Treuhand-Forschung: Chaos hinter den Kulissen

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Treuhand-Forschung: Chaos hinter den Kulissen
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Treuhand-Forschung: Chaos hinter den Kulissen

Massenarbeitslosigkeit, leer stehende Fabriken und soziale Armut

von Mandy Tröger | Gastautorin für isw München e.V.

DDR-Deutsche-Demokratische-Republik-Desillusionierung-Treuhand-Treuhandanstalt-Ostdeutsche-Pressefruehling-Markterschliessung-Kritisches-Netzwerk-Ostpresse-Ostverlag Die Treuhandanstalt sollte die DDR-Wirtschaft privatisieren. Bis heute gilt die Behörde als Inbegriff aller Übel der Wendezeit. Eine Aufarbeitung hat noch nicht stattgefunden.

Das Treuhand-Trauma ist nicht überwunden!“ Das sagte Dietmar Bartsch, damals Vorsitzender der Linksfraktion, im Bundestag im April 2019. Treuhand-Trauma? Junge Menschen wissen oft gar nicht, was die Treuhandanstalt war. Bei den Alten aber sträuben sich die Nackenhaare beim Gedanken an sie; ihre Nachwende-Erfahrungen sitzen tief. Damals privatisierte die Treuhand die DDR-Wirtschaft. Eine behutsame Transformation sollte es sein. DDR-Bürger:innen sollten an der Umwandlung des einstigen Volkseigentums teilhaben. Das war Ziel des Runden Tisches; es blieb Illusion.

Der Auftrag der Treuhand, die Sanierung von DDR-Betrieben, fiel schnell dem (westdeutschen) Markt zum Opfer. Es kam Privatisierung im Turbo-Tempo. Verkäufe, Abwicklungen, Stilllegungen. Nicht selten wechselten Betriebe für den Symbolpreis von 1,00 DM die Besitz:innen. Vor allem westdeutsche Firmen kauften sich ein. Sie versprachen Investitionen. Manche hielten ihre Versprechen, andere nicht.

Es folgte ein strukturelles Fiasko. Massenarbeitslosigkeit, leer stehende Fabriken und soziale Armut. Laut Europäischer Union glich der Osten Deutschlands Mitte der 1990er dem italienischen Sizilien. Beide waren arm, strukturschwach und ohne Arbeit. Die Folgeschäden der Wendezeit – ohne die Treuhand sähen sie anders aus.

► Nur wenige Ostdeutsche wollen über ihre Erfahrungen von damals sprechen

Bis heute ist diese Zeit nicht aufgearbeitet. Angst, Enttäuschung und Demütigung, sie sitzen tief vergraben in persönlichen Schicksalen. Nur wenige Ostdeutsche wollen über ihre Erfahrungen von damals sprechen. Den schwarzen Peter bekommt nicht selten die Treuhand zugeschoben. Sie habe, schreiben Autor:innen, den Osten „geschlachtet“, durch „Helden und Halunken verkauft“ und im „Raubzug geplündert“. Sie sei schuld an den strukturellen Abhängigkeiten, die die Ost-West-Beziehungen bis heute prägen.

Aktuell nutzt die AfD solche Schwarz-Weiß-Malerei. „Vollende die Wende“ hieß es zum Wahlkampf. Jetzt macht sich die Partei für die Aufarbeitung der Treuhand-Geschichte stark. Die AfD als Partei, die ostdeutsche Erfahrungen versteht? Auch die „AfD-Elite“ kommt doch vor allem aus dem Westen! So wird passend gemacht, was nicht so recht passen will. Hauptsache, die Wut von damals bringt Wähler:innen-Stimmen von heute. Alles auf Kosten der Geschichte, versteht sich.

DDR-VEB-Volkseigene-Betriebe-Kombinat-Grosskombinat-Planwirtschaft-Zentralverwaltungswirtschaft-Kritisches-Netzwerk-Sozialismus-Gleichmacherei-Systemkonformismus

Die Treuhand-Forschung des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) zeigt dagegen eine hoffnungslos überforderte Behörde: Hinter den Kulissen herrschte Chaos. Trotz ständiger Personalwechsel und Arbeitsüberlastung privatisierte die Treuhand Betriebe im Minutentakt. Daraus konnte ja nichts werden. Jedenfalls nicht so, wie ursprünglich gedacht. Die politische Verantwortung lag auf Bundesebene. Steckt hier vielleicht der schwarze Peter?

► Wie viel Spielraum hatte die Treuhand wirklich?

Seit Wochen durchforste nun auch ich Treuhandakten im Bundesarchiv. Vier Jahre wartete ich auf Aktenzugriff; jetzt untersuche ich die Privatisierung von DDR-Zeitungsverlagen. Also: Was lief hinter den Kulissen? Wie viel Spielraum hatte die Treuhand wirklich? Was ist dran an den zahlreichen „Lügenpresse“-Vorwürfen?

Klingt spannend, ist aber anstrengend.

Mandy-Troeger-Pressefruehling-und-Profit-Wie-westdeutsche-Verlage-Osten-eroberten-DDR-Kritisches-Netzwerk-Marktvorteile-Marktdominanz-Neoliberalismus-WendepolitikZur Treuhand zu forschen ist, als laufe man in einem Labyrinth, das sich ständig ändert. Hat man einen Weg gefunden, endet er schon wieder. Aber so ist Geschichte. Sie ist nicht schwarz-weiß. In ihr zeigen sich die vielen Kämpfe der Gegenwart, und die sind eine ehrliche Aufarbeitung wert.

Mandy Tröger >> Webseite >> Kontakt: mandytroeger.phd@gmail.com

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Mandy Tröger wohnt normalerweise in München, Deutschland, reist aber regelmäßig in die USA. Von 2009 bis 2018 war sie Doktorandin am Institut für Kommunikationsforschung an der University of Illinois at Urbana-Champaign (UIUC). Für den Abschluss ihres Studiums lebte sie in Urbana/Chicago und wurde ein aktives Mitglied des dortigen Gemeindelebens. Von Juni 2015 bis Dezember 2017 war Frau Tröger Promotionsstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin und hat ihre Dissertation im Mai 2018 auf der Konferenz der Union for Democratic Communication (UDC) in Chicago erfolgreich verteidigt.

Seitdem hat Mandy Tröger eine Forschungsstelle an der Universität München (LMU) und an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover inne. Ihre Forschung ist inspiriert von gelebten Erfahrungen, Beobachtungen, Gesprächen und guten Büchern. Außerdem liegen ihr Themen der sozialen Gerechtigkeit sehr am Herzen und ist seit Jahren in der sozialen Gerechtigkeitsarbeit aktiv.

Seit November 2017 ist sie Mitglied des Organisationskomitees des Netzwerks für kritische Kommunikationsforschung (KriKoWi) Deutschland. Seit Juli 2021 arbeitet sie außerdem als (Medien-)Kolumnistin für die Berliner Zeitung. Ihr deutschsprachiges Buch „Pressefrühling und Profit. Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten.“ erschien 2019 im Herbert von Halem Verlag, Köln.

Infos zu ihrem Buch:

»Mandy Tröger deckt auf, wie nach dem Mauerfall westdeutsche Wirtschaftsinteressen und das Eigeninteresse der Bundesregierung eine basisdemokratische Wende in der Presselandschaft der ehemaligen DDR verhinderten. Basierend auf umfangreicher Archivarbeit und Zeitzeugen-Interviews dokumentiert sie, wie westdeutsche Großverlage bereits Ende 1989 aktiv Lobbyarbeit betrieben, um Marktvorteile im Osten zu sichern.

Mandy_Troeger_Pressefruehling_und_Profit_Wie_westdeutsche_Verlage_1989_1990_den_Osten_eroberten_Ausbeutung_Neoliberalismus_Mauerfall_DDR_Kritisches-NetzwerkÜber die Reform des DDR-Pressevertriebes strebten Springer, Gruner + Jahr, Bauer und Burda nach Monopolstellungen in Ostdeutschland. Zunächst in Konkurrenz miteinander, schlossen sie sich Anfang 1990 zu einer Zweckgemeinschaft zusammen. Nach gescheiterten Verhandlungen mit der DDR-Regierung einigten sie sich untereinander ab März 1990 ohne rechtliche Grundlage auf Einflussgebiete und bauten in Ostdeutschland ihr eigenes marktbestimmendes Vertriebssystem auf.

Vor allem Dumpingpreis-Produkte fanden so schnell neue Leser. Durch frühe Joint-Venture-Abkommen mit den großen ehemaligen SED-Bezirkszeitungen bauten die Verlage ihre Marktdominanz weiter aus. Schlüssel blieb jedoch der Pressevertrieb, bei dem alle anderen Verlage klar benachteiligt waren. Dem wirtschaftlichen Druck fielen vor allem neugegründete Lokal- und Bürgerrechtszeitungen zum Opfer.

Die Bundesregierung griff nicht im Sinne der Pressevielfalt ein, sondern setzte auf den freien Markt und schützte bestehende Pressestrukturen der BRD. Durch diese kapital- und parteienorientierte Wendepolitik hatten geplante basisdemokratische Reformen in Ostdeutschland keine Chance.« (Verlagstext).

Tröger, Mandy: "Pressefrühling und Profit – Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten." Herbert von Halem Verlag, Köln. 360 Seiten, 13 Abb., Broschur, erschienen Oktober 2019. ISBN (Print) 978-3-86962-474-7, Preis 25€ >> ISBN (PDF) 978-3-86962-475-4 und ISBN (eBook) 978-3-86962-476-1.


Lesetipps ergänzt von Helmut Schnug:

Leipziger Elitendatenbank: Kaum Ostdeutsche in den oberen Führungsetagen, ein gesamtdeutsches Problem. Die Leipziger Elitendatenbank sammelt öffentlich frei zugängliche Informationen über die Inhaberinnen und Inhaber von Elitepositionen in Deutschland. In dem Vorgängerprojekt „Soziale Integration ohne Eliten“ wurden in den Jahren 2018/2019 bereits über 3000 Elitepositionen erhoben. Die aktuelle Erhebung nimmt das aktualisierte Sample aus dieser Erhebung als Grundlage.

Der Elitenmonitor der Uni Leipzig zeigt, dass bei etwa 20% Bevölkerungsanteil schaffen es beispielsweise nur . .

8,2% im Bereich Wissenschaft,
8,1 % in Topjobs bei den Medien,
8,0 im Bereich Kultur,
4,3% an die Spitze von großen Unternehmen (Wirtschaft und Arbeitgeberverbände),
2,1% in Top-Positionen der Justiz
und 0,0 % beim Militär.

Quelle: Universität Leipzig, Universität Jena und Hochschule Zittau/Görlitz >> Elitenmonitor >> Leipziger Elitendatenbank.

»DRESDEN: 1902 wurde das Kaufhaus Günther eröffnet. Am 22.12.2007 war der letzte Verkaufstag, 2016 abgerissen. Dresdner Nostalgie. Deutschland wird auch gerade abgerissen.« Von Rocco Burggraf, Ansage.org, im KN am 22. Dezember 2023 >> weiter.

»Eine Nachbetrachtung zur sogenannten Deutschen Einheit. Wahn und Wirklichkeit. Wiedervereinigt? Was gibt es zu feiern am Tag der deutschen Einheit? Nicht viel, wie es aussieht. Das Brandenburger Tor war beispielsweise nicht sonderlich geschmückt. Dafür gab es jede Menge Demonstranten, die den Rücktritt der Regierung forderten. In München und etlichen anderen Städten sah es nicht anders aus. Welche deutsche Einheit überhaupt?« Von Max Erdinger, Ansage.org, im KN am 10. Oktober 2023 >> weiter.

»Wiedervereinigt mit diesen „undemokratischen“ Ostdeutschen? Die Annexion wurde als Vereinigung verkauft. Die zweite deutsche Teilung. Wiedervereinigt? Sieht nicht danach aus; dafür muss man nur einen Blick in die Zeitung werfen. Im Gegenteil. Die Bewohner des 1990 erworbenen Teils sind entweder der „Feind im Inneren“ oder „irgendwie zurückgeblieben“. Wie kam es dazu?« Von Dagmar Henn, RT DE, im KN am 1. August 2023 >> weiter.

»Inquisition statt Einfallsreichtum. Befragt die Brüder und Schwestern im Osten!« by Gerhard Mersmann | NEUE DEBATTE, im KN am 2. August 2022 >> weiter.

»Treuhand-Forschung: Chaos hinter den Kulissen. Massenarbeitslosigkeit, leer stehende Fabriken und soziale Armut.« von Mandy Tröger | Gastautorin für isw München e.V., im KN am 13. Juni 2022 >> weiter.

»Die DDR und ihre Opfer. Eine Infragestellung der Opferrolle gelernter DDR-Bürger.« von Peter Frey, im KN am 11. November 2019 >> weiter.

»30. Jahrestag Mauerfall: Mein ganz persönlicher Mauerfall.« von Bernd Volkmer, im KN am 9. November 2019 >> weiter.

Marcus Klöckner (NDS) im Interview mit der Buchautorin Mandy Tröger: »Das Ende des DDR-Pressefrühlings. Wie dem Osten die Stimmen genommen wurden«, im KN am 2. Oktober 2019 >> weiter.

»Zur wirtschaftlichen Entwicklung Ostdeutschlands seit dem Herbst 1989«, von Axel Troost und Klaus Steinitz / RLS Analyse Nr. 48, im KN am 30. März 2019 >> weiter.

»Anti-Jubel zum Fall der Mauer vor 25 Jahren: Die große Toröffnung«, von Harry Popow, im KN am 12. November 2014 >> weiter.


► Quelle: Erstveröffentlicht am 09. Juni 2022 bei isw-München >> Artikel. Das isw versteht sich als Wirtschaftsforschungs-Institut, das alternativ zum neoliberalen Mainstream Analysen, Argumente und Fakten für die wissenschaftliche und soziale Auseinandersetzung anbietet. Unsere Themen und Forschungen beziehen sich deshalb in besonderem Maß auf die „Bedürfnisse“ von Gewerkschaften und von sozialen, ökologischen und Friedensbewegungen. Unser Anspruch ist, Wissenschaft in verständlicher Form darzustellen und anschaulich aufzubereiten. Deshalb sind isw-Ausarbeitungen auch besonders geeignet für Unterricht und Schulungsarbeit und als Grundlage für Referate und Diskussionen.

ACHTUNG: Die Bilder, Grafiken und Illustrationen sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. folgende Kriterien oder Lizenzen, s.u.. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung ergänzt, ebenso die Komposition der Haupt- und Unterüberschriften verändert.

Mehr Informationen und Fragen zur isw:

isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.

Johann-von-Werth-Straße 3, 80639 München

Fon 089 – 13 00 41, Fax 089 – 16 89 415

isw_muenchen@t-online.de

www.isw-muenchen.de


► Bild- und Grafikquellen:

1. Wappen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Foto: rauter25. Quelle: Flickr. Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

2. Werksruine des VEB Kombinat Zellstoff und Toilettenpapier Pirna. Ein Kombinat ist ein Zusammenschluss von produktionsmäßig eng zusammenarbeitenden Industriebetrieben zu einem Großbetrieb in sozialistischen Staaten. In der Zentralverwaltungswirtschaft der DDR war ein Kombinat eine konzernartige, also horizontal und vertikal integrierte Gruppe von Volkseigenen Betrieben (VEB) mit ähnlichem Produktionsprofil. Foto: Tama66 / Peter H.. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

3. Buchcover: Tröger, Mandy: "Pressefrühling und Profit – Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten." Herbert von Halem Verlag, Köln. 360 Seiten, 13 Abb., Broschur, erschienen Oktober 2019. ISBN (Print) 978-3-86962-474-7, Preis 25€ >> ISBN (PDF) 978-3-86962-475-4 und ISBN (eBook) 978-3-86962-476-1.

4. Many Tröger und ihr Buch. Foto/Bildquelle: Herbert von Halem Verlag, Köln. > https://www.halem-verlag.de/