Putins strategische Vorsorge
Russländischer Organismus soll gewahrt bleiben!
Nachdem Wladimir Putin inzwischen als globaler Krisenmanager im internationalen Establishment angekommen ist, scheint er die Zeit für reif zu halten, für seinen Abgang 2024 vorzusorgen. Langfristige Vorsorge ist für den weiteren Bestand Russlands in der Tat extrem wichtig.
Schließlich darf nicht vergessen werden, dass das ‚System Putin‘ ein äußerst labiles war – und ist. Putin muss seinen bevorstehende Abgang, nach gut zwanzig Jahren an der Spitze des russischen Staates, klug und vorausschauend einleiten, wenn er das Erreichte nicht gefährden will.
Das Erreichte, das ist die Stabilisierung der nach dem Ende der Sowjetunion gänzlich zerrütteten Staatlichkeit Russlands. Möglich wurde die Stabilisierung auf Basis des von Putin geschaffenen Konsenses von Kräften, die bei seinem Antritt als Präsident im Jahr 2000 noch extrem auseinander trieben.
Bestandteile des Konsenses waren im Wesentlichen:
- die nach den wilden Jahren der Privatisierung wieder an die soziale Verantwortlichkeit herangeführten Oligarchen,
- die Stütze der Regierung durch „Silowiki“, Geheimdienste und Militär,
- die Unterordnung der Regionalfürsten unter das Zentrum.
Putin schaffte es, das Land in dieser Konstellation ruhig zu halten, solange die Erinnerung an die chaotischen Jahre des Zusammenbruchs die Bevölkerung noch gefangen hielt. Inzwischen sind die Jahre des Wiederaufbaus vorbei, sind junge Kräfte nachgewachsen, die auf Ablösung der autoritären Strukturen und auf Teilhabe an der Macht sowie an den Reichtümern des Landes drängen.
Vor diesem Hintergrund erscheint die von Putin angekündigte Verfassungsreform, die dem Parlament und dem Föderationsrat mehr Einfluss einräumen soll, zusammen mit dem Auswechseln der Regierung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Präsidialstruktur und der Aufwertung des bisher kaum in Erscheinung getretenen und über allen anderen Strukturen schwebenden Staatsrates, als der Versuch den Konsens der zurückliegenden Jahre über die Klippe der kommenden Wachablösung hinaus zu steuern.
Die Annahme, der Rücktritt der Regierung, insonderheit des Ministerpräsidenten Dmitri Medwedews geschähe vor allem zur Ablenkung von aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Problemen, scheint naheliegend, greift aber in dieser Gewichtung mit Sicherheit zu kurz. Im Vordergrund der Vorschläge Putins steht zweifellos die Vorsorge für die Aufrechterhaltung der langfristigen Stabilität des Landes. Da ist Medwedews Abgang gewissermaßen ein Kollateralschaden, zumal er in den Nationalen Sicherheitsrat an der Seite Putins hochgelobt wird.
Vermieden werden müssen aus Putins Sicht zwei mögliche Extreme:
Das eine Extrem bestünde in der Ablösung Putins durch einen Nachfolger aus den Reihen der „Silowiki“, der sich außenpolitisch aus der Rolle Russlands als Krisenmanager zurückzöge und innenpolitisch den labilen Konsens, insbesondere mit der nach sozialen Reformen und wirtschaftlicher Verbesserung verlangenden Bevölkerung aufkündigte.
Das andere Extrem wäre eine Schwächung des Zentrums, mit daraus folgenden zentrifugalen ‚Diadochenkämpfen‘. Die könnten nicht nur den Zusammenhalt im Lande schwächen, in sie könnte auch von außen interveniert werden.
Beide Varianten würden Russland in seiner immer noch schwierigen ökonomischen Situation, seiner grundsätzlichen Angreifbarkeit als Vielvölkerorganismus und seiner Eingespanntheit in die großen globalen Wandlungsprozesse der Gegenwart in die Gefahr eines Rückfalls auf den Stand vor dem Jahr 2000, also vor Antritt Putins als Stabilisator und globaler Krisenmanager bringen. Klar gesprochen, es würde Russland in die Gefahr bringen, doch noch zur Kolonie zu werden – inzwischen nicht mehr allein des ‚Westens‘, sondern dann möglicherweise auch des erstarkenden China.
Alle Spekulationen, Putin wolle vor allem seine eigene Macht über 2024 hinaus festigen, gehen an den Besonderheiten des nachsowjetisch-russischen Vielvölkerorganismus, der vom Konsens lebt, vorbei. Putins Vorschläge mögen vorübergehend auch seine Position stärken, zugleich stellen sie aber Weichen für die Einbeziehung neuer Kräfte in den bisherigen Konsens. Die Vorschläge haben eindeutig das Ziel, den Zusammenhalt dieses russländischen Organismus auch nach Putins Abgang zu wahren. Putin will keinen Zerfall der mühsam errungenen Stabilität hinterlassen. Ob das gelingt, wird die Zeit zeigen.
Richtig ist sicher auch, dass Putin nach seinem Abgang als ‚guter Zar‘ in der Erinnerung seiner Landsleute weiterleben möchte. Aber wer wollte ihm das verdenken.
Kai Ehlers, www@kai-ehlers.de
Vortragsangebote, für die Kai Ehlers gebucht werden kann: (>> info@kai-ehlers.de)
Aktuell:
⇒ Das Gespenst des ‚Transhumanismus‘ – Provokation, Wahnsinn oder Verbrechen?
Stichwort: Informationen über die Vision eines zukünftigen Mensch-Maschinenwesens. Denkanstöße zum lebensdienlichen Umgang mit dem Problem des Zusammenwachsens von Mensch und ‚intelligenter´ Maschine.
⇒ Russland zwischen China und dem Westen
Stichworte: Russland als Puffer zwischen alter und neuer Weltordnung?
⇒ Chinas Seidenstraße – eine neue Form des Imperialismus?
Stichwort: Entwickelt sich China nach anderen Prinzipen als die westliche Welt?
⇒ Krise des Nationalstaats – und Tendenzen seiner Entflechtung
Stichwort: Was ist Dreigliederung des sozialen Organismus und wie aktuell ist diese Idee? Können sich Demokratie, Sozialismus und Dreigliederung miteinander verbinden?
⇒ Die Kraft der „Überflüssigen“?
Stichworte: Migration, Revolte, Terror, Revolution – eine unabwendbare Reihe? Wohin treibt es die „Überflüssig“ der Welt? Kann es eine gewaltfreie Lösung der globalen Zivilisationskrise geben? Wie kann ich als „Überflüssiger“ Kräfte gewinnen?
⇒ Kündigung der Atom-Verträge und die sichtbare Zuspitzung der Weltlage
Stichwort: Prekäres globales Patt – Bedrohung oder Chance? Wenn Chance – dann wofür?
⇒ Ukraine, Syrien, Venezuela – Wüsten einer niedergehenden Weltmacht
Stichwort: Was hinterlässt die US-Strategie der verbrannten Erde?
⇒ Russland von unten
Stichwort: Unruhen in Russland. Ist ein russischer ‚Maidan‘ möglich?
⇒ Europa verteidigen? – Ja, aber gegen wen und wofür?
Stichwort: Föderalistisches Pro gegen nationalistisches Contra. Für einen föderalen Europäischen Staatenbund bei regionaler Autonomie.
⇒ Deutschland: Russland – eine Mission?
Stichwort: Kritische Bestandsaufnahme der deutsch russischen Beziehungen.
⇒ „Unseren Geist verstehen, bevor die Algorithmen dies tun und für uns entscheiden.“
Stichwort: Auseinandersetzung mit den Thesen des Zivilisationskritikers Yuval Noa Harari. Rückzug auf neue Innerlichkeit oder Öffnung zur bewussten Gestaltung der Welt?
Russland:
⇒ Was ist das Russische an Russland?
Stichwort: Vielvölkerorganismus statt Nationalstaat. Geschichte und Aktualität der russischen Gemeinschaftstraditionen. Russlands Anarchismus als Chance einer globalen Erneuerung.
⇒ Auf der Suche nach der ‚russischen Idee‘.
Stichwort: Russland auf dem Weg zu sich selbst. Gibt es einen russischen Nationalismus?
⇒ Russland: Modell Kasan
Stichwort: Beispiel für einen säkularen Islam
⇒ Russlands religiöser Pluralismus
Stichwort: Russlands nach-atheistische spirituelle Suche
⇒ Was ist das Mongolische an der Mongolei?
Stichwort: Integriert sich das nomadische Element in die globalisierte Gesellschaft?
⇒ Russland / China / Mongolei – Asiens Sprung in die Gegenwart
Stichwort: Die Entwicklung eines Kulturraumes ‚Inneres Asien‘
⇒ Angst vor Russland – warum?
Stichwort: Putin im Fadenkreuz – Warum und wie Russland das durchhalten kann. Eintauchen in die Frage der russischen Autarkie und Unberechenbarkeit.
⇒ Putin: Aggressor oder Krisenmanager?
Stichwort: Blick auf Putins Konsenspolitik
⇒ Was kommt nach Putin?
Stichwort: Putin als interner und externer Krisenmanager und seine Grenzen.
⇒ Russland – Entwicklungsland neuen Typs?
Stichwort: Nicht sozialistisch, nicht kapitalistisch – was dann?
⇒ Russland ohne Europa?
Stichwort: Ist Russland ohne Europa und Europa ohne Russland denkbar?
⇒ Von Russland lernen?
Stichwort: Impulse aus der russischen Gemeinschaftstradition. Hat Russland eine Kulturaufgabe für das 21. Jahrhundert?
⇒ Russland in Eurasien – immer noch ‚Herzland‘?
Stichwort: Annäherung an eine nach wie vor verfolgte geopolitische Zielvorgabe
Europa / Deutschland:
⇒ Ein anderes Europa ist möglich
Stichwort: Entwicklung einer auf konsequenter Subsidiarität aufgebauten Struktur eines föderalen europäischen Bundes als Ausweg aus der Krise der EU.
⇒ EU – Puffer zwischen USA und Russland?
Stichwort: EU nur ein Instrument der US-Politik?
⇒ Gibt es eine europäische Idee/Mission?
Stichwort: Führt die Krise der EU zum Ende der europäischen Wertegemeinschaft?
⇒ Deutschland zwischen allen?
Stichwort: Nachdenken über Deutschland in einer multipolaren Welt.
⇒ Deutscher Geist – Segen oder Fluch?
Stichwort: Gibt es einen spezifischen deutschen Charakter?
⇒ Nachdenken über Deutschland im globalen Koordinatenkreuz
Stichwort: Deutschland neue Führungsmacht oder Vermittler?
⇒ Deutsch-Russische Achse – Rettung oder Trauma?
Stichwort: Geschichte und mögliche Zukunft deutsch-russischer Zusammenarbeit
⇒ Deutscher Geist – Segen oder Fluch?
Stichwort: Gibt es einen spezifischen deutschen Charakter?
Grundfragen:
⇒ Staat neu denken - Krise des Nationalstaats und Perspektiven der Selbstbestimmung
Stichwort: Dreigliederung – Traum oder Ausweg aus der Zivilisationskrise?
⇒ Kulturelle Erneuerung: hat Mitteleuropa eine Aufgabe zwischen westlichem Herrschaftsanspruch und östlichem Kulturkeim?
Stichwort: Vermittlung von westlichem Individualismus und östlichen Gemeinschaftstraditionen.
⇒ Soziale Neuordnung: Grundeinkommen – Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft?
Stichwort: Ein Grundeinkommen ist zu begrüßen, wenn es von nicht staatlichen Stellenausgegeben wird und kollektive Selbstversorgung und Infrastrukturen mit einschließt.
⇒ Präventionswahn – neue Formen der Eugenik.
Stichwort: Strategien gegen die ‚Überflüssigen‘ von heute und morgen.
⇒ Heimat heute – was kann das sein?
Stichwort: Selbstbestimmung in kooperativer Gemeinschaft mit Blick auf das Ganze
⇒ Was ist am Islam so attraktiv?
Stichwort: Islam als ‚Angebot‘ einer ganzheitlichen Alternative.
⇒ Krise des Nationalstaats und Perspektiven der Dreigliederung heute
Stichwort: Ist die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus inzwischen zur historischen Notwendigkeit herangereift?
⇒ Krise des Nationalstaats?
Stichwort: Kommunalisierung, Regionalisierung, Föderalisierung, Dreigliederung von Wirtschaftsleben, Geistesleben, Rechtsleben – bilden sich heute neue Formen des sozialen Organismus heraus? Oder erlebt die Welt einen Rückfall in Nationalismus?
⇒ Migration, Revolte, Terror, Revolution – eine notwendige Reihe?
Stichwort: Kann es eine gewaltfreie Lösung der globalen Krise geben?
⇒ Kapitalismus, Sozialismus, Dreigliederung – ein Lernprozess?
Stichwort: Russische Revolution, realer Sozialismus – nur ein gescheitertes Experiment oder eine Lehre für die Zukunft?
⇒ Großbritannien / USA – Russland: eine historische Polarität.
Stichwort: Westen/Osten, Seemacht/Landmacht Neue Welt / alte Welt.
⇒ Präventionswahn – neue Formen der Eugenik.
Stichwort: Strategien gegen die ‚Überflüssigen‘ von heute und morgen.
Kulturelles und Geschichte:
⇒ Seminar zum Labyrinth: Lebendiges Denken lernen und üben:
Stichwort: Fließende Formen des Denkens kennenlernen und im Tun (Bauen und Durchschreiten und Analysieren des Labyrinthes) miteinander entwickeln und einüben. Das Labyrinth als Kraftquelle entdecken in der Auseinandersetzung mit der Digitalisierung.
⇒ Blick hinter den Eurasischen Vorhang – Darstellung und Lesung aus von mir übersetzten wiederentdeckten Epen der Wolgavölker, geschichtliche Hintergründe. (Nach Wahl einzeln oder als Gesamtbild):
- Attil und Krimkilte – Begegnung von Ost und West, erzählt aus der Perspektive der hunnischen Nachfahren Attilas. Ein spannendes Gegenbild zum Nibelungenepos Ylttanpik – der letzte Zar der Wolgabolgaren. Wie sich die Mitte der Welt durch den Sturm der Mongolen im 13. Jahrhundert nach Europa verschob. - Tanger und das Eurasische Götterpantheon – Einblick in fast vergessene Welt der eurasischen Götter.
⇒ Lebendige Geschichte: Hörspiele aus der heißen Zeit des Übergangs aus der Sowjetunion zum neuen Russland:
‚O-Töne‘ von Moskau bis Wladiwostok, von Perm bis in den Altai und die Mongolei, von der Staatsduma bis in Fabriken und Dörfer des Landes aus den Jahren 1990 bis 2004. Dabei handelt es sich um 30- bis 45-minütige Dokumentarsendungen zu den unterschiedlichsten Themen aus Politik, Kultur und Gesellschaft, entlang derer – im ergänzenden Gespräch mit mir – ein lebendiges Bild der neueren Geschichte Russlands gewonnen werden kann.
(Einsetzbar zur Verlebendigung von Veranstaltungen und im Schulunterricht)
ACHTUNG: Die Bilder und Grafiken im Artikel sind nicht Bestandteil des Artikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..
► Bild- und Grafikquellen:
1. Wappen der Russischen Föderation - Coat of Arms of the Russian Federation. Quelle: Wikimedia Commons. This work is not an object of copyright according to article 1259 of Book IV of the Civil Code of the Russian Federation No. 230-FZ of December 18, 2006. Shall not be objects of copyright: news reports on events and facts, which have a purely informational character.
2. Präsident Wladimir Putin und Dmitri Anatoljewitsch Medwedew. Urheber/Quelle/credit: kremlin.ru . Das Foto ist auch bei Wikimedia Commons verfügbar. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 4.0 international“ (CC BY 4.0).
3. Präsident Wladimir Putin ernennt Michail Mischustin zum Premierminister / Vladimir Putin with Mikhail Mishustin. Urheber/Quelle/credit: kremlin.ru . Das Foto ist auch bei Wikimedia Commons verfügbar. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 4.0 international“ (CC BY 4.0).