Anti-Jubel zum Fall der Mauer vor 25 Jahren
Die große Toröffnung
Der neunte November. Maueröffnung. Hurra, hurra!! Nicht endenwollender Jubel. Auch nach 25 Jahren Leben in der BRD noch? Für wen? Jubeln solle man, das ist die Freude Jedermanns, vor allem aber derjenigen, die sich raubritterartig einstiges Volkseigentum unter den Nagel rissen. Die haben sogar Mehr-Wert-Grund zum großmäuligen Jubeln.
So eine Toröffnung, so ein Einfallstor für´s Kapital. So eine gierige Wiederinbesitznahme von Land, Leuten und Betrieben, von Straßen und Eisenbahnnetzen. Deren Geheimcode: Nie wieder Enteignungen. Nie wieder links. Nie wieder Sozialismus. Der Antikommunismus lässt grüßen. Freie Bahn für Investoren. Grünes Licht für neue Ausbeutung, freies Geleit für Emporkömmlinge, für Karrieristen und Halsabschneider.
► Wer wollte das? Das ganze Volk der DDR?
Da brüllte jemand eilfertig von jenseits der Staatsgrenze: Blühende Landschaften sollt Ihr haben! Also nun zurück gebläkt, im Chor natürlich: „Deutschland einig Vaterland!“ Wem soll man das verdenken? Da strömten sie in Scharen. Bürgerbewegungen, die nach Veränderungen innerhalb des Bisherigen strebten, versackten und verstummten mit feuchten Lippen in der Schlammflut der Profitmacher-Eliten.
Was fiel da bei uns ein? Was hat es gebracht? Teure Wohnungen und Rausschmisse. Die Herrschaft der Immobilien-Spekulanten, größtenteils. Arbeitslosigkeit. Korruption. Zunehmend klaffende Wunden zwischen Oben und Unten. Armut. Egoismus. Obdachlosigkeit. Manipulierte Einäugigkeiten. Geschichtsfälschungen am laufenden Band, besonders, was die Ursachen von Kriegen betrifft. Während des Ukraine-Konfliktes und zuvor bereits drastische Schreie der Deutschen nach einer Vormachtstellung in Europa und in der Welt. Politisches Gebrülle nach Mitspracherecht in der von USA/NATO dirigierten Expansionspolitik. Ein neuer Ritt gen Osten?
Also großer Jubel, begleitet durch den unerhörten Trommelwirbel der Medien. Den Blick auf die Geschichte der DDR lassen sie nur durch ein Schlüsselloch zu – aus Angst, Vernünftiges könnte überschwappen. Wen juckt es? Zu wenige, aber immerhin diejenigen, die sich noch im Wachzustand befinden. Erkenntnisse über den heutigen BRD-Zustand mögen individuell und lokal bedingt groß sein. Im Inneren kocht es bei so einigen Leuten. Schreibt es nieder. Geht demonstrieren. Lest. Ruft es hinaus. Oder geht im Zweifelsfalle shoppen. Sich ablenken. Ruhig bleiben. Dabei nicht in die Brieftasche schauen. Da könntest du einen Schock bekommen.
Also sich anpassen? Das fehlte noch. Da rühren die Allmächtigen am Schlaf der Welt, rühren wieder die Kriegstrommeln – und keiner regt sich auf? Basta. Kann das sein? Wie schon einmal, als die Braunen zum Generalangriff auf den Bolschewismus bliesen und allzu viele jubelten - und dann ?
► Die große Absicherung
Gewiss – ein notwendiges Übel. Wie wird daran erinnert?
- Werden etwa die Kalten Krieger gebrandmarkt?
- Diejenigen, die seit der Befreiung vom Faschismus stets und immer wieder zur „Befreiung“ der Ostzone aufriefen?
- Dass die Gefahr eines Atomkrieges bestand?
- Dass dies auch Kennedy bestätigte? Wird daran gedacht?
- Werden ins Kalkül gezogen u.a. die Hallstein-Doktrin?
- Die Delegitimierung der „Ostzone“ von Anbeginn?
Die Truman-Doktrin, die ideologische Begründung für den Kalten Krieg. Die Stalin-Noten 1952 und die Absage Adenauers? „Rheinischer Merkur“ 20.7.1952: Befreiung sei die Parole? Der Beitritt der BRD zur NATO? Juni 1948: Die separate Währungsunion? 1948 der Beitritt zur Westunion? Marshallplan? 1950: Himmeroder Denkschrift - „Heimatdienst“ (deutscher Verteidigungsbeirat)? 8.8.1961 – bereit, weitere 6 Divisionen nach Europa zu verlegen, so US-Außenminister Dean Rusk? 9.7.1961: Bonner Rundschau – in der Lage sein, alle Mittel des Krieges anzuwenden? 1996: Kinkel, Zweifel am Potsdamer Abkommen?
Fazit: Die BRD sollte unter den Fittichen der USA als Speerspitze gegen den Osten funktionieren.
► Verbarrikadierte Seelen?
Keine Fragen danach? Zugemauerte arme Seelen? Mit massiver Beihilfe durch die bürgerlichen Medien? Knallharte Geschichtsfakten zu vergessen, ja bewusst zu unterdrücken, kommt einem gesellschaftlichen Kriminalakt gleich. Bleiben als „Argumente“ nur noch Tränen, Familientrennungen und Opfer in der Medien-Berichterstattung übrig?
Der Mauerbau 1961. Natürlich, den kannst du „so oder so“ betrachten. Nimmst du ihn nur als „Todesstreifen“ zur Kenntnis, als Trennendes zwischen Deutschen, als einsperrende Maßnahme, als Gefängnis für die DDR-Bewohner, dann verzerrt sich dein Geschichtsbild, gehörig sogar, dann lässt du dich blenden von denen, die dafür verantwortlich sind, dass Deutschland in den Krieg getrieben wurde und dann die Folgen zu tragen hatte - auch die der Zweistaatlichkeit. Siehst du den Mauerbau aber auch als Schutzmaßnahme gegen die Ausplünderung des ersten Deutschen Friedensstaates, als Abwehrkampf gegenüber dem Alleinvertretungsanspruch der BRD, als Maßnahme der Friedenserhaltung - was sich ja auch nachträglich jahrzehntelang bestätigt hat - dann siehst du mehr als nur mit einem Auge.
Wer Ursache und Wirkung allerdings nicht auseinanderhalten kann, nicht in Zusammenhängen denken gelernt hat, der steht in einer politischen Notsituation. Dem bleibt nichts weiter übrig, als sich mit Hasstiraden oder gar kriminellen Aktionen zu „rechtfertigen“. Das aber ist politisches Glatteis. Die Frage nach dem „Jubel“ anlässlich des 9. November 1989 bekommt damit eine viel größere und wichtigere Funktion, eine politische Dimension.
Zu kurz gedacht?
Harry Popow
Lesetipps ergänzt von Helmut Schnug:
Leipziger Elitendatenbank: Kaum Ostdeutsche in den oberen Führungsetagen, ein gesamtdeutsches Problem. Die Leipziger Elitendatenbank sammelt öffentlich frei zugängliche Informationen über die Inhaberinnen und Inhaber von Elitepositionen in Deutschland. In dem Vorgängerprojekt „Soziale Integration ohne Eliten“ wurden in den Jahren 2018/2019 bereits über 3000 Elitepositionen erhoben. Die aktuelle Erhebung nimmt das aktualisierte Sample aus dieser Erhebung als Grundlage.
Der Elitenmonitor der Uni Leipzig zeigt, dass bei etwa 20% Bevölkerungsanteil schaffen es beispielsweise nur . .
8,2% im Bereich Wissenschaft,
8,1 % in Topjobs bei den Medien,
8,0 im Bereich Kultur,
4,3% an die Spitze von großen Unternehmen (Wirtschaft und Arbeitgeberverbände),
2,1% in Top-Positionen der Justiz
und 0,0 % beim Militär.
Quelle: Universität Leipzig, Universität Jena und Hochschule Zittau/Görlitz >> Elitenmonitor >> Leipziger Elitendatenbank.
»DRESDEN: 1902 wurde das Kaufhaus Günther eröffnet. Am 22.12.2007 war der letzte Verkaufstag, 2016 abgerissen. Dresdner Nostalgie. Deutschland wird auch gerade abgerissen.« Von Rocco Burggraf, Ansage.org, im KN am 22. Dezember 2023 >> weiter.
»Eine Nachbetrachtung zur sogenannten Deutschen Einheit. Wahn und Wirklichkeit. Wiedervereinigt? Was gibt es zu feiern am Tag der deutschen Einheit? Nicht viel, wie es aussieht. Das Brandenburger Tor war beispielsweise nicht sonderlich geschmückt. Dafür gab es jede Menge Demonstranten, die den Rücktritt der Regierung forderten. In München und etlichen anderen Städten sah es nicht anders aus. Welche deutsche Einheit überhaupt?« Von Max Erdinger, Ansage.org, im KN am 10. Oktober 2023 >> weiter.
»Wiedervereinigt mit diesen „undemokratischen“ Ostdeutschen? Die Annexion wurde als Vereinigung verkauft. Die zweite deutsche Teilung. Wiedervereinigt? Sieht nicht danach aus; dafür muss man nur einen Blick in die Zeitung werfen. Im Gegenteil. Die Bewohner des 1990 erworbenen Teils sind entweder der „Feind im Inneren“ oder „irgendwie zurückgeblieben“. Wie kam es dazu?« Von Dagmar Henn, RT DE, im KN am 1. August 2023 >> weiter.
»Inquisition statt Einfallsreichtum. Befragt die Brüder und Schwestern im Osten!« by Gerhard Mersmann | NEUE DEBATTE, im KN am 2. August 2022 >> weiter.
»Treuhand-Forschung: Chaos hinter den Kulissen. Massenarbeitslosigkeit, leer stehende Fabriken und soziale Armut.« von Mandy Tröger | Gastautorin für isw München e.V., im KN am 13. Juni 2022 >> weiter.
»Die DDR und ihre Opfer. Eine Infragestellung der Opferrolle gelernter DDR-Bürger.« von Peter Frey, im KN am 11. November 2019 >> weiter.
»30. Jahrestag Mauerfall: Mein ganz persönlicher Mauerfall.« von Bernd Volkmer, im KN am 9. November 2019 >> weiter.
Marcus Klöckner (NDS) im Interview mit der Buchautorin Mandy Tröger: »Das Ende des DDR-Pressefrühlings. Wie dem Osten die Stimmen genommen wurden«, im KN am 2. Oktober 2019 >> weiter.
»Zur wirtschaftlichen Entwicklung Ostdeutschlands seit dem Herbst 1989«, von Axel Troost und Klaus Steinitz / RLS Analyse Nr. 48, im KN am 30. März 2019 >> weiter.
»Anti-Jubel zum Fall der Mauer vor 25 Jahren: Die große Toröffnung«, von Harry Popow, im KN am 12. November 2014 >> weiter.
► Quelle: erstveröffentlicht bei NRhZ > Artikel
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► Bildquellen:
1. Mauerspechte brechen an der Mauer nahe dem Reichstagsgebäude Stücke heraus, Ende 1989. Foto: Superikonoskop. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter den Creative-Commons-Lizenzen „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“, „2.5 generisch“, „2.0 generisch“ und „1.0 generisch“ lizenziert.
2. Volker Pispers: "Was denken sie was in diesem Land los wäre, wenn mehr Menschen wüssten was in diesem Land los ist!" Foto/Idee/Grafik: siehe Inschrift.
3. Geteilte Straße. Die Grundstücke der Harzer Straße gehörten links zum Ost-Berliner Stadtbezirk Treptow, rechts zum West-Berliner Bezirk Neukölln, 1989. Foto: Dipl.-Inf. (FH) Florian Schäffer. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ (CC BY-SA 3.0) lizenziert.