Zusammenwachsen medialer Macht mit staatlichen Strukturen

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Zusammenwachsen medialer Macht mit staatlichen Strukturen

In NRW hat der Begriff Lobbyismus eine ganz neue Dimension erreicht

von Laurenz Nurk, Dortmund

In NRW hat der Begriff Lobbyismus eine ganz neue Dimension erreicht. In dem Bundesland verwaltet der Bertelsmann-Konzern inzwischen buchstäblich den Schlüssel zur Lobby der Landesregierung selbst und ist in die inneren sensiblen Bereiche der Politik vorgedrungen.

Eine Große Anfrage der NRW-Piraten zeigte im Dezember 2016 auf, dass die Bertelsmann-Tochter Arvato, die das ServiceCenter der Landesregierung technisch betreut, einen großen Beitrag zum Funktionieren der Regierung in Düsseldorf leistet und in sensible Bereiche vorgedrungen ist, in den private Firmen nichts zu suchen haben. Die Anfrage der Oppositionspartei war die bislang umfänglichste Prüfung, der sich die Regierenden hierzulande bezüglich ihrer Bertelsmann-Hörigkeit unterziehen mussten.

Die dominierende Rolle von Bertelsmann Stiftung und Bertelsmann-Medienkonzern bei der Politikprivatisierung ist schon seit langem bekannt, doch nun droht das Zusammenwachsen der medialen Macht mit ehemals staatlichen Strukturen der Überwachung zu einem neuen Mechanismus der sozialen Kontrolle.

Die NRW-Piraten haben der Landesregierung von NRW  mit einer Großen Anfrage auf den Zahn gefühlt. Die Regierung ist ihrer parlamentarischen Rechenschaftspflicht nachgekommen und hat auf 50 Seiten, detailliert wie nie zuvor, aufgelistet, was es an Kontakten, Geschäften und Verträgen zwischen der Regierung und Bertelsmann in den letzten zehn Jahren gegeben hatte.

So kam ans Licht, dass

  • thomas_schuler_bertelsmannrepublik_deutschland_eine_stiftung_macht_politik_kritisches_netzwerk_bertelsmann_guetersloh_bruessel_berlin_lobbyismus_lobbying_medienkonzern.jpgman bei einer Recherche auf dem Webserver des Landtages für das Stichwort „Bertelsmann-Stiftung“ 1.370 Treffer erhalten kann, für die ebenfalls großen Unternehmensstiftungen „Robert-Bosch-Stiftung“ lediglich 69 Treffer, die „Körber-Stiftung“ kam auf 27 Treffer.
  • eine tabellarische Auflistung der Treffen von Regierungsbeamten mit Bertelsmann sich über 13 Seiten hin zieht.
  • man nun sehen kann, in welche Bertelsmann-Projekte Steuergelder fließen, so z.B. 5 Millionen in das Projekt „Kein Kind zurücklassen“, das u.a. die durch Hartz-IV bedingte Kinderarmut kompensieren soll. Hier wurde man wohl durch das gefloppte Projekt “No Child Left Behind” von George W. Bush inspiriert.
  • die Landesregierung 86 Aufträge an Bertelsmann vergeben hat, darunter Aufwendungen von 6,7 Millionen Euro etwa für den Betrieb ServiceCenter der Landesregierung. In diesen Zentren beantworte Arvato nach eigenen Angaben inzwischen die meisten Bürgeranfragen abschließend.
  • 80 Prozent aller im ServiceCenter eingehenden Bürgerkontakte bereits im Erstkontakt fallabschließend durch die Arvato-Mitarbeiter bearbeitet werden. Will heißen, vier von fünf Bürgeranfragen kommen nicht an die Exekutive heran, sondern werden schon vorher von einer privaten Firma erledigt.
  • es auch Bertelsmanns besonders starken Einflüssen in der Bildungs- und Hochschulpolitik zu verdanken ist, dass Hochschulen nur noch der Rechtsaufsicht, nicht mehr der Berichtspflicht gegenüber der Landesregierung unterliegen.
  • die personalpolitische Drehtür zwischen Politik und Bertelsmann recht schnell rotiert. Wie schnell, wollte die Regierung mit Hinweis auf Datenschutz nicht beantworten.
  • man in NRW die Bertelsmann-Stiftung immer noch als neutralen Think Tank sieht, obwohl Bertelsmann im Lobbyregister der EU in Brüssel schon als drittgrößter Lobbyist geführt wird.
  • Bertelsmann bei den Machteliten wohl deshalb immer noch als nur „heimlicher“ Lobbyist gilt, weil der Medienkonzern sich selbst dank seiner Medienmacht aus den Schlagzeilen des Mainstreams heraushalten kann.
  • werner_biermann_arno_kloenne_agenda_bertelsmann_ein_konzern_stiftet_politik_kritisches_netzwerk_reformwerkstatt_arvato_indoktrination_lobbyismus_lobbying_mediale_macht.jpgder Einsatz von Arvato in Düsseldorf mit einer Summe von fünf Millionen Euro Steuergeldern vergütet wird, fällt bei 5,6 Milliarden Euro Umsatz der Konzerntochter insgesamt, finanziell wohl kaum ins Gewicht, ist aber auch schon eine stolze Ausgabe

und dass eine mangelhafte Reflexion der „Lobbyismus-Gefahr“ bei den Landesparlamentariern und der Regierung vorhanden ist. Ob es sich hierbei bei den Parlamentarier um die übliche Realitätsblindheit oder um Sich-Dumm-Stellen handelt, ist nicht klar. Auf jeden Fall ist das lächerlich, wo doch jedes Kind sich im Internet über die Lobbytätigkeiten informieren kann.

Die Bertelsmann-Tochter Arvato verwaltet derzeit die größte private Datenbank der Bundesbürger. Das ist ein moderner Goldschatz. Lobbyisten der Big-Data-Industrie behaupten selbst, dass „Daten das neue Öl“ seien, doch haben sie noch Schwierigkeiten dieses „Öl“ gänzlich zu fördern. Sie müssen es zzt. noch aus unserem Recht auf Privatheit herausbohren. Dazu brauchen sie die Hilfe der Politik.

Wie diese Hilfe eingekauft wird, zeigt das Beispiel von Viviane Reding. Von Februar 2010 bis Mitte 2014 war sie Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Kommissarin für das Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Unter ihrer Zuständigkeit wurde das neue EU-Datenschutzgesetz geschaffen, von dem es hieß, es sei den Lobbyisten abgetrotzt worden.

Das kann aber so nicht sein, denn Viviane Reding sitzt heute bei Bertelsmann im Stiftungs-Kuratorium.

Als ehemalige EU-Kommissarin für Medien und Informationsgesellschaft bringt sie eine Menge Know-How mit, das  für die Geschäftsfelder von Bertelsmann von hohem Interesse ist. Zudem war Reding Vizepräsidentin derjenigen Kommission, die das EU-US- Freihandelsabkommen-TTIP initiiert hat. Als globales Unternehmen gehört Bertelsmann zu den möglichen Nutznießern des Freihandelsabkommens und unterstützt Lobbygruppen, die sich für TTIP einsetzen.

Seit Januar 2015 ist Viviane Reding Mitglied im Kuratorium der Bertelsmann Stiftung, sie arbeitet nun beim „Big Player im Geschäft mit Big Data“. Das Kuratorium ist ein Beratungs- und Kontrollgremium, das eng in die strategischen Entscheidungen der Stiftung eingebunden ist. Das Kuratorium gehört zwar nicht direkt zum Unternehmen, ist aber eng mit Bertelsmann verbunden. Die Stiftung hält 77,6 Prozent der Aktien des Bertelsmann-Konzerns und das Kuratorium ist personell mit dem Aufsichtsrat der Bertelsmann SE & Co KgaA verzahnt.

Laurenz Nurk, Dortmund (Quelle: piraten nrw, lobbypedia)


 

► Quelle: Erstveröffentlicht am 10.01.2017 auf gewerkschaftsforum-do.de > Artikel. Die Texte (nicht aber Grafiken und Bilder) auf gewerkschaftsforum-do.de unterliegen der Creative Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 3.0 DE), soweit nicht anders vermerkt.

► Bild- und Grafikquellen:

1. "Ware" Demokratie ist, wenn Politker den Willen von Konzernen und deren Lobby politisch gesetzlich durchsetzen und sich zum Ausgleich dafür von den Bürgern wählen und bezahlen lassen!" Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.

2. Cover "Bertelsmannrepublik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik" von Thomas Schuler; Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010; Gebunden, 304 Seiten (nur noch antiquarisch). Vom Verlag heute noch als E-Book im MOBI/Kindle-Format oder EPUB oder als PDF für € 9,99 erhältlich.

Die Bertelsmann Stiftung ist einflussreich und mächtig. Allseits beliebt und anerkannt ist die größte operative Stiftung in Deutschland eng verzahnt mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ganz gleich wer in Berlin oder Brüssel regiert, die Bertelsmann Stiftung regiert immer mit. Die Experten aus Gütersloh sind immer dabei in der öffentlichen Verwaltung, in der Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Gesundheits- oder Außenpolitik. Doch dient die Arbeit der Stiftung wirklich dem Allgemeinwohl? Oder wird das Vertrauen durch verdeckten Lobbyismus und Vetternwirtschaft leichtfertig verspielt? Thomas Schuler zeigt, wie Bertelsmann sein Personal im politischen Betrieb platziert, wo die Gemeinnützigkeit untergraben und Politik im Sinne eigener Interessen gesteuert wird. Dies wirft wichtige Fragen auf über die Stiftungslandschaft insgesamt.

Schuler: „In meiner Recherche ist mir immer wieder aufgetaucht, dass Leute, die Mohn kannten, erzählt haben, dass er dachte, dass die Gesellschaft und das Land so geführt werden sollten, wie er eben sein Unternehmen geführt hat. Deshalb ‚Bertelsmannrepublik Deutschland‘. Es hat noch einen zweiten Sinn: Wenn ich aufrechne, was an zwei Milliarden Erbschaftssteuer ungefähr erspart worden ist, und man rechnet die 800 Millionen dagegen, die die Stiftung seit 1977 ausgegeben hat, dann merkt man, dass die Öffentlichkeit der Familie Mohn dieses Privatinstitut finanziert. Und dafür, dass ein Teil gemeinnützig ist, aber auch ein Teil fragwürdig ist, finde ich das bemerkenswert und problematisch, dass also dieser Familie und diesem Unternehmen hier ein Zugang für Lobbyismus zur Politik finanziert wird.

3. Buchcover „Agenda Bertelsmann. Ein Konzern stiftet Politik, von Werner Biermann und Arno Klönne; Verlag PapyRossa Köln 2008, 2. aktualisierte Aufl., 142 Seiten, EUR 11,90, ISBN 978-3-89438-372-5. Das Buch ist antiquarisch z.B. bei www.booklooker.de erhältlich.

Ob Privatisierung öffentlicher Dienste oder Einführung von Studiengebühren, ob Hartz IV und Sozialkürzungen oder globale Militärinterventionen und Vorgaben zur Aufrüstung: Die gesellschaftspolitische Agenda der Bundesrepublik wird von der Bertelsmann-Stiftung entworfen. Diese »gemeinnützige« und steuerbegünstigte »Reformwerkstatt«, die zugleich das größte Aktienpaket am Bertelsmann-Konzern als dem weltweit viertgrößten Medienunternehmen hält, stellt die erfolgreichste Public-Private-Partnership dar - nicht nur auf Firmenprofit, sondern auch auf gesellschaftliche Steuerung ausgerichtet.

Werner Biermann und Arno Klönne beschreiben, wie die Bertelsmann-Stiftung Lösungen für Probleme findet, die sie selbst definiert, und wie sie bei deren Umsetzung geschäftstüchtig tätig wird - vom Kindergarten bis zur Hochschule, von der Kommune bis zur Geopolitik. Sie analysieren den ökonomisch-politischen Hintergrund der Bertelsmann-Konzepte und deren Zielhorizont: Gesellschaft, geführt wie ein Unternehmen, postdemokratisch. (Verlagstext) - eine Buchvorstellung bei Schattenblick.de.

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Verbunden: 10.09.2016 - 11:31
Bertelsmann als TTIP-Strippenzieher

Es gab in den letzten Jahren wahrlich nicht viel Situationen, wo man auf die Piratenpartei stolz sein konnte - im Gegenteil. Dies aber ist wieder einer dieser seltenen Momente.

Hier noch zwei ergänzende Hinweise:

  • Die Schweinerei, dass dem globalisierungskritischen Verein attac im Oktober 2014 durch das Finanzamt Frankfurt der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, ist sogar im Mainstream bzw. den Systemmedien breit thematisiert worden - siehe hier. Was hier stattdessen korrekt gewesen wäre: Johannes Paul von den NRW-Piraten bzw. Selbige in ihrem Wahlrogramm forderten - im Wortlaut:

"Die Piraten beschlossen zudem Forderungen nach einer Revision des NRW-Stiftungsrechtes. Insbesondere soll der Bertelsmann Stiftung der steuerbefreiende Status der Gemeinnützigkeit aberkannt werden (”Lex Bertelsmann"). Zahlreiche unabhängige Experten betrachten die Bertelsmann Stiftung de facto als ausgelagerte Marketing-Abteilung der Bertelsmann AG." - siehe hier

Attac hat Widerspruch gegen die Entscheidung des Finanzamts erhoben. Im November 2016 wurde dem Widerspruch durch das Hessische Finanzgericht stattgegeben und damit die Gemeinnützigkeit der NGO attac gerichtlich festgestellt.

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Dipl.-Ing. Maschinenbau, Jhrg. 64

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