Und täglich grüßt das Murmeltier. IRAN im Aufruhr.

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Christian Jakob
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Und täglich grüßt das Murmeltier. IRAN im Aufruhr.
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Und täglich grüßt das Murmeltier. IRAN im Aufruhr.

Erleben wir gerade ein Mossadegh 2.0? Eine statistische Betrachtung

Mit knapp über 81,0 Millionen Einwohnern (Jan. 2017) und einer Fläche von 1.648.195 Quadratkilometern zählt die "Islamische Republik Iran" zu den 20 bevölkerungsreichsten und größten Staaten der Erde. Seine Lage zwischen dem Kaspischen Meer und der Straße von Hormus am Persischen Golf macht ihn zu einem Gebiet von hoher geostrategischer Bedeutung mit langer, bis in die Antike zurückreichender Geschichte.

Kurz vor dem Jahreswechsel keimten dort erste Proteste in vereinzelten iranischen Städten wie Maschhad, Isfahan, Kermānschāh, Schiras, Ghom, Rascht etc. auf. Diese Proteste haben sich mittlerweile über das ganze Land verbreitet. Irans Hauptstadt Teheran mit ca. 8,7 Millionen Einwohnern (2016) und der ältesten, größten und angesehenste Universität des Landes mit über 50.000 Studenten und tausenden wissenschaftlicher Angestellten, bietet eine weltweit beachtete Kulisse protestierender Menschen - Regimekritiker als auch regierungstreue Befürworter.

Während die iranische Regierung unter dem gemäßigten Präsidenten Hassan Rouhani anfangs noch ausgesprochen ruhig auf diese Proteste reagiert, kursieren mittlerweile Meldungen über tote Demonstranten, Polizisten und Gardisten. Glaubhaft bestätigen lässt sich davon bisher noch sehr wenig, die Meldungen sind widersprüchlich und der jeweiligen Interessenslage geschuldet. Einige soziale Netzwerke wurden von der Regierung gesperrt und Nachrichtensperren verhängt. Die Diskrepanz zwischen der "öffentlichen Meinung" und dem, was in den sogenannten Qualitätmedien als "veröffentlichte Meinung" feilgeboten wird, könnte auch im aktuellen Iran-Konflikt kaum größer sein.

Den USA an der Seite von Israel und Saudi-Arabien macht das aber nur wenig aus, für sie scheint die Situation ohnehin schon "vollkommen klar" zu sein. Ebenso wie für ein Großteil der EU-Mitgliedsstaaten, wo man anfangs - noch leicht konsterniert - mahnend und einigermaßen neutral aufzutreten versuchte. Nun ist man sich mittlerweile auch hier im Hinblick eigener politischer Interessen und transatlantischer Willfährigheit schon recht einig darüber zu wissen, worum es bei den Protesten im Iran geht.

Für kritische Menschen mit etwas Geschichtsbewusstsein tun sich zumindest ein paar erkennbare Parallelen auf zur Situation des Iran unter dem zweimaligen Premierminister Mohammad Mossadegh. Mossadegh wurde am 19. August 1953 durch Nachrichtendienste der USA und Großbritanniens militärisch gestürzt (Operation Ajax), danach wegen Landesverrats angeklagt und zu drei Jahren Gefängnis und anschließendem Hausarrest verurteilt.

► Ungelegte Eier und Arbeitslosigkeit

hassan_rohani_rouhani_teheran_tehran_todesstrafe_iran_atomstreit_nuclear_agreement_sanktionen_sanctions_dschawad_sarif_zarif_kritisches_netzwerk_evin_prison_human_rights_regimekritik.jpg Betrachtet man die aktuelle Protest-Situation mal aus der wirtschaftlichen Perspektive, so kann man bei den Themen Nahrungsmittel und Kraftstoffe folgende Entwicklung erkennen: In den sogenannten “Leitmedien” Deutschlands findet man einhellig die Meinung vor, dass den Iranern die Eier zu teuer geworden sind. Ebenso gibt es vereinzelt Anmerkungen, dass die Regierung Rouhani (Foto re.) irgendwann, in noch nicht absehbarer Zukunft, darüber nachdenke, evtl. die Benzinpreise anzuheben. So viele Konjunktive in einem Satz lassen schon erahnen, dass es sich zumindest beim Thema Benzin nicht wirklich um einen triftigen Grund für die Demonstrationen handeln kann. Wer geht schon aufgrund ungelegter Eier auf die Straße? Bleiben eigentlich nur die wirklichen Eier übrig. Stellvertretend übernehmen diese den Platzhalter für gestiegene Lebensmittelpreise.

Nachdem man im Juli 2015 eine Einigung in einem umfassenden Aktionsplan ("Joint Comprehensive Plan of Action", kurz JCPOA) in Verbindung mit der UN-Resolution 2231 (dt. Text als PDF) mit der islamischen Republik erzielte, und die Sanktionen in den meisten Punkten aufgehoben wurden [1], ging es mit der iranischen Wirtschaft auch wieder langsam bergauf. So kletterte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 375,4 Mrd. Dollar (2015) auf aktuell 427,7 Mrd. Dollar (2017)[2].

Dies spiegelt sich ebenso im Pro-Kopf-Einkommen wieder. Im Vergleich zu 2015 stieg das Durchschnittseinkommen um mehr als 500 Dollar im Jahr. Das entspricht mehr als einem kompletten Monatsgehalt. Selbst wenn die Preissteigerung bei Eiern auf 100% gesetzt worden wäre, entspricht das noch lange nicht dem eines Kleinwagens oder eines Computers. Vom rein logischen Ansatz her kann es sich also auch nicht wirklich um dieses Problem handeln, dass die Menschen im Iran nun auf die Straße treibt.

Geht man weiter in dem allgemeinen Kontext deutscher “Leitmedien”, wird die gestiegene und hohe Arbeitslosenquote Irans mit als weiterer Grund für die Proteste angeführt. Laut Statistik lag die Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 2000 bei 18,9 Mio und stieg bis ins Jahr 2016 auf 27,4 Mio an, während gleichzeitig die Arbeitslosenquote von zwischenzeitlich 13,5% auf aktuell 11,3% sank.[4] Und das wohlgemerkt während der Sanktionen und Handelsembargos durch die UN-Resolution.

In diesem Kontext sollte man doch die Überlegung zulassen, warum bei höheren Werten in der Beschäftigung und gleichzeitig sinkenden Arbeitslosenquoten davon gesprochen wird, dass die Menschen in diesem Fall auf die Straße gehen sollten? Jedenfalls zeigen die wirtschaftlichen Daten ein ganz anderes Bild auf, und so ist es schlichtweg eine falsche Behauptung, dass die Zahl der Arbeitslosen gestiegen sei. Natürlich ist die Situation für die iranische Bevölkerung alles andere als befriedigend:

"Im Dezember gelangten vertrauliche Informationen aus den jüngsten iranischen Budgetverhandlungen an die Öffentlichkeit. Milliardensummen fließen demnach an ultrakonservative Organisationen, an das Militär, die revolutionären Garden und religiöse Fundamentalisten. Die Bevölkerung hingegen sieht sich konfrontiert mit Preiserhöhungen und bekommt weniger Geld vom Staat. So stieg allein der Militäretat um 20 Prozent auf rund zehn Milliarden Euro. Dagegen soll die Sozialhilfe um 50 Prozent gekürzt, Benzinpreise sollen erhöht und staatliche Schulen privatisiert werden".( Artikel b. Welt.de vom 5.01.2018)

Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird von Seiten der USA und Israel propagiert. Ausgerechnet diese beiden Nationen erinnern an dieses demokratische Grundrecht und fordern Teheran auf, sich an diese Prinzipien zu halten. Seltsam, beim Partner und Todfeind des Iran, Saudi-Arabien, verlieren Israel und die USA in diesem Zusammenhang kein einziges Wort. Offensichtliches messen mit zweierlei Maß. Nebenbei sei auch noch bemerkt, dass Saudi-Arabien aktuell zum ersten Januar 2018 den Benzinpreis im eigenen Land um mehr als 80% angehoben, und eine Mehrwertsteuer in Höhe von 5% eingeführt hat.[5] Kurioserweise hat man aufgrund dieser Vorgänge auch nicht vernommen, dass es bei den Saudis zu Demonstrationen oder Aufständen gekommen sei, weil es sie schlichtweg nicht gab.

In Anbetracht all dieser statischen Fakten kommt der Gedanke auf, dass man solche Protestmärsche und Massendemonstrationen irgendwie seit langer Zeit aus dem Nahen Osten und dem arabischen Raum kennt, allerdings aus anderen Gründen. Erinnert man sich noch einmal an die Aussagen des ehemaligen NATO-Generals Wesley Clark, der schon 2007 von einem internen Arbeitspapier im Pentagon sprach, woraus hervorging, dass die USA binnen 5 Jahren in 7 arabischen Ländern für einen Umsturz sorgen wollten. Da kommt schon ein wenig der Verdacht auf, dass all die oben genannten Gründe nur scheinheilige Argumente sein könnten. Ebenso befasste sich das Handelsblatt im Juni 2014 mit diesem Plan und deren Gedankenspiele.[6]

Fazit: Derzeit gibt es jede Menge Raum für Spekulationen über die tatsächliche Situation im Iran. Die Wahrheit um die Umstände, die zu den Massenprotesten geführt haben, werden wohl erst Jahre später auf dem Tisch liegen. Jedoch bleibt der fade Beigeschmack, dass die angeführten möglichen Gründe, die von den sogenannten “Leitmedien” Deutschlands, der USA, Israels und Saudi-Arabiens angeführt werden, augenscheinlich Propaganda für ihre eigenen Interessen sind und mitnichten als die wahren Gründe angesehen werden können, warum es derzeit im Iran zu diesen Ausschreitungen kommt. Ganz so wie bei Mossadegh.

Christian Jakob
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Quellen:

[1] UNSCR Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) 2231/2015.  
[2] Iran: Bruttoinlandsprodukt (BIP) in jeweiligen Preisen von 2007 bis 2017 (in Milliarden US-Dollar) - weiter. (Statista) 
[3] Iran: Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in jeweiligen Preisen von 2007 bis 2017 (in US-Dollar) - weiter. (Statista) 
[4] Länderprofil Iran, relevante Stelle auf Seite 4 des PDF: - weiter. WKO (Wirtschaftskammer Österreich)
[5] Saudi-Arabien erhöht Benzinpreise und führt Mehrwertsteuer ein - weiter. (wallstreet-online.de)
[6] Handelsblatt >> US-Außenpolitik: Sieben Staaten in fünf Jahren >> weiter.

«Heute geht es nicht mehr um Landnahme, wie noch im zweiten Weltkrieg, wie selbst noch unter Bush, der in den Irak einmarschieren ließ. Alles Gerede, von wegen ‚einmarschieren in Syrien oder nicht einmarschieren‘, kann man getrost als hohle Propaganda beiseitelassen. Darum geht es nicht. Heute geht es darum, die möglichen Gegner zu diffamieren, klein zu machen, einzudämmen, zurückzudrängen, zu schwächen, seine Gesellschaft lahm zulegen und zu spalten, Unfrieden zwischen ihnen zu schüren, damit sie sich möglichst gegenseitig bekämpfen etc.pp.. » (Kai Ehlers, HH - Russlandforscher und Autor).

► Bild- und Grafikquellen:

ajatollah_sejjed_ali_khamenei_chamenei_religionsfuehrer_mullaregime_islamische_republik_iran_kritisches_netzwerk_islamisierung_massendemonstrationen_massenproteste_entdemokratisierung.jpg1. Teheran ist die Hauptstadt des Iran und der gleichnamigen Provinz. Im administrativen Stadtgebiet leben etwa 8,7 Millionen Menschen, in der Metropolregion werden rund 20Millionen Einwohner geschätzt. Industrie- und Handelsstadt mit Universitäten, Hochschulen, Bibliotheken und Museen ist Teheran ein bedeutendes Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturzentrum sowie ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt des Landes. Foto: Mohammad F. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0).

2. Hassan Rohani (auch Rouhani, Rowhani oder Ruhani); * 13. Nov. 1948 in Sorkheh, Provinz Semnan) ist ein iranischer Politiker und ein schiitischer Mudschtahid (Rechtsgelehrter) mit dem religiösen Titel Hodschatoleslam. Er ist seit dem 3. August 2013 der 7. Präsident der Islamischen Republik Iran und wurde am 20. Mai 2017 wiedergewählt. Urheber: Hamed Malekpour. Quelle: Wikimedia Commons. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 4.0 international“.

3. Der Iran (vollständig Islamische Republik Iran), veraltet auch als Persien bezeichnet, ist ein Staat in Vorderasien (Westasien). Mit derzeit rund 81 Millionen Einwohnern und einer Fläche von 1.648.195 Quadratkilometern zählt er zu den 20 bevölkerungsreichsten und größten Staaten der Erde. Das Land war bis 1979 eine konstitutionelle Monarchie, seit der Islamischen Revolution im selben Jahr bezeichnet es sich als Islamische Republik. Foto: harrystaab. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).

4. Karrikatur: "Happy New Year for Iranian People". Ajatollah Sejjed Ali Chāmeneʾi (Ali Khamenei); * 17. Juli 1939 in Maschhad ist als Oberster Religionsführer seit 1989 der politische und religiöse Führer des schiitischen Iran. Eine andere Bezeichnung für sein Amt ist „Revolutionsführer“ (Rahbar-e enqelāb). Er ist damit die höchste geistliche und politische Instanz, der Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte und das Staatsoberhaupt des Iran. Khamenei gilt als "graue Eminenz" und Hardliner. Er ist in Teilen der eigenen Bevölkerung höchst umstritten und spaltet die Nation. Viele Iraner möchten keine Islamische Republik, sondern einen säkularen, modernen und fortschrittlichen Staat in dem sich der Demokratisierungsprozess und die freie Meinungsäußerung frei und ohne Repressalien entwickeln und entfalten können.

In einem Brief an den Vorsitzenden des Expertenrats, Akbar Hāschemi Rafsandschāni, hat der schiitische Geistliche Mohsen Kadivar im August 2010 die Absetzung von Revolutionsführers Ali Chamene’i gefordert. Kadivar begründet dies damit, dass das Staatsoberhaupt systematisch versucht habe, den Expertenrat an der Wahrnehmung seiner Pflichten und Aufgaben zu hindern. Kadivar bezeichnete in dem Offenen Brief Chamene’i als Despoten, der „sowohl die Gesetze und die Verfassung als auch die Rechte der Bürger eklatant missachtet und den Grundsätzen des Islam zuwidergehandelt habe“.

Diese Karikatur wurde am 1 Jan. 2018 gezeichnet und signiert von "Cheng Tao", geboren in Nanjing / China, derzeit wohnhaft in New York. 2003 erzielte er den Abschluss in Design (Kunst). >> sein Facebook- und Twitter-Account: https://www.facebook.com/taocomic >> https://twitter.com/taocomic . Diese Karikatur wurde am 2. Jan. 2018 im Wikipedia-Artikel "Proteste im Iran 2017/2018" und bei Wikimedia Commons eingebunden, dort aber am frühen Abend des 4. Januar wieder gelöscht. Zensur bei Wikimedia? "Honi soit qui mal y pense" - "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!"

KN-ADMIN H.S. hat zur Beweissicherung einen Scan des Artikel-Bereiches gemacht, in dem die Karikatur zu sehen war - siehe PDF im Anhang. Zwischenzeitlich haben wir aber auch die freundliche Genehmigung von "Cheng Tao" erhalten, diese und weitere Karikaturen aus seiner Feder im KN veröffentlichen zu dürfen.