Grundlegende Bedenken zum Einsatz von Kampfdrohnen
Studie zu den humanitären Folgen von Drohnen
von IPPNW
Die humanitären Folgen von Drohnen sind gravierend und erfordern eine umfangreiche Diskussion im Bundestag über die völkerrechtlichen, verfassungsrechtlichen und ethischen Bedenken bezüglich ihres Einsatzes durch die Bundeswehr. Über die Frage einer Bewaffnung von Drohnen sollten die Abgeordneten im Bundestag namentlich und nach ihrem Gewissen abstimmen.
Das fordert die ärztliche Friedensorganisation IPPNW anlässlich der heutigen [08.02.2019] Veröffentlichung des Berichtes „Die humanitären Folgen von Drohnen - Eine völkerrechtliche, psychologische und ethische Betrachtung“. Der Bericht ist die deutsche Erstveröffentlichung einer Studie der „Women’s International League for Peace and Freedom“, die die deutsche IPPNW übersetzt und um weitere Texte ergänzt hat.
Am 28. Januar 2019 hat die Bundeswehr in Israel mit der Ausbildung von Drohnen-Pilot*innen und weiterem Militärpersonal begonnen. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU wurde vereinbart, dass der Deutsche Bundestag über die Beschaffung einer Bewaffnung erst nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung entscheidet. Doch das ist bisher nicht geschehen, während die Entscheidung über ein Leasing von sieben bewaffnungsfähigen Drohnen Heron TP der staatlichen israelischen Firma Israel Aerospace Industries (IAI) bereits im Juni letzten Jahres gefallen ist.
Die IPPNW kritisiert, dass der Beschluss für das Leasing die Koalitionspartner in Zugzwang bringen könnte, die Waffenfähigkeit des bereits angeschafften 1,2 Milliarden teuren Drohnensystems auch zu nutzen. Mögliche Folgen einer Bewaffnung wären eine Senkung der Hemmschwelle zu töten sowie die Gefahr einer weiteren Aufweichung völkerrechtlicher Normen. Deutschland ist der einzige NATO-Mitgliedstaat, in dem ethische und rechtliche Fragen zum Einsatz von bewaffneten Drohnen geprüft werden sollen. Das Ergebnis der Debatte könnte international wegweisend sein. Mit der heute veröffentlichten Studie will die ärztliche Friedensorganisation einen Beitrag zu diesem überfälligen gesellschaftlichen Diskurs leisten.
Eine Aussage über die Zahl ziviler Drohnenopfer zu treffen, ist aufgrund von Geheimhaltung und Intransparenz äußerst schwierig. Laut dem Büro für investigativen Journalismus haben die USA bis zum 10. Januar 2019 zwischen 6.757 - 6.954 Luft- und Drohnenangriffen allein in Jemen, Somalia, Pakistan und Afghanistan durchgeführt. Die Gesamtzahl der getöteten Zivilist*innen in diesen Ländern beträgt zwischen 686 - 1.697 Menschen, darunter 220 - 347 Kinder. Doch die Zahlen dürften weitaus höher liegen, da weitere Einsatzländer wie Palästina, Libyen, der Irak oder Syrien fehlen. Allein in Libyen haben die USA laut der Nachrichtenseite Intercept seit dem Jahr 2011 ca. 550 Drohnenangriffe durchgeführt. Gemäß der Studie der britischen Nichtregierungsorganisation Reprieve zu den US-Drohneneinsätzen in Pakistan und in Jemen wurden für jeden getöteten „Terroristen“ 28 Zivilist*innen getötet.
Über die psychologischen Folgen für die von Drohnen betroffene Bevölkerung im Jemen schreibt Radidja Nemar von der Nichtregierungsorganisation "Alkarama" in der veröffentlichten Studie. Laut ihrer Untersuchung leidet die von Drohnenangriffen betroffene Zivilbevölkerung unter ständiger Angst und Schlaflosigkeit. Auch die Studie „Living under Drones“ (2012) der Stanford Law School kommt zu dem Schluss, dass Drohnenangriffe einen erheblichen Schaden im täglichen Leben der Zivilbevölkerung anrichten, der über das Töten und die körperlichen Verletzungen hinausgeht.
Die Studie dokumentiert zudem Symptome von Angsterkrankungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS, engl. Posttraumatic stress disorder, PTSD). 50 % der Befragten beschrieben emotionale Zusammenbrüche, Bewusstseinsverluste, Alpträume, Reizbarkeit, Wutausbrüche, übertriebene Reaktionen auf Lärm, Appetitverlust, Erbrechen, Übelkeit und Schmerzen. Hinzu kommen Schlafstörungen, weshalb Antidepressiva und Tranquilizer eingenommen wurden. Die 24-stündige Präsenz und der Angriff ohne Vorwarnung terrorisiere Männer, Frauen und Kinder und erhöhten das Level von Angst und psychologischem Trauma in den Gemeinschaften.
Soldat*innen, die Drohnen steuern, befinden sich nicht in akuter Verletzungs- oder Todesgefahr. Sie verrichten ihre Arbeit oft im Heimatland und tausende Kilometer entfernt vom tatsächlichen Kriegsgeschehen. Trotzdem ist auch ihre physische und psychische Gesundheit beeinträchtigt. Der Neuropsychiater Wayne L. Chappelle von der "School of Aerospace Medicine" (USAFSAM) führte zwischen 2011 und 2014 Untersuchungen an 840 bzw. 1.000 Bediener*innen von Drohnen durch. Fast die Hälfte der Befragten berichtete über einen hohen Level an Stress aufgrund von langen Arbeitszeiten und Schichtdienst.
Auch die zwei Psychologinnen Cherie Armour und Jana Ross von der Ulster-Universität Derry-Londonderry kamen in einer Metastudie (1996 – 2016) über die psychologischen Folgen bei Drohnenoperator*innen zu dem Schluss, dass der arbeitsbedingte Stress höher war als bei anderen Einheiten. Viele Befragte berichteten von Schlafstörungen und emotionaler Erschöpfung. Die Studien zu den Daten von Posttraumatischer Belastungsstörung sind widersprüchlich. Laut der Untersuchung der beiden Psychologinnen sind die Raten bei den Drohenoperator*innen niedriger als bei anderen Kampftruppen. Dr. Jean Otto dagegen, die die Krankenakten von Drohnenpersonal und von Kampfpilot*innen von 2003 bis 2011 auswertete, fand nach Bereinigung der Daten keinen Unterschied zwischen Drohnen- und Kampfpilot*innen. Ein Grund für widersprüchliche Angaben der Drohnenoperator*inen könnte u.a. in der Angst vor Stigmatisierung und Jobverlust begründet liegen.
Lesetipps:
IN SEARCH OF ANSWERS. U.S. Military Investigations and Civilian Harm, CIVIC + COLUMBIA HRI, Februar 2020, 72 Seiten >> weiter.
Jemenkrieg, die vergessene Katastrophe., Friedenspolitisches Informationsheft 2019, Initiative für Jemen München, Matthias Gast, 24 Seiten >> weiter.
Koalitions-Offensive gegen Jemen. Werden Frankreich, das Vereinigte Königreich und die USA jemals bezahlen, was sie im Jemen getan haben? von Darius Shahtahmasebi / Aus dem Engl.: Einar Schlereth, 06. September 2019, im KN 7. Oktober 2019 >> weiter.
Situation of human rights in Yemen including violations and abuses since Sept 2014 - 2019, Human Rights Council, 3. September 2019, 297 Seiten >> weiter.
Jemenitische Familie erzielt Teilerfolg gegen US-Drohnenprogramm Ramstein, von Jonathan Schlue, Netzpolitik.org, 20. März 2019 >> weiter.
Grundlegende Bedenken zum Einsatz von Kampfdrohnen. Studie zu den humanitären Folgen von Drohnen, von IPPNW, 17. Februar 2019 >> weiter.
Humanitäre Folgen von Drohnen. Eine völkerrechtliche, psychologische und ethische Betrachtung, Drohnenreport des IPPNW, Februar 2019, 104 Seiten >> weiter.
Die Auslöschung des Jemen: Größte Katastrophe der Gegenwart, von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam, 19.12.2018 >> weiter.
KEIN PANZER GEHT IN KRIEGSGEBIETE: Irrtümer und Mythen über Waffenexporte – und warum wir ihr Verbot brauchen. Jan van Aken, Rosa-Lux-Stiftung, Nov 2018, 44 Seiten >> weiter.
Dr. Gniffkes Macht um acht: Völkermord im Jemen? Fiderallala >> Bombardements auf Schulbusse und Marktplätze, alle zehn Minuten stirbt ein Kind in diesem Krieg – aber ARD-aktuell behandelt den Genozid nachrangig, von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam, 26.08.2018 >> weiter.
UK PERSONNEL SUPPORTING THE SAUDI ARMED FORCES — RISK, KNOWLEDGE AND ACCOUNTABILITY, von Mike Lewis und Katherine Templar, 2018 >> weiter.
Deadly Assistance: The role of European states in US Drone Strikes, Amnesty International USA, April 2018, 88 Seiten >> weiter.
Stop the WAR in Yemen, NGO-Webseite von Mathias Tretschog, Gründer Friedensprojekt und Freier Journalist.
Seit dem 26.März 2015 leiden die Menschen im Jemen unter der Geißel eines absurden Krieges. Ein illegaler Krieg, der ausgelöst wurde von einer arabischen und internationalen Koalition, angeführt von Saudi-Arabien. Ein Krieg, der Kinder und Frauen tötet und vertreibt und die Infrastruktur eines ganzen Landes systematisch zerstört. Eine kritische Berichterstattung über den Völkermord im Jemen und die Rolle der internationalen Koalition inkl. den USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschlands dabei, findet in internationalen wie deutschen Haupt-Medien kaum statt und die UNO schaut sprachlos zu. Das sind Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die niemals verjähren und die niemals vergessen werden dürfen! >> weiter.
Traumatische Ereignisse, PTBS und psychische Störungen bei Soldaten mit und ohne Auslandseinsatz, TU Dresden >> weiter.
Living Under Drones. Death, Injury, and Trauma to Civilians, Studie der Stanford Law School, September 2012, 182 Seiten >> weiter.
► Quelle: Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Körtestr. 10, 10967 Berlin >> Pressemittung vom 08.02.2019.
Kontakt: Angelika Wilmen, Pressesprecherin der IPPNW, Tel. 030-69 80 74-15, Email: wilmen@ippnw.de, www.ippnw.de .
► Leitbild der Intern. Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung:
In der IPPNW engagieren sich Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Medizinstudierende für eine menschenwürdige Welt frei von atomarer Bedrohung. Frieden ist unser zentrales Anliegen. Daraus entwickeln wir unser vielfältiges Engagement. Wir setzen uns ein für die Ächtung jeglichen Krieges, für gewaltfreie, zivile Formen der Konfliktbearbeitung, für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen und die gerechte Verteilung der Ressourcen, sowie für ein soziales und humanes Gesundheitswesen. Dabei leiten uns unser ärztliches Berufsethos und unser Verständnis von Medizin als einer sozialen Wissenschaft.
Für eine Welt frei von atomarer Bedrohung:
Die Bedrohung durch Atomwaffen ist nach Ende des Kalten Krieges nicht geringer geworden. In einer multipolaren Welt mit einer steigenden Anzahl von Atomwaffenstaaten ist das Risiko des Einsatzes von Atomwaffen größer denn je. Zusammen mit ihren Schwesterorganisationen in über 60 Staaten setzt sich die deutsche IPPNW seit ihrer Gründung 1982 für die Abschaffung und internationale Ächtung aller Atomwaffen ein.
Militärische und zivile Nutzung der Atomenergie sind eng miteinander verbunden. Wegen der Gefahren der Weiterverbreitung von Atomwaffen, eines erneuten atomaren Super-GAUs und des nicht beherrschbaren Atommüllproblems ist Atomenergie aus unserem ärztlichen Verständnis nicht zu verantworten. Aus Sorge um die Gesundheit und das Leben von Millionen Menschen fordern wir den Ausstieg aus der Atomenergie und eine Energiewende hin zu dezentralen und erneuerbaren Energien. Dies ist aufgrund der katastrophalen Folgen des weltweiten Klimawandels geboten. Gleichzeitig wirkt eine Energiewende friedenspolitisch präventiv, da sie Kriege um Rohstoffe verhütet. In diesem Sinn verstehen wir uns auch als eine umweltpolitische Organisation. >> weiterlesen.
► Bild- und Grafikquellen: (Die Bilder und Grafiken im Artikel sind nicht Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. andere Lizenzen, s.u..)
1. Cover des Reports „Die humanitären Folgen von Drohnen. Eine völkerrechtliche, psychologische und ethische Betrachtung“. Quelle: https://www.ippnw.de/ .
2. Northrop Grumman enthüllte das NATO Alliance Bodenüberwachungssystem. U.S. Air Force photo by Rebecca Amber | VIRIN: 150604-F-IW159-001.JPG . Quelle: Edwards Air Force Base >> Foto. Wenn Sie ein von dieser Website heruntergeladenes Bild verwenden, kennzeichnen Sie es bitte als ein Foto oder Bild der U.S. Air Force. Sie dürfen jedoch nicht implizieren, dass die Luftwaffe etwas befürwortet, was mit den Fotos oder Bildern gemacht wurde.
3. Buchcover: "Die Militarisierung der EU – Der (un)aufhaltsame Weg Europas zur militärischen Großmacht" von Claudia Haydt und Jürgen Wagner (2018). Berlin: edition berolina, ISBN 978-3958410879, 304 S., 14,99 €uro.
Die IMI-Vorstände Claudia Haydt und Jürgen Wagner haben soeben ein neues Buch veröffentlicht, das sich ausführlich auf (etwas) über 300 Seiten mit dem derzeit in schwindelerregendem Tempo ablaufenden Umbau der EU zur Rüstungsunion beschäftigt. Das Buch kann zum Preis von 14,99 Euro (inkl. Porto) gerne unter imi@imi-online.de bestellt werden. Eine erste Rezension findet sich hier.
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
TEIL I: DIE GEOSTRATEGIE DER WELTMACHT EUROPA
1. Group on Grand Strategy: Weltmacht = Expansion & Militarisierung
2. Globalmachtpläne: Die Europäische Sicherheitsstrategie
3. Europas Imperiale Nachbarschaftspolitik
4. Anatomie der Militärmacht Europa
5. Vom Freundeskreis zum Feuerring: Die EU im Einsatz
TEIL II: CARD – PESCO – EVF: AUF DEM WEG ZUR EUROPÄISCHEN RÜSTUNGSUNION
6. Globalstrategie und Bratislava-Agenda
7. CARD: Politisch-Industrieller Rüstungsraum
8. PESCO: Per Rüstungskorsett zur Rüstungsunion
9. EVF: Dammbruch Rüstungshaushalt(e)
10. Potenzielle Stolpersteine für die Militärmacht Europa
Schlussbetrachtungen: Die Mythen der Militarisierung
KÄSTEN
— François Duchêne: Zivilmacht Europa
— Ulrike Guérot: Geopolitik für „zivilisatorische Werte“
— Selbstverständnis: Strategische Debatte – Strategische Zentren
— ‚Grand Area‘: Unheilige Traditionslinien
— Europäische Großmachtambitionen
— Expansion und militärische Absicherung
— Sigmar Gabriel: Kampf der Integrationsräume
— Militär: Machtpolitischer Mehrwert
— Das neoliberale „Globale Europa“
— Herfried Münkler: Phänomenologie eines Imperiums
— Imperium Europa
— Beistandsklausel: Wie Terror zum Krieg wurde
— Kosovo: Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen
— KFOR-EULEX und die Niederschlagung von Sozialprotesten: Ein Übungsszenario
— Proklamation der Arbeiter und Bürger von Tuzla, 7. Februar 2014
— EU-Ukraine: Assoziationsabkommen mit geopolitischer Tragweite
— Fuck-the-EU: Transatlantischer Streit um die Ukraine
— Assoziationsabkommen EU-Syrien
— Donald Trump und die Supermacht Europa
— EUGS-Implementierungsplan: Breites Einsatzprofil
— Die Machtpolitische Funktion von EU-Rüstungsexporten
— Atommacht Europa?
— Macrons Interventionsinitiative
Bestellbar unter imi@imi-online.de