Vorläufige Außervollzugsetzung der 2-G-Regelung im Einzelhandel

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Vorläufige Außervollzugsetzung der 2-G-Regelung im Einzelhandel
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Vorläufige Außervollzugsetzung der 2-G-Regelung im Einzelhandel

OVG Lüneburg setzt ermutigendes Zeichen

Infektionsschutzgesetz-IfSG-Infektionsschmutzgesetz-Infektionsrisiko-Infektionsgeschehen-Infektionsrelevanz-Kritisches-Netzwerk-Grundrechte-Grundrechtseingriffe-JustizDie „Bundesklatsche“ kam erwartungsgemäß mit Ansage. Nachdem die „Bundesnotbremse“ auf Bundesebene Ende November 2021 ausgelaufen war, verlagerten sich die Zuständigkeiten hinsichtlich der juristischen Auseinandersetzungen zu den Regelungen und Maßnahmen wieder auf die Landesebenen. Der „Bundesklatsche“ folgte heute die erste „Länderklatsche“.

Das Vehikel ist allerdings nach wie vor das deutsche Infektionsschutzgesetz (IfSG), welches zuletzt durch Gesetz vom 22.11.2021 - wieder mal - geändert wurde. An der Stelle kann man sehen, dass der “Flickenteppich Deutschland” auch seine Vorzüge hat, da unterschiedliche Sichtweisen zum Tragen kommen. Darüber hinaus scheint es der Bundesregierung zuvor nicht gelungen zu sein, alle juristischen Instanzen der Republik hinreichend auf Linie zu bringen und gleichzuschalten, wie dies beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) offensichtlich der Fall ist.

Zurecht kann man sich über Sinn und Unsinn der verordneten (Zwangs-)Maßnahmen streiten. Dabei ist das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg / Niedersachsen noch recht moderat an die Sache herangegangen. Es hat nur die all zu offensichtlichen Diskrepanzen und absurden Ungereimtheiten für seine Entscheidung herangezogen. Die offizielle Pressemitteilung des OVG kann man weiter unten nachlesen.

Allein der logische Menschenverstand reicht aus, um festzustellen, dass eine Differenzierung des Einzelhandels nach täglichem Bedarf und Konsum keine geeignete Grundlage ist, irgendwelche Ungleichbehandlungen zu formulieren oder gar Grundrechte zu beschränken.

► Recht klarer Blick des Gerichts

Justitia-Justiz-Gerechtigkeit-Gewaltenteilung-Justizapparat-Rechtsstaat-Rechtsstaatlichkeit-Rechtstreue-Rechtswesen-Richteraemter-Kritisches-Netzwerk-Bundesverfassungsgericht Das OVG hebt insbesondere darauf ab, dass sich das Land Niedersachsen nicht bemüht hat, weitere Forschungsergebnisse vorzulegen - also Entscheidungsgrundlagen der Politik, die eine solche Differenzierung zur Behandlung der Menschen rechtfertigten.

Es ist nicht ersichtlich, warum die Gefahren in geschlossenen Räumen und in Sport- und Freizeiteinrichtungen anders zu bewerten sind, als im Einzelhandel. Und selbst die unterschiedliche Gefahrenlage im Handel (Lebens- und Nahrungsmittelversorger im Gegensatz zu Konsumartikelverkäufern) hat die Landesregierung nicht hinreichend belegt. Insoweit ist eine differenzierte Anwendung der Maßnahmen auf verschiedene Bereiche des Handels nicht nachvollziehbar. Und damit sind die Maßnahmen schon hinfällig.

Letztlich ein ermutigendes Zeichen in die Richtung, dass wir eben keine Gleichschaltung der Justiz in Deutschland haben. Es ist, zumindest an dieser Stelle, vermutlich aber auch in Gerichten anderer Bundesländer, ein gewisser Sach- und Fachverstand erhalten geblieben. Darüber hinaus ist es ein Signal dafür, dass der gesunde Menschenverstand in der Justiz in bestimmten Regionen noch eine Heimat hat, das RECHT dort noch verstanden und umsichtig abgewogen wird.

► Der Weg anderer Bundesländer ist damit vorgezeichnet.

An einer solchen Steilvorlage werden andere Bundesländer kaum vorbeikommen. Vielleicht finden andere Gerichte gar noch mehr Ungereimtheiten und schauen noch etwas tiefer in die nicht vorhandenen Akten, um die mangelhaften Grundlagen solcher Maßnahmen zu enttarnen.

Bayern hatte sich bereits vor der Bundesnotbremse eine Klatsche auf Landesebene gefangen. Die Landesregierung konnte für ihre Maßnahmen in 2020 ebensowenig belastbare Aktenlagen für ihre Entscheidungen vorlegen und wurde deshalb gemaßregelt. Damit verspricht es ein spannendes Weihnachtsfest der unterschiedlichsten Pandemie-Regime zu werden.

Mal sehen wann der ganze Schwindel auffliegt. Das kann so fern nicht mehr sein.

Wilfried Kahrs.

Quelle: Der Artikel erschien zuerst auf meinem Blog QPRESS.de >> weiter. Er wurde von H. S. leicht redigiert und ergänzt.

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Pressemitteilung des Niedersächsisches OVG

Vorläufige Außervollzugsetzung der 2-G-Regelung im Einzelhandel

Der 13. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom heutigen Tage [16. 12. 2021; H.S.] § 9a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 der Niedersächsischen Verordnung über infektionspräventive Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 und dessen Varianten vom 23. November 2021, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 13. Dezember 2021(im Folgenden: Corona-VO), vorläufig außer Vollzug gesetzt (Az.: 13 MN 477/21).

Diese Rechtsvorschrift ordnet in bestimmten Betrieben und Einrichtungen des Einzelhandels ein Verbot des Zutritts für Kunden an, die weder über einen Impfnachweis' noch über einen Genesenennachweis verfügen (sog. 2-G-Regelung im Einzelhandel).

Gegen diese Regelung hatte sich eine Antragstellerin, die auch in Niedersachsen Einzelhandel im Filialbetrieb mit einem Mischsortiment betreibt, mit einem Normenkontrolleilantrag gewandt und geltend gemacht, die Infektionsschutzmaßnahme sei nicht notwendig und auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar.

Dem ist der 13. Senat im Wesentlichen gefolgt. Die 2-G-Regelung im Einzelhandel in der konkreten Ausgestaltung nach § 9a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 der Corona-VO sei derzeit keine notwendige Schutzmaßnahme. Die Eignung zur Erreichung der infektiologischen Ziele sei durch die - fraglos erforderlichen - zahlreichen Ausnahmen in § 9a Abs. 1 Satz 2 Corona-VO bereits reduziert.

Allein im von der 2-G-Regelung nicht umfassten Lebensmitteleinzelhandel finde der weit überwiegende Teil täglicher Kundenkontakte statt. Auch die Erforderlichkeit sei zweifelhaft. Der Senat habe bereits mehrfach beanstandet, dass verlässliche und nachvollziehbare Feststellungen zur tatsächlichen Infektionsrelevanz des Geschehens im Einzelhandel fehlten.

Es sei nicht ersichtlich, dass die Erforschung von Infektionsumfeldern auch durch das Land Niedersachsen intensiviert worden wäre, um die Zielgenauigkeit der Schutzmaßnahmen zu erhöhen. Eine schlichte Übertragung von Erkenntnissen zum Geschehen in geschlossenen Räumen von Sport- und Freizeiteinrichtungen (vgl. hierzu die Pressemitteilung Nr. 62 vom 10.12.2021) dränge sich angesichts erheblicher Unterschiede zu dem Geschehen im Einzelhandel nicht auf.

Letzteres erscheine jedenfalls regelmäßig durch eine kürzere Verweildauer der Kunden, eine geringere Kundendichte, eine geringere Anzahl unmittelbarer Personenkontakte (Face-to-Face), geringere körperliche Aktivitäten und eine bessere Durchsetzung von Hygienekonzepten gekennzeichnet. Zudem könnten die Kunden, wie in vielen anderen Alltagssituationen, auch im Einzelhandel verpflichtet werden, eine FFP2-Maske zu tragen.

Nach neueren Erkenntnissen dürften Atemschutzmasken dieses Schutzniveaus - eine in Betrieben und Einrichtungen des Einzelhandels durchaus durchzusetzende richtige Verwendung der Maske vorausgesetzt - das Infektionsrisiko derart absenken, dass es nahezu vernachlässigt werden könne.

Auch das Robert Koch-Institut sehe in seiner ControlCOVID-Strategie zur Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22 selbst für die höchste Warnstufe nicht den Ausschluss ungeimpfter Kunden vom Einzelhandel vor. Die Corona-VO hingegen ordne die 2-G-Regelung bereits ab der Warnstufe 1 an, die durch ein mildes Infektionsgeschehen gekennzeichnet sei. Selbst bei der derzeit geltenden Warnstufe 2 erachte der Verordnungsgeber das Infektionsgeschehen als beherrschbar.

Zur Reduzierung eines solchen Infektionsgeschehens leiste die 2-G-Regelung in ihrer konkreten Ausgestaltung durch § 9a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 Corona-VO nur einen sehr geringen Beitrag. Dieser könne durch eine FFP2-Maskenpflicht auf ein für das Infektionsgeschehen irrelevantes Niveau reduziert werden. Demgegenüber stünden durchaus erhebliche Eingriffe in die Grundrechte der ungeimpften Kunden und der Betriebsinhaber.

In dieser Relation - beherrschbares Infektionsgeschehen, geringe Wirkung der Infektionsschutzmaßnahme und erhebliche Grundrechtseingriffe - erweise sich die 2-G-Regelung im Einzelhandel derzeit als unangemessen. Eine andere Bewertung gebiete - bei objektiver Betrachtung des dem Senat bekannten oder vom Land Niedersachsen präsentierten aktuellen Erkenntnisstands - auch die neue Omikron-Variante nicht.

Die 2-G-Regelung im Einzelhandel in der konkreten Ausgestaltung nach § 9a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 Corona-VO dürfte auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren sein. Nachvollziehbare sachliche Gründe dafür, dass beispielsweise zwar Gartenmarktgüter, Güter des Blumenhandels einschließlich der Güter des gärtnerischen Facheinzelhandels und Güter zur Reparatur und Instandhaltung von Elektronikgeräten zu den von der 2-G-Regelung ausgenommenen "Gütern des täglichen Bedarfs oder zur Grundversorgung der Bevölkerung" gezählt würden, aber Baumärkte uneingeschränkt der 2-G-Regelung unterworfen blieben, seien nicht erkennbar.

Schwerwiegende öffentliche Interessen, die einer vorläufigen Außervollzugsetzung der danach voraussichtlich rechtswidrigen Regelung entgegenstünden, seien nicht gegeben. Unter Berücksichtigung der in den zurückliegenden Corona-Verordnungen getroffenen Infektionsschutzmaßnahmen und des aktuellen Infektionsgeschehens auch im Land Niedersachsen sei die 2-G-Regelung im Einzelhandel kein wesentlicher Baustein in der Strategie der Pandemiebekämpfung des Landes Niedersachsen. Dies folge auch nicht aus der maßgeblich politischen Festlegung in der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 2. Dezember 2021.

Die Außervollzugsetzung der sog. 2-G-Regelung im Einzelhandel wirkt nicht nur zugunsten der Antragstellerin in diesem Verfahren. Sie ist vielmehr in ganz Niedersachsen allgemeinverbindlich.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Der Beschluss wird zeitnah in der kostenfrei zugänglichen Rechtsprechungsdatenbank der Niedersächsischen Justiz veröffentlicht. (www.rechtsprechung.niedersachsen.de/). Vor diesem Hintergrund wird gebeten, von individuellen Anfragen zur Übersendung des Beschlusses abzusehen.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Uelzener Straße 40
21335 Lüneburg

Quelle: OVG Lüneburg >> Pressemitteilung.


► Bild- und Grafikquellen:

1. Infektionsschutzgesetz (IfSG) sollte in InfektionsschMutzgesetz umbenannt werden. Grafik: Wilfried Kahrs (QPRESS.de)

2. Justitia ist die Göttin der Gerechtigkeit. Die drei Attribute Augenbinde, Waage und Richtschwert sollen somit verdeutlichen, dass das Recht ohne Ansehen der Person (Augenbinde), nach sorgfältiger Abwägung der Sachlage (Waage) gesprochen und schließlich mit der nötigen Härte (Richtschwert) durchgesetzt wird. Foto: OpenClipart-Vectors. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Grafik.