Chapeau an die Gothaer Richter

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Chapeau an die Gothaer Richter
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Chapeau an die Gothaer Richter

weiterer Vorlagebeschluss an das BVerfG zur Rechtmäßigkeit von Sanktionen im SGB II

von Laurenz Nurk, Dortmund

richterhammer_gerichtshammer_court_gavel_bundesverfassungsgericht_bverfg_sozialgericht_kritisches_netzwerk_gericht_richter_grundgesetz_richterspruch_urteil_rechtsspruch.jpgDa muss man vor den Richtern am Sozialgericht Gotha den Hut ziehen: Nachdem der erste Vorlagenbeschluss zur Rechtmäßigkeit von Sanktionen im Sozialgesetzbuch II (SGB II) wegen formeller Fehler abgelehnt wurde, haben sie nun einen weiteren Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemacht, um eben die Rechtmäßigkeit von Sanktionen im SGB II prüfen zu lassen.

Denn die Gothaer Richter sind der Meinung, dass einem Hartz-IV-Bezieher nicht das Arbeitslosengeld gekürzt werden darf, weil er ein Arbeitsangebot abgelehnt hat und diese geltende Praxis verfassungswidrig ist, weil sie die Menschenwürde des Betroffenen antastet, sowie Leib und Leben gefährden kann.

Erstmals wird auch gefragt, ob neben der Verletzung der Gewährleistungspflicht des Existenzminimums und damit auch des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, gleichfalls noch die grundgesetzlich garantierte Berufsfreiheit durch die Sanktionen ausgehebelt wird.

Der Aspekt der grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit hat in den seit Jahren geführten Diskussionen um die Sanktionsmechanismen praktisch so gut wie nie eine Rolle gespielt. Obwohl die Menschen, die im Hartz-IV-Bezug sind, permanent unter Druck möglicher Sanktionen stehen, weil jeder Vermittlungsvorschlag des Jobcenters ein „nichtablehnbares Angebot” ist. Die Freiheit der Berufswahl gibt es für sie nicht. Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erneut entscheiden.

Anfang Oktober 2015 lehnte der Bundestag mit der Mehrheit der Regierungskoalition die Abschaffung von Sanktionen bei Hartz-IV-Bezug ab. Auch die Gewerkschaften konnten sich bisher nicht dazu durchringen, sich gegen die Sanktionspraxis zu positionieren.

Das ändert aber nichts daran, dass die Sanktionen weiterhin verfassungsrechtlich und ethisch äußerst umstritten bleiben.

Das Sozialgericht in Gotha war der Meinung, dass einem Hartz-IV-Bezieher das Arbeitslosengeld nicht gekürzt werden darf, weil er ein Arbeitsangebot abgelehnt hat und erklärt die bisherige Praxis als verfassungswidrig, da sie die Menschenwürde des Betroffenen antastet, sowie Leib und Leben gefährden kann. Das Gericht ist nach wie vor der Auffassung, dass die im Sozialgesetzbuch (SGB) festgeschriebenen Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter gleich gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes verstoßen.

 

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte die Richtervorlage des Sozialgerichts Gotha über die mögliche Verfassungswidrigkeit der Sanktionen als nicht ausreichend begründet zurückgewiesen und damit konnten die Sanktionen im SGB II-Rechtskreis weitergehen. Das BVerfG erkannte „durchaus gewichtige verfassungsrechtliche Fragen” in dem Vorlageschluss der Sozialrichter aus Gotha an, lehnte dann aber die erste Eingabe vom Anfang Juni 2016 wegen eines Formfehlers ab und wies sie an die Thüringer Sozialrichter zurück.

In Gotha hatte ein Mann dagegen geklagt, dass ihn das Jobcenter Erfurt im Jahr 2014 zweimal für jeweils drei Monate sanktioniert hatte. Als er ein Arbeitsgebot abgelehnt hatte, kürzte ihm das Jobcenter die Grundsicherung um 30 Prozent. Er musste mit 273,70 statt 391 Euro über den Monat kommen. Dann hatte das Jobcenter ihn zu einem Praktikum verpflichtet, dem der Mann auch nicht zugestimmte. So kam es zu einer weiteren Kürzung seines Arbeitslosengeldes um 234,60 Euro, also insgesamt um 60 Prozent. Er hatte dadurch nur noch 156,40 Euro zum Überleben.

Die Sozialrichter in Gotha folgten der Argumentation des Klägers, dass mit Arbeitslosengeld II der Gesetzgeber das physische und soziokulturelle Existenzminimum berechnet hat und das sei nach Bedürftigkeit zu gewähren. Außerdem forderten es die Grundrechte auf Menschenwürde, freie Persönlichkeitsentfaltung, Leben und körperliche Unversehrtheit dies ein.

Dem entgegen habe der Gesetzgeber die Gewährleistung der Grundsicherung aber an das Wohlverhalten der SGB-II-Bezieher geknüpft. Außerdem würde das Sozialgesetzbuch II das Recht auf freie Berufswahl sowie das Verbot der Zwangsarbeit aushebeln und dies war ganz neu in die Diskussion eingeführt worden. Denn durch die Existenz gefährdender Strafen könnten Hartz-IV-Berechtigte genötigt werden, jeden schlecht bezahlten Job, jede Maßnahme oder nicht dem Arbeitsrecht unterliegende Arbeitsgelegenheit anzunehmen und sogar zu einer Lebensgefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit führen.

Für das Gelingen des weiteren Vorstoßes von Gotha aus, die Rechtmäßigkeit von Sanktionen im SGB-II beim BVerfG prüfen zu lassen drücken wir die Daumen!

Und nochmals: Chapeau an die Gothaer Richter!

Laurenz Nurk
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LESETIPPS:

Den erneuten Vorlagebeschluss der 15. Kammer des Sozialgerichts Gotha vom 2. August 2016 – S 15 AS 5157/14 - weiter.

Sozialgericht Gotha: „Hartz IV-Sanktionen gegen erwerbsfähige ALG II-Empfänger sind verfassungswidrig- 6. August 2016 - weiter.

BVerfG weist Richterklage zu den ALG-II-Sanktionen zurück, weiterhin werden tausende Menschen in Existenznot geraten – Sanktion ist zugleich Strafe und Legitimation - 3. Juni 2016 - weiter und Erstveröffentlichung.



► Quelle: Erstveröffentlicht am 22.08.2016 auf gewerkschaftsforum-do.de > Artikel. Die Texte (nicht aber Grafiken und Bilder) auf gewerkschaftsforum-do.de unterliegen der Creative Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 3.0 DE), soweit nicht anders vermerkt.

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1. Richterhammer: Ein Richterhammer (engl. gavel) ist ein Hammer, der beispielsweise in den Vereinigten Staaten bei Gericht und im Kongress Verwendung findet. Da dieses Instrument von deutschsprachigen Juristen nicht verwendet wird, gibt es auch keinen authentischen deutschen Namen hierfür. Neben „Richterhammer“ wird „gavel“ bisweilen auch mit „Holzhammer“, „Gerichtshammer“ oder einfach „Hammer“ übersetzt.

Das Benutzen des Hammers signalisiert, dass während oder am Ende der Verhandlung ein Beschluss durch das Gericht getroffen wurde. Er wird auch geschlagen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen oder die Beteiligten der Gerichtsverhandlung und das Publikum zur Ordnung zu rufen. In England, Deutschland und Österreich wird der Richterhammer nicht verwendet. Foto: Penn State. Quelle: Flickr. (Foto nicht mehr online verfügbar) Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

2. "HOLEN SIE MENSCHEN VON DER STRASSE, BEVOR SIE EIN TEIL DAVON WERDEN." Foto: Christian Mayrhofer, Wien/A. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

3. END HARTZ IV SANKTIONEN: BVerfG weist Richterklage zu den ALG-II-Sanktionen zurück. Weiterhin werden tausende Menschen in Existenznot geraten. Sanktion ist zugleich Strafe und Legitimation. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa) / QPress .

4. PLAKAT: Arbeitslos, mittellos, hoffnungslos? "RAUS AUS HARTZ 4. In nur ein paar Sekunden." Urheber nicht eindeutig ermittelbar. Quelle: Blog von Dr. phil. Nanna Hucke, Konstanz > www.nanna-hucke.de > zur Grafik.