Reflektionen über das politische Leben: Spiegel der Republik | KW36.2017

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Reflektionen über das politische Leben: Spiegel der Republik | KW36.2017
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Reflektionen über das politische Leben

Spiegel der Republik | KW36.2017

von Annette Brückner (Abbe) / CIVES Redaktionsbüro GmbH

+++ Die Macht der Kanzlerin und die Ohnmacht brüllender Wähler +++

+++ Betrug des Bundestages durch den Verkehrsminister +++

+++ Vorschlag an die SPD: Schulz sollte sich um das Amt des Oppositionsführers bewerben +++

+++ Der Verfassungsminister, der Verfassung und Werte mit Füßen tritt +++

► Macht und Ohnmacht

Die Bundeskanzlerin macht auf ihrer diesjährigen Wahlkampftournee neue Erfahrungen. Sie wird niedergebrüllt mit ‚Hau Ab‘-Geschrei und zwar nicht nur in eher Pegida-affinen ostdeutschen Gebieten. Selbst in Heidelberg flogen zwei Tomaten und beschmutzten das Gewand der Regierungschefin. Sie selbst und ihre Adlati halten dagegen. Geschrei ersetze keine Argumente, lautet der Tenor. Schon richtig. Kratzt allerdings nicht an den Ursachen.

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Denn könnte es nicht sein, dass Merkel selbst es ist, die mit ihrer seit Jahren zur Schau getragenen Ignoranz und Respektlosigkeit gegenüber den Interessen und erklärten Wünschen des Wählers – zu nennen sind nur Autobahn-Privatisierung, PKW-Maut („wird es mit mir nicht geben“ / Merkel vor der Wahl 2013) oder von ihr hintertriebener Kompensation des von Automobilherstellern betrogenen Diesel-Käufers – dass also ihr jahrelanges Sich-darüber-hinwegsetzen und Nicht-zuhören gar keine andere Möglichkeit mehr lassen, sich Gehör zu verschaffen, als ohnmächtig zu brüllen?!

► Tricksen und Täuschen

Für den Lobbyisten der Automobilindustrie und Privatisierungsverfechter auf dem Stuhl des Verkehrsministers wird es eng: Der hat offensichtlich den Bundestag getäuscht und betrogen und damit die umfassendste Änderung des Grundgesetzes seit Gründung dieser Republik durchgesetzt. Die Möglichkeit zur restlichen Privatisierung der staatlichen Infrastruktur – nach Bahn und Telekommunikation, nunmehr Straßen und Schulen – steht damit sperrangelweit offen. Um die Zustimmung der Mehrheit der Koalitionsvasallen aus der SPD zu erlangen, musste die Privatisierung in leuchtenden Farben dargestellt werden. Ein Pilotprojekt A1, dessen private Betreibergesellschaft sich seit Jahren in Schieflage befindet, konnte Alexander Dobrindt da nicht brauchen. Also beschloss er, den Spruch „Wissen nur wenn nötig“ seinen Interessen entsprechend umzudeuten.

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Dumm nur, dass die Schieflage nicht nur aus Gesprächen im Verkehrsministerium hervorgeht, wie die SZ gestern berichtete [1]. Sondern vor allem seit Jahren im Unternehmensregister veröffentlicht ist, wie wir hier [2] bereits berichtet haben. Dank der Offenlegungspflichten, die seit langem im Handelsgesetzbuch niedergelegt sind [3]. Die wachsweichen Ausreden aus dem Hause Dobrindt, man habe „nichts gewusst“, sind nicht haltbar. Selbst wenn er die Warnungen in den offengelegten Jahresabschlüssen mehrerer Jahre der A1 mobil GmbH & CO KG nicht SELBST gelesen haben sollte. Es gehört zu den Pflichten einer ordnungsgemäßen Amtsführung, dass ein Ministerium die finanzielle Situation eines so wichtigen Vertragspartners beobachtet und dessen Veröffentlichungen zur Kenntnis nimmt. Der Minister ist dafür politisch verantwortlich. Was Dobrindt gegenüber dem Bundestag (und dem Volk, den die Abgeordneten vertreten) abgeliefert hat, erfüllt dagegen faktisch sämtliche fünf Tatbestandsmerkmale des §263 Abs. 1 StGB. Der ist mit ‚Betrug‘ überschrieben und lautet:

    „Wer

        in der Absicht,
        sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen,
        das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt,
        dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen
        einen Irrtum erregt oder unterhält,

    wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“  

Nur schade, dass der Minister weder strafrechtlich belangt werden wird, noch dass es bisher den Straftatbestand der Untreue im Amt gibt.

► Vorschlag an die SPD: Schulz sollte sich um das Amt des Oppositionsführers bewerben

Auch wenn Martin Schulz tapfer die Fassade hoch hält. Ihm ist sicher längst klar geworden, dass ein Kampf um das Kanzleramt aussichtslos ist. Was sollte es auch bringen, eine SPD zu wählen, die – nach den Schulz’schen Versprechungen – die nächste Legislaturperiode dafür aufwenden müsste, das Wesentliche von dem zurückzudrehen, was die C-Mehrheitsbeschaffer aus der eigenen Fraktion in der noch laufenden Wahlperiode mit der CDU/CSU gemeinsam beschlossen haben.

martin_schulz_keine_chance_arbeiterverraeterpartei_kanzlerkandidat_bundestagswahl_hartz_iv_wuerselen_ceta_ttip_kritisches_netzwerk_spd_sozialdemokraten_sozialdemokratie_gerechtigkeit.png Wirklich konsequent wäre es, wenn Schulz in den verbleibenden zweieinhalb Wochen sein Wahlziel veränderte und sich offensiv um das Amt des Führers der stärksten Oppositionsfraktion bewirbt. Das gäbe auch eine gute Gelegenheit zur Bereinigung des Personals in der Fraktion: Mitläufern aus persönlichem Interesse, wie der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Dr. Eva Högl, sollte der Weg gewiesen werden, sich gleich bei der Fraktion zu bewerben, in deren Gefolge sie sich so gut aufgehoben fühlt. Denn die war Schulz mit ihrem ganzen Gewicht in den Rücken gesprungen mit der Bemerkung: „Die SPD soll nach den Bundestagswahlen weiter mitregieren [sic?!], auch als Juniorpartner der CDU.“ [4].

Dieser Vorschlag an die SPD, eine weitere große Koalition vor der Wahl auszuschließen, ist nicht so absurd, wie Sie zunächst vielleicht denken. Denn wer sagt denn, dass es immer Juniorpartner geben muss, die den C-Parteien mit einem auf vier Jahre festgeschriebenen Koalitionsvertrag zu sicherer Regierungsführerschaft verhelfen. Wie Frau Merkel ihren Machtanspruch definiert, hat sie am Dienstag im Bundestag ja sehr deutlich gemacht: „Gegen meinen Willen und den Willen der Unionsfraktion konnten Sie in diesem Parlament echt nichts durchsetzen. Das müssen Sie jetzt einfach mal akzeptieren.“ [5]

Solche Sprüche sollten selbst die SPD zur der Ansicht bringen, dass nichts alternativlos ist … Notwendiges Werben unter den anzunehmend fünf weiteren Fraktionen – neben CDU/CSU – im nächsten Bundestag in jeder einzelnen Sachentscheidung wäre zwar eine neue Erfahrung für Angela Merkel, jedoch sicher ein Gewinn für die Demokratie.

► Der Verfassungsminister, der Verfassung und Werte mit Füßen tritt

Leute vom Schlage eines De Maizière waren es, die den Boden bereitet haben für Faschismus und Rassismus vor achtzig Jahren.

Jener Thomas De Maizière verbreitete im April via Bild-Zeitung sein Gefasel von der Leitkultur [6]. „Wir achten das Grundgesetz“ behauptete er da. Im Juni beglückte er im Interview mit dem Handelsblatt mit der These „Die Gesellschaft verroht“ [7].

Wer hier verroht, ist der angeblich so christliche Bundesinnenminister. Der Artikel 1 des Grundgesetzes mit Fußen tritt mit seiner heute veröffentlichten Forderung „Wer mit Schlepper kommt, hat keine Chance auf Asyl“ [8]. Weder entscheidet über das Recht auf Asyl allein dieser Innenminister. Auch wenn er in dieser Wahlperiode das Bisschen, was vom Asylrecht noch übrig war weiter mit dem Vorschlaghammer zertrümmert hat. Noch steht allerdings NICHT im Artikel 1 des Grundgesetzes, dass nur die Würde des DEUTSCHEN Menschen unantastbar sei.

Das weitere Wirken dieses Zynikers und Polittechnokraten auf der nationalen und internationalen politischen Bühne wird dafür sorgen, dass uns allen seine Vorgehensweise in Zukunft auf die Füße fällt. Meine Generation hat unsere Väter und Mütter gefragt: Habt Ihr eigentlich nichts gewusst vom Treiben der Nazis? Und warum habt Ihr nichts dagegen getan? Wir alle werden bald mit ähnlichen Fragen konfrontiert sein, wenn wir De Maizière und Leuten seines Schlages nicht schleunigst Einhalt gebieten.

Annette Brückner (Abbe) / CIVES Redaktionsbüro GmbH.
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► Quellen:

[1] Drohende Autobahnbetreiber-Pleite bringt Dobrindt in Bedrängnis, 05.09.2017, Süddeutsche Zeitung >> weiter.

[2] Dobrindt hat wesentliche Tatsachen verschwiegen, 29.08.2017, CIVES >> weiter.

[3] §§ 325ff im Handelsgesetzbuch >> weiter.

[4] Berliner SPD-Politikerin Högl: SPD sollte nicht in die Opposition gehen, sondern mitregieren, 27.08.2017, Epochtimes >> weiter.

[5] Ausschnitt aus der Rede von Bundeskanzlerin Merkel am 04.09.2017 im Deutschen Bundestag

[6] “Leitkultur für Deutschland“: Ein Diskussionsbeitrag zu den Thesen des Ministers, 30.04.2017, CIVES >> weiter.

[7] “Die Gesellschaft verroht“, 22.06.2017, Handelsblatt >> weiter.

[8] “Wer mit Schlepper kommt, hat keine Chance auf Asyl“, 07.09.2017, Welt (Online) >> weiter.

Annette Brückner (Abbe) / CIVES Redaktionsbüro GmbH.


 

► Quelle: Erstveröffentlicht am 07.09.2017 auf dem Blog CIVES - http://cives.de/  >> Artikel.

(C) 2017 CIVES Redaktionsbüro GmbH. Sämtliche Urheber- und Nutzungsrechte an diesem Artikel liegen bei der CIVES Redaktionsbüro GmbH bzw. bei dem bzw. den namentlich benannten Autor(en). Der Artikel steht unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0 >> Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0).

Die oben gezeigten Fotos/Grafiken, einige Hervorhebungen und Verlinkungen sind NICHT Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für die Fotos/Grafiken gelten ggf. andere CC-Lizenzen.

► Über CIVES

Cives betreibt Online-Plattformen, wie z.B. Police-IT über Polizeibehörden und deren Informationssysteme, veröffentlicht zu fachspezifischen Themen, stellt redaktionelle Beiträge zu solchen Themen für andere Redaktionen und Blogs zur Verfügung und informiert und berät politische Instanzen. Uns interessiert das Spannungsverhältnis zwischen Bürger/Unternehmen, Presse, Recht und Staat. Und zwar besonders dann, wenn das Verhältnis, z.B. zwischen Bürger und Staat oder Unternehmen und Recht nicht so glatt und reibungslos ist, wie man annehmen sollte.

Uns interessiert also, wenn es reibt und knirscht – und wir fragen dann: Warum ist das so?

Annette Brückner, ist Unternehmerin und Publizistin und die Geschäftsführerin von Cives. Sie war Mit-Gründerin und Geschäftsführerin und über viele Jahre Projektleiterin einer mittelständischen IT-Firma, die Informationssysteme für große Behörden im In- und Ausland entwickelt und betreut hat. Zuvor war sie, nach einer kaufmännischen Ausbildung und journalistischen Grundstudium in München, mehrere Jahre als technischer Redakteur für Datenverarbeitung bei der Siemens AG tätig.



► Bild- und Grafikquellen:

1. Dr. Angela Merkel (CDU): "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben". Bildbearbeitung: Elias Schwerdtfeger. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz CC0 1.0 Universell (CC0 1.0) Public Domain Dedication.

2. Martin Schulz, (* 20. Dezember 1955 in Hehlrath, heute Eschweiler) - Kanzler in Deutschland? Nach dem taktischen Verzicht Sigmar Gabriels wurde Schulz Spitzenkandidat der SPD im BundestagswahlkRampf gegen Angela Merkel. Die einkassierten Niederlagen bei den letzten 3 Landtagswahlen sprechen eine deutliche Sprache über den Zustand der SPD. Läuft es am Ende gar doch wieder auf eine Grosse Koalition hinaus? Im Volksverarschen haben die beiden (Volks-)Parteien ja reichlich Erfahrung. Basisfoto: Foto-AG Gymnasium Melle. Quelle: Wikimedia-Commons, Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert. Bildbearbeitung: Elias Schwerdtfeger. Quelle: Flickr.

3. SCHULZ-MERKEL - Kanzler in Deutschland. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs (WiKa).  

4. Alexander Dobrindt (* 7. Juni 1970 in Peißenberg) ist seit dem 17. Dezember 2013 im Kabinett Merkel III Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Foto: BM für Verkehr und digitale Infrastruktur >> BMVI.de . Quelle: Flickr. Dorthin wurde das Foto am 2.07.2017 mit CC-Lizenz Namensnennung-Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0) hochgeladen. Zusatzhinweis des BMVI: Die Bilder dürfen im Rahmen redaktioneller Berichterstattung unter Quellenangabe kostenfrei genutzt werden. Die Verwendung zu Werbezwecken und zur gewerblichen Nutzung ist untersagt. Und das obwohl die gewählte Lizenz dies und auch die Bildbearbeitung ausdrücklich erlaubt. Egal - das Kritische Netzwerk ist ohnehin ein nicht-kommerzielles redak. Projekt ohne das Einnahmen jedweder Art generiert werden.

5. GIB [S]CHULZ KEINE CHANCE. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa).