Wider§pruch: Eine Kampagne gegen Atomwaffen im Prozess

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Helmut S. - ADMIN
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Wider§pruch: Eine Kampagne gegen Atomwaffen im Prozess
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Wider§pruch: Eine Kampagne gegen Atomwaffen im Prozess

von Katja Tempel / JunepA - Jugendnetzwerk für politische Aktionen

+++Warum neun Menschen aus zum Teil sehr unterschiedlichen Lebenszusammenhängen gemeinsam einen Flugplatz für Tornados in Rheinland-Pfalz besetzen. Und dann noch über Jahre miteinander vor Gericht ziehen.+++

atomwaffenverbot_ban_nuclear_weapons_women_against_military_madness_wamm_ican_atomwaffen_kritisches_netzwerk_nukleare_abschreckung_nuklearwaffen_nukes_kernwaffen.png In einer vom Jugendnetzwerk für politische Aktionen JunepA geplanten und von Menschen aus dem Spektrum von ZUGABe (Netzwerk Ziviler Ungehorsam, Gewaltfreie Aktion, Bewegung) unterstützten Aktion gelangten wir neun Aktivist_innen an einem frühen Septembermorgen 2016 durch einen Crash-Zaun am südlichen Ende des Flugfeldes auf die mehrere Kilometer lange Start- und Landebahn des Fliegerhorsts Büchel.

Nicht einmal Sachbeschädigung war notwendig: Der Zaun ist so konstruiert, dass er bei einem Not-Crash der Tornados (hoffentlich ohne Atombomben) einfach umfällt und wenig Schaden an den Militärmaschinen anrichten soll. Auch für uns öffnet sich der Zaun mit zwei Handgriffen.

► Wir haben es geschafft:

Mit Luftballons und Transparenten gehen wir bei der Morgendämmerung auf das Militärgelände. Wir verhindern so für einige Stunden den Start von Tornado-Kriegsflugzeugen, die theoretisch jederzeit starten könnten, um eine der zwanzig dort lagernden Atombomben abzuwerfen - natürlich nur "im Verteidigungsfall".

Ständig sehen wir Militärfahrzeuge, doch wir werden nicht entdeckt. Wir benutzen unsere Rückfalloption: Blockierer_innen draußen informieren das Militär - wir wollen uns nicht in eine Situation bringen, in der wir mit Schusswaffengebrauch konfrontiert werden. Endlich werden wir entdeckt. Nach Ingewahrsamnahme durch die Bundeswehr werden wir Stunden später der Polizei übergeben. Im September 2017 findet die erste Gerichtsverhandlung am Amtsgericht Cochem statt. Das Urteil lautet auf 30 Tagessätze wegen Hausfriedensbruch - aber wir nehmen das Urteil nicht an und legen Widerspruch ein.

Wir sind alle unterschiedlich politisiert und aufgewachsen. Einige von uns leben in Widerstandsprojekten, andere studieren, eine steht voll im Berufsleben, einer hat seine Berufstätigkeit beendet und kann sich ganz dem Widerstand und der Arbeit bei der IPPNW widmen. (Abkürzung für International Physicians for the Prevention of Nuclear War; Name der deutschen Sektion IPPNW Deutschland – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V.)

Wir sind zwischen 18 und 63 Jahre (zum Tatzeitpunkt). Wir sind Anarchist_innen, Antikapitalist_innen, Anti-System-Aktivist_innen, Ökos, nutzen Klarnamen oder Pseudonyme. Wir sind Männer und Frauen und Menschen mit flexibler Zuordnung. Einige haben schon Erfahrungen mit Gerichten, andere mit Gefängnisaufenthalten. Einige betreten Neuland. Wir sind das Gegenteil von homogen. Und trotzdem verbinden uns Ideen, die bei JunepA und ZUGABe wichtig sind: Verbindlichkeit, Raum geben für Bedürfnisse, Entscheidungen nach dem Konsensprinzip. Dabei ein achtsamer Umgang mit jedem/jeder, der/die/* uns begegnet und mit uns selber.

Im Laufe der Zeit werden wir weniger. Einige entschließen sich, die Geldstrafe zu zahlen.

Zu sechst starten wir dann vor einigen Monaten die Prozesskampagne Wider§pruch - Vom Atomwaffenlager bis in den Gerichtssaal.

Uns ist klar:

Wenn wir es schaffen wollen, durch mehrere Instanzen die Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen zu thematisieren, den Zivilen Ungehorsam zu rechtfertigen bzw. ihn als legitimes Mittel gegen eine Massenvernichtungswaffe zu etablieren und gleichzeitig anderen Mut zum Handeln zu machen, brauchen wir eine Struktur. Diese geben wir uns, indem wir eine Kampagne starten, die wir für die skizzierten Ziele nutzen wollen.

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Wir etablieren unsere Strukturen angelehnt an die erfolgreiche Prozesskampagne der Gewaltfreien Aktion GÜZ (Gefechtsübungszentrum Heer formal: GefÜbZH) abschaffen: Es braucht ein Spendenkonto, eine Homepage, einen Infobriefverteiler, einen aktuellen Presseverteiler, einen Flyer und Aktive, die bereit sind, über Wochen, Monate und Jahre kontinuierlich ihre Aktion gegen die Atomwaffen in der Öffentlichkeit und vor Gericht zu vertreten. Auch in wechselnden Lebensphasen- zwei von uns halten sich gerade für mehrere Monate in Ungarn und Polen auf, wer weiß, wer noch schwanger wird, wer irgendwann einen festen Job hat.

Wir legen uns mit Bundeswehr, Polizei und Gerichten an. Dies ist der konflikthafte, konfrontative Aspekt unserer Arbeit. Gleichzeitig arbeiten wir miteinander emanzipatorisch im Sinne des konstruktiven Programms von Gandhi: Wir bilden uns gegenseitig weiter; organisieren (bisher) einen Fachtag zum Völkerrecht und dem Rechtfertigenden Notstand; wir fordern uns gegenseitig heraus, kritisieren einander, wachsen miteinander.

§ 34 Strafgesetzbuch (StGB) - Rechtfertigender Notstand: "Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden". (Erg. durch H.S.)

§ 35 StGB - Entschuldigender Notstand: (1) "Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte. (2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern". (Erg. durch H.S.)

atombombe-b61-12-nuclear-unguided-bomb-tactical-strategic-weapon-nukes-atomwaffen-kernwaffe-kritisches-netzwerk-fliegerhorst-buechel-massenvernichtungswaffe-abschreckung-nuklearkrieg.jpg Einzelne halten sich und ihre Vorstellungen manchmal zurück, wir nähern uns an, öffnen uns für andere Sichtweisen, beschäftigen uns mit Inhalten, die sonst zum Establishment gehören; wir nehmen die Rechtsbrüche in unserer Gesellschaft deutlich wahr und Einzelne sind damit auch im Konflikt mit ihrer anarchistischen Haltung: Wenn wir uns auf den Rechtfertigenden Notstand beziehen, bauen wir auf ein Regelsystem, dass Einzelne von uns eigentlich ablehnen.

Ich merke, ich kann immer wieder neu an einzelnen Punkten eine Anerkennung für bestimmte Gesetze oder auch die zum Teil sehr achtsam formulierten Passagen im Völkerrecht spüren und fühle mich damit nicht recht wohl. (Gedanken einer nicht gut im gewaltfreien Anarchismus gebildeten Autorin).

Andere von uns halten die bundesdeutsche Demokratie sicherlich für eine gute Idee und das Grundgefühl ist eher: Wir sind Kämpfer_innen für eine antimilitaristische, demokratische Bundesrepublik, die an einzelnen Punkten verbessert und nachgebessert werden muss. In dieser Ambivalenz bewegen wir uns in dieser Prozesskampagne, haben aber kaum Raum dafür, diese grundsätzlichen Unterschiede zu thematisieren. Vielmehr sind wir mit dem politischen Alltag beschäftigt. Dazu gehört einiges an "Commitment".

► Was treibt uns an?

Einige von uns haben das für Pressemitteilungen bereits formuliert: Da andere zivilgesellschaftliche und politische Initiativen zur nuklearen Abrüstung bislang weitgehend ins Leere liefen, werden Aktionen Zivilen Ungehorsams, wie die Besetzung in Büchel, zwar nicht als Allheilmittel, aber als dringend notwendigen und als legitimer Teil der Widerstandsbewegung gegen Atomwaffen angesehen.

Oder auch Fragen an uns selbst gegenüber nachfolgenden Generationen: Haben wir genug getan? Waren wir laut genug? Uns beunruhigt der Zustand der Welt so, dass wir nicht stillhalten können, sondern weiter Unruhe stiften möchten.

Gemeinsam arbeiten wir als Prozessgruppe mit Unterstützung vom Rechtshilfebüro Hamburg, der Anwaltskanzlei Mertens, der KURVE Wustrow, der IPPNW, der Kampagne Atomwaffenfrei.jetzt und Aktiven von JunepA und unterstützenden Gruppen in Koblenz, wo am Landgericht im April 2018 die erste Berufungsverhandlung stattfand.

Wir sind auf dem Weg, durch die Gerichte, aber auch durch eine neue Erfahrungswelt als generationenübergreifendes Politikprojekt. Wir sind in Bewegung und lassen uns bewegen. Wir haben einen langen Atem und viele Ressourcen - persönlich und politisch.

Wir fühlen uns den anderen Antimilitarist_innen verbunden, die gegen das GÜZ in Sachsen-Anhalt regelmässig die Bußgelder zurückweisen und vor Gericht gehen (die GWR berichtete). Auch hier entwickelt sich gerade eine neue "Gerichtsbewegung" mit einer antimilitaristischen Stoßrichtung. Uns gelingt es dabei bisher nicht, eine Struktur aufzubauen, die alle Aktivist_innen mit auffängt, die wegen Aktionen Zivilen Ungehorsams in Büchel vor Gericht stehen. Und noch weniger können wir zum jetzigen Zeitpunkt eine Unterstützung für alle antimilitaristisch aktiven Menschen anbieten, die bereit sind, ihren Widerstand auch in die Gerichte zu tragen.

Das scheitert zur Zeit noch an unseren Kräften - vielleicht wird es in Zukunft innerhalb der Kampagne "Wider§pruch" möglich sein.

Katja Tempel
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pin_green.gif "Atomwaffen – Friedenspreisträgerinnen verurteilt", Pressemitteilung von JunepA, 12. April 2018 >> weiter.

pin_green.gif "Der Mut zweier junger Atomwaffengegnerinnen vor Gericht", Bericht vom Büchel-Prozess von JunepA, 16. April 2018 >> weiter.

pin_green.gif "Retortenstadt Schnöggersburg: Das deutsche Heer probt den Bürgerkrieg" von Gregor Link, 30. April 2018 >> weiter.

Kontakt & Infos: widerspruch-atomwaffen@riseup.net

junepa - Jugendnetzwerk für politische Aktionen >> weiter.

Wider§pruch-Infobrief abonnieren!

Am 12. September 2016 haben Aktivist_innen im Rahmen einer JunepA Aktion die Startbahn am Atomwaffenstandort Büchel besetzt. Als Folge davon konnten sie vor dem Amtsgericht im Herbst 2017 ihre Motivation und die Völkerrechtswidrigkeit der Massenvernichtungswaffen deutlich machen. Sechs Entschlossene treten jetzt den Gang durch die Instanzen an. Die nächsten Prozesse finden ab April 2018 am Landgericht in Koblenz statt. "Wider§pruch - Vom Atomwaffenlager bis in den Gerichtssaal" begleitet die Sechs. Neugierig? Dann abonniere den unregelmäßig erscheinenden Infobrief der Prozesskampagne >> weiter.

Wir haben einen langem Atem und brauchen eure finanzielle Unterstützung: KURVE Wustrow, Stichwort: Widerspruch, IBAN: DE 23 4306 0967 2041 6468 01, BIC: GENODEM1GLS

Wenn ihr eine Spendenbescheinigung braucht, gebt bitte eure Anschrift an.


Quelle: Erstveröffentlicht auf graswurzel.net im Verlag Graswurzelrevolution, >> Mai 2018 >> GWR-Ausgabe 429 >> Artikel. Bei Interesse bitte GWR unterstützen - weiter. Alle hier gezeigten Bilder und Grafiken sind NICHT Bestandteil des Originalartikels, sondern wurden durch den KN-ADMIN Helmut Schnug eingearbeitet.

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1. Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft

2. tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung, in der durch Macht von unten alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschaft werden sollen.

Was bedeutet Graswurzelrevolution?

Graswurzelrevolution bezeichnet eine tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung, in der durch Macht von unten alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschafft werden sollen. Wir kämpfen für eine Welt, in der die Menschen nicht länger wegen ihres Geschlechtes oder ihrer geschlechtlichen Orientierung, ihrer Sprache, Herkunft, Überzeugung, wegen einer Behinderung, aufgrund rassistischer oder antisemitischer Vorurteile diskriminiert und benachteiligt werden.


► Bild- und Grafikquellen:

1. Atomwaffenverbotsschild: Ban Nuclear Weapons Campaign - Women Against Military Madness: WAMM is a nonviolent, feminist organization that works in solidarity with others to create a system of social equality, self-determination and justice through education, action and the empowerment of women. WAMM's purpose is to dismantle systems of militarism, economic exploitation and global oppression. WAMM supports the development and implementation of nonviolent and environmentally sound solutions to the challenges of living in a global community and on a healthy planet including reparations and reconciliation for past injustices, fair trade and just economic policies.  >> weiterlesen.

2. Transparent der Atomwaffengegener am Fliegerhorst Büchel: FOR NUCLEAR SECURITY - NO NEW NUKES! Der Fliegerhorst Büchel ist ein Fliegerhorst der deutschen Luftwaffe. Er liegt bei Büchel in der Verbandsgemeinde Ulmen im Landkreis Cochem-Zell in Rheinland-Pfalz und dient dem Taktischen Luftwaffengeschwader 33 (TaktLwG 33) als Basis. Büchel gilt angeblich als der einzige Standort in Deutschland, an dem US-Atomwaffen gelagert werden. Die deutsche Luftwaffe bildet hier im Rahmen der innerhalb der NATO vereinbarten nuklearen Teilhabe Jagdbomberpiloten für den Einsatz mit dieser Massenvernichtungswaffe aus. Foto: Friekoop / Netzwerk Friedenskooperative. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).

3. B61-12 acoustic test: Sandia Labs mechanical engineer Ryan Schultz adjusts a microphone for an acoustic test on a B61-12 system. The unit is surrounded by banks of speakers that expose it to an acoustic field. The sound pressure reaches 131 decibles, similar to a jet engine. "It is very exciting to experience first-hand the challenges of direct field acoustic testing on a large scale," Schultz says. Foto / Photo by Randy Montoya / Sandia National Laboratories >> http://www.sandia.gov. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

4. Die schwarze Fahne ist ein traditionelles anarchistisches Symbol. Die ersten schwarzen Fahnen mit politischer Symbolkraft tauchten vermutlich erstmals in Frankreich Anfang des 19. Jahrhunderts auf. Während der Juli-Revolution im Jahre 1830 und anschließend bei den Arbeiteraufständen in Lyon im Jahre 1831 wurden schwarze Fahnen verwendet, die sich als Ausdruck der Verzweiflung und der Bereitschaft zum Widerstand schon bald in ganz Frankreich durchsetzten. Urheber: Jonathan Spangler. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert“ lizenziert.