«Jeder Einzelne von uns muss seinen Teil dazu beitragen, dass sich etwas ändert, und wir müssen weiterhin alles tun, was wir können, um eine freundlichere und gerechtere Welt zu schaffen. Durch die Kraft unserer gemeinsamen Anstrengungen erreichen wir mehr als wir alleine erreichen, und wir tun es für die Vielen und nicht für die Wenigen.» (-Jeremy Corbyn, MP)
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KI-Verordnung: Trilog-Einigung hängt am seidenen Faden
Schaffen es die Trilog-Parteien morgen, sich beim Gerangel um die KI-Verordnung zu einigen? Der Druck ist groß – und könnte insbesondere das EU-Parlament dazu veranlassen, seine rote Linien zu verschieben.
– Midjourney (A robot hanging by a rope in the sky)Die Wahrscheinlichkeit, dass die Trilog-Verhandlungen am Mittwoch abgeschlossen werden, stünden bei etwa 50 Prozent. Das sagte der Chefverhandler des Europaparlaments, Dragos Tudorache, in der vergangenen Woche gegenüber Journalist:innen in Brüssel.
Das ist ein erstaunlicher Wert, wenn man bedenkt, dass die KI-Verordnung seit mehr als einem Jahr in der Mache ist. Doch noch immer streiten Parlament, Rat und Kommission um große Baustellen: um den Umgang mit sogenannten Basismodellen wie ChatGPT, um biometrische Überwachungssysteme und um die Klassifizierung von Hochrisiko-Anwendungen.
Auch der Europaabgeordnete Axel Voss (EVP) ist skeptisch, dass es morgen zu einer Einigung kommt. „Es werden schwierige Verhandlungen“, sagte Voss gegenüber netzpolitik.org. „Die schwierigsten Punkte sind weiterhin unter anderem die Regulierung der Basismodelle und das Law Enforcement.“
Würden die Verhandlungen tatsächlich scheitern, könnte sich das derzeit wichtigste Gesetzesvorhaben der EU zumindest erheblich verzögern. Die KI-Verordnung soll das weltweit erste Gesetz werden, das sogenannte Künstliche Intelligenz umfassend reguliert.
Lobbyschlacht um die Regulierung von BasismodellenDass die Entscheidung auf der Kippe steht, verdankt sich aktuell vor allem den Regierungen in Frankreich, Deutschland und Italien. Sie haben sich vor zwei Wochen dagegen ausgesprochen, gesetzliche Vorschriften für sogenannte Basismodelle zu erlassen. Stattdessen plädieren sie für „eine verpflichtende Selbstregulierung durch einen Verhaltenskodex“.
Die Regierungen der drei größten EU-Staaten wollen nach eigenen Angaben so ausschließen, dass eine Regulierung der Basismodelle europäischen Unternehmen Wettbewerbsnachteile beschere. Basismodelle sind KI-Systeme, die für verschiedene Zwecke eingesetzt werden können. So basiert etwa ChatGPT aktuell auf einem Sprach-Basismodell namens GPT-4. Solche Modelle und die mit ihnen verbundenen Risiken sind seit rund einem Jahr in aller Munde.
Dem Positionspapier war eine gewaltige Lobbyschlacht vorausgegangen. Insbesondere das deutsche Start-up Aleph Alpha und das französische Unternehmen Mistral hatten in den vergangenen Monaten enormen Druck auf ihre Regierungen ausgeübt. Mistrals Cheflobbyist Cédric O behauptete zuletzt, die Verordnung könne das Unternehmen „töten“.
Selbst Thierry Breton ist genervtCédric O hatte auch einen offenen Brief angestoßen, in dem Manager:innen großer europäischer Unternehmen davor warnen, dass „der Gesetzesentwurf die Wettbewerbsfähigkeit und die technologische Souveränität Europas gefährdet“. Unterzeichnet haben den Brief unter anderem die Geschäftsführer:innen der Deutschen Telekom und der Holtzbrinck Publishing Group sowie von Merck, TUI, Renault und Danone.
Thierry Breton zeigt sich inzwischen deutlich genervt angesichts des massiven Lobbydrucks. Der EU-Kommissar für den Binnenmarkt ist eigentlich für seine industriefreundlichen Positionen bekannt. Nun aber scheint selbst für ihn das Maß voll.
Die Big-Tech-Unternehmen und Startups wie Mistral verteidigten nicht das öffentliche Interesse, sagte Breton vor knapp zwei Wochen. Die Sorge um das Gemeinwohl müsse bei der KI-Verordnung Vorrang haben. „Ich höre lieber auf jene, die das allgemeine Interesse repräsentieren, als auf diejenigen, die Einzelinteressen vertreten.“
Kritik aus Wissenschaft und ZivilgesellschaftAuch zahlreiche Wissenschaftler:innen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen hatten in den vergangenen Wochen massive Kritik an der Position der französischen, deutschen und italienischen Regierung geübt.
Führende KI-Forscher:innen und Unternehmer:innen raten in einem offenen Brief „dringend davon ab, bei Grundlagenmodellen lediglich auf ein System der Selbstregulierung zu setzen“. Verbindliche Regeln seien „sowohl aus ökonomischen als auch aus Sicherheitsgründen wichtig“. In einem weiteren Brief fordern Expert:innen, dass „Unternehmen nicht ihre eigenen Regeln machen sollten”. Die KI-Verordnung sei „mehr als nur ein Gesetz“, nämlich „eine Aussage darüber, welche Werte wir als Europäerinnen und Europäer fördern wollen und welche Art von Gesellschaft wir aufbauen wollen.“
Auch die Datenschutzkonferenz von Bund und Ländern (DSK) zeigt sich überaus skeptisch, dass eine Selbstregulierung ohne Sanktionen ausreiche. Nur mit einer „sachgerechten Zuweisung von Verantwortlichkeiten entlang der gesamten KI-Wertschöpfungskette“ ließen sich die Grundrechte wirksam schützen, so die DSK.
Wie neue Ausnahmen die Parlamentsposition verwässern könntenDer Streit um die einflussreichen Basismodelle steht derzeit im Mittelpunkt. Doch auch in anderen Fragen gibt es noch Klärungsbedarf, etwa bei der biometrischen Überwachung. Mit ihr lassen sich Menschen identifizieren und massenhaft überwachen, gegebenenfalls auch in Echtzeit. Die Technologie bedroht damit unter anderem Privatsphäre und Versammlungsfreiheit.
Im Vorfeld des morgigen Treffens hat die spanische Ratspräsidentschaft laut Euractiv den Trilog-Partnern einen Kompromiss vorgelegt. Demnach soll die Echtzeitnutzung von biometrischer Überwachung nicht verboten werden, wie es das EU-Parlament gefordert hatte, sondern nur als „hochriskant“ eingestuft werden. Im Gegenzug soll sie nur in Ausnahmefällen und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen erfolgen. Auch die retrograde Videoüberwachung im Nachhinein will die Ratspräsidentschaft als hochriskant bewerten.
Weitere Ausnahmen sieht der Vorschlag der Ratspräsidentschaft bei Predictive Policing, Emotionserkennungs-KI und Systemen zur biometrischen Kategorisierung vor. Setzen sie Hochrisikosysteme ein, müssen Polizeibehörden diese zwar, wie vom EU-Parlament gefordert, in einer EU-Datenbank registrieren – allerdings nur in einem nicht-öffentlich einsehbaren Bereich. Und in der Regel müssen sie Betroffene über deren Einsatz auch nicht informieren. Obendrein soll es beim KI-Einsatz für die „nationale Sicherheit“ – insbesondere auf Wunsch der französischen Regierung – umfassende Ausnahmeregelung geben.
Damit aber drohen jene Verbesserungen, die das Parlament noch im vergangenen Juni beschlossen hatte, verwässert oder gar abgeräumt zu werden. Die KI-Verordnung könnte somit staatlicher biometrischer Massenüberwachung in den EU-Staaten und an den europäischen Außengrenzen den Weg ebnen, ohne dass sich Betroffene wirksam dagegen wehren können.
Ein Scheitern wäre dennoch „verantwortungslos“Aus diesem Grund warnt auch ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus 16 Nichtregierungsorganisationen rund um EDRi eindringlich davor, dass KI-Systeme zunehmend auch in Europa für staatliche Überwachung genutzt würden. Das Bündnis fordert den Rat dazu auf, den Einsatz von KI insbesondere im Bereich der Strafverfolgung, der Migrationskontrolle sowie bei nationalen Sicherheitsbehörden wirksam gesetzlich zu regeln.
Trotz der drohenden Verwässerungen wünscht sich Kilian Vieth-Ditlmann von der NGO AlgorithmWatch nicht, dass die Trilog-Einigung am Mittwoch scheitert. „Ein erfolgreicher Abschluss hängt aktuell am seidenen Faden. Und kommt es nicht zu einem tragfähigen Kompromiss, ist die Verabschiedung der gesamten KI-Verordnung in Gefahr“, so Vieth-Ditlmann. „Es wäre aber verantwortungslos, das Gesetzgebungsverfahren jetzt noch scheitern zu lassen.“
Um dies zu vermeiden, könnten die Trilog-Partner strittige Themen wie die Basismodelle oder die biometrische Videoüberwachung von einer Einigung vorläufig ausnehmen. Die belgische Regierung, die im Januar die Ratspräsidentschaft von Spanien übernimmt, müsste dann noch vor der EU-Wahl im kommenden Juni – und damit unter weiterhin hohem Druck – eine Einigung über die offenen Fragen erzielen.
Gelingt eine Einigung weder am 6. Dezember noch während der belgischen Ratspräsidentschaft, käme die KI-Verordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit nach der EU-Wahl wieder auf die Agenda. Anders als im Deutschen Bundestag müssen in der EU Gesetzesvorhaben nach einer Wahl nicht von Beginn an neu verhandelt werden. Die Trilogverhandlungen könnten daher, wenn sich die Machtverhältnisse im Parlament nicht groß verändern, den Faden sogar an gleicher Stelle wieder aufnehmen.
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Pressefreiheit in Gefahr: FragDenStaat im Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft
Die Transparenzplattform FragDenStaat ging durch die Publikation von Gerichtsdokumenten aus laufenden Verfahren bewusst ein juristisches Wagnis ein. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin gegen Projektleiter Arne Semsrott – der bereits zum Gegenschlag ansetzt.
Arne Semsrott, Projektleiter des Portals FragDenStaat kämpft für die Pressefreiheit – IMAGO / dts NachrichtenagenturSeit dem Spätsommer ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Arne Semsrott, Projektleiter und quasi Chefredakteur von FragDenStaat. Dabei geht es um amtliche Dokumente aus laufenden Strafverfahren, die die Transparenzinitiative im August veröffentlicht hatte. Obwohl die Betroffenen der Veröffentlichung zustimmten und persönlichen Daten geschwärzt wurden, betrachtet die Staatsanwaltschaft die Enthüllungen als illegal.
Mit der Veröffentlichung beabsichtigte die Initiative, unverhältnismäßige Ermittlungsmaßnahmen gegen Aktivist:innen der „Letzten Generation“ zu beleuchten. Eigentlich will man meinen, Missstände aufzudecken gehöre zum journalistischen Alltag dazu – doch die Freigabe amtlicher Dokumente aus Strafverfahren ist nach § 353d Nr. 3 StGB eine Straftat.
Kalkulierter RechtsbruchKritik an der Strafnorm besteht schon seit vielen Jahren. Den in Absatz 3 geregelten Untertatbestand hält etwa das Fachmedium „Verfassungsblog“ für besonders problematisch. Der Abschnitt setzt Medienschaffende und Pressevertreter:innen einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung aus, wenn sie vorzeitig Dokumente aus Strafverfahren offenlegen.
Dieses Risiko nahm Arne Semsrott bei der Veröffentlichung der Beschlüsse bewusst in Kauf – schon allein, weil laut FragDenStaat ein derartiges Veröffentlichungsverbot „in Bezug auf die freie Berichterstattung der Presse jedoch verfassungswidrig“ sei und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße.
Gegenüber der Süddeutschen Zeitung argumentiert Semsrott, dass durch die strikte Anwendung von § 353d Journalist:innen nicht so frei berichten können, „wie das für unsere Demokratie gut wäre“. Ähnlich sehen dies die Autor:innen vom Verfassungsblog: Die Entfernung dieser Norm aus dem Strafgesetzbuch sei gerechtfertigt, da sie sowohl verfassungs- als auch völkerrechtswidrig sei.
Diese Argumentation dürfte nun einem juristischen Stresstest ausgesetzt werden. Wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) heute bekannt gab, unterstützt sie Semsrott bei dem laufenden Verfahren und reichte eine Stellungnahme bei der Staatsanwaltschaft Berlin ein. Letztlich geht es darum zu überprüfen, ob die Strafnorm verfassungswidrig ist und gegen die Pressefreiheit verstößt.
„Journalist*innen müssen über laufende Strafverfahren berichten können, ohne selbst ins Visier der Strafverfolgung zu geraten“, sagt Benjamin Lück, Verfahrenskoordinator bei der GFF. Die Strafandrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bedeute ein zu hohes persönliches Risiko, so der Jurist: „Bundesjustizminister Marco Buschmann hat eine Entschlackung des Strafgesetzbuches angekündigt – da gehört auch diese Norm auf den Prüfstand!“
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Rüstung: Regierung hält Kosten für Kampfjet-KI geheim
Deutschland entwickelt zusammen mit Frankreich und Spanien gerade einen neuen Kampfjet. Der soll auch Künstliche Intelligenz benutzen, im August wurde dazu ein Vertrag unterzeichnet. Was darin steht oder um wie viel Geld es geht, will die zuständige Behörde lieber nicht sagen.
FCAS soll den hier abgebildeten Eurofighter Typhoon ersetzen. – CC-BY-SA 2.0 Alan WilsonDas Future Combat Air System – FCAS – ist ein gewaltiges Rüstungsprojekt, mit dem Frankreich, Deutschland und Spanien ihre Luftwaffen grundlegend modernisieren wollen. Kernstück des Projekts ist ein Kampfjet der nächsten Generation, aber das geplante System geht darüber hinaus: Die Pilot:innen sollen über eine „Combat Cloud“ mit unbemannten Drohnen vernetzt sein. Dabei soll, im Jahr 2023 wenig überraschend, auch Künstliche Intelligenz eine Rolle spielen.
Was diese Künstliche Intelligenz einmal können soll? Welche Ressourcen sie haben wird? Wie sie gebaut wird oder, ganz banal, wie teuer sie momentan schon ist oder wie teuer sie noch werden soll? Diese Fragen wollten uns weder das deutsche Verteidigungsministerium noch die beteiligten Unternehmen beantworten. Eine von uns eingereichte Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz hat die zuständige Behörde abgelehnt.
Drei beteiligte UnternehmenAber zuerst ein wenig Hintergrund: Bevor Künstliche Intelligenz eingesetzt werden kann, muss sie entwickelt werden, und dafür braucht es eine Entwicklungsumgebung. Am 7. August hat das Beschaffungsamt der Bundeswehr einen Vertrag unterzeichnet, und zwar für die Entwicklung dieser Entwicklungsumgebung – es werden also momentan die Werkzeuge gebaut, mit denen später einmal die KI gebaut werden soll. Auf Bundesseite ist für den Vertrag das Beschaffungsamt der Bundeswehr zuständig. Auf der anderen Seite steht das HIS-Konsortium, das aus drei Unternehmen besteht: Rohde & Schwarz, IBM Deutschland und Helsing, ein deutsch-britisches KI-Start-up mit Sitz in München.
Zwei dieser drei Unternehmen sind alteingesessen, das dritte dagegen ganz frisch: Helsing wurde erst vor zwei Jahren gegründet, diesen September bewerteten Investor:innen das Unternehmen aber bereits mit 1,8 Milliarden Euro. Es wurde damit zum ersten sogenannten „Unicorn“ im europäischen Verteidigungsbereich. Der FCAS-Vertrag ist auch nicht der erste große Vertrag, der an Helsing ging: Das Unternehmen soll auch den aktuellen Kampfjet der deutschen Luftwaffe, den Eurofighter Typhoon, mit KI-Fähigkeiten ausstatten. Der Jet soll dann Daten aus verschiedenen Sensoren sammeln und auswerten können.
Keine genauen Infos im HaushaltWir haben bei den beteiligten Unternehmen und dem Bundesverteidigungsministerium angefragt, ob sie uns mehr Details zu dem Vertrag nennen können. Die Antwort darauf war ein eindeutiges Nein. Man habe untereinander abgestimmt, über eine Pressemitteilung hinaus nicht über den Vertrag zu kommunizieren.
Nun kann man sich über Geld, dass die Bundesregierung – oder hier das Beschaffungsamt im Auftrag des Verteidigungsministeriums – ausgibt, noch an einer anderen Stelle informieren: im Bundeshaushalt. Im Haushalt für 2023, um den es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November noch einmal so viel Aufregung gab, taucht FCAS zwei Mal auf: Das Verteidigungsministerium hatte für die Entwicklung des Kampfjet-Kernstücks, dem Next Generation Weapon System, 462 Millionen Euro vorgesehen. Im 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr waren 478 Millionen Euro für das Projekt eingeplant.
Wofür genau diese Mittel verwendet werden sollten, steht in den Plänen nicht. Sollte es über die allgemeine Auflistung hinaus weitere Erläuterungen geben, dann wären diese als geheime Verschlusssache eingestuft, heißt es auf unsere Anfrage vom Bundestag. Einzelne Verträge würden dem Bundestag vorgelegt, wenn sie über 25 Millionen Euro wert sind. Das sei in dieser Legislaturperiode bei FCAS schon mehrere Male passiert, dabei sei es um vorbereitende Studien gegangen. Diese „25-Millionen-Vorlagen“ seien aber ebenfalls eingestuft und könnten nicht herausgegeben werden.
IFG-Anfrage abgelehntDer Einsatz von KI im Militär ist ein brenzliges Thema. Das haben anscheinend auch Airbus und ein Fraunhofer-Institut erkannt, die gemeinsam technologische Grundlagen für FCAS entwickelt haben. Sie haben vor einigen Jahren die „Arbeitsgemeinschaft Technikverantwortung“ gegründet, die die Entwicklung des Systems begleiten und beraten soll. Beteiligt sind dabei Vertreter:innen aus der Industrie und Militär, aber auch Forschende zu Geschichte, Politik und Ethik. Mit konkreten Aufträgen hätte das Gremium aber nichts zu tun, sagte ein Mitglied auf Anfrage von netzpolitik.org – also auch keine weiteren Details zum KI-Vertrag.
Damit blieb noch ein Weg übrig, potenziell mehr über den Vertrag zu erfahren: Eine Anfrage per Informationsfreiheitsgesetz. Die haben wir im September an das Beschaffungsamt geschickt, im Oktober kam die Ablehnung zurück. Das Amt hat ganz korrekt das HIS-Konsortium in ein Drittbeteiligungsverfahren eingebunden und meldet, die beteiligten Unternehmen hätten darin ausdrücklich keine Einwilligung zur Veröffentlichung erteilt. Interessant hier: Das Beschaffungsamt erwähnt nur noch zwei Unternehmen, nämlich Helsing und Rohde & Schwarz. IBM Deutschland wurde anscheinend nicht miteinbezogen.
Das Konsortium habe sein „erhebliches Interesse“ an der Geheimhaltung des Vertrags bereits während der Verhandlungen bekundet, heißt es im Schreiben der Behörde. „Dieser Geheimhaltungswille spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass sich die Parteien vertraglich dazu verpflichtet haben, den gesamten Vertrag, einschließlich der Anlagen, vertraulich zu halten.“ Dieser Einschätzung stimme man zu, es bestehe ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse. Die detaillierten im Vertrag enthaltenen Informationen könnten die Wettbewerbsposition der Unternehmen nachteilig beeinflussen. Wir haben gegen diese Entscheidung Widerspruch eingelegt, auch den hat das Beschaffungsamt bereits abgelehnt.
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Nach 100 Tagen: Große Internetkonzerne ignorieren Digital Services Act
Verbraucherschützer:innen haben sich angesehen, wie gut große Online-Dienste den Digital Services Act umsetzen. Offenkundig nicht gut genug: Manipulative Designtricks und mangelnde Werbetransparenz sind immer noch weit verbreitet.
Für sehr große Internetkonzerne gilt der Digital Services Act heute schon – und er wird oft ignoriert, haben Verbraucherschützer:innen herausgefunden. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com James YaremaEigentlich soll der Digital Services Act (DSA, auf Deutsch „Gesetz über digitale Dienste“) Schluss machen mit manipulativen und undurchsichtigen Praktiken auf großen Online-Diensten. Doch seit das EU-Gesetz vor 100 Tagen in Kraft getreten ist, setzen große Anbieter wie Google, Amazon oder TikTok die Vorgaben immer noch nicht ausreichend um. Das geht aus einer Untersuchung des Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) hervor, der ein Dutzend Anbieter sehr großer Online-Plattformen und Suchmaschinen näher unter die Lupe genommen hat.
Demnach verwenden die Anbieter weiterhin täuschende Designelemente, sogenannte Dark Patterns, die Nutzer:innen bewusst in ihrem Verhalten- oder Wahrnehmungsmuster beeinflussen können. Ramona Pop, Vorständin des Vzbv, reagiert auf die Ergebnisse mit Unverständnis. Es sei „wirklich erstaunlich, mit welcher Beharrlichkeit Unternehmen die geltenden Gesetze missachten oder nur halbherzig umsetzen.“ Sie fordert, dass Verbraucher:innen besser vor intransparenten Geschäftsmodellen und Dark Patterns geschützt werden.
Mängel bei WerbetransparenzAuch bei der Einhaltung der vorgeschriebenen Werbetransparenz entdeckten die Verbraucherschützer:innen teils gravierende Mängel. Gegenstand der Untersuchung waren in diesem Fall Instagram, Snapchat, TikTok und X (Twitter). Demnach erfüllt etwa keiner der geprüften Anbieter die Anforderung, Verbraucher:innen verständlich und leicht zugänglich darüber zu informieren, nach welchen Kriterien eine eingeblendete Werbeanzeige platziert wurde. Um diese Informationen zu erhalten, sollte ein direkter Klick auf die Werbung ausreichen. Snapchat hat der Untersuchung zufolge sogar vollständig dabei versagt, Werbeanzeigen als solche auszuweisen.
Die Umsetzung der neuen Bestimmungen wurde vom Vzbv anhand von zwölf ausgewählten Anbietern untersucht. Alle davon hatte die EU-Kommission im April als sogenannte „very large online platforms“ (VLOP) oder „very large online search enginges“ (VLOSE) eingestuft. Für sie gelten strengere Regeln als für kleinere Anbieter, zudem müssen sie sich jetzt schon an das Gesetz halten.
Vollständig in Kraft treten wird der DSA erst im Februar nächsten Jahres. Bis dahin müssen nicht nur Online-Dienste, sondern auch die EU-Länder ihre Hausaufgaben erledigen – und vor allem eine arbeitsfähige Aufsicht einrichten. Dabei könnte es knapp werden: So ringt etwa die deutsche Regierung bis heute ergebnislos mit der Frage, welche Behörden die Bundesnetzagentur bei der Aufsicht unterstützen sollen.
Für Ramona Pop macht die Untersuchung einmal mehr klar: „Um den Schutz der Verbraucher:innen wirklich sicherzustellen, muss die Bundesregierung auch national eine möglichst zentrale und schlagkräftige Aufsicht aller Online-Plattform einrichten.“
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EU: Parlament und Rat ringen um Recht auf Reparatur
Die Europäische Union will Elektrogeräten ein längeres Leben schenken, um die Verschwendung von Ressourcen einzudämmen. Möglich machen soll dies ein „Recht auf Reparatur“, das derzeit in Brüssel verhandelt wird. Die entscheidenden Trilog-Verhandlungen beginnen am Donnerstag.
Künftig soll dieses Smartphone leichter zu reparieren sein. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Agê Barros / UnsplashFast einstimmig votierte das Europäische Parlament am 21. November für einen Gesetzentwurf, der ein Recht auf Reparatur einführen soll. Damit soll es künftig einfacher und attraktiver sein, Produkte zu reparieren, statt diese zu entsorgen und neu zu kaufen. Im Fokus stehen vor allem Elektrogeräte.
In der gleichen Woche wie das Parlament einigte sich auch der Ministerrat, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten sind, auf seine Position. Beiden Beschlüssen liegt der im März veröffentlichte Verordnungsentwurf der EU-Kommission zugrunde, den vor allem Umwelt- und Verbraucherschützer*innen als enttäuschend bewerteten.
Am Donnerstag gehen die Verhandlungen um ein Recht auf Reparatur mit den Trilog-Verhandlungen in die nächste Runde. Die Einigung wird vermutlich nicht leicht. Denn das Parlament zeigt sich bislang deutlich ambitionierter als der Rat. Von dessen Vorgaben würden vor allem unabhängige Reparaturwerkstätten, ehrenamtliche Initiativen wie Repair-Cafés sowie Menschen, die ihre Geräte selbst reparieren möchten, profitieren.
Ersatzteile für alleWer heute selbst eine Reparatur vornehmen oder dafür eine unabhängige Werkstatt aufsuchen möchte, scheitert oft an fehlenden oder teuren Ersatzteilen. Viele Menschen entscheiden sich daher dagegen, ihre defekten Geräte instand zu setzen.
Das EU-Parlament fordert aus diesem Grund, dass Unternehmen Ersatzteile und Reparaturanleitungen zu „angemessenen Preisen“ zur Verfügung stellen müssen – bis auf Weiteres allerdings nur für bestimmte Produktgruppen wie Waschmaschinen, Staubsauger, Smartphones oder Fahrräder.
Derzeit erschweren es einige Hersteller noch gezielt, dass Nutzer*innen ihre Geräte reparieren können. So ist etwa der Funktionsumfang einiger Smartphones deutlich eingeschränkt, wenn Nutzer*innen günstigere Akkus von Drittanbietern einsetzen. Derartige Praktiken will das EU-Parlament künftig unterbinden.
Auch will es Mitgliedsstaaten dazu auffordern, finanzielle Anreize zu setzen, etwa durch Reparaturgutscheine. Ähnliches gibt es bereits in Österreich und in Thüringen.
Reparaturpflicht für Händler und HerstellerDarüber hinaus sollen Händler dazu verpflichtet werden, Produkte innerhalb der gesetzlichen Gewährleistungszeit, also innerhalb der ersten zwei Jahre nach deren Kauf, kostenlos reparieren zu müssen. Allerdings würde diese Pflicht nur greifen, wenn eine solche Reparatur technisch möglich und obendrein kostengünstiger ist, als das defekte Gerät gegen ein neues Produkt auszutauschen. Nach einer Reparatur verlängert sich die Gewährleistung einmalig um ein weiteres Jahr.
Die Händler stehen hier aber nur in der Pflicht, wenn ein*e Kund*in den Schaden nicht selbst verursacht hat. Doch auch dann sowie nach Ablauf der Gewährleistung sollen die Hersteller künftig kostenpflichtige Reparaturen anbieten müssen. Auch diese Regelung betrifft aber zunächst nur verschiedene Haushaltsgeräte, Smartphones, Fahrräder und einige weitere Produkte. Ist eine Reparatur nicht möglich, kann ein Unternehmen seinen Kund*innen ein gebrauchtes und bereits repariertes Ersatzgerät anbieten.
Warum wir endlich eine Kreislaufgesellschaft brauchen
Damit Verbraucher*innen Reparaturangebote leichter finden und miteinander vergleichen können, soll eine entsprechende Online-Plattform ins Leben gerufen werden. Auch sollen Anbieter unter anderem den Preis und die Dauer von Reparaturen transparent machen müssen.
Der deutsche EU-Abgeordnete René Repasi (S&D), der Berichterstatter für das Gesetz ist, äußerte sich zufrieden über den Beschluss des Parlaments: „Die Leute wollen die Lebensdauer ihrer Geräte verlängern, aber das ist oft zu kostspielig oder zu kompliziert. Wir haben eine Reihe von Maßnahmen verabschiedet, damit Verbraucherinnen und Verbraucher sich für eine Reparatur statt für ein neues Gerät entscheiden. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Unterstützung unabhängiger Werkstätten und auf finanziellen Anreizen.“
Ausstehende Einigung im TrilogBevor das Recht auf Reparatur aber EU-weites Gesetz wird, muss sich das Parlament zunächst mit dem Ministerrat auf einen gemeinsamen Verordnungsentwurf einigen. Dessen Forderungen bleiben an entscheidenden Stellen hinter jenen des Parlaments zurück.
So finden sich in der Ratsposition keine Maßnahmen dazu, um den Zugang zu Ersatzteilen und Reparaturanleitungen zu erleichtern. Auch will der Rat Praktiken nicht verbieten, mit denen Hersteller es erschweren, dass ihre Produkte repariert werden. Darüber hinaus möchte er es den Kund*innen überlassen, ob sie eine Reparatur oder ein neues Produkt einfordern können, wenn sie innerhalb der Gewährleistungszeit einen Mangel reklamieren. Und im Gegensatz zum Parlament fordert der Rat, dass nicht nur die Ersatzteile, sondern auch die Reparaturen durch die Hersteller zu einem „angemessenen Preis“ erfolgen.
Wie auch immer die Trilog-Verhandlungen ausgehen, steht jetzt schon fest, dass die EU die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen wird, Reparaturen für ihre Produkte anzubieten. Offen ist derzeit aber noch, ob die Reparaturen künftig günstiger werden und ob es einfacher wird, sie selbst durchzuführen.
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Wegen Video-Sperrung: Aktionskünstler mahnen Bundesregierung ab
Der Streit um das Deepfake-Video des Zentrums für Politische Schönheit geht weiter. Die Aktionskunstgruppe wehrt sich nun juristisch gegen die Sperrung des Videos auf Instagram und YouTube – und setzt die Bundesregierung mit einer Abmahnung unter Druck.
Vor dem Bundeskanzleramt hat das Kunstkollektiv eine Installation aufgestellt, in der sie ein Verbot der AfD fordern. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Christian EnderNachdem die Bundesregierung das Video von Aktionskünstlern wegen einer angeblichen Verletzung von Marken- und Urheberrechten bei Instagram und YouTube hat sperren lassen, haben die Künstler im Gegenzug die Bundesregierung abgemahnt. Sie sehen in der Maßnahme eine Zensur ihrer Kunst.
Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) hat deswegen am Freitagnachmittag der Bundesregierung eine Abmahnung und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zugestellt. Das erklärte ein Sprecher der Künstlergruppe beim Podcast Logbuch:Netzpolitik, auch netzpolitik.org konnte die Abmahnung einsehen.
Gegenstand des Streits ist ein Video, in dem Bundeskanzler Olaf Scholz vermeintlich das Verbot der rechtsradikalen Partei AfD ankündigt. Das Video ist Teil der Kampagne afd-verbot.de, in der verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD in einem Archiv beleuchtet werden. Die Bundesregierung reagierte verärgert auf das Werk der Künstler, monierte Manipulation und versuchte in der Folge, das Video auf den Plattformen Instagram, Youtube, Twitter/X und Facebook wegen Marken- und Urheberrechtsverletzungen zu melden und dadurch löschen zu lassen.
Instagram sperrte das Video, weil dort das Flaggenstab-Logo des Kanzlers genutzt wurde, eine angebliche Markenrechtsverletzung. YouTube hingegen sperrte das Video unter Berufung auf eine Urheberrechtsverletzung, weil dort das Video von Scholz’ Ukraine-Rede genutzt würde. ZPS lud das Video in einer leicht veränderten Version wieder hoch, das Original ist noch bei Twitter/X zu sehen.
Urheberrecht der Bundesregierung fraglichIn der Abmahnung heißt es, markenrechtliche Ansprüche wegen der Wiedergabe des Flaggenstabs würden bereits daran scheitern, dass das ZPS nicht im geschäftlichen Verkehr handeln würde. Stattdessen nutze das ZPS es zu „genuin künstlerischen Zwecken und zum Zwecke der öffentlichen und privaten Meinungsbildung im Kernbereich der Demokratie“.
Auch urheberrechtliche Ansprüche des Bundes würden ausscheiden, so die Abmahnung. Die Ansprache von Olaf Scholz und die Laufbilder, die das ZPS als Vorlage für das Video verwendet habe, seien „als amtliche Werke im Sinne des § 5 Abs. 2 UrhG zu werten“. Es handele sich bei der Umgestaltung durch die Künstler um eine für „jedermann erkennbare Parodie im Sinne des § 51a UrhG, die als Satire in den Schutzbereich der grundgesetzlich geschützten Kunstfreiheit fällt“.
Darüber hinaus genieße das Video gemäß § 3 UrhG Werkcharakter, da der Anteil des ZPS an dem Video Schöpfungshöhe aufweise. Ist die Schöpfungshöhe eines urheberrechtlichen Werkes im Sinne von Originalität und Kreativität erreicht, greift der urheberrechtliche Schutz für die ZPS-Künstler, die ein eigenes Kunstwerk geschaffen hätten. Laut der Abmahnung bestünden deshalb keine marken- oder urheberrechtlichen Ansprüche des Bundes. Die Meldungen bei YouTube und Instagram seien unzulässig.
Das ZPS fordert deswegen die Bundesregierung auf, die Meldungen gegenüber den Plattformen zurückzunehmen, so dass das Video wieder abrufbar ist. Weil Wiederholungsgefahr bestehe, soll die Bundesregierung zudem eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben, heißt es in der Abmahnung. In dieser Unterlassungserklärung würde sie unterschreiben, dass sie es in Zukunft unterlässt, unwahre Behauptungen gegenüber YouTube und anderen Plattformen zu vermeintlich bestehenden Urheberrechten zu äußern. Bei Zuwiderhandlung drohe dann jeweils eine Strafe von mindestens 5.500 Euro. Sollte die Bundesregierung die Unterlassungserklärung nicht bis Dienstag um 15 Uhr abgeben, können die Künstler versuchen vor Gericht gegen die Bundesregierung vorzugehen, etwa um eine einstweilige Verfügung zu erwirken.
Ein Sprecher des Zentrums für Politische Schönheit sagte gegenüber netzpolitik.org: „Wir erwarten, dass Herr Hebestreit und das Bundespresseamt mit diesem unwürdigen Zensur-Theater aufhören und die Unterlassung unterschreiben.“ Steffen Hebestreit, Regierungssprecher der Bundesregierung, hatte die Satireaktion in der Bundespressekonferenz kritisiert und rechtliche Konsequenzen in den Raum gestellt.
Urheberrecht als ZensurinstrumentDer Anwalt und Urheberrechtsfachmann Till Kreutzer nannte schon vergangene Woche gegenüber netzpolitik.org den Einsatz des Urheberrechts gegen dieses Video „Quatsch“. Das Urheberrecht diene ja normalerweise dazu, dass Künstlerinnen und Autoren für ihre Werke angemessen vergütet werden. Im Fall des ZPS würde das Urheberrecht vom Staat aber als „Zensurinstrument“ genutzt, so Kreutzer.
Die Bundesregierung selbst wies am Freitag in der Bundespressekonferenz den Zensurvorwurf zurück und brachte stattdessen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattformen vor. „Wir haben niemanden irgendwie angewiesen, da irgendetwas zu tun“, sagte die Regierungssprecherin Hoffmann. „Wir haben den Plattformen gemeldet, dass diese Videos nach unserem Verständnis gegen die AGB der Plattformen verstoßen.“ Auf die mehrfache Rückfrage von Journalisten, welches Urheberrecht denn verletzt sei, antwortete die Sprecherin ausweichend und wies auf „verschiedene problematische Aspekte“ hin. „Wo Bundesregierung draufsteht, muss auch Bundesregierung drin sein“, so die Sprecherin weiter.
Google/YouTube hat eine Presseanfrage von netzpolitik.org trotz Rückfrage seit Tagen nicht beantwortet. In einer ersten Antwort hatte sich der Konzern wegen der Zeitverschiebung mehr Zeit erbeten.
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Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!: Warum Gewinne von Wissenschaftsverlagen die Gesellschaft doppelt kosten
Frei geteiltes Wissen nützt der Gesellschaft besonders. Dem stehen die Geschäftsmodelle von Wissenschaftsverlagen im Weg. Warum aber Open Access nicht automatisch für freies Wissen sorgt und welche Ansätze es gibt, um mehr Wissen zugänglich zu machen, analysiert Aline Blankertz.
Offenere Wissenschaft ist gut, aber das allein reicht nicht. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Hans ReniersVor dem Internet haben vor allem wissenschaftliche Verlage die Erkenntnisse öffentlich finanzierter Wissenschaft publiziert: Sie erhielten Artikel von Wissenschaftler*innen, ließen sie begutachten und veröffentlichten sie in gedruckten Zeitschriften. Bibliotheken abonnierten diese Zeitschriften, damit Forschende und Studierende auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft aufbauen konnten.
Offenere Wissenschaft durch Digitalisierung?Mit der Digitalisierung sollte die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse viel günstiger werden, da aufwändige Verlagsprozesse wie Druck und Eintrag in Datenbanken deutlich einfacher wurden. Diese Kostensenkung hat den Markt für Wissenschaftsverlage enorm konzentriert und hochprofitabel gemacht: Allein Elsevier, einer der größten Verlage, hat 2022 einen Gewinn von über einer Milliarde Euro erwirtschaftet, und das mit einer Gewinnmarge von 38 Prozent.
Weitere große Verlage folgen der gleichen Tendenz, zum Beispiel Springer Nature mit einer Marge von 27 Prozent und Wiley mit 23 Prozent. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Marge der fünf großen Tech-Konzerne Alphabet, Apple, Meta, Amazon und Microsoft belief sich 2022 auf 21 Prozent.
Mit den großen Plattformen haben die Verlage nicht nur ihre beachtliche Profitabilität gemeinsam, sondern auch Teile des Geschäftsmodells. So wie Plattformen Anbieter*innen und Käufer*innen oder Werbende und Nutzende zusammenbringen, bedienen Verlage Wissenschaftler*innen in verschiedenen Funktionen: als Autor*innen, Leser*innen und als Gutachter*innen, die die eingereichten Artikel beurteilen.
Alle Seiten wollen, dass die jeweils anderen Seiten möglichst gut vertreten sind, das sind die sogenannten Netzwerkeffekte. So können die Verlage von mehreren Seiten Geld verlangen.
Das etablierte Geschäftsmodell der Verlage war, für die veröffentlichten Zeitschriften bei den Leser*innen eine Abo-Gebühr zu verlangen. Üblicherweise waren das staatlich finanzierten Bibliotheken. Dieses Modell zog zunehmend Kritik auf sich, unter anderem wegen steil steigender Abo-Preise. Für Forschende an weniger gut finanziell ausgestatteten Einrichtungen, insbesondere außerhalb von Industrieländern, waren die nicht bezahlbar.
Die Antwort darauf sollte Open Access sein. Open-Access-Publikationen sind frei zugänglich für die wissenschaftliche Community und sogar die breite Öffentlichkeit. Damit wird Wissen viel freier geteilt und erlaubt einen offenen Austausch jenseits von Paywalls. Doch dafür nehmen die Verlage Geld von den Autor*innen der Artikel, die sie veröffentlichen. Diese Gebühren, die „Article Processing Charges“, stellen weiterhin sicher, dass Wissenschaftsverlage exorbitante Gewinne erwirtschaften.
Offenheit ist nicht genugOpen Access verbreitet sich zunehmend. Aktuelle Schätzungen gehen von der Hälfte der Neuveröffentlichungen aus. Doch das Open-Access-Modell löst nicht alle Probleme: Weiterhin sind es nur wenige Verlage, die einen Großteil des Marktes kontrollieren und aufgrund ihrer etablierten Reputation weiterhin die besten Artikel anziehen.
Je besser das Ansehen, umso höher der Preis: Einige Zeitschriften von Springer Nature haben 2021 9.500 Euro für jeden veröffentlichten Artikel verlangt. Solche Preise machen es insbesondere jüngeren Forschenden und solchen aus weniger reichen Ländern oder Institutionen nahezu unmöglich, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen und zum geteilten Wissen beizutragen. Die tatsächlichen Kosten für eine Veröffentlichung werden auf etwa 400 US-Dollar geschätzt. Denn der Hauptaufwand, die Begutachtung der Einreichungen, erfolgt ehrenamtlich.
Hinzu kommt, dass statt eines qualitativ hochwertigen Wettbewerbs neue Zeitschriften sprießen, die gern verzweifelten Wissenschaftler*innen Geld abknöpfen für eine fragwürdige Begutachtung. Solche „Predatory Journals“ fluten den Markt mit Veröffentlichungen, in einem Fall mit 187.000 Artikeln in 17.000 Spezialausgaben in nur einem Jahr. Das wiederum senkt die durchschnittliche Qualität veröffentlichter Artikel und erschwert es neuen Zeitschriften, sich von Predatory Journals abzuheben und sich am Markt durchzusetzen.
Während der Zugang zu Erkenntnissen unter Open Access kein Problem mehr ist, ist es der Zugang zur Veröffentlichung: Forschende mit begrenzten Ressourcen müssen sich zwischen überteuerten etablierten Zeitschriften und qualitativ fragwürdigen, bezahlbareren Alternativen entscheiden.
Für die Verlage sind beide Varianten außerordentlich lukrativ. Denn Steuerzahlende kommen gleich doppelt für sie auf: Die meisten Artikel in Zeitschriften basieren auf öffentlich finanzierter Forschung. Und unabhängig davon, ob die Forschenden für die Veröffentlichung oder den Zugang zu Veröffentlichungen zahlen, fällt es auf die öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen und Bibliotheken zurück.
Für eine offene, unabhängige WissenschaftDie Problematik ist auch in Deutschland bekannt. Doch wie man dagegen vorgehen sollte, ist noch unklar. In einem Fall haben 40 Verleger*innen als Reaktion auf überhöhte Veröffentlichungsgebühren Elsevier verlassen, um nicht-gewinnorientierte Alternativen aufzubauen.
Mehrere Länder verhandeln mit den großen Verlagen, damit einzelne Universitäten nicht von den Forderungen überrumpelt werden. 2018 eskalierten diese Verhandlungen in mehreren europäischen Ländern insbesondere wegen Vorbehalte der Verlage gegenüber den Open-Access-Wünschen der Forschenden und kamen teilweise erst 2023 zu einem Abschluss.
Zudem setzen sich viele Beteiligte dafür ein, das „Platin-Modell“ von Open Access weiter durchzusetzen: Hier übernehmen öffentliche Einrichtungen, Zusammenschlüsse von Universitäten oder anders geformte wissenschaftliche Gruppen die Qualitätskontrolle selbst und vermeiden so Veröffentlichungs- und Abogebühren.
Die Forschungsförderung kann noch stärker die frei zugängliche Veröffentlichung von Ergebnissen zur Bedingung für Finanzierung machen, um so auch etablierte Forschende dazu zu bewegen, nicht weiterhin in aktuell noch angesehenen „geschlossenen“ Zeitschriften zu veröffentlichen.
Ein weiterer Hebel erscheint besonders gut geeignet, um die Exzesse der Verlage zu beschränken: Bei Online-Plattformen haben die Untersuchungen von Wettbewerbsbehörden wie dem Bundeskartellamt und der Europäischen Kommission dazu beigetragen, dass sie inzwischen deutlich mehr Maßnahmen ergreifen können, um den Missbrauch von Marktmacht zu verhindern.
Das kann auch bei Wissenschaftsverlagen funktionieren: Beispielsweise kann das Bundeskartellamt seit der diesjährigen Kartellrechtsreform auch in Märkte eingreifen, wenn in einer Sektoruntersuchung eine Störung des Wettbewerbs auch ohne Rechtsverstoß nachgewiesen wird. Es geht auch um die Freiheit von Wissen – es würde sich lohnen, diese Option genauer zu untersuchen.
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Bullshit-Busters: Eindringliche Warnung vor der „Ultra-Hyperpower-Bummkrachpeng-Future-KI-6.000“
Das meistgehypte Technologie-Thema des Jahres ist eine siedend heiße, sprudelnde Bullshit-Quelle. Sogenannte „Künstliche Intelligenz“ benebelt die mächtigsten Köpfe der Welt. Wir halten dagegen und brauchen dafür Eure Spenden.
Who you gonna call? Bullshit-Busters! Wir räumen auf mit Mythen, Lügen und falschen Versprechungen. Tagein, tagaus bekämpfen wir den Bullshit der digitalen Welt. Und wir kämpfen für Eure Grund- und Freiheitsrechte. In den kommenden Wochen berichten wir Euch in kurzen Beiträgen, welchen Bullshit wird dieses Jahr aufgedeckt und bekämpft haben. Im Folgenden schildert Sebastian, wie er gegen den Mythos einer gefährlich-intelligenten „KI“ kämpft.
Endlich bricht die Science-Fiction-Zukunft an, auf die uns Star Wars, Star Trek und The Terminator all die Jahrzehnte lang vorbereitet haben. ChatGPT ist nur die Spitze des Eisbergs. Jeden Tag erscheinen Dutzende neue gehirnwegpustende KI-Anwendungen, die zuerst Deine Produktivität ins Unermessliche steigern und Dich danach in einen Zustand unendlicher Glückseligkeit versetzen. Spring jetzt auf den Hype-Zug auf, sonst wirst Du vom rasenden Fortschritt zermalmt!
So – oder so ähnlich – ist der Sound des KI-Hypes, der seit der Veröffentlichung von ChatGPT durch Wirtschaft, Politik und Medien dröhnt. Tech-Konzerne lassen Milliarden fließen, Staaten liefern sich ein Wettrennen um die schnellste KI-Regulierung, Medienmacher*innen befeuern den Hype mit eigens eingerichteten KI-Newslettern und Podcasts, und vermeintliche Fachleute schreiben den Weltuntergang herbei.
Zocken gegen den Bullshit
play nowAls leidenschaftlicher Star-Trek-Gucker habe ich ja ein Herz für solche Erzählungen. Aber nur solange man unterscheiden kann, was Fiktion und was Realität ist. Das Hype-Theater um moderne Chatbots lenkt von den realen Gefahren durch KI-Systeme ab – und genau das dürfte im Interesse jener Tech-Milliardäre sein, die gerade mit ihren neuen Diensten um Marktmacht ringen.
Diese drei Bullshit-Mythen rund um sogenannte KI gehören gründlich „gebustet“:
- Mythos #1: „Künstliche Intelligenz“ – Okay, einige von Euch werden sich jetzt vielleicht denken, hier hat sich Sebastian wohl vertippt. Da fehlen doch Wörter! Aber nein: Der bloße Begriff „Künstliche Intelligenz“ ist schon Bullshit. Bereits 1955 setzte ihn ein Forscher als Marketing-Trick zur Selbst-Profilierung ein. Seitdem ist „KI“ ein Label, um Leute zu beeindrucken. Es beschreibt vor allem Rechenprogramme, an die wir uns noch nicht gewöhnt haben. Oder wer würde es heute noch als „KI“ bezeichnen, wenn man eine Textnotiz nicht ins Handy tippt, sondern kurz per Spracherkennung diktiert? Im Jahr 2017 ging das als KI durch. Auch der gehypte Text-Generator ChatGPT ist ein Rechenprogramm: Er berechnet Worte auf Grundlage von Wahrscheinlichkeiten. Wie Autocomplete, nur viel besser. Die Software hat aber kein Bewusstsein und erst recht keine Seele. Und ob sie Intelligenz hat, hängt sehr von der Definition ab – auf jeden Fall ist es nicht die Intelligenz von Data, C3PO oder HAL 9000, die wir aus der Popkultur kennen. Die Bullshittigkeit hinter dem Begriff würde uns wohl mehr ins Auge springen, wenn wir statt „KI“ konsequent Hokus-Pokus-Fidibus-Denkomat sagen. Oder eben Ultra-Hyperpower-Bummkrachpeng-Future-KI-6.000.
- Mythos #2: „KI ist gefährlich.“ Das ist so irreführend, dass es Bullshit in Reinform ist. Denn Technologie ist nur so gefährlich wie die Menschen, die sie einsetzen. Und hier gibt es tatsächlich Grund zur Sorge. Zum Beispiel, wenn Staaten mit asylfeindlicher Politik per Gesichtserkennung an der Grenze Menschen aussortieren, denen sie keinen Schutz gewähren wollen. Oder wenn Angehörige einer weißen, männlichen, ableisierten Mehrheitsgesellschaft ein KI-System entscheiden lassen, welche Job-Bewerbung in die engere Auswahl kommt. Oder wenn Autopiloten bewaffnete Drohnen steuern, bevor sie angebliche Feinde in die Luft sprengen. Alarmistische Berichte darüber, wie GPT-4 versucht, ein Captcha zu lösen, muten dagegen eher wie Produktwerbung an. Und Warnungen vorm vermeintlichen Weltuntergang durch KI sind vor allem heiße Luft mit Marketing-Effekt. Leider dominieren solche Berichte die Schlagzeilen. Viel wichtiger ist die unangenehme Frage, wie KI-Systeme schon jetzt im Kontext von Machtverhältnissen entwickelt und eingesetzt werden.
- Mythos #3: „Die Gefahren von KI können wir technisch lösen.“ Auch Bullshit. Das Thema KI lädt dazu ein, soziale Probleme zuerst technologisch zu beschreiben und dann auch noch technologisch lösen zu wollen. Ja, Bildgeneratoren wie Midjourney sind auch Werkzeuge für Desinformation – und das ist vor allem ein Problem der Medienkompetenz. Ja, durch Text-Generatoren wie ChatGPT lässt sich so manche menschliche Arbeit auch von der Maschine erledigen – und das ist vor allem ein Problem der fairen Verteilung von Geld. Ja, Gesichtserkennung durch die Polizei kann unter anderem People of Color benachteiligen – und das ist vor allem ein Problem von Rassismus. Solche Probleme lassen sich mit technischen Audits, Transparenz-Berichten oder virtuellen Wasserzeichen allenfalls eindämmen. An der Wurzel packen lassen sie sich aber nur mit dem unermüdlichen Engagement für Grund- und Menschenrechte. Dafür setzen wir uns bei netzpolitik.org ein.
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Dieser Artikel ist Teil unserer diesjährigen Spendenkampagne Bullshit-Busters.
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Willkommen an Bord: Unser neues Team für Finanzen und Geschäftsführung
Ohne die Unterstützung unserer Spender:innen wären wir aufgeschmissen. Doch damit das Geld an der richtigen Stelle landet und der Laden läuft, braucht es eine funktionierende Verwaltung. Darum kümmert sich bei uns ab sofort ein neues Duo.
– Public Domain Midjourney (two female surfer riding a big wave, blue colors)Wir freuen uns sehr, seit November zwei weitere Mitglieder in unserem Team begrüßen zu können! Anke Prochnau ist seit Kurzem die neue Geschäftsführerin von netzpolitik.org. Unterstützt wird sie von unserer neuen Mitarbeiterin für Finanzen und Controlling Katja Gips, Betriebswirtin für Non-Profit-Organisationen.
Unsere neue Geschäftsführerin Anke„Das fühlt sich ähnlich gut an wie damals“, dachte Anke Prochnau spontan während der Bewerbungsgespräche bei netzpolitik.org, zu denen sie aus dem hessischen Offenbach nach Berlin gereist ist. In den 90er-Jahren war sie Geschäftsführerin der taz Bremen und sieht herzerwärmende Parallelen zu netzpolitik.org: ein Team mit politischen Anspruch, der nötige Pragmatismus einer Redaktion, die täglich liefert, dazu eine lebhafte Selbstverwaltung, Einheitslohn und reichlich Humor.
Nach ihrer Zeit bei der taz studierte Anke Soziologie und arbeitete danach viele Jahre in der Wissenschaft, unter anderem als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni in Frankfurt am Main am Institut für Politikwissenschaft sowie als Lehrbeauftragte an der Hochschule Bremen im Bereich Gesellschaftswissenschaften.
In den 2010er-Jahren war Anke Prochnau unter anderem Referentin im Organisationsbereich Hochschule und Forschung der Gewerkschaft GEW und dann in der Verwaltung von attac tätig. Zuletzt war sie Mitglied der Geschäftsführung sowie Abteilungsleiterin Finanzen & Verwaltung von medico international.
Neben ihrer Arbeit in Wissenschaften und Verwaltung hat Anke mehrere Fortbildungen als Coach zu den Themen Diversität und Prozessbegleitung gemacht. Schon jetzt wissen wir ihren analytischen Blick, ihr emphatisches Wesen und ihre Lösungsorientierung zu schätzen.
Zocken gegen den Bullshit
play now Katja: Buchhaltung und Controlling mit Non-Profit-ExpertiseKatja Gips war netzpolitik.org als langjährige Leser:in verbunden, als sie sich buchstäblich als Unicorncat bei uns bewirbt: Sie ist Betriebswirtin für Non-Profit-Organisationen und bringt mehrjährige Expertise als Mitarbeiterin in der Buchhaltung für gemeinnützige Vereine mit.
Katja ist ausgebildete Handelsfachwirtin, hat im Anschluss daran Sportwissenschaften auf Diplom studiert und dann im Rehasport gearbeitet.
Rund um das Jahr 2015 ließen ihr die Grund- und Menschenrechte keine Ruhe und bei Katja wuchs der Wunsch, sich stärker gesellschaftlich zu engagieren. Auslöser waren unter anderem die Migrationsbewegungen und die zunehmend polarisierte gesellschaftliche Debatte in den Folgejahren.
In den vergangenen Jahren hat Katja haupt- und ehrenamtlich mehrere gemeinnützige Vereine unterstützt, die sich für Menschenrechte, Umweltschutz und die Verteidigung der Grundrechte einsetzen.
Bald stellte sie fest, dass sich ihre erlernten betriebswirtschaftlichen Kenntnisse zwar gut auf die Privatwirtschaft, nicht aber auf gemeinnützige Vereine übertragen lassen. Sie hat sich daher gezielt zur Betriebswirtin für Non-Profit-Organisationen weitergebildet.
Den ausgleichenden Sport betreibt Katja weiterhin, allerdings in ihrer Freizeit: Mit Leidenschaft schwimmt, paddelt und surft sie – vor allem in und auf den Meeren dieser Welt, deren bunter Artenreichtum sie fasziniert. Wir freuen uns, mit Katja in den kommenden Jahren bei netzpolitik.org die großen Wellen zu reiten!
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#280 Off The Record: Bullshit-Busters
Bei uns sieht es seit ein paar Wochen so anders aus. Das bunte Browserspiel Bullshit-Busters ziert unsere Website. Und uns fehlen noch rund 390.000 Euro. Wofür wir jetzt Spenden brauchen und wie man den Highscore knackt – das und mehr in Podcast-Folge #280.
Pew Pew (Symbolbild) – CC0 DALL-E-3 („arcade bauhaus style, reduced minimalist geometric shape“); Bearbeitung netzpolitik.org
https://netzpolitik.org/wp-upload/2023/12/23-12-OffTR-Spenden.mp3
„Planung ist alles“, sagt mir mein Kollege Ole, als ich ihn frage, wie hoch sein Stresslevel in diesen Wochen ist. Gemeinsam mit Co-Chefredakteur Daniel und unserer neuen Bundesfreiwilligen Nora arbeitet er im Team Spendenkampagne daran, dass unser Laden hoffentlich auch fürs nächste Jahr finanziert wird – dank all jener, die uns mit ihren Spenden unterstützen.
Nora kennt ihr vielleicht noch nicht. Sie ist die allererste Bundesfreiwillige in unserem Team. Sie programmiert Spiele und sie hat coole Hobbys. Ohne sie gäb’s hier kein Bullshit-Busters. Aber das erzählt Nora euch am besten selbst im Podcast. Auch Ole hört ihr in dieser Folge. Er erzählt, wie ein Zufall dazu führte, dass wir diesen Winter alle in beige Overalls schlüpfen durften.
In dieser Folge: Sebastian Meineck, Nora Nemitz und Ole.
Produktion: Serafin Dinges.
Titelmusik: Trummerschlunk.
Hier ist die MP3 zum Download. Wie gewohnt gibt es den Podcast auch im offenen ogg-Format.
Unseren Podcast könnt ihr auf vielen Wegen hören. Der einfachste: in dem eingebundenen Player hier auf der Seite auf Play drücken. Ihr findet uns aber ebenso bei Apple Podcasts, Spotify und Deezer oder mit dem Podcatcher eures Vertrauens, die URL lautet dann netzpolitik.org/podcast.
Wie immer freuen wir uns über Kritik, Lob und Ideen, entweder hier in den Kommentaren oder per Mail an podcast@netzpolitik.org.
Links und Infos-
- Bullshit-Busters spielen
- Artikel 13 oder: Was Nora für netzpolitik.org begeisterte
- Der jüngste Transparenzbericht
- Die letzte Schlacht gegen die Vorratsdatenspeicherung
- Die Podcast-Episode von vor einem Jahr
- Deine Spende für digitale Freiheitsrechte
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KW 48: Die Woche, in der wir Fakten checkten
Die 48. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 30 neue Texte mit insgesamt 170.832 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.
– Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz ŚmigielskiLiebe Leser:innen,
beim Mittagessen hat jede:r seine eigenen Vorlieben. Der eine möchte seinen Lunch in aller Stille genießen, die andere isst mit einem Podcast im Ohr. Weitaus weniger verbreitet ist meine neue, ganz persönliche Präferenz: Fakten checken.
Während netzpolitik.org seit vielen Jahren erfolgreich den Bullshit da draußen bustet, war der Kampf gegen Desinformation beim Büro-Lunch bisher eher selten. Das sollte sich während meines Praktikums ändern. Eines Oktobermittags gab unser Head of Gestaltung sein vermeintliches Wissen über Mainz zum Besten – der Studienstadt meiner Mit-Praktikantin Hasset. Dort stünde eine große Karl-Marx-Statue, der Mann sei schließlich in Mainz geboren, behauptete Ole.
Mir kam das gleich merkwürdig vor. Eine Websuche zwischen zwei Bissen bestätigte meine Zweifel. Tatsächlich ist Marx in Trier geboren – ja, dort steht sogar eine Statue von ihm, die einst die chinesische Regierung der Stadt geschenkt hatte. Ein längerer Aufenthalt von Marx in Mainz ist, obwohl der Nationalökonom seinerzeit viel herumkam, nicht dokumentiert.
Ich konnte Oles Desinformation also aufdecken. Und auch seine Ausflüchte, dass Mainz und Trier ja quasi nebeneinanderlägen, wurden durch eine weitere Websuche rasch widerlegt (Luftlinie: circa 119 km). Ihm als Original-Berliner sei dieser spezielle Blick auf Deutschland verziehen, Bewohner:innen der Hauptstadt wird eh nachgesagt, dass ihnen der Rest Deutschlands schnuppe sei.
Auch wenn wir viel gelacht haben: Jenseits des Mittagstischs sind Falschinformationen bekanntlich eine ernste Sache. Unter anderem deswegen sehen sich immer mehr Medien und Werbekunden zum X-Odus genötigt. Die UNESCO sorgt sich ebenfalls vor Falschinformationen und hat Leitlinien zur Governance von Plattformen veröffentlicht. Die Bundesregierung hat derweil ihre ganz eigene Haltung zu – eindeutig als Satire gekennzeichneten – Deepfakes, was in dieser Woche antifaschistische Künstler:innen zu spüren bekamen.
Unser bürointerner „Desinformationslunch mit Ole“ entwickelte sich im Laufe der vergangenen Wochen übrigens zu einer beliebten Tradition. Wir debattierten über das wahre Ende von Rotkäppchen, erneuerten unser Wissen zu deutschem Glücksspielrecht und entdeckten gemeinsam eine absurde schweizerische Fake-News-Schleuder. Der Kampf gegen Falschnachrichten, Verzerrungen und Bullshit – er ist eben nicht nur wichtig, zäh und mitunter ermüdend, sondern er kann auch zusammenschweißen.
Das hat während meines Praktikums auch eine andere Gruppe unter Beweis gestellt – nämlich Ihr, liebe Leser:innen. Immer wieder ergänzt Ihr unsere Beiträge mit Kommentaren oder Ihr postet kritische Anmerkungen auf Social Media. Wenn das die eigenen Texte betrifft, ist dies – offen gestanden – mitunter herausfordernd. Aber dieses Feedback ist enorm wichtig. Denn dank Euch können wir jene Fehler korrigieren, die selbst uns hin und wieder unterlaufen. Danke!
„Danke“. Dieses Wort habe ich in den vergangenen Tagen häufig gesagt. Denn diese Woche ging mein Praktikum bei netzpolitik.org zu Ende. Ich werde es sehr vermissen, täglich in diesem Büro zu sein und mit den Kolleg:innen zu schreiben. Nicht nur, aber auch wegen der Faktenchecks am Mittagstisch.
Euch ein kulinarisches Wochenende
Leonhard
Datenspeicher-Spürhunde: Der unwiderstehliche Geruch von FestplattenBei Hausdurchsuchungen kommen immer öfter auch „Datenspeicher-Spürhunde“ zum Einsatz. Sie können Smartphones, Festplatten und sogar SIM-Karten riechen. Bei deren Ausbildung will sich die Polizei allerdings nicht in die Karten schauen lassen. Von Markus Reuter –
Artikel lesen
Massenüberwachung mit schwerem Eingriff in die Privatsphäre aller hat einen Namen: Vorratsdatenspeicherung. Wir entlarven die untoten Argumente der Befürworter. Denn die Grundrechte der Menschen liegen uns am Herzen. Von Constanze –
Artikel lesen
Mein Bekannter postet Hasskommentare im Netz. Woher ich das weiß? Er tut das unter seinem Klarnamen. Hier braucht es keine weitere Regulation des Internets, sondern etwa Zivilcourage. Von Carla Siepmann –
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Ein längst vergessenes Facebook-Posting mit Badewannen-Fotomotiv kostete einen Handwerker aus Berlin mehrere Tausend Euro. Nach mehreren Instanzen vor Gericht steht fest: Er muss dem Fotograf Schadensersatz zahlen. Dabei wollte er nur auf eine Spendenaktion hinweisen, sagt Christian Remus. Von Anna Biselli –
Artikel lesen
Von Krankenkassen über große Städte bis hin zu Universitäten laufen der Plattform X die Nutzer weg. Nun kehrt mit Correctiv die erste größere Redaktion Elon Musk aus Protest den Rücken. Auch andere Medien verabschieden sich oder überlegen, ob sie noch weitermachen. Von Markus Reuter –
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Das geplante Bundeswaldgesetz könnte das freie Geodaten-Projekt OpenStreetMap treffen, Sorgen haben auch kommerzielle Anbieter wie Komoot. Auf dem Spiel steht, ob Nutzer:innen weiterhin neue Wege kartographieren können – oder ob sie um Erlaubnis fragen müssen. Von Tomas Rudl –
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Das Zentrum für Politische Schönheit setzt das Thema AfD-Verbot mit einem Deepfake-Video des Kanzlers und einer Datenbank verfassungsfeindlicher Aussagen von AfD-Mitgliedern auf die politische Agenda. Doch die Bundesregierung debattiert lieber über die Methoden der Künstler als über deren Inhalt. Von Markus Reuter –
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Die Lobby-Ausgaben in der EU von Amazon sind für einen Tech-Giganten eher niedrig. Doch der Konzern entdeckt zunehmend andere Kanäle, warnen LobbyControl und andere NGOs. Sie werfen Amazon vor, nicht alle Verbindungen zu Denkfabriken offengelegt zu haben. Von Leonhard Pitz –
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Immer wieder kommen rechtsextreme und antisemitische Aktivitäten von Polizist:innen ans Licht. Zum Beispiel der Fall eines Reichsbürgers in Uniform, der die Sicherheit jüdischer Einrichtungen gewährleisten soll. Das erschüttert das Vertrauen jüdischer Bürger:innen in die Strafverfolgungsbehörden. Von Gastbeitrag, Ruben Gerczikow –
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Wer arbeitslos ist oder nur wenig verdient, hat es schwer. Eine Software der französischen Familienkasse macht es Betroffenen gleich nochmal schwerer und weist ihnen einen höheren Risikowert für Betrug oder Überzahlungen zu. Eine französische NGO hat das Programm analysiert und kritisiert diskriminierende Kriterien. Von Anna Biselli –
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Im September erlebten wir eine Premiere: Unsere erste Bundesfreiwillige kam zu uns. Wir waren mindestens genauso aufgeregt wie Nora. Und wir ahnten am ersten Tag noch nicht, was wir alles von ihr lernen können. Von netzpolitik.org –
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Seit November stehen europäische Nutzer:innen von Metas Netzwerken vor der Wahl: Lasse ich mich tracken oder bezahle ich monatlich Geld? Eine österreichische NGO geht nun gegen das Modell vor und will klären, ob das legal ist. Von Leonhard Pitz –
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Das Amtsgericht München geht davon aus, dass das Pressetelefon der Letzten Generation rechtmäßig abgehört wurde. Betroffene Journalisten wehren sich nun weiter gegen den Eingriff in die Pressefreiheit. Es gehe um mehr als die Einzelfälle, kritisieren Reporter ohne Grenzen und die Gesellschaft für Freiheitsrechte. Von Anna Biselli –
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Eigentlich haben alle in Deutschland ein Recht auf einen halbwegs zeitgemäßen Internetanschluss. Doch das Instrument bleibt bislang völlig wirkungslos, wie aktuelle Zahlen der Bundesnetzagentur offenlegen. Von Tomas Rudl –
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Die Bundesregierung geht offenbar unter Nutzung des Markenrechts gegen die Künstlergruppe Zentrum für Politische Schönheit vor. Sie ließ ein Deepfake-Video bei Instagram sperren und hat das Video auch bei anderen Plattformen gemeldet. Von Markus Reuter –
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Gesundheitsdaten aller EU-Bürger:innen sollen schon bald in einem europäischen „Datenraum“ gespeichert werden. Ein umfassendes Widerspruchsrecht will derzeit weder die Kommission noch das EU-Parlament. Damit aber droht das Vorhaben mit aktuellen Plänen der Bundesregierung zu kollidieren. Von Daniel Leisegang –
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Die Weltkulturorganisation macht Vorschläge für eine globale Lösungsstrategie gegen Desinformationen und Hassrede. Unter anderem fordert sie verpflichtende Menschenrechtsprüfungen für Plattformen, Transparenz und Content Moderation in allen genutzten Sprachen. Von Zeynep Yirmibesoglu –
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Jugendliche wollen sich über Sex informieren und landen dabei auf Pornoseiten. Mit Sperren und Verboten lässt sich das nicht lösen, erklärt Jessica Euler, Geschäftsführerin des Vereins „Aktion Kinder- und Jugendschutz“, im Interview – und empfiehlt konkrete Angebote. Von Sebastian Meineck –
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Offiziell soll es morgen mit der Überwachungsgesamtrechnung losgehen. Doch noch ist der Auftrag nicht vergeben, der geplante Starttermin ist nicht zu halten. Es wird knapp für das anspruchsvolle Projekt, das als Schubladenfüller zu enden droht. Von Anna Biselli –
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Einen Termin bei den Berliner Bürgerämtern zu erhaschen, kostet Zeit und Nerven. Unsere Datenrecherche zeigt das Ausmaß des Termin-Mangels – und zu welchen Tageszeiten es die meisten Termine gibt. Von Johannes Gille –
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Unsere Datenrecherche zum Zustand der Berliner Bürgerämter zeigt, wie schwierig es mitunter ist, einen Termin für wichtige Behördengänge zu buchen. Wir haben uns die Daten angeschaut und herausgefunden, mit welchen Tricks ihr eure Suche beschleunigen könnt.
Von Johannes Gille –
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Bürgerämter in Berlin sind ständig ausgebucht. Per Online-Formular können Berliner*innen die ganze Stadt nach freien Terminen abgrasen, oft ohne Erfolg. Hier erzählen sie von ihrem Frust – und ihren Tricks. Von Sebastian Meineck –
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Die Bundesregierung will mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ schneller abschieben. Rechtsexpert:innen halten die geplanten Regelungen für verfassungswidrig und fordern mehr Integrationsangebote. Die Verengung auf eine kleine Zahl von Ausreisepflichtigen leite „Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen“. Von Chris Köver –
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Bei einer Razzia gegen einen Journalisten des Freiburger Senders Radio Dreyeckland hat die Polizei auch einen dienstlichen Laptop mitgenommen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte will nun per Eilantrag verhindern, dass Beamt*innen „zehntausende vertrauliche Mails der Redaktion“ auswerten. Von Sebastian Meineck –
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Im bayerischen Landeskriminalamt läuft seit Monaten ein Testbetrieb der umstrittenen Analysesoftware von Palantir mit echten Personendaten. Der Landesbeauftragte für Datenschutz hat erst über Recherchen des Bayerischen Rundfunks davon erfahren – und will den Vorgang prüfen. Von Chris Köver –
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Die Bundesregierung hat das Deepfake-Video vom Zentrum für Politische Schönheit jetzt auch auf YouTube löschen lassen. Sie beruft sich dabei auf das dafür eigentlich nicht vorgesehene Urheberrecht. Die Künstler sprechen von Zensur und kündigen rechtliche Schritte gegen die Bundesregierung an. Von Markus Reuter –
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Die EU-Kommission glaubt offenbar nicht mehr daran, dass die umstrittene Chatkontrolle so schnell kommen wird wie geplant. Sie schlägt vor, die bisher geltende Interimsregelung des freiwilligen Scannens um zwei Jahre zu verlängern. Von Markus Reuter –
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Im Ausländerzentralregister soll künftig auch stehen, ob jemand Sozialleistungen bekommt. Gleichzeitig will die Bundesregierung noch mehr Behörden online auf die Daten zugreifen lassen. Dabei gelangen heute schon regelmäßig persönliche Informationen in falsche Hände. Von Anna Biselli –
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Diese Woche verhandelten EU-Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten über einen umstrittenen Sonderstatus für Medien auf großen Plattformen. Doch das ist nicht der einzige Streitpunkt im EU-Medienfreiheitsgesetz: Um das staatliche Hacken von Journalist:innen ringen sie weiterhin. Von Leonhard Pitz –
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Zwei Stunden dauert die interaktive Theaterreise in Absurdität und Bürokratie, ausgestattet mit einem zufälligen Pass. Das Ziel: ein Leben in Deutschland. Der Ausgang: ungewiss. Eine Rezension. Von Anna Biselli –
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„Hotel Utopia“: Wo Götterfunken im Hals stecken bleiben
Zwei Stunden dauert die interaktive Theaterreise in Absurdität und Bürokratie, ausgestattet mit einem zufälligen Pass. Das Ziel: ein Leben in Deutschland. Der Ausgang: ungewiss. Eine Rezension.
Ist der Mensch mehr als sein Pass? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com ConvertKitIm Tower des ehemaligen Flughafens Tempelhof warten die Besucher:innen auf Einlass. Statt Sitzplätzen bekommen sie am Eingang einen Pass in die Hand gedrückt, der ihnen Zugang zu dem interaktiven Theaterstück „Hotel Utopia“ gibt. Der Zufall entscheidet, ob sie als Türke, Australierin, Iraker oder Staatenlose starten – und damit darüber, wie beschwerlich ihr Lauf durch die Institutionen auf sechs Ebenen des Gebäudes wird. Das Ziel aller aber lautet: in Deutschland zu leben.
Ich nehme an diesem Abend die Rolle von Ole Andersen aus Norwegen ein und habe es damit vergleichsweise leicht. Mein Pass öffnet mir viele Türen, ich brauche nur eine Wohnung und Arbeit. An den Schaltern atmen die Sachbearbeiter:innen hörbar auf, ich bin ein einfacher Fall.
Meine Wunschtätigkeit als Ingenieur ist zwar gerade nicht verfügbar, teilt mir die Frau beim Jobcenter mit. Aber bei den Verkehrsbetrieben im Wachdienst sei noch was frei. Und mit der Zeit könne ich aufsteigen, wenn ich mich weiterbilde. Einen Sprachkurs empfiehlt sie mir trotzdem. „Es ist ja schon gut die Sprache zu sprechen, wenn man hier leben will“, gibt sie mir auf den Weg.
Menschen, die zu Formularen werdenFür andere ist das mehr als eine Empfehlung. Während ich die wichtigsten Stationen hinter mir habe, irren sie noch durch die Gänge und sammeln Unterschriften.
In den Sprachkursen wiederholen sie die Sätze der Lehrer:innen, die sie nicht verstehen. Bereiten sich auf Einbürgerungstests vor. Bei der Botschaft versuchen sie Probleme mit ihren Ausweisdokumenten zu klären. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – kurz BAMF – warten sie auf die Anhörung, bei der Ausländerbehörde auf das nächste Formular. Der am Einlass mitgegebene Kugelschreiber wird neben dem Pass zum wichtigsten Requisit des Abends.
Immer wieder machen sie die gleichen Angaben auf Formulare. Und sie fragen sich: Bekomme ich Probleme, wenn ich das Kreuz an der falschen Stelle setze? Wenn mein Einkommen nicht hoch genug ist? Der Mensch selbst wird zu papiernen Formularen. Die Jagd nach der richtigen Unterschrift gerät zur Farce.
Worauf wartet ihr hier?Am Ende sieht man im Tower immer wieder Menschen vor Schaltern anstehen. Sie wissen nicht immer genau, warum sie dort warten. Wofür sie die nächste Unterschrift, die nächste Bescheinigung eigentlich brauchen. Manche der Schlangen sind lang, die Beamt:innen hinter den Monitoren machen öfter mal Pause. Während regelmäßig Durchsagen verkünden, dass ein weiterer Monat vergangen ist, stellt sich Langeweile ein. Doch die Langeweile ist hier kein Makel der Inszenierung. Sie ist das Fenster zur Reflexion.
Unterbrochen wird sie immer wieder durch Interventionen der Schauspielenden. Kurze, auf den Treppenstufen des Towers dargebotene Szenen: die Handyauslesungen auf dem BAMF; bohrende Kaskaden von Fragen zu den Fluchtgründen, die immer persönlicher werden; vergessene biometrische Daten, die US-Militär und Bundeswehr in Afghanistan erhoben haben und die nun Menschen in Lebensgefahr bringen könnten; Frontex; Irisscans; Fiktionsbescheinigungen und Flughafenverfahren.
Die Szenen sind dokumentarisch. Wer sich mit den Entwicklungen noch nicht eingehend beschäftigt hat und die realen Vorlagen nicht kennt, kann hier leicht überfordert sein. Nimmt aber vielleicht doch jene Fragen mit nach Hause, um die fehlenden Informationen nachzuschlagen, mit denen sich die Zwischenspiele verstehen lassen.
Solche Informationen hätten auch vor Ort geholfen. Mein Alter Ego, Ole Andersen, hätte sich gern in einen Wartebereich gesetzt und sich dort weiter informiert. Auch ein Bildschirm mit Reden von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, in denen sie eine stärkere Kontrolle der Migrationsbewegungen fordert, hätte sich nahtlos in die Szenerie eingefügt.
Unerträglich wird das Stück, wo aus den Lautsprechern „Freude, schöner Götterfunken“ durchs Gebäude hallt. Vertonte, an diesem Ort geradezu abstoßende Feierlichkeit, die bedrückender nicht sein könnte. So abstoßend und bedrückend wie es eigentlich ist, ein Asylverfahren nachzuspielen, das für andere eben kein Spiel ist. Sondern die Hoffnung auf ein Leben bedeutet – ohne Krieg, ohne Unterdrückung, ohne Verfolgung.
Doch gerade das Abstoßende zieht einen in das Stück hinein. Und es macht die Inszenierung von Christiane Mudra und ihrem Team so stark und eindrücklich. Denn dass hinter der Absurdität des Abends reale Schicksale stecken, merken die Ausländer:innen auf Zeit in jeder Minute. Wenn sie am Ausgang ihren fiktiven Pass wieder gegen den eigenen eintauschen, werden sie die Fragen wohl noch länger beschäftigen.
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Europäisches Medienfreiheitsgesetz: Abgeschwächter Sonderstatus für Medien auf großen Plattformen
Diese Woche verhandelten EU-Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten über einen umstrittenen Sonderstatus für Medien auf großen Plattformen. Doch das ist nicht der einzige Streitpunkt im EU-Medienfreiheitsgesetz: Um das staatliche Hacken von Journalist:innen ringen sie weiterhin.
Sind Medien künftig auf Plattformen etwas Besonderes? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Good Good GoodBis vier Uhr morgens verhandelten die Vertreter:innen von EU-Parlament, Kommission und den Mitgliedstaaten über den European Media Freedom Act (EMFA). Nun haben sich die EU-Institutionen im Trilog bei der Frage nach dem umstrittenen Sonderstatus von Medien auf großen Plattformen weitgehend geeinigt. Dieser soll kommen – allerdings deutlich schwächer, als das EU-Parlament und Journalistenverbände wollten.
Das bestätigten uns mehrere mit den Verhandlungen vertraute Personen. Die spanische Ratspräsidentschaft wollte die Informationen auf Anfrage nicht kommentieren. Ein Sprecher sagte aber, dass sich die Verhandlungen auf diesem Trilog auf einem guten Weg befänden.
Das ausgegebene Ziel des EMFA ist der Schutz der Pressefreiheit. Diese will die Verordnung nicht nur gegen den Einfluss von autokratischen Regierungen wie in Polen unter der PiS-Partei oder im Orbanschen Ungarn verteidigen, sondern auch gegen die Macht von großen Plattformen.
Sonderregeln für Medien bei VLOPsUm das letztgenannte Ziel geht es in Artikel 17 des EMFA. Dieser regelt die Beziehung zwischen Medien und den durch den Digital Services Act designierten, sehr großen Plattformen (VLOPs). Als solche gelten Online-Dienste mit mehr als 45 Millionen monatlichen Nutzer:innen in der EU. Nun haben sich die drei EU-Institutionen geeinigt: Der Sonderstatus für „anerkannte“ Medien kommt, allerdings bleibt das letzte Wort bei den Plattformen.
Anbieter:innen von Mediendiensten kommen an diesen Sonderstatus, indem sie bei den VLOPs bestimmte Angaben machen. Sie müssen unter anderem erklären, dass sie redaktionell unabhängig sind und KI-generierte Inhalte kennzeichnen. Die Plattform kann dann entscheiden, ob sie diese Erklärung akzeptiert.
Das letzte Wort haben Musk, Zuckerberg und co.Ist ein Mediendienstanbieter einmal akzeptiert, können seine Posts nicht mehr einfach gelöscht werden. Gemäß dem Trilog-Ergebnis muss die Plattform das Medium zuerst über seine Löschabsicht informieren und den Schritt begründen. Grundlage dafür sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Gegen diese Entscheidung soll das betroffene Medium Einspruch einlegen können. Die Plattform entscheidet, ob sie diesem stattgibt.
Damit haben sich an diesem Punkt die Mitgliedstaaten weitgehend durchgesetzt. Das EU-Parlament wollte eigentlich, dass im Konfliktfall eine nationale Medienaufsichtsbehörde das letzte Wort hat.
24-Stunden-Schonfrist als KompromissAllerdings gibt es für die Löschung eine Frist, die sogenannte „Stay-Up-Regelung“. 24 Stunden lang darf Instagram, X oder ein anderer VLOP den Inhalt eines anerkannten Mediums in der Regel nicht löschen oder in seiner Sichtbarkeit einschränken. Damit sollen die Mediendienstanbieter:innen genug Zeit haben, auf die Löschabsicht zu reagieren.
Damit werden Posts von anerkannten Medien zukünftig anders behandelt als die von normalen Nutzer:innen. Dieser Sonderstatus ist umstritten. Zu den Kritiker:innen einer solchen Regelung gehört die Electronic Frontier Foundation (EFF). „Der Deal ist schlecht für Internet-Nutzer:innen“, sagt Christoph Schmon, International Policy Director bei der EFF. Online-Plattformen würden in Zwangshosting-Dienste verwandelt und könnten Inhalte nicht mehr schnell entfernen.
„Wenn das Europäisches Medienfreiheitsgesetz in dieser Form beschlossen wird, könnte es die Gleichheit der Rede untergraben, Desinformation im Internet fördern und Randgruppen bedrohen“, befürchtet Schmon. Artikel 17 könne zu der absurden Situation führen, dass einflussreiche Medien und große Plattformen darüber verhandeln, welche Inhalte sichtbar sein sollen.
Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) wiederum hätte die Medienausnahme am liebsten ausgeweitet und argumentiert, dass Plattformen nicht das Recht haben dürften, journalistische Inhalte zu löschen. Mit der jetzigen Einigung zeigte sich der DJV aber zufrieden. „Die 24-Stunden-Regelung ist ein Kompromiss, mit dem wir leben können. Damit wird für die großen Plattformen klar, dass sie nicht willkürlich über Löschungen entscheiden können. Das war uns wichtig und hat sich offenbar nun durchgesetzt“, sagte Hendrik Zörner vom DJV gegenüber netzpolitik.org.
„Auch Algorithmen in den Blick nehmen“Auch aus Sicht von Reporter ohne Grenzen sollte es nicht den Plattformen überlassen bleiben, über Löschung und Sperrung von Medieninhalten zu entscheiden. Falls ein Medium einer Moderationsentscheidung widerspreche, sollte ein Gericht die Entscheidung treffen. „Aus unserer Sicht sollten aber nicht alle Medien Privilegien bei der Inhaltemoderation genießen, sondern nur jene, die sich professionellen ethischen und journalistischen Standards verpflichtet haben, wie beispielsweise dem ISO-Standard der Journalism Trust Initative“, sagt Ilja Braun, Referent Advocacy bei Reporter ohne Grenzen.
Die NGO fordert, auch Algorithmen in den Blick zu nehmen. „Statt nur auf Löschungen und Sperrungen vermeintlich oder tatsächlich illegaler Inhalte abzuzielen, wäre es zudem wünschenswert, wenn es eine Verpflichtung für Plattformen gäbe, verlässliche Inhalte aktiv sichtbarer zu machen, sie also in ihren Rankings und Empfehlungsalgorithmen zu bevorzugen“, betont Braun gegenüber netzpolitik.org.
Auch EFF und andere Organisationen hatten in einem gemeinsamen Statement im Januar die Kuratierung von Inhalten durch Algorithmen als „deutlich ernstere Bedrohung“ beschrieben als eine Moderation durch Facebook und Co.
Streit um Schutz vor StaatstrojanernNeben Artikel 17 wurden in der Nacht auf Donnerstag noch viele weitere Bestimmungen des EMFA verhandelt. So macht der EMFA neue Vorgaben zum öffentlichen Rundfunk der Mitgliedstaaten, Transparenzvorschriften zu staatlicher Werbung und einem neuen EU-weiten Gremium, welches die bisherige Koordinationsgruppe der nationalen Medienaufsichtsbehörden (ERGA) ersetzen soll. Dieses neue Gremium soll zwar formal unabhängig sein, allerdings ist das Sekretariat direkt der EU-Kommission unterstellt und wird von diesem finanziert. Damit hat sich die Forderung des Parlaments auf „funktionale Unabhängigkeit“ nicht erfüllt.
Es steht nun weitgehend fest, wie der EMFA aussehen soll. Aber: „Nothing is agreed until everything is agreed“, heißt es aus dem EU-Parlament. Nichts ist beschlossen, solange nicht alles beschlossen ist.
Einen Kampf müssen die drei Trilog-Parteien noch ausfechten: Wann Staaten Journalist:innen überwachen und hacken dürfen. Die Verhandlungen hierzu sind für den Trilog am 15. Dezember angesetzt. Die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament haben grundverschiedene Ansichten.
Dass strengere Regeln hier notwendig sind, zeigte sich vor allem durch die Erkenntnisse rund um Pegasus und Predator. Mit den beiden Staatstrojanern haben Behörden unter anderem in Ungarn und Griechenland Journalist:innen ausspioniert.
EU-Länder wollen weitreichende AusnahmenDie EU-Staaten wollen sich beim Hacken und Überwachen von Journalist:innen jedoch nicht reinreden lassen. Der EMFA soll nach ihrem Willen Ausnahmen vorsehen wenn es ein „übergeordnetes öffentliches Interesse“ gibt oder die nationale Sicherheit berührt sei. Zuletzt durchsuchten Sicherheitsbehörden in Frankreich die Geräte und Räume einer Investigativjournalistin auf Grundlage einer solchen Ausnahme.
Auch der EMFA-Vorschlag des Europaparlaments schließt das Hacken von Journalist:innen nicht vollständig aus, setzt ihm aber engere Grenzen. Der Vorschlag sieht vor, dass nationale Behörden nur Staatstrojaner einsetzen können, wenn der Einsatz nicht im Zusammenhang zur journalistischen Arbeit der Betroffenen steht und er nicht im Zugang zu journalistischen Quellen resultiert. Außerdem gilt ein Richtervorbehalt.
Einzelne Fraktionen und über 80 zivilgesellschaftliche Akteur:innen hatten einen komplettes Verbot von Spyware-Einsätzen gegen Journalist:innen gefordert. Die Organisationen, unter ihnen auch der Chaos Computer Club und viele europäische Journalistenverbände, warnten in einem offenen Brief: „Die Fähigkeit von Spyware, auf alle Daten zuzugreifen und die volle Kontrolle über ein Gerät zu übernehmen, kann technisch nicht eingeschränkt werden.“
Wie verhält sich die Kommission?Entscheidend für die Verhandlungen am 15. Dezember könnte die Position der EU-Kommission in dieser Frage werden. Tagesspiegel Background (€) berichtete, dass die Kommission signalisiert habe, den Gesetzesvorschlag zurückzuziehen, wenn die Mitgliedstaaten hier nicht einlenken würde. Das wäre überraschend, schließlich finden sich die vom Ministerrat vorgeschlagenen Ausnahmen auch im ursprünglichen Vorschlag der Kommission.
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Gesetzesvorschlag: Mehr Daten für das Ausländerzentralregister
Im Ausländerzentralregister soll künftig auch stehen, ob jemand Sozialleistungen bekommt. Gleichzeitig will die Bundesregierung noch mehr Behörden online auf die Daten zugreifen lassen. Dabei gelangen heute schon regelmäßig persönliche Informationen in falsche Hände.
Künftig soll das Ausländerzentralregister auch Auskunft darüber geben, ob jemand Sozialleistungen bezieht. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Mathieu SternEs ist laut Bundesverwaltungsamt eines „der ganz großen automatisierten Register der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland“: das Ausländerzentralregister (AZR). Vielfach erweitert enthält die Riesendatenbank aktuell rund 26 Millionen personenbezogene Datensätze. Erfasst sein sollen darin alle, die als Ausländer:innen in Deutschland leben oder gelebt haben.
Die aktuelle Bundesregierung will diese Sammlung ein weiteres Mal erweitern. Mit dem Gesetzentwurf „zur Anpassung von Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht“ (DÜV-AnpassG) sollen mehr Daten im AZR landen und noch mehr Behörden sollen sie automatisiert abrufen können.
Im Fokus sind vor allem Sozialdaten, die den sogenannten Datenkranz des Registers erweitern sollen. So soll künftig auch gespeichert werden, welche Sozialleistungen eine Person bezieht. Das können etwa Grundsicherung oder Sozialhilfe sein, aber auch Leistungen für Asylbewerber:innen oder Unterhaltsvorschüsse. Gelten soll das nicht nur für Asylsuchende, über die besonders viele Daten im AZR erfasst sind. Es „kommen grundsätzlich alle im AZR erfassten Personen mit Ausnahme von Unionsbürgern in Betracht“, heißt es im Gesetzentwurf. Ausgenommen sind also lediglich Bürger:innen anderer EU-Staaten.
Eine Ausländerbehörde soll so beispielsweise mitbekommen, wenn eine Person keine Leistungen mehr bezieht, weil sie weggezogen ist. Denn dadurch kann in manchen Fällen auch ihre Aufenthaltserlaubnis wegfallen.
„Sensible, stigmatisierende Daten“Die Juristin Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sieht die Erweiterung skeptisch: Dass jemand Leistungen wie Grundsicherung beziehe, sei an sich bereits „ein sensibles, unter Umständen stigmatisierendes Datum“, schreibt sie. Das landet nun gemeinsam mit vielen anderen Informationen in einer der größten Datensammlungen des Landes.
„Besonders problematisch“ ist aus Sicht der GFF jedoch, dass viele weitere Stellen automatisiert Daten aus dem AZR abrufen können sollen. Im Gesetzentwurf heißt das, man wolle „rechtliche Hürden für die Zulassung zum automatisierten Abrufverfahren aus dem AZR“ abbauen. Sie müssen dann nicht mehr schriftlich beim Bundesverwaltungsamt nachfragen wie bisher, sondern können direkt online auf die Daten zugreifen. Das spart Bearbeitungsaufwand im Bundesverwaltungsamt. Und damit Geld.
Ende September 2023 waren bereits 3.956 Behörden zum automatisierten Abruf berechtigt, wie uns das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mitteilte. Darunter sind etwa Ausländerbehörden, Polizeien oder Geheimdienste. Nach der Erweiterung könnten 3.000 neue Behörden dazukommen, so die Schätzung im Gesetzentwurf. Das sind etwa Justizvollzugseinrichtungen, Jobcenter, Gesundheitsämter oder Gerichte. Lincoln fürchtet, dass ein automatisierter Zugriff die Hemmschwelle erheblich senkt, „sich über ausländische Staatsangehörige im AZR zu informieren“. Das erhöhe die Missbrauchsgefahr: „Und die ist ohnehin schon enorm“, so Lincoln weiter.
BAMF stellt Datenschutzverstöße festDass Behörden nicht unberechtigt auf die Daten zugreifen, soll unter anderem das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) kontrollieren. Es ist die zuständige Registerbehörde und überprüft laut AZR-Gesetz „die Zulässigkeit der Abrufe durch geeignete Stichprobenverfahren“. Seit Ende 2021 „wurden pro Quartal 2.400 Stichproben gezogen und überprüft“, schrieb ein Sprecher der Behörde auf unsere Anfrage im September.
Bei diesen Überprüfungen entdeckte das Bundesamt Probleme: In 0,3 Prozent der überprüften Fälle fand das BAMF Datenschutzverstöße, die so gravierend waren, dass sie an eine Datenschutzbehörde gemeldet werden mussten. In 1,5 Prozent der Fälle stellte die Behörde Datenschutzverstöße ohne Meldeverpflichtung fest. Die Meldepflicht entfällt dann, wenn die „Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten voraussichtlich nicht zu einem Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen“ führt.
In insgesamt 1,8 Prozent der Fälle hatten also Personen persönliche Daten zu sehen bekommen, die dazu nicht berechtigt waren. 1,8 Prozent klingen nach einer kleinen Zahl, doch können sie sich bei vielen Abrufen schnell aufsummieren. Laut einer Studie der GFF wird nur einer von etwa 14.000 Abrufen überprüft. Kommt es zu Verstößen, kann das reale Probleme für die Betroffenen machen: Ein Mitarbeitender der Bundesagentur für Arbeit etwa schüchterte mit Daten aus dem AZR einen ägyptischen Schutzsuchenden ein.
Schon ohne die geplante Erweiterung kritisieren Rechts- und Asylexpert:innen die Regelungen rund um das AZR als verfassungswidrig. Die GFF hat deshalb gemeinsam mit PRO ASYL und dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) eine Verfassungsbeschwerde gegen die letzte Neuregelung eingereicht, die im November 2022 in Kraft getreten ist. Sie richtet sich dagegen, dass seitdem Asylbescheide und Gerichtsentscheidungen in bestimmten Fällen in dem Register gespeichert werden können. Die GFF hofft: „Wir brauchen dringend eine Entscheidung aus Karlsruhe, die die grundrechtlichen Grenzen für die Speicherung von Daten geflüchteter Menschen klarzieht.“
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Chatkontrolle: EU-Kommission zweifelt an Einigung und geht mit Zwischenlösung in die Verlängerung
Die EU-Kommission glaubt offenbar nicht mehr daran, dass die umstrittene Chatkontrolle so schnell kommen wird wie geplant. Sie schlägt vor, die bisher geltende Interimsregelung des freiwilligen Scannens um zwei Jahre zu verlängern.
Die Verzögerung der Chatkontrolle ist auch auf den breiten zivilgesellschaftlichen Widerspruch zurückzuführen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Matthias KochDie EU-Kommission hat vorgeschlagen, die derzeitige Übergangsregelung zum freiwilligen Scannen nach Inhalten sexualisierter Gewalt gegen Kinder um zwei Jahre zu verlängern. Die bisherige Regelung läuft zum 3. August 2024 aus. Sie erlaubt es, dass Plattformen wie Facebook oder Anbieter von Cloudspeichern nach bekanntem Material suchen. Entsprechende Funde sowie die Personen, die das Material besitzen oder verbreiten, können die Unternehmen dann an zuständige Stellen melden.
Begründet wird die Verlängerung der bisherigen Interimsregelung (ePrivacy derogation) damit, dass sich die Verhandlungen über die neue Verordnung, die allgemein als Chatkontrolle bekannt ist, verzögert. Im Vorschlag (PDF) der EU-Kommission heißt es:
Die interinstitutionellen Verhandlungen über die vorgeschlagene langfristige Verordnung sind noch nicht abgeschlossen. Und es ist ungewiss, ob sie abgeschlossen werden können, so dass die langfristige Verordnung in Kraft treten und angewendet werden kann, bevor die Interimsverordnung ausläuft.
Damit das freiwillige Scannen auch während der Verhandlungen über die Chatkontrolle weitergeführt werden kann, bedürfe es einer befristeten Verlängerung der Interimsverordnung, so die Kommission. Auf diese Weise werde sichergestellt, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern im Internet ohne Unterbrechung wirksam und weiterhin rechtmäßig bekämpft werden könne, bis eine neue Regelung in Kraft tritt.
Verhandlungen stecken festDie Verhandlungen zur Chatkontrolle-Verordnung stecken derzeit fest. Während das EU-Parlament eine Kompromisslösung verabschiedet hat, ist sich der Ministerrat, also die Vertretung der Mitgliedsländer, alles andere als einig. Er hat die Abstimmung schon zweimal verschoben, und auch bei der bislang letzten Verhandlungsrunde zeichnete sich keine Mehrheit ab.
Nur 13 Staaten unterstützen den derzeitigen Vorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft. Mehrere Staaten müssen noch eine Position finden. Und eine Sperrminorität aus derzeit fünf Staaten – unter ihnen Deutschland, Frankreich und Österreich – lehnt den Vorschlag ab. Solange der Rat sich uneinig ist, kann das Gesetzesvorhaben nicht in die nächste Runde gehen, den Trilog aus Parlament, Rat und Kommission.
Die zivilgesellschaftliche Kritik am Vorhaben der EU ist außergewöhnlich breit. Neben der Zivilgesellschaft und renommierten Wissenschaftler:innen haben auch IT-Wirtschaftsverbände und der juristische Dienst des Rates die EU-Staaten vor der Verordnung gewarnt.
Update 13:00 Uhr:
Der EU-Abegordnete Patrick Breyer (Piraten) bezeichnet in einer Pressemitteilung die Verlängerung als „Eingeständnis des Scheiterns“ der EU-Kommission. Er kritisiert aber auch gleichzeitig die Freiwillige Chatkontrolle:
Die Verordnung zur freiwilligen Chatkontrolle ist sowohl unnötig als auch grundrechtswidrig: Die sozialen Netzwerke als Hostingdienste brauchen zur Überprüfung öffentlicher Posts keine Verordnung. Und die fehleranfälligen Verdachtsanzeigen aus der Durchleuchtung privater Kommunikation durch Zuckerbergs Meta-Konzern werden durch die angekündigte Einführung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zum Jahresende ohnehin entfallen.
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Aktionskunst: Bundesregierung nutzt Zensurheberrecht gegen unerwünschtes Kanzler-Video
Die Bundesregierung hat das Deepfake-Video vom Zentrum für Politische Schönheit jetzt auch auf YouTube löschen lassen. Sie beruft sich dabei auf das dafür eigentlich nicht vorgesehene Urheberrecht. Die Künstler sprechen von Zensur und kündigen rechtliche Schritte gegen die Bundesregierung an.
Screenshot des Videos, das die Bundesregierung in sozialen Medien löschen lässt. – Zentrum für Politische SchönheitNachdem die Bundesregierung bei Instagram das manipulierte Kanzler-Video des Kunstkollektivs Zentrum für Politische Schönheit wegen der Nutzung des Bundeskanzler-Logos hat löschen lassen, hat nun auch YouTube das Video auf Antrag der Bundesregierung gesperrt. Allerdings führt sie hier nicht wie bei Instagram das Markenrecht an, sondern macht Urheberrechtsansprüche auf eine Ukraine-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz geltend. Das urheberrechtliche Schützen öffentlicher Reden von Regierungsvertretern, um damit etwa Kunst oder Satire abzuwehren, ist umstritten. Die Künstler selbst sprechen von Zensur.
Es handelt sich dabei um das Video der jüngsten Aktion des Künstlerkollektivs zum AfD-Verbot. Im Video hatte das ZPS Bundeskanzler Olaf Scholz mittels Deep-Fake einen Verbotsantrag gegen die rechtsradikale AfD in den Mund geschoben. Die Bundesregierung hatte am Montag „verärgert“ auf das Video reagiert. Solche Deepfakes seien kein Spaß, sie schürten Verunsicherung und seien manipulativ, hatte ein Regierungssprecher getwittert. Das Original-Video ist weiterhin auf Twitter/X zu sehen, auf der Webseite afd-verbot.de hat die Künstlergruppe mittlerweile ein leicht verändertes YouTube-Video eingebunden, das nicht mehr das Bundeskanzler-Logo nutzt.
„Urheberrecht als Zensurinstrument“ Diese Lösch-Meldung erhielten die Aktionskünstler von YouTube.Der Anwalt und Urheberrechtsfachmann Till Kreutzer sagt gegenüber netzpolitik.org: „Der Einsatz des Urheberrechts gegen dieses Video ist Quatsch.“ Das Urheberrecht diene ja normalerweise dazu, dass Künstlerinnen und Autoren für ihre Werke angemessen vergütet werde. Es werde im Fall des Videos zu einem Vehikel: „Hier wird das Urheberrecht nun vom Staat als Zensurinstrument genutzt.“
Wenn die Bundesregierung gegen ein Deepfake vorgehen wolle, dann müsste sie eigentlich das Persönlichkeitsrecht des Bundeskanzlers ins Feld führen, sagt Kreutzer. Auch dort sei aber kontextbezogen eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Kanzlers und der Kunstfreiheit zu machen.
Aktionskünstler wollen sich juristisch wehrenDas Zentrum für Politische Schönheit selbst hält das Vorgehen der Bundesregierung für rechtswidrig. Bei YouTube selbst hat das Zentrum schon Einspruch gegen die Entscheidung eingelegt.
Das Bundespresseamt übergehe sämtliche künstlerischen Tatbestände, es erwarte wohl, dass vor Kunstwerken ein Warnschild mit der Aufschrift „Vorsicht Kunst“ stehe. „Wir weisen den Angriff auf die Kunstfreiheit entschieden zurück und werden gegen die Bundesregierung wegen ihres maßlosen Vorgehens juristisch vorgehen“, sagt Stefan Pelzer vom Zentrum für Politische Schönheit gegenüber netzpolitik.org.
Die Bundesregierung hat auf eine kurzfristige Anfrage zur Löschung des Videos noch nicht geantwortet. Google/Youtube hat auf unsere kurzfristige Anfrage geantwortet, dass es die Frist nicht einhalten könne. Wir reichen die Antworten nach, so sie denn kommen.
Was ist Zensurheberrecht?Der Begriff Zensurheberrecht steht schon beinahe zehn Jahre für Versuche des Staates und von Regierungen, mit dem Mittel des Urheberrechts gegen missliebige Publikationen vorzugehen. Größere Bekanntheit erlangte der Begriff im Zusammenhang mit den Afghanistan-Papers, aber auch nach jüngeren Fällen wie dem Vorgehen Bayerns gegen einen Datenjournalisten, der öffentliche Daten zu Windrädern veröffentlicht hatte. In diesen Fällen steht das Urheberrecht des Staates gegen die Grundrechte der Meinungs-, Presse- oder Kunstfreiheit.
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Palantir-Software: Bayerische Polizei testet Datamining mit echten Personendaten
Im bayerischen Landeskriminalamt läuft seit Monaten ein Testbetrieb der umstrittenen Analysesoftware von Palantir mit echten Personendaten. Der Landesbeauftragte für Datenschutz hat erst über Recherchen des Bayerischen Rundfunks davon erfahren – und will den Vorgang prüfen.
Wie sich eine KI polizeiliche Datenauswertung vorstellt. (Diffusion Bee)Es ist eine Art Suchmaschine für Polizei-Datenbanken: Die Software des US-Unternehmens Palantir soll bei der Verbrechensbekämpfung helfen. Das System, das in Bayern unter dem Namen VeRa läuft, kann Daten aus verschiedenen Datenbanken zusammenführen und sucht nach Querverbindungen, die Ermittler:innen sonst womöglich nicht auffallen würden. Eine rechtliche Grundlage für den Einsatz der Software gibt es in Bayern bislang allerdings nicht.
Trotzdem testet das Bayerische Landeskriminalamt das System offenbar seit Monaten – und verwendet dabei echte Personendaten. Das ergaben Recherchen des Bayerischen Rundfunks. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Thomas Petri erfuhr demnach erst durch die Anfrage des BR von dem Testlauf. Er bezweifelt, dass es für einen Testbetrieb mit echten Daten eine Rechtsgrundlage gibt und kündigt an, den Fall prüfen zu wollen. „Wir sind uns nicht im Klaren darüber, was die Polizei genau macht“, sagte er gegenüber dem BR.
Verfassungsgericht hatte strengere Regeln gefordertBayern hat die Software des US-Unternehmens bereits vergangenes Jahr erworben. Für Ermittlungen einsetzen darf das LKA die Software zum Datamining allerdings erst, wenn dafür eine Gesetzesgrundlage geschaffen wurde. Der Bayerische Landtag muss dazu das Polizeiaufgabengesetz ändern – ein Vorhaben, das die Regierung aus CSU und Freien Wählern auf den Weg bringen will.
Notwendig ist die Änderung auch, weil das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Februar ein Grundsatzurteil zum Datamining bei der Polizei gesprochen hat. Die automatisierte Datenanalyse sei demnach grundsätzlich verfassungsgemäß, aber nur in engen Grenzen, urteilte das Gericht. Die zu dem Zeitpunkt in Hamburg und Hessen geltenden Polizeigesetze erklärte das Gericht für verfassungswidrig, weil sie keine klaren Eingriffsschwellen für die Datenanalyse machten. Hessen setzt Software von Palantir unter dem Namen HessenData bereits seit 2017 ein. In Hamburg war die Einführung geplant.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hatte die Beschwerde gemeinsam mit Aktivisten und Journalist:innen eingereicht. Diese würden besonders Gefahr laufen, durch die Big-Data-Analyse ins Visier der Polizei zu rücken. Mit Werkzeugen wie der Software von Palantir könne die Polizei auf Knopfdruck komplexe Persönlichkeitsprofile erstellen. Davon seien im Zweifel auch unbescholtene Personen betroffen, die in Datenbanken als Zeugen oder Opfer bekannt sind.
Innenministerium sieht sich im RechtDas Bayerische Innenministerium ist der Ansicht, der Testbetrieb mit realen Daten sei auch mit dem derzeitigen Polizeiaufgabengesetz (PAG) möglich. Dem BR teilte das Ministerium mit: „Die testweise Datenverarbeitung wird nicht für polizeiliche Zwecke genutzt, sie dient lediglich der internen Prüfung der Anwendung. Eine gesonderte Rechtsgrundlage im PAG ist nicht erforderlich.“
Laut bayerischem Innenministerium wird das System dort mit Daten aus sechs polizeilichen Ermittlungssystemen getestet, darunter Datenbanken wie der Fahndungsbestand INPOL-Land, aber auch das Programm zur Bearbeitung von Verkehrswidrigkeiten.
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Nach Razzia bei Redakteur: Anwält*innen wollen Zugriff auf Laptop-Daten stoppen
Bei einer Razzia gegen einen Journalisten des Freiburger Senders Radio Dreyeckland hat die Polizei auch einen dienstlichen Laptop mitgenommen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte will nun per Eilantrag verhindern, dass Beamt*innen „zehntausende vertrauliche Mails der Redaktion“ auswerten.
Was wird aus den gespiegelten Laptopdaten? (Symbolbild) – CC-BY 4.0 Laptop: DataBase Center for Life Science (CC BY 4.0 Deed); Montage: netzpolitik.orgSeinen Laptop hat Radio-Redakteur Fabian Kienert längst wieder. Aber die Daten darauf hatten die Beamt*innen vorher gespiegelt, das heißt: kopiert. Und diese Daten liegen jetzt bei der Staatsanwaltschaft.
Am 17. Januar gab es eine Hausdurchsuchung bei Kienert, einem Journalisten des Freiburger Senders Radio Dreyeckland. Auch in den Räumen der Redaktion des Radio-Senders gab es eine Razzia. Bei Kienert haben die Polizist*innen unter anderem einen Laptop und USB-Sticks mitgenommen. Jetzt befürchtet der Journalist, dass Beamt*innen die von den Geräten gesammelten Daten durchforsten könnten, obwohl sie unter das Redaktionsgeheimnis fallen. Dieses Prinzip ist eine Säule der Pressefreiheit: Es soll etwa die Dateien und Unterlagen von Journalist*innen vor staatlichen Zugriffen schützen, sodass der Austausch mit Quellen und Informant*innen vertraulich bleibt.
Damit Kienerts Daten nicht ausgewertet werden, hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) nun „Anhörungsrüge erhoben und Eilantrag beim OLG Stuttgart gestellt“, wie die GFF im Fediverse bekanntgab. Der gemeinnützige Verein schützt Grundrechte durch strategische Gerichtsverfahren. GFF-Jurist David Werdermann spricht von einem „beispiellosen Angriff auf die Presse- und Rundfunkfreiheit“. Redaktionsgeheimnis und Quellenschutz wären im aktuellen Fall faktisch aufgehoben.
„Wir argumentieren, dass das Gericht unser Recht auf rechtliches Gehör verletzt hat, indem es unsere Argumente übergangen hat“, erklärt Werdermann auf Anfrage von netzpolitik.org. Demnach habe die GFF beantragt, gehört zu werden und die Daten nicht auszuwerten.
Zu dem Fall gibt es eine Vorgeschichte. Anstoß für die Razzia bei Redakteur Kienert im Januar diesen Jahres war ein Online-Artikel aus dem Sommer 2022, erschienen bei Radio Dreyeckland. In diesen Artikel stand der Link auf das Archiv der Website linksunten.indymedia.org. Und Linksunten Indymedia ist ein Politikum. Das Portal war eine der wichtigsten Anlaufstellen für die linke und linksradikale Szene in Deutschland; 2017 ist der Betrieb durch den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verboten worden.
Es folgte ein jahrelanger Streit um die Frage, ob das legitim war, ja ob Linksunten Indymedia überhaupt eine Vereinigung ist oder doch ein Medium. Der Vorwurf gegen Dreyeckland-Redakteur Kienert lautet dennoch: Mit dem Online-Artikel und der Verlinkung auf Linksunten habe er eine verbotene Vereinigung unterstützt; und das wäre eine Straftat.
Laptop war verschlüsseltZunächst hatte das Landgericht Karlsruhe die Klage gegen Kienert abgewiesen und später auch die Razzia für nicht rechtens erklärt. In der nicht öffentlichen Begründung schrieb das Gericht im August unter anderem vom Einschüchterungseffekt, den so eine Hausdurchsuchung mit sich bringe. Nicht nur für Kienert selbst, sondern auch für andere Reaktionsmitglieder, die kritisch über staatliche Angelegenheiten berichten. Die Wende kam allerdings durch das Oberlandesgericht Stuttgart. Dem OLG zufolge war die Razzia bei Redakteur Kienert doch rechtens und der Journalist soll sich doch vor Gericht verantworten. Also wartet er nun auf seinen Verhandlungstermin im Frühjahr 2024.
Die GFF spricht von „zehntausenden vertraulichen Mails der Redaktion“, die nun in den Händen der Staatsanwaltschaft seien. Zwar waren die Daten auf Kienerts Laptop verschlüsselt und lassen sich zunächst nicht lesen. Ob sich so eine Verschlüsselung überhaupt knacken lässt, hängt von der jeweils eingesetzten Technologie ab. Bei der Razzia hätten die Beamt*innen allerdings auch unverschlüsselte USB-Sticks mitgenommen, wie Kienert erklärt.
Laut GFF wolle das OLG Stuttgart durch die geplante Auswertung der Daten herausfinden, wer den Artikel mit dem Link auf Linksunten Indymedia verfasst habe. Wohlgemerkt: Es ist bekannt, dass der Verfasser der Redakteur Kienert war. Das hatte der angeklagte Journalist auch direkt während der Razzien – nach Absprache mit seiner Anwältin – öffentlich eingeräumt. Die GFF vermutet deshalb einen anderen Grund für das Interesse an den Daten: Tatsächlich wolle die Staatsanwaltschaft „den Quellenschutz aushebeln“ und die Menschen hinter dem Archiv von Linksunten Indymedia aufspüren, schreibt die Organisation im Fediverse.
Wir haben das OLG Stuttgart um eine kurzfristige Stellungnahme gebeten. Ein Sprecher schreibt – sinngemäß – er könne uns gar nichts sagen. Das OLG könne derzeit nicht einmal bestätigen, dass Anhörungsrüge und Eilantrag bereits erfasst seien. Zu den Vermutungen über die Intentionen seiner Behörde könne er auch keine Stellungnahme abgeben.
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Recht auf Asyl: Anwalts-Netzwerk hält Abschiebegesetz für verfassungswidrig
Die Bundesregierung will mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ schneller abschieben. Rechtsexpert:innen halten die geplanten Regelungen für verfassungswidrig und fordern mehr Integrationsangebote. Die Verengung auf eine kleine Zahl von Ausreisepflichtigen leite „Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen“.
Für Asylsuchende sind Smartphones wichtige Werkzeuge. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Ralph LuegerDie Rechtsberaterkonferenz der Wohlfahrtsverbände hält die von der Bundesregierung geplanten Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts für teilweise verfassungswidrig. Das sogenannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“, das derzeit im Bundestag beraten wird, müsse grundlegend überarbeitet werden, fordert das Netzwerk. In der Rechtsberaterkonferenz treffen sich Anwält:innen, die gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden wie der Caritas, der Diakonie oder dem Deutschen Roten Kreuz Rechtsberatung für Asylsuchende anbieten.
„Viele der geplanten Regelungen würden massiv und ungerechtfertigt in Grundrechte eingreifen“, kritisiert Rechtsanwältin Catrin Hirte-Piel. „So sollen bei Abschiebungen auch die Zimmer gänzlich Unbeteiligter, auch Räume von Familien mit Kindern, in Flüchtlingsheimen durchsucht werden können – ohne richterlichen Beschluss, was das Grundgesetz verbietet.“ Hirte-Piel kritisiert auch die Pläne, die Handys von Asylsuchenden und Ausreisepflichtigen zur Identitätsklärung zu durchsuchen. Sie verweist auf den Bundesrat, der dies bereits als verfassungswidrig eingestuft habe.
Der Bundesrat hatte bereits bei Einführung der Handydurchsuchungen im Jahr 2017 eine kritische Stellungnahme abgegeben. Auch die damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff hatte Zweifel, „inwieweit der damit verbundene Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme verfassungsgemäß ist“.
Im Februar hatte außerdem Deutschlands oberstes Verwaltungsgericht geurteilt, dass die pauschalen Handydurchsuchungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht rechtens seien. Die Bundesregierung plant dennoch, mit den Durchsuchungen weiterzumachen – und will sie sogar ausweiten, so dass in Zukunft nicht nur Daten auf den Geräten selbst, sondern auch Cloudspeicher durchsucht werden dürfen.
Anwält:innen fordern Fokus auf Integration„Erneute Verschärfungen der Abschiebungshaft braucht es nicht“, sagt der Hamburger Rechtsanwalt Heiko Habbe. Schon die bisherigen Regeln seien so kompliziert, dass Behörden und Gerichte sie regelmäßig falsch auslegten.
Die Anwältinnen und Anwälte kritisieren außerdem die geplanten Kürzungen der Asylbewerberleistungen. „Diese werden teils ausdrücklich mit einer Abschreckung begründet, was das Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung von 2012 als verfassungswidrig bezeichnet hat“, sagt die Münchner Rechtsanwältin Katharina Camerer. Besonders die geplanten Bezahlkarten für Geflüchtete, die unter anderem Bayern und Hamburg nun einführen wollen, seien eine unzulässige Beschränkung der sozialen Teilhabe, die gerade Kinder treffen würde.
Das Netzwerk übt auch Kritik an der politischen Rechtfertigung des Gesetzes. „Es wird ein Bild vermittelt, dass Asylsuchende letztlich illegitim nach Deutschland kämen. Ein Blick in die Asylstatistik der Bundesregierung zeigt aber: Der breiten Mehrheit der Asylsuchenden wird ein Schutzstatus zuerkannt“, sagt Rechtsanwältin Oda Jentsch aus Berlin. Sie verweist auf die Zahlen: Gut 70 Prozent der Asylsuchenden, deren Fluchtgründe vom BAMF geprüft werden, bekommen Schutz in Deutschland. Weitere zehn Prozent bekämen Asyl, nachdem sie gerichtlich gegen die Entscheidung vorgingen.
Statt einem Fokus auf Abschiebungen sollte sich die Politik auf diese Menschen konzentrieren und ihnen Sprachkurse, Schulen, Kitas und Wohnraum so wie schnellen Zugang zu Arbeit bieten. Die von der Bundesregierung geplanten Verkürzungen der Arbeitsverbote und die ebenfalls geplante Aufenthaltserlaubnis für die Ausbildung nennt sie richtig, sie gingen aber nicht weit genug.
Verengte Diskussion dient RechtsextremenDie Bundesregierung plant mit dem „Gesetz zur Verbesserung von Rückführungen“ derzeit eine weitere Verschärfung der geltenden Asyl- und Aufenthaltsregeln. Vorgesehen sind unter anderem die Verlängerung der Höchstdauer des Ausreisegewahrsams auf 28 Tage, erweiterte Möglichkeiten zum Betreten von Räumlichkeiten in Gemeinschaftsunterkünften sowie weitere Verschärfungen. So soll etwa die einmonatige Ankündigungspflicht für Abschiebungen, denen eine mindestens einjährige Duldung vorausging, gestrichen werden. Damit will die Bundesregierung für mehr und schnellere Abschiebungen sorgen und die Kommunen entlasten.
Das Anwaltsnetzwerk hält die Behauptung für irreführend. Eine Entlastung der Kommunen könne durch mehr Abschiebungen gar nicht erreicht werden, sagt Rechtsanwalt Heiko Habbe. Dafür sei die Zahl der ausreisepflichtigen Personen, bei denen kein Abschiebehindernis vorliegt, mit rund 50.000 viel zu gering: „Die auf diese kleine Gruppe verengte Diskussion leitet letztlich Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen.“
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Digitalisierung: 25 Berliner*innen berichten, wie sie Termine beim Bürgeramt ergattern
Bürgerämter in Berlin sind ständig ausgebucht. Per Online-Formular können Berliner*innen die ganze Stadt nach freien Terminen abgrasen, oft ohne Erfolg. Hier erzählen sie von ihrem Frust – und ihren Tricks.
– CC0 DALL-E-3 (people in a maze, bahaus style, reduced minimalist geometric shape); Bearbeitung: netzpolitik.orgEs gibt Restaurants in Berlin, da bekommt man ohne Reservierung keinen Platz, so viele Menschen wollen rein. Und es gibt die Bürgerämter. Auch hier sind die Termine knapp – und das, obwohl statt handgemachter Nudeln nur Personalausweise über die Theke gehen. Der delikate Unterschied: Auf ein gehyptes Restaurant kann man verzichten. Der Gang zum Bürgeramt ist Pflicht, etwa wenn man in eine neue Wohnung zieht oder der Personalausweis abläuft.
Unsere Datenrecherche hat gezeigt: Einen Termin beim Bürgeramt bucht man nicht einfach. Man muss ihn sich schnappen. Oft behauptet das Online-Buchungsportal schlicht: Es gibt gar keine Termine, nirgendwo in Berlin, zu keinem Zeitpunkt. Durchschnittlich müssen Nutzer*innen die Seite drei Mal neu laden, bis zumindest irgendein freier Termin erscheint. Und der ist noch lange nicht günstig für die Suchenden.
Wir wollten wissen, wie Berliner*innen damit umgehen und haben nach ihren Geschichten gefragt: in unserem Newsletter, im Fediverse und auf Reddit. Dutzende Berliner*innen haben uns Antworten geschickt, hier veröffentlichen wir eine Auswahl. Einige baten uns, ihre Geschichten nur mit Pseudonym zu veröffentlichen; einige haben wir aus dem Englischen übersetzt und gekürzt.
Die Stichprobe ist nicht repräsentativ und wir können die Schilderungen nicht im Einzelnen überprüfen. Doch sie ähneln sich sehr und zeichnen ein kohärentes Bild: Fast niemand kann das Online-Buchungssystem so nutzen, wie es eigentlich gedacht ist. Mühelos und ohne Vorwissen einen Termin beim Bürgeramt in der Nähe bekommen, das ist fast unmöglich. Manche finden das weniger belastend, andere mehr. Auf jeden Fall braucht es für einen Termin beim Bürgeramt Geschick, Geduld, Glück – oder kaum bekannte Workarounds.
Strategie: Stumpfe Hartnäckigkeitwet-dreaming: „Ich habe am frühen Morgen einfach regelmäßig die Website neu geladen, so habe ich nach ein bis zwei Stunden einen freien Termin gefunden. (…) Oft ist das Bürgeramt nicht im eigenen Bezirk und der Termin ist während der Arbeitszeit, aber es ist besser als nichts.“
derLudo: „Ich habe schon meinen Termin beim Bürgeramt gebucht, bevor ich eine neue Wohnung gefunden hatte. (…) Mehrere Tage lang habe ich versucht, einen zu bekommen. Ich habe zu verschiedenen Zeiten nachgeschaut und immer nur gelesen, dass im Moment keine Termine verfügbar sind. Oder es gab nur ein paar Termine am selben oder nächsten Tag, die ich nicht wahrnehmen konnte. Schließlich fand ich einen Termin in zwei Monaten.“
Becky: „Ich liebe es, nach Terminen beim Bürgeramt zu suchen, es ist wie ein Spiel für mich. Neu laden, neu laden, neuladen – BAM – Klick! und so schnell wie möglich die eigenen Daten eingeben. Das macht Spaß. Der einzige Nachteil ist, dass man bereit sein muss, jederzeit überall hinzufahren, und manchmal muss man auch direkt das Haus verlassen.“
Hot_Chef_1339: „Es ist wie ein kostenloses Online-Strategie-Spiel.“
Embarrassed_Back_917: „Man muss die Seite höchstens eine Stunde lang immer wieder neu laden. Die Leute übertreiben.“
Quer durch BerlinJekaterin: „Ich wohne direkt neben einem Bürgeramt, konnte dort aber keinen Termin bekommen, also wählte ich Neukölln aus Verzweiflung, 40 Minuten Fahrt. (…) Zuerst sagte die Beamtin, ich könne im gebuchten Zeitfenster nur eine Leistung in Anspruch nehmen, aber ich brauchte einen Reisepass für meine Tochter und einen Personalausweis für mich. Wie ärgerlich ist das denn? Ich musste also später einen anderen Termin im Bürgeramt Mitte vereinbaren, nur für den Reisepass meiner Tochter.“
Lukas: „Ich habe am 11. Oktober 2022 beim Bürgeramt online einen Termin für einen neuen Personalausweis gesucht. Der früheste Termin war der 5. Dezember. Natürlich nicht im eigenen Bezirk, sondern mit einer Anfahrt von 24 Kilometern, das dauert mit der BVG eine Stunde. Immerhin bin ich mobil und zeitlich flexibel und kann mir meine Termine weitgehend selbst machen.“
Hendrik: „Ich habe gerade erst einen neuen Personalausweis und Reisepass in Berlin beantragt. Ich brauche die Dokumente für meine Arbeit. Da wechsele ich gerade in einen Bereich mit höhren Sicherheitsanforderungen. Ich kann dazu nicht mehr sagen – jedenfalls hätte ich weniger Geld verdient, wenn ich die Dokumente nicht innerhalb weniger Wochen beisammen gehabt hätte. Im Online-Portal waren aber zuerst nur Termine in acht Wochen verfügbar, berlinweit. Das wäre zu spät gewesen. MIt Glück konnte ich noch einen abgesagten Termin in zwei Wochen erwischen. Dafür musste ich vom Norden ganz nach Süden fahren, und zwar drei Mal: zuerst Pass und Perso beantragen, dann den neuen Perso abholen, zuletzt den neuen Pass. Später beim Blutspenden hatte die Empfangsperson meinen neuen Perso gesehen und mich ungläubig gefragt, was ich anstellen musste, um ihn zu bekommen.“
fluxy2535: „Ich war zu der Zeit noch in den USA und habe berlinweit keinen Termin gefunden. Etwa 20 Minuten später habe ich die Website aktualisiert und einen bekommen, eine Woche nach meiner Ankunft. Zugegeben, es war an einem Freitagsmorgen um 7:52 Uhr in Weißensee. Aber ich war einfach nur froh, nachdem ich so viele Horrorgeschichten gehört hatte.“
Strategie: Früh aufstehenGol_D_Haze: „Ich erinnere mich, dass ich letztes Jahr vier Monate gebraucht habe, um einen Termin zu bekommen, obwohl ich jeden zweiten Tag gesucht habe. Am Ende hat es nur funktioniert, indem ich extra vor acht Uhr aufgestanden bin, damit ich einer der Ersten sein kann.“
Francis: „Ich habe die Website um 7:50 Uhr besucht und etwa 10 Minuten gebracht, um einen Termin am selben Tag zu bekommen.“
Gertrud: „Ich musste im April einen neuen Personalausweis beantragen. Zuerst habe ich morgens zwischen sieben und acht Uhr versucht, einen der frisch freigeschalteten Termine in Steglitz zu bekommen – das ist mir aber nicht gelungen. Nach zwei Tagen habe ich dann auch andere erreichbare Bezirke angeschaut und in Kreuzberg einen Termin für Mitte April gefunden.“
sotanodroid: „Ich habe es schon drei Mal geschafft, einen Termin am selben Tag zu bekommen. Dafür stehe ich früh auf und fange ab acht Uhr an, die Website immer neu zu laden, bis ich einen Termin finde. Es war meist nicht das Bürgeramt, das ich am bequemsten erreichen konnte, aber zumindest hatte ich meinen Termin.“
Frust und VerzweiflungLucy: „Mein Perso ist im Oktober 2022 abgelaufen, mein Reisepass kurz danach. Ich hatte immer mal wieder seit letztem Sommer online nach Terminen geschaut. Immer war NICHTS buchbar, also im Sinne von GAR NICHTS. Im Oktober kam ich dann Knall auf Fall ins Krankenhaus: Operation, Krebsdiagnose, Chemo. Bis April 2023 ruhten meine Bemühungen. Mein abgelaufener Perso hatte folgende Nachteile:
- Ich konnte kein Bankkonto für meine Tochter eröffnen lassen, da dafür die Persos von beiden Elternteilen nötig waren.
- Ich konnte keinen Ergänzungsausweis bei der dgti (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität) beantragen. Das ist ein Ausweispapier, das alle selbstgewählten personenbezogenen Daten (Vorname, Pronomen und Geschlecht) dokumentiert und ein aktuelles Passfoto zeigt.
- Bei den Wahlen fürs Berliner Abgeordnetenhaus und den Volksentscheid hätte auch eigentlich nicht wählen gehen dürfen. Aber zwei Mal wurde mein Ausweis dankenswerterweise nicht richtig genug geprüft, sodass ich doch meine Stimme abgeben konnte.
Nach der Chemo hatte ich weiterhin keine Chance, online einen Termin zu bekommen. Mehrfach in die Online-Vergabe reingeschaut, mehrfach gab es GAR NIX. Dann habe ich den Tipp bekommen, eine E-Mail zu schreiben. Ich bekam am selben oder nächsten Tag einen Termin für den nächsten oder übernächsten Tag. Ich musste mich beeilen, überhaupt Fotos zu bekommen. Das Highlight war dann, dass meine Unterschrift als ‚unleserlich‘ nicht akzeptiert wurde, und mein Pass nun eine Druckbuchstaben-Fantasie-Unterschrift ziert.“
Christian: „Ich musste im Jahr 2015 meinen Sohn anmelden. Das Gesetz fordert, das muss 14 Tage nach Umzug passieren. Frühester Termin war in drei Monaten. Auf meine Beschwerde beim Regierenden Bürgermeister kam ungefähr folgende Antwort: Das Problem sei und bekannt und man arbeite daran. Aber eigentlich sei ich ja selbst schuld, weil man ja einen Umzug plant und deshalb vorausschauend hätte einen Termin buchen müssen. Scheidungskinder, die umziehen, kennt man im Roten Rathaus wohl nicht.
Ich wohne in Mitte (Wedding). Zuständig wäre das Bürgerbüro am U-Bahnhof Osloer Straße. Dort bekommt man aber zeitnah keinen Termin – seit 2016!!! Es hat dann in anderen Bürgerbüros in Berlin geklappt. Als mein Sohn innerhalb von zwei Wochen spontan einen Reisepass brauchte, haben wir ihn kurzfristig wieder in Brandenburg angemeldet. Das wollten wir in Berlin gar nicht erst probieren.“
QualityOverQuant: „Ich hätte nicht gedacht, dass man in einem digitalisierten Staat morgens um 7:00 Uhr eine Website neu laden muss, um einen Termin zu finden. (…) Man will sich hier nicht illegal aufhalten und ist schon durch die Terminsuche beim Bürgeramt gestresst, das ist ein furchtbarer Zustand. Auf der einen Seite gibt es hier einen Haufen Regeln, aber auf der anderen Seite kann man kaum einen zeitnahen Termin bekommen, ohne bei einem Spiel auf Micky-Maus-Niveau mitzumachen. Sagen Sie mal meiner Mutter, dass sie sich, um einen Termin zu bekommen, hinsetzen und am Computer auf „Seite neu laden“ klicken muss. Bullshit wird zur Normalität, wenn wir das akzeptieren.“
obviousredflag: „1/10. Als wollte man einen Friseurtermin mit der Faxmaschine vereinbaren.“
Strategie: WorkaroundSamuel: „Vor etwa einem Jahr habe ich aus mehreren Gründen Termine beim Bürgeramt gebraucht. Ich war gerade frisch nach Berlin bezogen, musste also meinen Wohnsitz ummelden. Außerem hatte ich meinen Geldbeutel verloren, da waren Personalausweis und Führerschein drin. Immerhin hatte ich noch einen gültigen Reisepass. Ich hatte versucht, online einen Termin zu bekommen, aber da war nichts zu finden. Eine Bekannte, die in Berlin aufgewachen ist, hat mir dann einen Tipp gegeben. Ich sollte bei einem Bürgeramt in einem Randbezirk anrufen. Die haben mehr Kapazitäten und Zugriff auf das gesamte Terminbuchungs-System. Also habe ich es an einem Freitagnachmittiag im Oktober beim Bürgeramt Lichterfeld versucht – und es hat geklappt. Dort konnte ich mir für den darauffolgenden Montag einen Termin beim Amt Tempelhofer Feld aussuchen. Eigentlich soll man sich innerhalb von 14 Tagen melden, wenn man umgezogen ist. Das sind Vorgaben, denen man schlicht nicht nachkommen kann. Als ich erklären wollte, warum ich länger gebraucht habe, hat die Beamtin nur wissend genickt.“
Mesmerhypnotise: „Hab am frühen Morgen die Nummer vom Bürgertelefon 115 gewählt und für den gleichen Tag einen Termin in der Nähe bekommen.“
punkonater: „Es war gar nicht schwer. Ich habe eine E-Mail an das Bürgeramt (Tempelhof) geschrieben und um einen Termin gebeten. Ich habe dafür tatsächlich Google Translate benutzt und das sogar in der E-Mail erwähnt und mich für etwaige grammatikalische Fehler entschuldigt. Sie haben mir ziemlich schnell eine E-Mail mit einem Termin in drei Wochen geschickt. Ich glaube, sie wissen alle, dass ihr System überlastet ist, deshalb stört das keinen, wenn du die Zwei-Wochen-Regel brichst.“
Mr_Stobbart: „Wir haben ihnen einfach eine E-Mail mit dem Dokument geschickt, das beweist, dass wir irgendwo eingezogen sind, und sie haben uns mit einem Termin in 1,5 Monaten geantwortet.“
special-investment39: „Ich habe es nie geschafft, online einen Termin zu vereinbaren. Ehrlich gesagt bin ich schon drei Mal direkt ins Bürgeramt geagngen und habe dort immer eine Person gefunden, der ich mein Problem schildern konnte, und die mir einen Termin in den nächsten Tagen gegeben hat. Alles auf Englisch. Frag die jüngeren Beamt:innen, die sind überraschenderweise gerne bereit, Ausländer:innen zu helfen.“
Glück und Erleichterungottoottootto: „Ich habe zwei Mal auf der Website nach freien Terminen gesucht, wobei einige Tage dazwischen lagen. Beim zweiten Versuch bekam ich einen Termin im nächstgelegenen Bürgeramt in Kreuzberg, zu einer angenehmen Zeit. Mein:e Partner:in bekam auch einen Termin zehn Minuten später, also gingen wir zusammen hin.“
billybokonon: „Ich bin erst kürzlich nach Berlin migriert. Ich versuche, so viel wie möglich im Voraus zu planen. Ich werde voraussichtlich übernächsten Monat in eine andere Wohnung ziehen. Den Mietvertrag habe ich noch nicht unterschrieben. Aber habe schon einen Anmeldetermin elf Tage nach dem Einzug.“
tabaaza: „Letzte Woche habe ich mir sechs Termine gesichert; fünf davon habe ich wieder abgesagt und den besten behalten. Ich konnte jedes Mal einen noch früheren Termin für mich finden. Es war sehr einfach und ich war überrascht, weil es sonst sooooo schwer war und man früh aufstehen und eine Million Mal neu laden musste, um einen Termin zu bekommen.“
Wie ihr mit ein paar Kniffen möglichst frustfrei an einen Termin kommt, erklären wir in unserem Service-Artikel.
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