Zivilisationen und ihre Vergänglichkeit

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Zivilisationen und ihre Vergänglichkeit
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Zivilisationen und ihre Vergänglichkeit

Vom Blühen und Vergehen unserer Kultur

von André Knips | ANSAGE.org

Die Blüte riecht nicht nach Dauer. Sie verströmt sich. In ihr liegt nicht das Ziel, sondern das Loslassen. Unsere Kultur stand einmal in voller Blüte. Nicht als Errungenschaft, sondern als seelischer Rausch. Gotik und Kathedralen, die Harmonie Bachs, die transzendente Mathematik Newtons, das Licht der Aufklärung, das dunkle Glühen der Romantik, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte: all das war kein Fortschritt, sondern das Aufblühen einer inneren Form.

»Das eine, was sich über Kunst sagen läßt, ist, daß sie eines ist.
Kunst ist Kunst-als-Kunst, und alles andere ist alles andere.
Kunst-als-Kunst ist nichts als Kunst.
Kunst ist nicht, was nicht Kunst ist.«

(Ad Reinhardt in Art-as-Art, 1998: 994)

Der Mensch im Westen erschuf nicht nur, er offenbarte sich. Die Städte wuchsen, nicht als Masse, sondern als Sinnträger. Musik wurde Architektur der Seele. Der Glaube an die Zukunft war nicht ökonomisch, sondern metaphysisch.

Diese Phase, dieser Frühling einer Weltseele, trug ihre eigene Verheißung in sich: dass alles, was beginnt, auch vergehen muss. Der Aufstieg brachte eine Vervielfachung des Geistes, der Technik, der Macht, aber auch eine schleichende Erosion des Ursprungs. Aus der Vision wurde Plan, aus dem Plan wurde System. Das Lebendige begann sich selbst zu regieren. Kultur wurde zur Zivilisation. Und in dieser Umwandlung liegt das Drama unserer Zeit.

»Der sogenannte Fortschritt kann also auch Rückschritt bedeuten!

Es braucht Intelligenz, Wissen, Bewußtsein, Mut, Selbstdisziplin und natürlich
den eigenen Willen, sich zumindest den zahlreichen die Gesundheit, die Seele
und das allg. Wohlbefinden schädigenden Aspekte erfolgreich zu widersetzen.
«

(Helmut Schnug)

Zivilisation ist nicht mehr lebendige Form, sondern starre Wiederholung. Kein organischer Wuchs, sondern technokratische Steuerung. Was einst aus Innerlichkeit sprach, spricht heute aus Code und Kalkül. Der Mensch hat sich entwirklicht. Er funktioniert, aber er lebt nicht. Er produziert, aber er erinnert sich nicht mehr, wofür. Die Altstädte werden saniert, aber nicht mehr bewohnt. Die Kirchen stehen leer, obwohl sie noch beheizt sind. Der Mensch hat den Mythos verloren und nennt es Aufklärung. Aber es ist nur Licht ohne Herkunft.

Cyberkrankheit_Cybersickness_Depression_Bildschirmzeit_Realitaetsverzerrung_Reizueberflutung_Internetabhaengigkeit_Technikabhaengigkeit_Technikwahn_Technologiesucht_Kritisches-Netzwerk

► Keine Feste, sondern Fluchten

Unsere Gegenwart gleicht der letzten Phase Roms. Auch dort war einst Weltmacht von innerem Glanz erfüllt: Republik, Republik in Krise, dann Imperium. Ein äußeres Blühen, das sich immer weiter von der inneren Quelle entfernte. Am Ende herrschten nicht mehr die Philosophen, sondern Rhetoriker, nicht mehr Führer, sondern Schauspieler.

Der Senat tagte, doch er war Kulisse. Die Macht verlagerte sich still, dann sichtbar, dann brutal. Aus dem Dialog wurde Dekret. Die Oberschicht lebte in luxuriösem Nihilismus. Ihre Orgien waren keine Feste, sondern Fluchten. Der Körper wurde gefeiert, weil die Seele verstummte. Politik war Theater: Reden ohne Risiko, Macht ohne Wahrheit. Die römische Elite in der Endphase war kosmopolitisch, zynisch, ironisch. Wie die unsrige.

»Fortschritt bedeutet nicht, fortgeschritten zu sein, sondern fortzuschreiten.
Insofern ist die Atomisierung der Gesellschaft, wie wir sie derzeit erleben,
das größte Rollback seit Beginn der Moderne.
Unter technisch exzellenten Voraussetzungen versteht sich.

Interessant ist auch, dass man aus der Ferne begonnen hat, sich
zurückzulehnen und Wetten abzuschließen, wie lange eine Gesellschaft
eine solche Entwicklung (Spaltung / Zersetzung) wohl aushält.
Ob sie weiter den Weg beschreitet, der im Fiasko endet oder ob es Kräfte gibt,
die in der Lage sind, das Ruder noch einmal herumzureißen.«

(-Dr. Gerhard Mersmann, im Mai 2021)

Auch das Geldsystem bezeugt den gleichen Zerfall. Rom begann mit ehrlichem Metall. Silber und Gold, geprägte Autorität. Doch als der Staat wuchs, wuchs die Not. Die Münzen wurden gestreckt, das Vertrauen sank. Am Ende war das Geld nur noch Zeichen, keine Substanz. Die Menschen wussten es. Sie flüchteten ins Konkrete: Land, Nahrung, Schutz. Heute ist unser Geld digital, erzeugt aus Schuld. Es zirkuliert, aber es berührt nichts mehr. Die Inflation wird nicht als Preisverfall erkannt, sondern als Realitätsverzerrung erlebt. Kredite ersetzen Leistung. Der Glaube ans Geld ist Glaube ans System. Und dieses System: seelenlos.

► Nicht retten, was vergeht – erinnern, was war

Wie lange dauert ein solcher Untergang? Nicht plötzlich. Nicht laut. Sondern als lange Entleerung. Zwei, drei Jahrhunderte. Erst erlischt die Kunst, dann die Musik, dann die Philosophie. Dann spricht der Staat nur noch von sich selbst. Dann versiegen die Geburten. Dann zerfällt die Sprache. Dann kehrt die Gewalt zurück. Der Zerfall beginnt im Inneren. Sichtbar wird er erst am Ende. Wir leben im Spätherbst. Und es ist natürlich. Es ist kein Fehler, sondern Form. Keine Katastrophe, sondern Zyklus. So wie das Laub stirbt, um den Wurzeln Kraft zu lassen. Wie der Abend das Licht nicht vertreibt, sondern vollendet. Wir sollen nicht retten, was vergeht. Wir sollen erinnern, was war.

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Vergleichen wir: Auch die ägyptische Kultur trat einst in ihre Zivilisationsphase ein. Ihre Tempel wurden zu Museen, ihre Schrift zu Sakrament, ihre Priesterschaft zu Buchhaltern des Ewigen. Alles war geordnet, alles verwaltet, aber nichts war mehr lebendig. Der Totenkult war kein Ausdruck des Lebens, sondern der Versuch, den Tod zu überlisten.

Die Kraft wich aus dem Land, und der Glaube verkrustete in Hieroglyphen. Auch China kannte diese Phase. Dort wurde das Ritual zum Ersatz der Offenbarung. Die Konfuzianische Ordnung war weise, aber sie war starr. Der Geist, der einst mit dem Tao (Dào) floss, wurde katalogisiert. Alles wurde geregelt, bis nichts mehr geschah. So überdauerte das Reich, aber es lebte nicht mehr. Jahrhunderte als Stagnation. Ein bewegungsloses Meer aus Schriftrollen.

► Neue Weltseele

In Indien formte sich die Zivilisation zur Verneinung der Welt. Samadhi wurde Ziel. Der Rückzug war vollständig. Inmitten einer überreichen Metaphysik verging der Wille zur Gestaltung. Alles strebte zur Auflösung, zur Erlösung, zur Rücknahme. Keine Kathedrale, kein Imperium: nur Rückkehr ins Formlose. In all diesen Kulturen war das Ende kein äußerer Sturz, sondern ein inneres Ermatten. Nicht das Schwert beendete sie, sondern der Verlust ihrer inneren Wärme. Der Mythos verglomm. Die Zeit stand still.

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Und nun: Wir. Das Abendland.

Unser Imperium ist nicht mehr in Marmor gebaut, sondern in Bildschirmen.

Unsere Straßen sind noch voll, aber die Blicke leer.

Unsere Sprache ist noch da, aber sie meint nichts mehr.

Unsere Medien, unsere Schulen, unsere Parlamente: sie simulieren Form, aber sie tragen keinen Geist.

Was bleibt? Ein letzter Glanz. Wie Sonnenuntergang auf Marmor. Vielleicht ein Kind, das fragt. Vielleicht ein Lied, das bleibt. Vielleicht ein Bild in der Asche. Vielleicht eine Stille, in der Neues sich bereitet.

Was kommt? Eine neue Weltseele. Nicht aus uns, sondern nach uns. Nicht durch Plan, sondern durch Geburt. Nicht aus Fortschritt, sondern aus Not. Eine Seele, die das Unsichtbare wieder fühlt. Die dem Himmel wieder lauscht. Die das Wort wieder hört.

Jetzt aber: Das Rauschen. Die Zeichen. Die Möwen fliegen tiefer. Die Blicke weichen aus. Die Zeit wird dünn.

André Knips

„Vergänglichkeit“

Flugsand der Stunden. Leise fortwährende Schwindung
auch noch des glücklich gesegneten Baus.
Leben weht immer. Schon ragen ohne Verbindung
die nicht mehr tragenden Säulen heraus.

Aber Verfall: ist er trauriger als der Fontäne
Rückkehr zum Spiegel, den sie mit Schimmer bestaubt?
Halten wir uns dem Wandel zwischen die Zähne,
daß er uns völlig begreift in sein schauendes Haupt.

(-Rainer Maria Rilke, * 4. Dez. 1875; † 29. Dez. 1926)

♦ ♦ ♦ ♦

»Memento mori.«
(»Bedenke, dass du sterben wirst.«)

»Memento te hominem esse.«
(»Bedenke, dass du ein Mensch bist.«)

»Respice post te, hominem te esse memento.«
(»Sieh dich um und bedenke, dass auch du nur ein Mensch bist.«)

♦ ♦ ♦ ♦

»Der Ursprung des Daseins ist die Bewegung.
Folglich kann es darin keine Bewegungslosigkeit geben,
denn wäre das Dasein bewegungslos,
so würde es zu seinem Ursprung zurückkehren,
und der ist das Nichts.
Deshalb nimmt das Reisen nie ein Ende,
nicht in der höheren und auch nicht in der niederen Welt.«

(Ibn al-ʿArabī, arab. Mystiker, Philosoph, Dichter, Weiser,
* 1165 in Murcia, Arab al-Andalus; * 1240 in Damaskus)

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Quelle: Der Artikel von André Knips wurde am 21. Mai 2025 unter dem Titel »Vom Blühen und Vergehen unserer Kultur« erstveröffentlicht auf ANSAGE.org >> Artikel. HINWEIS: Der Gründer dieser Seite, Daniel Matissek, gewährte auf Anfrage in einem Email vom 22. Juni 2022 sein Einverständnis und die Freigabe, gelegentlich auf ANSAGE.org veröffentlichte Artikel in Kritisches-Netzwerk.de übernehmen zu dürfen. Dafür herzlichen Dank. Das Urheberrecht (©️) an diesem und aller weiteren Artikel verbleibt selbstverständlich bei den jeweiligen Autoren und ANSAGE.org.

ACHTUNG: Die Bilder, Grafiken, Illustrationen und Karikaturen sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten folgende Kriterien oder Lizenzen, siehe weiter unten. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt, ebenso die Komposition der Haupt- und Unterüberschrift(en) geändert.

► Bild- und Grafikquellen:

1. Von all den technologischen Innovationen der Geschichte haben uns wenige so stark geprägt wie das Internet. Internetabhängigkeit verursacht die Vernachlässigung üblicher Lebensgewohnheiten, sozialer Kontakte, der persönlichen Versorgung und Körperhygiene, da ein Großteil der zur Verfügung stehenden Zeit im Internet verbracht wird. Im Extremfall kann die virtuelle Welt zu einem vermeintlich vollständigen Ersatz für sonstige reale soziale Kontakte werden und damit zu sozialer Isolation führen. Nach außen wird die Sucht verheimlicht oder man will sie nicht wahrhaben, verharmlost sein Verhalten. Entzugserscheinungen sind schlechte Laune, Nervosität, Reizbarkeit, Schlafstörungen oder Schweißausbrüche.

Die Begriffe Internetabhängigkeit, exzessives Onlineverhalten (EOV), Internetsucht und Onlinesucht werden synonym verwendet. Cyberkrankheit (Cybersickness) ist der neueste Neologismus, um den ständigen Kampf zwischen dem menschlichen Körper und einer Welt zu beschreiben, die wir kontinuierlich mit Technologie umgestalten. 

Die Freizeitindustrie boomt dank einer kollabierenden Spaß- und Erlebnisgesellschaft. Die restriktiven Coronamaßnahmen haben das nur zeitweise eingeschränkt. Die Vergnügungskultur und die mit ihr einhergehende Übertechnisierung mündet in einen Technikwahn. Entfremdung, Entgrenzung, Entmenschlichung, Reizüberflutung und Technosstress sind nur einige der für Körper, Geist, Psyche und Seele ungesunden Folgen.

Foto (KI-generiert): freepik (detaillierter Urhebername nicht benannt!). >> https://de.freepik.com/ . Freepik-Lizenz: Die Lizenz erlaubt es Ihnen, die als kostenlos markierten Inhalte für persönliche Projekte und auch den kommerziellen Gebrauch in digitalen oder gedruckten Medien zu nutzen. Erlaubt ist eine unbegrenzte Zahl von Nutzungen, unbefristet von überall auf der Welt. Modifizierungen und abgeleitete Werke sind erlaubt. Eine Namensnennung des Urhebers (Freepik) und der Quelle (Freepik.com) ist erforderlich. >> Foto.

2. Ein Leben ohne Geschichte? Ist es vorstellbar? »Der verlässlichste Wegweiser für die Zukunft ist die Vergangenheit. Die Vergangenheit ist nicht dazu da, um sie zu vergessen, sondern viel mehr um aus ihr zu lernen«. Foto OHNE TEXT: Sammy-Williams / Sam Williams, Sicily. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto. Inlet eingefügt durch Helmut Schnug.  

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3. Zerstörung von Hochkulturen, Imperien und Reiche in der Weltgeschichte: Den Kampf um Macht und Einfluss hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben; Imperien bekriegten sich, Zivilisationen wurden ruiniert, neue entstanden und das Spiel begann von vorne. Auch unsere Gesellschaft befindet sich in der Phase des Niedergangs.

»Der Untergang einer jeden Zivilisation ist vorherbestimmt, da es unmöglich ist, diesen destruktiven Stadien zu entkommen. Schauen wir uns die heutige Zivilisation an, egal ob man sie kapitalistisch oder westlich nennt, so muss man feststellen, dass sie den Höhepunkt lange überschritten hat. Größe und Stärke haben längst einem weit verbreiteten Verfall der Moral Platz gemacht, der Mythos und die Religion sind der kalten Rationalität gewichen und viele Menschen leben in existenziellem Nihilismus, indem sie sich auf das rein Materielle konzentrieren, Geld zum absoluten Lebensinhalt erheben.

Orientierungslosigkeit, Verwirrung und psychische Krankheiten nehmen im sogenannten „Wertewesten“ immer weiter zu. Dazu gesellen sich heutzutage der ökonomische Untergang, eine steigende Inflation, ökologische Katastrophen und eine große Zuwanderung in westliche Gesellschaften, ausgehend von den Ländern, die der Westen zuvor geplündert, mit Krieg überzogen und in die Armut geschickt hat. (-Felix Feistel: »Der Untergang der Zivilisation. Jede menschliche Gesellschaft geht unweigerlich zugrunde. Unsere befindet sich bereits auf dem besten Weg.

Unsere Zivilisation wird auf die ein oder andere Art und Weise unausweichlich untergehen. Dieser Gedanke bereitet vielen Menschen Angst, da die Angst vor dem eigenen Tod mit dem Gedanken des Untergangs der Zivilisation, in der man lebt, verbunden ist. So versuchen die Menschen, mit diesem konstanten Gefühl der Bedrohung und des jederzeit möglichen Todes umzugehen.

[..] So versuchen viele, sich gegen diesen Untergang zu stemmen, indem sie radikalen Vorstellungen verfallen und versuchen, sich durch besonderen Moralismus, Gesundheitsfanatismus oder Spiritualität reinzuwaschen. Andere rufen zum Kollektivismus auf, in dem der Einzelne zugunsten des Kollektivs Opfer erbringen muss. Doch Historiker haben auch die Phase des Verfalls als eine Zeit beschrieben, in der Menschen ihre persönliche Individuation zugunsten einer Massenkonformität aufgeben.

[..] Alle Zivilisationen sind früher oder später untergegangen. Doch keine war so weltumspannend wie unsere heutige. Daher ist der Untergang dieser Zivilisation vermutlich auch verheerender als jeder zuvor. Gerade in der westlichen Welt sind den Menschen viele Fähigkeiten des Überlebens abhanden gekommen. Kaum einer kennt sich noch in der Natur aus, kann auf natürliche Weise Feldfrüchte anbauen, jagen, sammeln und fischen, Häuser und Hütten bauen oder Werkzeuge herstellen. Wir sind abhängig geworden von einer Industrie, die uns alles abnimmt, und haben eine Scheinwirklichkeit bestehend aus Glasfassaden, Beton und digitalen Oberflächen errichtet.

Diese wird uns jedoch nicht das Überleben sichern, wenn ihre Grundlagen einmal wegfallen. Dann sind wir wieder auf uns gestellt, ohne all diese Hilfsmittel. Dieser Mangel an Fähigkeiten wird für die allermeisten Menschen im Westen verheerende Folgen haben. Es könnte sein, dass ein Untergang der heutigen Zivilisation einen ähnlichen Rückschritt bedeutet wie der Untergang der Mittelmeerkulturen in der Bronzezeit. Ein dunkles Zeitalter könnte folgen, in dem vieles an Wissen, Techniken und Fertigkeiten einfach unwiederbringlich verloren geht, schon allein deshalb, weil vieles davon auf digitalen Datenträgern gespeichert ist, die ohne Strom ihre Geheimnisse nicht preisgeben.

Umso mehr scheint es geboten, neben dem rauschhaften Erleben des Untergangs und der eigenen Lebendigkeit, die Grundlagen für den Beginn einer neuen Zivilisation zu legen, anstatt sich nur in fatalistischen Symbolhandlungen wie dem Kauf wertvoller Gemälde oder den Protest gegen den Zuzug von Fremden zu ergehen. Denn nichts davon wird den Untergang aufhalten, doch wir können die Zeit danach gestalten.« >> Artikel)

Foto: KELLEPICS / Stefan Keller ANIMATED COMPOSING ART >> https://www.kellerwelten.com/ . Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

4. 'In jedem Ende liegt ein neuer Anfang.' Miguel de Unamuno y Jugo (* 29. September 1864 in Bilbao; † 31. Dezember 1936 in Salamanca) war ein spanischer Philosoph und Schriftsteller. Unamuno war auch Dichter, Romancier, Dramatiker und Literaturkritiker. Er gehörte der Generación del 98 an, die versuchte, die nach der Niederlage gegen die USA und dem Verlust seiner letzten Kolonien erschütterte Identität Spaniens im kulturellen Raum zu bewahren bzw. wiederzugewinnen. >> Wikipedia

Foto OHNE Textinlet: Tama66 / Peter Herrmann, Leverkusen (user_id:1032521). Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto. Der Text wurde von Helmut Schnug in das Foto eingearbeitet.

Einige Aussagen von Miguel de Unamuno y Jugo:

"Der Mensch arbeitet, um Arbeit zu vermeiden, er arbeitet, um nicht zu arbeiten. Es ist unglaublich, welche Arbeiten der Mensch auf sich nimmt, nur um nicht arbeiten zu müssen." - Plädoyer des Müßiggangs.

"Eine gewisse Anzahl von Müßiggängern ist notwendig zur Entwicklung einer höheren Kultur." - Plädoyer des Müßiggangs.

"In jedem Ende liegt ein neuer Anfang." - Plädoyer des Müßiggangs.

"In einem Volk, bei dem viel gearbeitet wird, ist die Arbeit meist schlecht verteilt; dort gibt es mehr Leute, die viel arbeiten, damit die anderen faulenzen können." - Plädoyer des Müßiggangs.

"Der Verstand einigt uns und die Wahrheiten trennen uns." - Wie man einen Roman macht.

"Ein Problem setzt nicht so sehr eine Lösung voraus, im analytischen oder auflösenden Sinne, als vielmehr eine Konstruktion, eine Kreation. Es löst sich im Tun." - Wie man einen Roman macht.

Die Essays aus "Plädoyer des Müßiggangs" stammen aus den Jahren 1908 bis 1916 und zeigen den Autor als Träumer und Spaziergänger, der seinem Hang zur streitbaren Polemik nur selten nachgibt, wie z. B. in dem Essay 'Die Pflicht und die Pflichten', wo er nahezu wütend mit Tugenden wie Dogmatismus, Intoleranz und blindem Gehorsam aufräumt. Unamuno 'ist eine Herausforderung, die auch Jahrzehnte nach seinem Tod nichts von ihrer Radikalität verloren hat. Ein Autor, der sich Auseinandersetzung und Widerspruch geradezu verdient hat, will man ihm in seiner Heterodoxie gerecht werden, aber auch ein Autor, der nach wie vor und immer wieder mit großem Genuß zu lesen ist.