 und 2008 Auszeichnungsurkunden des "Deutschen Preises für die politische Karikatur", verliehen durch die Akademie für Kommunikation in Baden-Württemberg, Stuttgart. >> weiterlesen. Herzlichen Dank für die Freigabe zur Veröffentlichung Ihrer Arbeiten im Kritischen Netzwerk. Quelle: Flickr und HIER.
⇒ Götz Wiedenroth (Karikaturist, Cartoonist, Illustrator und Zeichner): wiedenroth-karikatur.de/.
3. Kleines Mädchen und Panzer. Unsere Geschichte ist voll von Kriegen, von Rache, Scham, Demütigung und Schuld. Dieses Gemenge ist das Hintergrundrauschen unserer Kultur, unserer Vergangenheit. So wird es uns eingetrichtert und so empfinden wir es, bewusst und unbewusst. Es äußert sich in dem betretenen Schweigen und den vielfältigen Abwehr- und Verdrängungsprozessen. Es ist nicht etwas genuin Deutsches, wie ein Blick auf mindestens die letzten 2.000 Jahre in Europa zeigt, wo sie sich abwechseln, die Imperien, Feindbilder, Kriege. Eine Geschichte vom ständigen Kampf um Macht, von Gewalt und Feindseligkeit.
Illustration: peacemedia_for_future (user_id:34131767). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Illustration.
4. PUTIN IST SCHULD! Allmachtsfantasien westlicher Demagogen: WIR sind die Guten! Neues Spiel, neues Glück! Illustration OHNE Text: geralt / Gerd Altmann, Freiburg. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Illustration. Text eingearbeitet von Helmut Schnug.
5. NO WAR. Die richtige Seite? Gegen den Krieg! Illustration: JuliusH / Julius H., Niedersachsen (user_id:3921568). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Illustration.