Italien – Ein marktkonformer Putsch von oben
von Jens Berger / NDS
Staatspräsident Sergio Mattarella könnte als der Mann in Italiens Geschichte eingehen, der die Weichen für das Ende der Republik gestellt hat. Um eine Regierung aus Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle) zu verhindern, verweigerte er dem Kabinett des designierten Ministerpräsidenten Giuseppe Conte seine Zustimmung, nur um einen Tag später eine “Technokraten-Regierung” unter Führung eines ehemaligen hohen IWF-Vertreters bilden zu lassen. Da diese Regierung keine Chancen im Parlament hat, wird es wohl auf Neuwahlen hinauslaufen. Doch was sollen die bringen? Die einzige “Perspektive” scheint mittel- bis langfristig eine Rechtsaußen-Regierung unter Führung der Lega Nord zu sein. Dann werden auch deutsche Medien wieder mit gespielter Naivität fragen: Wie konnte es nur so weit kommen? Dabei sollte es doch bekannt sein, dass rechtsextreme Regierungen nicht vom Himmel fallen.
Staatspräsident Sergio Mattarella beauftragt Carlo Cottarelli "Mr. Forbici" mit der Bildung einer Übergangsregierung.
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► Paolo Savona – ein Buhmann, der wie gerufen kommt
Viel ist derzeit die Rede von Paolo Savona. Der Ökonom sollte nach Wunsch von Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung künftiger Finanzminister werden. Präsident Mattarella pickte genau diese Personalie heraus, um die Regierungsbildung zu torpedieren. Warum? Offiziell ließ Mattarella verkünden, er könne doch keinen Kandidaten akzeptieren, der „einen Euro-Ausstieg Italiens ins Spiel bringe“. Das ist natürlich Unsinn. Überzeugender ist schon eine zweite Erklärung, nach der es die „Unsicherheit“ italienischer und internationaler Investoren war, die Mattarella zu seiner Blockade getrieben habe. Da ist sie wieder – die demokratisch nicht legitimierte „Macht der Märkte“, mit der man die Ergebnisse einer demokratischen Wahl ganz einfach aushebelt.
Im konkreten Fall kommt erschwerend hinzu, dass dies sogar auf mehr als fragwürdiger Faktenbasis geschieht. Savona hatte schließlich nie gefordert, dass Italien aus dem Euro austreten solle. Er bezeichnet in seinem jüngsten Buch den Euro vielmehr als „Käfig“ für Italien – dem würde wohl kein progressiver Ökonom ernsthaft widersprechen. Savona schrieb auch, dass der Euro auf Italien einen ähnlichen Effekt hätte wie der Versailler Vertrag 1919 auf Deutschland. Und damit hat er ja auch streng genommen Recht. Als Ausweg schlug er daher einen “Plan B” vor, ein glaubhaftes Ausstiegsszenario aus dem Euro, mit dem Italien zusammen mit dem Rest Südeuropas Deutschland und seinen geldpolitischen Partnern “substanzielle Zugeständnisse abringen” könne.
Ein ganz ähnliches Konzept verfolgte damals übrigens Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis. Ist Savona deshalb ein „Eurogegner“, ein „Deutschland-Feind“ oder gar ein „Deutschland-Hasser“, wie unsere Qualitätszeitungen es mutmaßen? Wohl kaum. Unabhängig davon, welche Positionen Paolo Savona ansonsten vertritt, taugen die Zitate, die in den Medien aktuell genannt werden, sogar eher dazu, ihm eine gewisse Kompetenz in Währungsfragen zuzusprechen.
Der designierte Premier Carlo Cottarelli "Mr. Forbici" ist als "Herr Schere" für einen rigiden Sparkurs bekannt!
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Hinzu kommt, dass Mattarella mit falschen Karten spielt. Als Präsident kann er im Falle eine Falles doch ohnehin sein Veto gegen Gesetzesvorlagen einlegen, die seiner Meinung nach zu einem “Euro-Ausstieg” führen und als Ultima Ratio könnte er sogar das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen. Die Weigerung, das Kabinett Conte zu ernennen, hat also nichts mit einem angeblichen “Euro-Ausstieg” zu tun.
► Endstation – bitte rechts aussteigen
Worum geht es Mattarella dann? Das ist wohl die Eine-Million-Euro-Frage. Einerseits wird spekuliert, dass er als altehrenwerter Sozialdemokrat eine Regierung mit Beteiligung der nationalistischen Lega Nord verhindern wolle. Wäre dies wirklich sein Ziel, hätte er mit seiner Blockade das genaue Gegenteil erreicht. In den aktuellen Umfragen (und die stammen aus den Wochen vor der Regierungsbildung) steht die Lega Nord mit 26% fast 10 Prozentpunkte besser als bei den Wahlen da und die offene antidemokratische Blockade des Präsidenten dürfte der Partei noch mehr Wähler bescheren.
Beste Schützenhilfe bekommt die Lega Nord dabei übrigens von den deutschen Leitartiklern, denen die frühsommerliche Hitze offenbar nicht so gut bekommt. Ein an Dummheit kaum zu übertreffender Kommentar des SPON-Trolls Jan Fleischhauer wurde von Lega Nord-Chef Salvini gar als Beispiel für die Arroganz Deutschlands instrumentalisiert. Über Munition in einem sicherlich sehr schmutzig werdenden Wahlkampf mit antideutscher Ausrichtung muss sich die Lega Nord sicher keine Sorgen machen. Die leitartikelnden Edelfedern liefern mit deutscher Gründlichkeit pünktlich.
Auch wenn es viele Kommentatoren immer noch nicht wahrhaben wollen: Ein Mitte-Links-Bündnis unter Führung der Sozialdemokraten, die momentan im freien Fall sind, wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Und ein Mitte-Rechts-Bündnis unter Führung von Silvio Berlusconi wird es sogar nie wieder geben; dafür sind die Kräfte- und Machtverhältnisse am rechten Rand zu eindeutig zur Lega Nord gewandert und mit seinen 81 Jahren wird Berlusconi daran auch nicht mehr viel ändern können: La Repubblica berichtete vor wenigen Tagen sogar unter Berufung auf Original-Zitate von einem Treffen zwischen dem Lega Nord-Chef Salvini und Berlusconi, in dem Letzterer die Führung im Mitte-Rechts-Bündnis anbot und bereits von einem “sicheren Sieg” bei Neuwahlen schwadronierte.
Was würde denn passieren, wenn Präsident Mattarella nun seine “Technokraten-Regierung” ernennt? Da man sicher nicht davon ausgehen kann, dass die beiden Kammern des Parlaments diesen Putsch von oben akzeptieren und der Regierung ihre Zustimmung geben, müsste Mattarella Neuwahlen ausrufen. Die würden frühestens im Oktober stattfinden und entweder mit einer absoluten Mehrheit eines ehemals Mitte-Rechts-, nun eher Rechts-Rechtsaußen-Bündnisses unter Führung der Lega Nord oder zu einem wiederholten Patt zwischen Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung führen, was dann gemäß der “Logik” Mattarellas einmal mehr zu Neuwahlen führen müsste. Italien würde also so lange provisorisch von den “Technokraten” regiert, bis das Volk derart erzürnt ist, dass es entweder den der Fünf-Sterne-Bewegung oder – was wahrscheinlicher ist – der nationalistischen Lega Nord die absolute Mehrheit verschafft. Und dann? Ist es das, was der alte Sozialdemokrat Mattarella wirklich will?
Wohl kaum. Mattarella ist nicht nur ein “tragischer Held”, sondern vielmehr ein Getriebener Brüssels, Berlins und der Märkte. Eine erste Machtprobe der Finanzwelt gegen die Demokratie ging bereits ganz im Sinne der Märkte aus. Kein “Whatever it takes” von der EZB, keine Solidaritätsbekundungen aus Brüssel oder Berlin. “Europa” scheint mit dem Votum der Wähler nur dann etwas anfangen zu können, wenn man die “Richtigen” wählt und die Dominanz und ideologische Borniertheit Deutschlands nicht ernsthaft in Frage stellt.
Bis Oktober, und wenn es aus Sicht “der Märkte” gut läuft, sogar bis weit ins Jahr 2019 hinein, ist das nächste Kapitel der “Eurokrise” erst einmal vertagt und der Wille der Deutschen Bank und des deutschen Finanzministeriums wird in Italien von treuen Technokraten exekutiert.
Wer nun meint, die Italiener fänden dadurch wieder zu dieser EU zurück und würden womöglich in Scharen zum deutschen Darling Matteo Renzi überlaufen, hat seine Rechnung jedoch ohne den Wirt gemacht. Wenn Berlin, Brüssel und die EZB in Frankfurt am Ende vor der normativen Kraft des Faktischen einknicken und erst einer kommenden Rechtsaußen-Regierung unter Lega Nord-Chef Salvini den gestalterischen fiskalischen Freiraum zugestehen, mit dem auch eine Anti-Establishment-Regierung unter Führung der Fünf-Sterne-Bewegung das Land hätte rumreißen können, ist dies ein Signal für alle Rechtsaußen innerhalb der EU.
Wer ist denn nun der eigentliche Europagegner? Diejenigen, die das Ergebnis demokratischer Wahlen ignorieren und das Land von nicht legitimierten Technokraten regieren lassen oder aber diese Entwicklung gutheißen, wären schon mal aussichtsreiche Kandidaten.
Jens Berger
Helmut Schnug: Am 28. Mai 2018 wurde Carlo Cottarelli, acht Wochen nach Parlamentswahlen, von Staatspräsident Sergio Mattarella mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragt. Carlo Cottarelli wurde 1954 in Cremona geboren. Er graduierte in Wirtschafts- und Bankwissenschaften an der Universität Siena und erlangte einen wirtschaftswissenschaftlichen Master an der London School of Economics. Von 1981 bis 1987 arbeitete in der Grundsatzabteilung der Banca d’Italia und von 1987 bis 1988 für das Energieunternehmen Eni. Von September 1988 bis November 1989 arbeitete Cottarelli in verschiedenen Positionen für den Internationalen Währungsfonds (IWF). Im November 2014 wurde er vom Kabinett Renzi als geschäftsführender IWF-Vorstand nominiert. Seit Ende Oktober 2017 beaufsichtigt er die Buchprüfung der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand.
► Quelle: Dieser Text erschien als Erstveröffentlichung am 28. 05. 2018 auf den „NachDenkSeiten – die kritische Website“ >> Artikel. Die Formulierungen der Übernahmebedingung für Artikel der NachDenkSeiten änderte sich 2017 und 2018 mehrfach, weshalb KN-ADMIN Helmut Schnug zur Rechtssicherheit ein Gespräch mit Albrecht Müller, Herausgeber von www.Nachdenkseiten.de und Vorsitzender der Initiative zur Verbesserung der Qualität politischer Meinungsbildung (IQM) e. V., suchte. Herr Müller erteilte in einem Telefonat und nochmal via Mail am 06. November 2017 die ausdrückliche Genehmigung. Artikel sind im KN für nichtkommerzielle Zwecke übernehmbar, wenn die Quelle genannt wird. Herzlichen Dank dafür.
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1. Staatspräsident Sergio Mattarella beauftragt Carlo Cottarelli mit der Bildung einer Übergangsregierung. Urheber: Presidenza della Repubblica. Quelle: Wikimedia Commons. Files from source http://www.quirinale.it/ are copyright to the Presidency of Italian Republic and are available as follow: The copyright holder of this file allows anyone to use it for any purpose, provided that the copyright holder is properly attributed. Redistribution, derivative work, commercial use, and all other use is permitted.
2. Karikatur zur Staatsverschuldung Italiens: "DIE NEUE REGIERUNG WILL MEHR SCHULDEN MACHEN. WENN SIE NOCH PLATZ FINDEN . . ".
Karikatur von Kostas Koufogiorgos. Koufogiorgos wurde 1972 in Arta, Griechenland geboren, studierte nach dem Abitur 1989 Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Athen und begann zeitgleich als Karikaturist für verschiedene griechische Zeitungen und Magazine zu arbeiten.
Seit dem Umzug 2008 nach Deutschland veröffentlicht er seine Karikaturen in verschiedenen Tages-, Wochen- und Online-Zeitungen, z.B. im Handelsblatt, in den Ruhrnachrichten, im Hamburger Abendblatt, im Weser Kurier, der Fuldaer Zeitung, der Neuen Osnabrücker Zeitung, im Flensburger Tageblatt, den Lübecker Nachrichten, der Passauer Neuen Presse, der Ostsee-Zeitung, der Magdeburger Volksstimme, der Freien Presse, der Mainpost, dem Westfälischen Anzeiger, dem Tageblatt (Luxemburg), der Neuen Rheinischen Zeitung u.a. Des Weiteren findet man seine Arbeiten in Magazinen (z.B. „Nebelspalter“, „Der Spiegel“), Fachzeitungen (z. B. „vida“), Onlineportalen (z.B. „web.de“, „gmx.de“, "msn.com"), und zahlreichen Bildungsmedien.
2008 wurde sein Buch „Minima Politika“ (mit Wolfgang Bittner) veröffentlicht, 2011 folgte „Frau Schächtele will oben bleiben“ (mit Monika Spang) sowie 2016 "S(tuttgart) 21 - Karikaturen" und das "Jahr 2017 in bunten Bildern". 2012 erhielt er eine Auszeichnung beim Deutschen Preis für die politische Karikatur „Mit spitzer Feder“. 2016 folgten eine Auszeichnung beim Deutschen Preis für die politische Karikatur und ein 3. Preis des BJV zum Tag der Pressefreiheit. In Griechenland ist er der Karikaturist der Athener Tageszeitung „Eleftherotypia“.
Kostas Koufogiorgos lebt mit Ehefrau und Kater in Stuttgart- Bad Cannstatt. >> www.koufogiorgos.de >> www.facebook.com/koufogiorgos . Direktlink zur Karikatur.
3. DER SPIEGEL - Schriftzug an Hauswand. Foto: barockschloss / Zeilitzheim. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0).
4. Indirekte Demokratie. Grafik: Wilfried Kahrs (WiKa).
"Die Demokratie ist eine politische Ordnung, die nicht die Herrschaft des Volkes garantiert, sondern seine Ausbeutung." und an anderer Stelle: "Massenwahlen begünstigt eine institutionalisierte Kleptokratie, die kaum oder keine Hemmungen habe, das Eigentum anderer Menschen zu entwenden. Der demokratische Staat operiert als ultimativer Rechtsmonopolist in einem vertragslosen rechtlichen Vakuum, denn eine vertragliche Unterwerfung aller unter den Staat, wie ihn Thomas Hobbes proklamierte, hat es nie gegeben. Infolge übergroßer Schuldenmacherei auf Kosten anderer sei die Zeit der großen Demokratien in naher Zukunft abgelaufen. Sie könne in einem neuen Totalitarismus oder in einer Privatrechtsgesellschaft enden." (Hans-Hermann Hoppe).
"Es ist wirklich schwer einzusehen, wie Menschen, die der Gewohnheit, sich selbst zu regieren, vollständig entsagt haben, imstande sein könnten, diejenigen gut auszuwählen, die sie regieren sollen. So genügt es dem Staat nicht, alle Geschäfte an sich zu ziehen, er gelangt auch mehr und mehr dazu, sie alle unkontrolliert und ohne Rechtsmittel selbst zu entscheiden." Alexis de Tocqueville, frz. Publizist und Historiker (* 1805; † 1859).