Innerlich zerrissen, rüstet die NATO zum Krieg
von Andre Damon
Vom jüngsten NATO-Gipfel berichteten die Medien über Spannungen zwischen US-Präsident Donald Trump und seinen militärischen Verbündeten, besonders der deutschen Regierung. Erst vor gut einem Monat hatte das Weiße Haus einen internationalen Handelskrieg eröffnet.
Höhepunkt der Spannungen bildeten Trumps Forderungen nach höheren Militärausgaben seiner NATO-Verbündeten, die er in wie ein Mafia-Boss als „Delinquenten“ behandelte. Dessen ungeachtet bekräftigten alle Bündnispartner ihr Engagement für eine massive militärische Aufrüstung. Die Kosten wird überall die Arbeiterklasse tragen, in Form von Angriffen auf ihre soziale Stellung und weitreichenden Einschnitten in die öffentliche Infrastruktur.
Jens Stoltenberg, Generalsekretär der NATO, erklärte am Ende des Gipfels, dass „nach Jahren des Niedergangs, in denen die Alliierten Milliarden gekürzt haben, jetzt Milliarden hinzukommen“. Er rühmte sich, in den letzten anderthalb Jahren hätten „die europäischen Alliierten und Kanada ihre Verteidigungsausgaben um 41 Milliarden Dollar aufgestockt“.
Das unmittelbarste und greifbarste Ergebnis des Gipfels war der Plan der NATO, die Zahl der Streitkräfte mit kurzer Mobilisierungszeit zu erhöhen. Diese Einheiten sind in der Lage, Russland oder ein anderes Land jederzeit anzugreifen. In der Resolution des Gipfels heißt es: „Die Alliierten werden zusätzlich 30 große Kampfschiffe, 30 schwere o. mittlere Manöverbataillone u. 30 Luftwaffenstaffeln zur Verfügung stellen, die in 30 oder weniger Tagen einsatzbereit sein sollen.“
Die Resolution bestätigte die Bemühungen der NATO, „vier multinationale kampfbereite Bataillone in Estland, Lettland, Litauen und Polen“ zu stationieren, darunter „über 4.500 Soldaten aus dem gesamten Bündnis, die in der Lage sind, neben den nationalen Verteidigungskräften zu operieren“. Das alles findet im Umkreis von wenigen hundert Kilometern von Russlands zweitgrößter Stadt, St. Petersburg, statt.
Der Gipfel beschloss ferner, zwei neue Kommandozentren zu schaffen: eines in Norfolk, Virginia, „um die transatlantischen Kommunikationswege zu schützen“, und ein neues Kommandozentrum in Deutschland, um „die Bewegungsfreiheit und die Sicherstellung von Transportkapazitäten im Hinterland sicherzustellen und die schnelle Verschiebung von Truppen und Ausrüstung in ganz Europa zu unterstützen“.
Der Gipfel beschloss außerdem die Erweiterung des Nukleararsenals der NATO. Dazu heißt es: „Solange es Atomwaffen gibt, wird die NATO ein Nuklearbündnis bleiben. Die strategischen Kräfte des Bündnisses, insbesondere die der Vereinigten Staaten, sind die höchste Garantie für die Sicherheit der Alliierten.“
Weiter bestätigte das russlandfeindliche NATO-Bündnis, dass es seine Osterweiterung fortsetzen und den Beitritt Mazedoniens, der Ukraine und Georgiens weiter vorantreiben werde.
Die massive Militäraufrüstung in ganz Europa geht mit verstärkten Angriffen auf die Arbeiterklasse und mit dem Abbau sozialer Sicherheitsnetze einher. Sie bedeutet auch Lohn- und Leistungskürzungen für Staatsbedienstete und die Privatisierung von Staatsvermögen. Das gilt besonders für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Trump machte deutlich, dass seine Forderung nach höheren europäischen Militärausgaben nicht von seiner merkantilistischen Wirtschaftspolitik zu trennen sei. Diese zielt darauf ab, die Handelsbilanz der USA mit Deutschland zu verbessern. Deutschland ist, nach China und den USA, drittgrößter Exporteur der Welt.
15 Staaten mit den höchsten Militärausgaben 2017
Land | Militär-Ausgaben 2017 | Welt-Anteil | Anteil am BIP |
USA | 610 Mrd. US-$ | 35% | 3,1% |
China | 228 Mrd. US-$ | 13% | 1,9% |
Saudi-Arabien | 69,4 Mrd. US-$ | 4% | 10% |
Russland | 66,3 Mrd. US-$ | 3,8% | 4,3% |
Indien | 63,9 Mrd. US-$ | 3,7% | 2,5% |
Frankreich | 57,8 Mrd. US-$ | 3,3% | 2,3% |
Großbritannien | 47,2 Mrd. US-$ | 2,7% | 1,8% |
Japan | 45,4 Mrd. US-$ | 2,6% | 0,9% |
Deutschland | 44,3 Mrd. US-$ | 2,5% | 1,2% |
Südkorea | 39,2 Mrd. US-$ | 2,3% | 2,6% |
Brasilien | 29,3 Mrd. US-$ | 1,7% | 1,4% |
Italien | 29,2 Mrd. US-$ | 1,7% | 1,5% |
Australien | 27,5 Mrd. US-$ | 1,6% | 2% |
Kanada | 20,6 Mrd. US-$ | 1,2% | 1,3% |
Türkei | 18,2 Mrd. US-$ | 1% | 2,2% |
Top 15 | 1396 Mrd. US-$ | 80,2% | |
Welt | 1739 Mrd. US-$ | 100% | |
Quelle: SIPRI |
[Ergänzung durch H.S.: Auf die 15 Staaten mit den höchsten Militärausgaben entfallen über 80 Prozent der globalen Militärausgaben. Einsamer Spitzenreiter beim den Rüstungswettrennen sind die USA mit 610 Milliarden Dollar und einem Weltanteil von mehr als einem Drittel (35%). Sie geben fast so viel aus, wie die nachfolgenden acht Staaten zusammen: China, Saudi-Arabien, Russland, Indien, Frankreich, UK, Japan und Deutschland, mit 622 Mrd. Dollar. Und sie heizen das Wettrüsten in diesem Jahr massiv an.]
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Zu einer besonderen Belastung des Gipfels wurde Trumps Kritik an Deutschland, weil dieses Erdgas aus Russland bezieht. Deutschland exportiert doppelt so viele Waren in die USA, wie es von dort importiert, und nach Trumps Ansicht wäre es deshalb verpflichtet, von den USA auch Erdgas zu Premiumpreisen zu kaufen, jedenfalls solange das amerikanische Militär Deutschland „beschütze“.[sic! H.S.]
Mit seinem Handelskonflikt mit Deutschland versucht Trump bewusst, die Europäische Union zu destabilisieren. So gab er am 12. Juli eine Erklärung ab, in der er einen „harten“ Brexit befürwortete. Er unterstützt rechtsextreme, euroskeptische Bewegungen, hinter deren Anklagen an die „Brüsseler Bürokratie“ sich nationale Konflikte mit Deutschland, der dominierenden Macht in der EU, verbergen.
Das ist jedoch ein gefährliches Spiel. Der verteidigungspolitische Think-Tank Strategic Forecasting, Inc (kurz Stratfor) bezeichnete Europa in einer Analyse des NATO-Gipfels als einen „von Rivalitäten zerfressenen Kontinenten“.
„Die Strategie der USA, mit Russland umzugehen, bleibt untrennbar mit der Art und Weise verbunden, wie sie ein Machtgleichgewicht auf dem europäischen Kontinenten handhaben“, heißt es bei Stratfor weiter. „Das Vereinigte Königreich ist mit seiner Lostrennung vom Bündnis zu stark beschäftigt, um seine traditionelle Ausgleichsrolle für den Kontinent spielen zu können. Das neutralisiert das dritte Standbein der Triade der europäischen Großmächte. Es bleibt der misstrauischen Achse Frankreich–Deutschland überlassen, zu verhindern, dass der Kontinent in ein allzu vertrautes Konfliktmuster zurückfällt.“
Stratfor fügt hinzu: „Aber es ist eine Sache für den US-Präsidenten, die Grenzen einer unbequemen Realität zu erkennen und in ihrem Rahmen zu agieren, ohne seinen zentralen Imperativ aus den Augen zu verlieren: Die Aufrechterhaltung eines Machtgleichgewichts in Europa, was nach wie vor wesentlich für die Fähigkeit der Vereinigten Staaten ist, den wachsenden Wettbewerb mit Russland und China und etwaige periphere Ablenkungen zu bewältigen. Es ist aber eine ganz andere Sache, die nationalistische Glut auf dem Kontinent aktiv zu schüren und die Auflösung eines unvollkommenen Blocks durch feindliche Handelspolitik und aktive Sicherheitsbedrohungen zu fördern. Wer Letzeres tut, spielt mit dem Feuer.“
Aber das „Spielen mit dem Feuer“ ist genau Trumps Strategie in der nationalen und internationalen Politik. Trump, der mit dem Instinkt eines halbkriminellen Immobilienspekulanten vorgeht, will jeden bluffen: Verbündete und Feinde gleichermaßen.
Edward Luce schrieb am Donnerstag in der Financial Times, dass „Trump mehr weiß, als seine Kritiker ihm zutrauen“, weil „er instinktiv den Kern anderer Leute erfasst“. Er fügte hinzu: „Der tödlichste Demagoge ist derjenige, welcher eine zugrunde liegende Realität begreift. Trump weiß, dass Europa Amerika mehr braucht als Amerika Europa.“
„Das Zerstören“ von Allianzen „verringert zwar Washingtons globale Schlagkraft“, heißt es weiter, aber: „Der größere Verlierer ist Europa. Sein Überleben hängt von Amerikas Garantie ab.“[sic! H.S.]
Mit anderen Worten, Trumps Handlungen, „unkonventionell“ wie sie sind, spiegeln objektive Verhältnisse in der Position der USA in der geopolitischen und wirtschaftlichen Weltordnung wider. In Anerkennung der Rolle der Vereinigten Staaten als reaktionärer Eckpfeiler des globalen Imperialismus fordert Trump von seinen „Verbündeten“ „Schutzgeld“, ungeachtet der Kosten für die Stabilität der geopolitischen Ordnung.
Der amerikanische Präsident hat im Wirbelsturm des vergangenen Monats alle internationalen Bündnisse in der Luft zerrissen. Er hat den G7-Gipfel versenkt, einen Handelskrieg gegen Europa und China eröffnet, einen Gipfel mit Nordkorea abgehalten, um ihn gegen China zu wenden, und sich zu einem Gipfel mit Wladimir Putin aufgemacht, um Russland gegen den Iran zu benutzen. Sein Ziel ist es, maximale Handels-, Wirtschafts- und militärische Zugeständnisse von „Verbündeten“ und „Feinden“ gleichermaßen zu erpressen.
Diese turbulente und chaotische Weltordnung erinnert an die Geopolitik der 1930er Jahre. Diese war eine endlose Parade von Allianzen, die an einem Tag geschaffen und am nächsten wieder umgestürzt wurden. In jener Zeit war jede geschmiedete Allianz, genau wie jede gebrochene Allianz, Teil des Auftakts zum Zweiten Weltkrieg. In den 1930er Jahren war jedes Land – genau wie heute – dabei, hemmungslos aufzurüsten. Fast alle Seiten eröffneten Handelskriege, und in ganz Europa hatten faschistische Bewegungen Hochkonjunktur.
Das Ergebnis des NATO-Gipfels mit seiner eigentümlichen Kombination aus massiver Aufrüstung und explosiven Spaltungen erhöht das Risiko eines Weltkriegs enorm. Zwar kann keiner vorhersagen, wer die Gegner in einem solchen Konflikt, noch welches die äußeren Ursachen seines Ausbruchs sein werden. Jedenfalls sind all diejenigen, die behauptet haben, mit der Auflösung der Sowjetunion werde die NATO zu einem „friedlichen“ und „demokratischen“ Bündnis werden, als Scharlatane entlarvt.
Andre Damon
► Quelle: WSWS.org > WSWS.org/de > Erstveröffentlicht am 14. Juli 2018 >> Artikel. Dank an Redakteur Ludwig Niethammer für die Freigabe zur Veröffentlichung. Die Bilder und Grafiken im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..
► Bild- und Grafikquellen:
1. NATO (NORTH ATLANTIC TERROR ORGANISATION): WE ONLY BOMB FOR PEACE. Die NATO ist ein christlich, offensives und menschenrechtsverachtendes Militär- und Angriffsbündnis. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Destabilisierung, Diffamierung, Osterweiterung u.v.m. gehören zum Repertoire. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa).
2. Atompilz über dem Weißen Haus in Washington. "What I did on my summer vacation" by Donald J. Trump... (...a photo-illustration so far!). Urheber / credit: Lorie Shaull, Washington / United States.. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0).
3. Tabelle: 15 Staaten mit den höchsten Militärausgaben 2017 >> Quelle: SIPRI. Das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI, deutsch Stockholmer internationales Friedensforschungsinstitut) ist eine Einrichtung zur wissenschaftlichen Arbeit an Fragen von Konflikten und Kooperationen im Kontext globaler Entwicklungen bei Frieden und Sicherheit. Das SIPRI wurde 1966 in Form einer Stiftung durch die schwedische Regierung gegründet. Das Institut befindet sich in Solna und hat etwa 50-60 Mitarbeiter. Die Kosten des Institutes werden dabei zur Hälfte von der schwedischen Regierung übernommen. >> SIPRI-Website.
4. Stratfor - Global Stupidity. Strategic Forecasting, Inc (abgekürzt Stratfor) ist ein russophober und russenhassender US-amerikanischer Informationsdienst, der Analysen, Berichte und Zukunftsprojektionen zur Geopolitik, zu Sicherheitsfragen und Konflikten anbietet. Täglich veröffentlicht Stratfor Länderberichte sowie Analysen zu globalen und regionalen Konflikten. In seinen Analysen bringt Stratfor nicht nur Hintergrundinformationen zu aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, sondern erschließt aus den Bestimmungsfaktoren einer Konfliktlage oder Ländersituation zugleich Prognosen für die Zukunft. Das US-Magazin Barron’s bezeichnete Stratfor aufgrund seiner nachrichtendienstlichen Eigenschaften 2010 als „Schatten-CIA“. Grafik: Es handelt sich natürlich NICHT um das off. Logo. Bildidee: Helmut Schnug. Grafikbearb.: Wilfried Kahrs (WiKa). Bei Verwendung bitte Verlinkung auf Kritisches-Netzwerk.de
5. ANOTHER TRUMP INCIDENT! "Oh God . . What if Donald remembers me as a previous gilrfriend!". Karikatur: Robin Hutton. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).
6. FCK NATO. Kilez More FCK NATO Shirt. Die NATO ist ein christliches offensives Militär- und Angriffsbündnis. Osterweiterung, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehören zum Repertoire. Grafik: Kilez More. Das FCK NATO Shirt gibt´s hier. Kilez More (bürgerlich Kevin Mohr; * 19. März 1988 in Wien) im Interview. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).
7. Red, White, and Brainwashed. Foto: Mike / ortizmj12. Quelle: Flickr. (Bild nicht mehr verfügbar) Verbreitung mit Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0).