Hand in Hand: Wie Finanzindustrie und Politik Katalonien in die Knie zwingen

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Ernst Wolff
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Verbunden: 17.02.2015 - 23:40
Hand in Hand: Wie Finanzindustrie und Politik Katalonien in die Knie zwingen
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Hand in Hand:

Wie Finanzindustrie und Politik Katalonien in die Knie zwingen

Im Streit um die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens zeigte sich letzte Woche, wie Finanzindustrie und Politik zusammenarbeiten, um ihre Macht aufrechtzuerhalten und die eigenen Interessen auch unter Missachtung geltender Gesetze durchzusetzen. [hier und hier]

Am vergangenen Donnerstag verkündete die EU-Kommission, dass ein unabhängiges Katalonien kein Mitglied der EU bleiben könne und sein Finanzsystem demzufolge von der Finanzierung durch die EZB abgeschnitten werde. Bei verschiedenen spanischen Banken und Großunternehmen, die ihren Hauptsitz in Katalonien haben, kam es umgehend zu Krisensitzungen. Sie sind zum Überleben auf EZB-Nullzinskredite angewiesen, diverse Konzerne brauchen die EZB als einen wichtigen Aufkäufer ihrer Unternehmensanleihen.

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Die Chefs der Banken und Großunternehmen wandten sich daraufhin in größter Sorge an Premier Mariano Rajoy und baten um Hilfe. Rajoy zeigte sich einmal mehr als treuer Gefolgsmann der Finanzelite und handelte umgehend: Bereits am Freitag verabschiedete seine Regierung ein Dekret, das es spanischen Unternehmen erlaubt, ihren offiziellen Firmensitz innerhalb von 24 Stunden in andere Landesteile zu verlegen. Außerdem entbindet es sie der gesetzlich verankerten Pflicht, vor einer derartigen Entscheidung das Einverständnis ihrer Aktieninhaber einzuholen.

Normalerweise dauern Gesetzgebungsverfahren auch in Spanien Jahre, doch die Öffentlichkeit hat sich dort wie anderswo an die Erklärung der Politik gewöhnt: Wenn es um „die Finanzmärkte“ und um „systemrelevante Institutionen“ geht, wird ganz einfach der Notstand erklärt und geltendes Recht außer Kraft gesetzt.

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Kaum war das Dekret erlassen, da verlegten die beiden wichtigsten in Katalonien ansässigen Banken ihre Firmensitze. Die CaixaBank, mit 18,8 Millionen Kunden Spaniens führende Pivatkundenbank, zog offiziell nach Valencia. Zu diesem Zweck musste aber nicht einer der 37.000 Mitarbeiter oder auch nur eine der 5.468 Filialen verlegt werden – es reichte ein simpler Mausklick.   

Spaniens fünftgrößte Bank "Banco Sabadell" hatte bereits drei Tage vorher angekündigt, Katalonien den Rücken zu kehren und verlegte den Firmensitz nach Alicante. Gas Natural Fenosa, einer der großen Energiekonzerne Spaniens und einer der Hauptprofiteure des Aufkaufprogramms von Unternehmensanleihen durch die EZB, entschied sich für Madrid, genauso wie die Hotelketten Derby und Unico, die Werbeagentur WPP, die Medienfirma Schipsted und der mittelständische Pharmaziekonzern Oryzon Genomics SA.

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Der Vorgang zeigt deutlich, wie Politik und Finanzwirtschaft sich innerhalb der EU in die Hände spielen: Die Politik hilft Konzernen und Banken, sich auch im Falle einer Abspaltung Kataloniens weiter aus den Töpfen der EZB zu bedienen. Im Gegenzug darf sich die politische Führung des Landes über die EZB durch den Aufkauf von Staatsanleihen weiter mit Geld versorgen lassen – in einem Land, dessen Bankensystem seit Jahren von der EZB künstlich am Leben erhalten wird und dessen politische Elite zu den korruptesten in Europa zählt.

Es gab aber noch einen weiteren Grund für Rajoys blitzschnelles Handeln, der in den Medien weitgehend unerwähnt blieb. In der vergangenen Woche zeichnete sich nämlich ein Run auf die Banken in Katalonien ab, von dem insbesondere die "Banko Sabadell" betroffen war. Unabhängigkeitsgegner begannen, ihr Geld abzuziehen, weil sie dem Geldhaus übel nahmen, dass es seinen Hauptsitz in Katalonien hatte. Nun droht der Bank der umgekehrte Fall: Viele Unabhängigkeitsbefürworter werden ihr Geld abziehen, weil die Bank ihren Hauptsitz nach Valencia verlegt hat.

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Die Situation zeigt, wie verfahren die Lage in Spanien ist. Sämtliche Maßnahmen der Zentralregierung schaden Kataloniens Finanzen, weil sie der autonomen Gemeinschaft Steuergelder entziehen. Eine Kompromisslösung scheint ausgeschlossen, denn keine der beiden Seiten kann zurückrudern, ohne bei der eigenen Anhängerschaft das Gesicht zu verlieren. Es wird also mit großer Sicherheit zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes kommen, von der man eines bereits sagen kann: Finanzelite und Politik werden sie nutzen, um weiterhin Hand in Hand marschieren und gemeinsam dafür zu sorgen, dass der EZB-Geldfluss in ihre Richtung nicht versiegt.

Ernst Wolff, Berlin

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ernst_wolff_finanztsunami_wie_das_globale_finanzsystem_uns_alle_bedroht_kritisches_netzwerk_tsunami_finanzcrash_finanzelite_finanzindustrie_neoliberalismus_bretton_woods_deregulierung.jpg► Bild- und Grafikquellen:

1. Samstag, 7. Oktober 2017 - der Tag der Unabhängigkeitsgegner. In Barcelona haben Hunderttausende Menschen für ein vereinigtes Spanien demonstriert. Die städtische Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer am Nachmittag auf etwa 350.000, die Veranstalter eines spontanen Bündnisses sprechen von deutlich mehr Teilnehmern. Dennoch muß man diese Zahlen relativieren, da die meisten Menschen mit Zügen und Bussen aus anderen Landesteilen nach Barcelona gekommen sind. In den Tagen, Wochen und Monaten zuvor waren mehrmals 1-1,5 Mio. Katalanen auf den Straßen, um für ihr Recht auf Abstimmung einzufordern. Foto: Fotomovimiento - http://www.fotomovimiento.org/ .Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).

2. Barcelona - 1 d'octubre, día del Referèndum per la Independència de Catalunya. A Plaça Catalunya un cop comunicats els resultats del Referèndum esclata el crit de independència. Foto: ROSER VILALLONGA - BARCELONA / 01.10.2017 - l'Assemblea Nacional Catalana (ANC). Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

3. La Manifestación: Convocada por SCC bajo el lema "Recuperem el Seny" contra el intento golpista del independentismo catalán. Acuarela y tinta sobre papel de 160gr. doble hoja del cuaderno de 12x12cm. SCC = Societat Civil Catalan >> https://societatcivilcatalana.cat/ . Foto: Fotero / Roberto Pla, Lleida >> http://robertopla.net/. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0).

4. Aftermath Of The Catalonian Independence Referendum - BARCELONA, SPAIN - OCTOBER 03: Catalan Police officers secure the area as thousands of people chant slogans outside the General Direction of the National Police of Spain building to protest against the violence that marred Sunday's referendum vote during a regional general strike on October 3, 2017 in Barcelona, Spain.

According to the Catalonia's government more than two million people voted on Sunday in the referendum of Catalonia, which the Government in Madrid had declared illegal and undemocratic. Officials said that 90% of votes cast were for independence. The Catalan goverment's spokesman said that an estimated of 770,000 votes were lost as a result of 400 polling stations being raided by Spanish police. Hundreds of citizens were injured during the police crackdown. Foto: Sasha Popovic. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0). .

5. Grafik Finanzfaschismus: "Die Verbindung hochkonzentrierter Unternehmensmacht mit einem autoritären Staat, der die politisch-ökonomische Elite auf Kosten des Volkes bedient, muss korrekterweise als ›Finanz-Faschismus‹ bezeichnet werden." (Robert Scheer, Financial Fascism, The Nation, 24.9.2008 ⇒ Artikel).

Engl. Originalversion: "The marriage of highly concentrated corporate power with an authoritarian state that services the politico-economic elite at the expense of the people is more accurately referred to as “financial fascism. After all, even Hitler never nationalized the Mercedes-Benz company but rather entered into a very profitable partnership with the current car company’s corporate ancestor, which made out quite well until Hitler’s bubble burst."

Grafik nach einer Idee von KN-ADMIN Helmut Schnug; graphische Umsetzung: Wilfried Kahrs / QPress.

6 Buchcover: "Finanztsunami - wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht" von Ernst Wolff. ISBN: 978-3-94131-081-0; erschienen am 11. September 2017; Bestellung z.B. bei hugendubel.de - weiter. (portofrei) >> Buchvorstellung.

7. Buchcover "WELTMACHT IWF. Chronik eines Raubzugs" von Ernst Wolff. - zur Buchvorstellung .