Die Ideologie der Marktwirtschaft
. . . und die Flut der Panama-Paradise-Luxleaks-Papers
von Franz Garnreiter / isw München
Die Empörung über das asoziale Treiben der wirtschaftlich Mächtigen ist absolut berechtigt, wichtiger ist mir aber folgendes: Was lehren und lernen wir denn seit Generationen, seit Adam Smith [4], über das richtige wirtschaftliche Verhalten? Einen simplen Grundsatz: Der Mensch ist von Natur aus egoistisch, und das ist gut so. Denn Marktwirtschaft funktioniert dann am besten, wenn die Menschen ausschließlich ihren Eigennutz verfolgen, sich also maximal egoistisch verhalten. Dann und nur dann kriegen wir die beste, reichste, stabilste und vor allem auch gerechteste Gesellschaft (Pareto-Optimalität [5]).
Die Konkurrenz der Egoisten lässt nur das Beste zum Nutzen der Gesamtgesellschaft erfolgreich sein. Die Konkurrenzwirtschaft ist also der Menschennatur absolut angemessen. Jede andere Wirtschaftsform ist pervers, widernatürlich. Gemeinsame Aktionen (staatliches Handeln) in der Wirtschaft sind also falsch. Dieses Axiom [6] gilt absolut, und dieses Axiom strahlt mittlerweile auch auf alle anderen Lebensbereiche aus.
Mit diesem Axiom werden schon die Schulkinder in den Lehrbüchern traktiert, das kriegen sie als Lebensweisheit von ihren Vätern eingetrichtert. Das predigt (nicht nur) die FDP täglich rauf und runter, genau das lernen die VWL-Studenten in extrem elaborierten mathematischen Modellen. Dennoch: das Axiom ist ein erbärmlich primitiver Gedanke, der die Intelligenz der Menschen beleidigt, die sich Gedanken machen über den Zusammenhalt und die Entwicklung von Gesellschaften.
Konkurrenz ist immer die Konkurrenz von Starken gegen Schwache. Die Freunde der Konkurrenzwirtschaft, die Anhänger der Ideologie der Marktwirtschaft, sollten eigentlich Freude empfinden, wenn die Top 0,1 %, die Big Player, den Konkurrenzauftrag ernst nehmen u. sich Anwaltsbüros, Abgeordnete und Regierungsangestellte kaufen und so ihren Nutzen optimieren. Nach ihrer Ansicht profitiert der Rest der Gesellschaft ja mit (Trickle-down-Effekt [7], Brosamen vom Tisch der Reichen).[1]
Die Freunde der Konkurrenzwirtschaft bringen ja sonst auch alles Verständnis der Welt auf dafür, dass die Big Player im Rahmen ihrer Optimierungsanstrengungen grad mal Umwelt und Natur zerstören müssen (von Glyphosat [8] über Stickoxide bis zur Klimakatastrophe), wobei da leider auch die Milliarden armer Menschen (die halt eben etwas konkurrenzschwächer sind, und v.a. fauler, also selbstverschuldet arm) ziemlich unter die Räder kommen. Das mag zynisch klingen, aber so zynisch ist in der Tat die reale weltweite Marktwirtschaft, und zudem verkommen, parasitär, kriminell durch und durch.
Wir müssen dieses Wirtschaftssystem grundlegend umstürzen, weg vom Prinzip der Profitmaximierung, einem Prinzip, dessen übelste Auswirkungen nur mit einer riesigen staatlichen Bürokratie und nur mühsam beherrschbar sind. Hin zu einer Wirtschaft, in der die Interessen der Bevölkerung bereits bei Investition und Produktionsplanung eingehen und wirksam werden. Kommunale Unternehmen, etwa Sparkassen, Stadtwerke, Wohnungsbau, Freizeiteinrichtungen, könnten Beispiele und ein Ansatz für eine demokratische Wirtschaft sein. Beruhend auf Diskussion und Konsens statt nur auf Egoismus und Konkurrenz.
Franz Garnreiter
► Quelle: Erstveröffentlicht am 12. November 2017 bei isw-München >> Artikel [9].
[1 - ergänzt durch H.S.]: John Kenneth Galbraith [10] wies darauf hin, dass man die Trickle-down-Theorie zu seiner Jugendzeit als horse and sparrow theory bezeichnete: „Wenn man einem Pferd genug Hafer gibt, wird auch etwas auf die Straße durchkommen, um die Spatzen zu füttern", woher im Deutschen auch die Bezeichnung Pferdeäpfel-Theorie rührt. "If you feed the horses enough oats, some will pass through to the road for the sparrows", zitiert nach Richard S. Gilbert: How much do we deserve?: an inquiry into distributive justice. Ausgabe 2, Unitarian Universalist Association of Congregations, 2001, ISBN 1558964169, S. 167.
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1. Adam Smith (getauft am 5. Junijul./ 16. Juni 1723greg. in Kirkcaldy, Grafschaft Fife, Schottland; † 17. Juli 1790 in Edinburgh) war ein schottischer Moralphilosoph [14], Aufklärer [15] und gilt als Begründer der klassischen Nationalökonomie [16]. Urheber: Etching created by Cadell and Davies (1811), John Horsburgh (1828) or R.C. Bell (1872). The original depiction of Smith was created in 1787 by James Tassie [17]. Quelle: Wikimedia Commons [18]. Dies ist eine originalgetreue fotografische Reproduktion eines zweidimensionalen Kunstwerks. Dieses Werk ist gemeinfrei [19], weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.
[20] 2. Der Begriff Trickle-down-Theorie (englisch trickle ‚sickern‘; auch Horse and Sparrow Economics ‚Pferd-und-Spatz-Ökonomie‘, im deutschen Sprachraum Pferdeäpfel-Theorie) bezeichnet die These, dass Wirtschaftswachstum und allgemeiner Wohlstand der Reichen nach und nach durch deren Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern würden (Trickle-down-Effekt [7]). Sie wurde von David Stockman [21] als synonyme Bezeichnung für angebotsorientierte Wirtschaftspolitik eingeführt. Grafik: im Web sehr verbreitet, Urheber nicht eind. ermittelbar.
3. NEOLIBERALISMUS: SOZIALABBAU, MENSCHENVERACHTUNG & IRRATIONALISMUS als alles beherrschendes [Indoktinations-]System! Bildidee: LOGOS. Techn. Umsetzung: Wilfried Kahrs, QPRESS.de
4. Buchcover: "Untote leben länger. Warum der Neoliberalismus nach der Krise noch stärker ist" von Philip Mirowski, Übersetzung: Felix Kurz, Verlag Matthes & Seitz Berlin, 352 Seiten, Hardcover, Erschienen: 2015, ISBN: 978-3-95757-087-1, Preis: 29,90 €. Originaltitel: "Never Let a Serious Crisis Go to Waste: How Neoliberalism Survived the Financial Meltdown".
»Jahrhundertkrise«, »Bankencrash«, »Systemkollaps« – Markige Worte wurden bemüht, um die Wirtschaftskrise zu beschreiben, die in den letzten Jahren zum Bankrott ganzer Länder geführt hat und den Euro an den Rand des Abgrunds trieb. Markige Worte, die nach grundlegenden Änderungen schreien. Doch als wäre nichts geschehen, geht alles weiter wie bisher: Die neoliberale Wirtschaft beginnt erneut heißzulaufen, Staatsinvestitionen sind weiter verpönt und schon sieht man wieder die ersten Spekulationsblasen wachsen.
Angesichts dieser aberwitzigen Beharrungskräfte verfolgt Philip Mirowski das neoliberale Projekt bis zu seinen Anfängen zurück und zeigt, wie es gelingen konnte, der Welt eine ökonomische Theorie nach starren mathematischen Gesetzen überzustülpen, die sich als stählernes Mantra festgesetzt hat. Seine tiefgreifende, bissig und anschaulich geschriebene Untersuchung, die Intellectual History, Kulturkritik und die Aufdeckung des Einflusses mächtiger Interessenverbände umfasst, zeigt zudem, dass sich der Neoliberalismus mittlerweile zu einer Kultur verdichtet hat, die alle Bereiche unseres Lebens bestimmt und auch unser Denken fest im Griff hat. Die Krise der Wirtschaft entpuppt sich so auch als intellektuelle Krise.